Schulische Teilleistungsstörungen im Rahmen des § 35 SGB VIII

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 Präsentation transkript:

Schulische Teilleistungsstörungen im Rahmen des § 35 SGB VIII Prof. Dr. med. H. R. Röttgers, M.A., M.A.E. Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen

Überblick Die ideale Stellungnahme Typische Mißverständniskonstellationen Gefälligkeitsatteste und -Gutachten Allgemeine und psychiatrische Qualitätskriterien für Stellungnahmen – wie lese und bewerte ich Berichte ? Interessenlagen und ökonomische Motive Die Schule als wichtiger „Player“ Stellungnahme nicht schlüssig – was tun ? Stellungnahme fachlich plausibel, aber Handlungs- empfehlung aus Sicht der Jugendhilfe nicht nachvollziehbar – was tun ? Ausgewählte „Anlasserkrankungen“: schulische Teilleistungsstörungen, ADHS, Autismus, sonstige psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen

Die ideale Stellungnahme... ist fachlich kompetent, logisch, im Wissen um die je- weiligen Systemzuständigkeiten/ –Ressourcen abgefaßt ist konkret und am Individuum ausgerichtet, bezieht Ressourcen des familiären und sonstigen Systems ein berücksichtigt ggfs Erkenntnisse aus Schule/Ausbildung/Studium/Arbeitsleben enthält Anhaltspunkte und Überlegungen, die bei der Prüfung der Teilhabebeeinträchtigung hilfreich einbezogen werden können formuliert im Ausgang offen, damit Eltern/Familien nicht in Zwänge und Auseinandersetzungen manövriert werden richtet sich z.B. nach der Musterstellungnahme aus Ulm ist leider nicht der Regelfall

Typische Mißverständniskonstellationen Ärzte/Therapeuten kennen das Aufgabengebiet, die Entscheidungslogiken, die Methoden der Jugendhilfe nicht Ärzte/Therapeuten kennen die Zuständigkeiten des Schulsystems nicht (vgl. Beispiel F 2 „Lehrstoff aufarbeiten“) Hilfeplanverfahren sind nicht bekannt „viel hilft viel“ als Reaktion auf Elternwünsche und/oder Forderungen der Schule Qualifikation von Dienstleistern außerhalb des SGB-V- Systems nicht bekannt, unreflektierte Empfehlungen von „Therapien“

Gefälligkeitsatteste und -Gutachten Auf Verlangen erstellte unrichtige Bescheinigungen, Zeugnisse etc., die dem Patienten Vorteile bringen Gefälligkeitsatteste sind im Gesundheitssystem weit verbreitet „Klassiker“: Reiserücktritt, AU, Frührente, Sozial- leistungen, Asyl-/Ausländerrecht, Justiz, Prüfungswesen Rollenkonflikt von Ärzten und Therapeuten: dem Patienten nützen, ohne fachliche und ethische Standards zu verletzen, nicht immer gut gelöst Grauzone zwischen offener Unwahrheit und tendenziöser Darstellung Typisch: Manipulation durch Weglassen relevanter Fakten (vgl. Beispielfall F, S. 1/2)

TLS-Diagnostik Bei angeblichen schulischen Teilleistungsstörungen oft Weglassen der Intelligenzdiagnostik und/oder Mißachtung des „Diskrepanzkriteriums“: Abweichung der Leistung im „gestörten“ Fach zur allgemeinen Leistung Niedrige Intelligenz führt zu schulischen Leistungsmängeln, ist aber keine Teilleistungsstörung Jede TLS-Diagnostik braucht eine Aussage zur Intelligenz und eine Bewertung des Verhältnisses von IQ und Schreib-/Lese-/Rechenvermögens Notendifferenz im Zeugnis sichtbar ?

Hamburger Schreibprobe

Hamburger Schreibprobe

Hamburger Schreibprobe

(Ergänzung 2:) Bei angeblichen schulischen Teilleistungsstörungen oft Weglassen der Intelligenzdiagnostik und/oder Mißachtung des „Diskrepanzkriteriums“: Niedrige Intelligenz führt zu schulischen Leistungsmängeln, ist aber keine Teilleistungsstörung Jede TLS-Diagnostik braucht eine Aussage zur Intelligenz und eine Bewertung des Verhältnisses von IQ und Schreib-/Lese-/Rechenvermögens

Fall „ADHS/TLS/LB“ IQ: 72, PR 4 Visuelle Wahrnehmung PR 1-9 HSP: PR 3 Ergebnis: Schreibfähigkeiten entsprechen dem IQ, keine TLS

Allgemeine und psychiatrische Qualitätskriterien für Stellungnahmen Darstellung der Schilderungen von den erhobenen Befunden, der Diagnosebegründung und den daraus gezogenen Schlüssen getrennt ? Innere Konsistenz und Logik ? Diagnosen nach ICD-Kriterien gestellt ? Zeitkriterien, Ursache-Wirkungs-Beziehungen, Vollständigkeit... Notwendige Verfahren eingesetzt ? Ausschlussdiagnostik, Intelligenz- und Entwicklungstests... ? Kenntnis des Patienten ausreichend ? (Behandungsdauer...) ICD-Kommentare und AWMF-Leitlinien als Orientierung und (gerichtsverwertbare !) Referenz

Interessenlagen und ökonomische Motive Dritter Ärzte (nicht Psychotherapeuten) sind auch für das Volumen der „veranlassten Leistungen“ verantwortlich; Gefahr des sog. KV-Regresses Verweis auf Hilfen des Sozial- oder Jugendamts (statt z.B. Logopädie, Ergotherapie) kann budgetschonend wirken Verweisen auf Dritte ist eine (verständliche) Reaktion auf komplexe Konstellationen und z.B. fordernd- anstrengendes Elternverhalten, aber auch Mängel im SGB-V-System: Die kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung in D unterliegt der formalen kassenärztlichen Bedarfsplanung, ist also nicht notwendigerweise gleichmäßig oder logisch ausgestaltet

Die Schule als wichtiger „Player“ (I) Theoretisch sind Schulische Bildung von Kindern/Jugendlichen mit Behinderungen LRS- und Dyskalkulieförderung Einrichtung zusätzlicher Fördergruppen auch am Nachmittag (!) Sonderpädagogische Einzelfallunterstützung, auch mit zusätzlichem Personal Individueller Nachteilsausgleich bei Leistungsüberprüfungen, Versetzungsentscheidungen, Schulformempfehlungen Fachliche Fortbildung von Lehrpersonal... sämtlich Aufgaben des Schulsystems. In der Theorie... Praktisch: Schließung der Förderschulen L, E, S: schlechtere Raum- und Technikausstattung ungünstigere Schüler-Lehrer- Relationen fehlende spezifische sonderpädagogische Kompetenz

Die Schule als wichtiger „Player“ (II) Schulen in NRW haben zwar nach dem 9. Schulrechts- änderungsgesetz „Inklusion“ zu leisten; sind damit mangels Personal, Kompetenz, Infrastruktur oftmals überfordert Förderschul-Moratorium der neuen Landesregierung ? Tatsächlich wird vielerorts auf dem „Umweg“ über §35 a SGB VIII die Jugendhilfe in Anspruch genommen Hauptinstrumente: LRS-etc.-Förderinstitute, Integrationshelfer Maßnahmen werden gegenüber den Eltern als Bedingung für die Beschulung eingefordert, die Notwendigkeitsbescheinigungen von Ärzten und Therapeuten beschaffen sollen

Stellungnahme fachlich nicht schlüssig – was tun ? Fehlt eine eindeutige Diagnose ? Ist die Diagnose nicht plausibel ? Ist die Diagnose nicht gut begründet ? Besteht die Stellungnahme erkennbar nur aus nicht individualisierten Textbausteinen ? oder oder oder...

Stellungnahme im fachlichen Part schlüssig, aber Handlungsempfehlung aus Sicht der Jugendhilfe nicht nachvollziehbar – was tun ? (z.B.) LRS- oder ADHS-Diagnose ist plausibel, aber es werden fernliegende/nicht evidenzbasierte Empfehlungen zu 35 a-Hilfen ausgesprochen Die Teilhabebeeinträchtigung ist nicht zu erkennen Hilfen gehören eigentlich in den Aufgabenbereich der Schule Hilfen gehören eigentlich in den SGB-V-Bereich

Kapitel „F“ der ICD-10 F 0 Organische einschl. symptomatischer psychischer Störungen F 1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F 2 Schizophrenie, schizotype und wahnh. Störungen F 3 Affektive Störungen F 4 Neurotische, Belastungs-, somatoforme Störungen F 5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen oder Faktoren F 6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F 7 Intelligenzminderung F 8 Entwicklungsstörungen F 9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend

F 8 Entwicklungsstörungen 80 Umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache 80.0 Artikulationsstörung 80.1 Expressive Sprachstörung 80.2 Rezeptive Sprachstörung 80.3 Aphasie mit Epilepsie (Landau-Kleffner) F 81 Umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten 81.0 Lese- und Rechtschreibstörung 81.1 Isolierte Rechtschreibstörung 81.2 Rechenstörung 81.3 Kombinierte Störung (81.2 plus 81.0 oder 81.1) 82 Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktion 84 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen 84.0 frühkindlicher Autismus 84.1 Atypischer Autismus 84.2 Rett-Syndrom 84.5 Asperger-Syndrom

F 9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend 90 Hyperkinetische Störungen 90.0 Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamskeitsstörung 90.1 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens 91 Störungen des Sozialverhaltens 91.0 familiär beschränkte Störung des Sozialverhaltens 91.1 Störung des Sozialverhaltens bei fehlenden sozialen Bindungen 91.2 Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen 91.3 Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Verhalten 92 Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen 93 Emotionale Störungen des Kindesalters (Phobie, soziale Ängstlichkeit, Trennungsangst...) 94 Störungen sozialer Funktionen mit Beginn in Kindheit und Jugend 94.0 Elektiver Mutismus 94.1 Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters 94.1 Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung 95 Ticstörungen (motorisch, vokal, Tourette-Syndrom) 98 Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend (Enuresis, Enkopresis, Stottern, Poltern, Fütterstörung, Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität...)

Eingliederungshilfe bei sonstigen (nicht kindes- bzw Eingliederungshilfe bei sonstigen (nicht kindes- bzw. jugendtypischen) psychiatrischen Erkrankungen (I) Klassisch: Wohn- und Arbeitsunterstützung bei Krankheiten mit Störungen des Realitätsbezugs (Schizophrenie, bipolare Störungen, psychoorganische Erkrankungen), meist § 53 SGB XII Ambulant betreutes Wohnen: fachliche Überschneidung zur Soziotherapie nach § 37 SGB V; in der Praxis weit überwiegend kommunale Leistungen. Wenn das Alter „stimmt“, auch Eintreten der Jugendhilfe nach § 35 a

„Klassiker“ im § 35 a Schulische Teilleistungsstörungen AD(H)S Autismus-Spektrum-Störungen Partner Schulsystem

1: Schulische Teilleistungsstörungen F 81 Umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten 81.0 Lese- und Rechtschreibstörung 81.1 Isolierte Rechtschreibstörung 81.2 Rechenstörung 81.3 Kombinierte Störung (81.2 plus 81.0 oder 81.1)

Teilleistungsstörung – Artefakt oder Realität ? Die Häufigkeit diagnostizierter Teilleistungsstörungen ist regional unplausibel unterschiedlich hoch Inanspruchnahmeverhalten und Diagnosehäufigkeit als Folge von Anbieteraktivitäten und Genehmigungspraxis der Jugendhilfe Schulische Reaktion auf Leistungsschwächen Im Bereich Lese-Rechtschreib-Störung fungieren diverse „Reformen“ möglicherweise als Confounder/produzieren Verschlechterungen des Leistungsniveaus Beispiel: „Sommer-Stumpenhorst“-Programm der „lautgetreuen Schreibung“ in Klasse 1 und 2 „Marburger Studie“: Schwache Kinder leiden unter dem Konzept, starke Kinder überstehen es immerhin schadlos... Dyskalkulie: Zweifel an der Konstruktvalidität

Sommer-Stumpenhorst: Klasse 1 und 2 lautgetreue Schreibung, ab Klasse 3 wird korrekte Orthographie verlangt

Teilleistungsstörung = Zuständigkeit der Eingliederungshilfe ? Die umschriebene Störung schulischer Fähigkeiten ist per se keine seelische Behinderung im Sinne einer Teilhabebeschränkung Ihre Kompensation ist grundsätzlich Aufgabe der Schule, bei erfolgreicher Intervention wird das Problem beseitigt Bei Persistieren „echter“ Teilleistungsstörungen erfolgt die Teilhabesicherung z.B. via Nachteilsausgleich Komorbide und reaktive Störungen lösen einen Behandlungsanspruch nach SGB V aus Also: kein Thema für die Eingliederungshilfe ?

Teilleistungsstörung: primäre Zuständigkeit der Schule LRS-Kompensation ist grundsätzlich Aufgabe der Schule, bei erfolgreicher Intervention wird das Problem beseitigt NRW: LRS-Erlass

Erlass: Außerschulische Maßnahmen als Ausnahme Trotz intensiver schulischer Fördermaßnahmen ist es möglich, dass einzelne Schülerinnen und Schüler die für das Weiterlernen grundlegenden Kenntnisse und Fertigkeiten im Lesen und Rechtschreiben nicht erwerben. Dies kann insbesondere der Fall sein bei Schülerinnen und Schülern –  mit einer psychischen Beeinträchtigung (z. B. ausgeprägte Angst vor Misserfolgen, geringes Selbstvertrauen), –  mit neurologischen Auffälligkeiten (z. B. Störungen der sensomotorischen Integration, der Lateralitätsstruktur, bei zentralmotorischen oder Hirnfunktionsstörungen), – mit sozial unangemessenen Verhaltenskompensationen (z. B. verstärkte Aufmerksam-keit forderndes, aggressives oder gehemmtes Verhalten). Die Schule weist in diesem Fall die Erziehungsberechtigten auf geeignete außerschulische Förder- und Therapiemöglichkeiten hin (z. B. Schulspychologische Beratungsstellen, motorische oder Sprachtherapien, Erziehungsberatungsstellen). Werden über die schulische Förderung hinaus außerschulische Maßnahmen durchgeführt, sollten diese miteinander abgestimmt werden.

Bei nicht ausreichendem Erfolg: Nachteilsausgleich 4.(..) Für Schülerinnen und Schüler, die einer zusätzlichen Fördermaßnahme bedürfen, gilt für die Klassen 3 bis 6 und in besonders begründeten Einzelfällen auch für die Klassen 7 bis 10 zusätzlich: 4.1 Schriftliche Arbeiten und Übungen: Bei einer schriftlichen Arbeit oder Übung zur Bewertung der Rechtschreibleistung im Fach Deutsch und in den Fremdsprachen kann die Lehrerin oder der Lehrer im Einzelfall eine andere Aufgabe stellen, mehr Zeit einräumen oder von der Benotung absehen und die Klassenarbeit mit einer Bemerkung versehen, die den Lernstand aufzeigt und zur Weiterarbeit ermutigt. In den Fremdsprachen können Vokabelkenntnisse durch mündliche Leistungsnachweise erbracht werden. Die Erziehungsberechtigten sind über den Leistungsstand ihres Kindes zu informieren. Die Rechtschreibleistungen werden nicht in die Beurteilung der schriftlichen Arbeiten und Übungen im Fach Deutsch oder in einem anderen Fach mit einbezogen. 4.2 Zeugnisse: Der Anteil des Rechtschreibens ist bei der Bildung der Note im Fach Deutsch zurückhaltend zu gewichten. In den Zeugnissen kann in der Rubrik „Bemerkungen“ aufgenommen werden, dass die Schülerin oder der Schüler an einer zusätzlichen LRS-Fördermaßnahme teilgenommen hat. 4.3 Versetzung: Bei Entscheidungen über die Versetzung oder die Vergabe von Abschlüssen dürfen die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben nicht den Ausschlag geben. 4.4 Übergang zu Realschulen und Gymnasien: Besondere Schwierigkeiten im Rechtschreiben allein sind kein Grund, eine Schülerin oder einen Schüler für den Übergang in die Realschule oder das Gymnasium bei sonst angemessener Gesamtleistung als nicht geeignet zu beurteilen.

Teilleistungsstörung: Probleme in der Realität „Diagnostik“ erfolgt oft durch gewinnorientierte Dienstleistungsanbieter ohne Qualifikation und unter Außerachtlassung fachlicher Kriterien Schulen kommen den Anforderungen des LRS-Erlasses nicht nach Zareki: geeicht auf 15 % Förderbedarf Osna Test Zahlenverständnis: Einzel 30 Minuten, daher nicht in Schule SINUS Grundschule ??

Probleme der Anbieter und der „Therapie“ „Catch-all-Phrases“ erhöhen die Attraktivität der Angebote: „Tommi will Pilot werden“ Unterlassen einer Intelligenz- und ggfs. Entwicklungsdiagnostik - > „Test“ bestätigt lediglich Schwäche im jeweiligen Bereich, keine Störung/Diskrepanzkriterium wird mißachtet Pädagogisch und didaktisch oft nur besserer Nachhilfeunterricht -> schadet nicht, hilft aber nicht langfristig Personalqualifikation müsste an sich über dem (Grundschul- )lehrerniveau mit zusätzlicher Spezialdidaktik liegen: in der Regel nicht der Fall

Kenntnisstand zur Therapie von LS/RS/LRS: Datenlage nur für Interventionen zur Stärkung der Phonem-Graphem-Zuordnung und orthographischen Regelwissens positiv Einzel- und Kleingruppenunterricht sind dabei gleichwertig Training von Ganzworterfassung, Textverständnis, „auditiver/visueller Wahrnehmung“ Medikamente (Piracetam), alternativmedizinische Verfahren aller Art Irlen-Folien, Prismenbrillen, nicht in der Wirkung belegt

Teilleistungsstörung: weitere Aspekte Kinderärzte (u.a.) entlasten das Budget durch die Empfehlung von Eingliederungshilfeleistungen und attestieren „Bedarfe“ nicht selten im Sinne des Elternwunsches Schulen sind fachlich nicht immer kompetent und begrüßen eine (oft nur vordergründige) Entlastung

Teilleistungsstörung: Voraussetzungen für ein Eintreten des Jugendhilfeträgers Aspekte: notwendige und geeignete Hilfe, Nachrangigkeit -> Vorliegen einer aussagekräftigen, umfassenden Diagnostik statt Banalbescheinigung Begründete und differenzierte Erklärung der zuständigen Schule, sie habe alle Hilfen nach dem LRS-Erlass erbracht und könne dennoch die nötige Förderung nicht leisten Elternperspektive: Nachteilsausgleich ausgeschöpft ? Nachweis einer Personalqualifikation sowie einer fachlichen Vorgehensweise nach dem aktuellen Stand seitens des Anbieters (z. B. neue LRS-Leitlinie der AWMF)

4. 9. Schulrechtsänderungs-Gesetz NW Schulen in NRW – Ausstattung und Betreuungsquote Derzeitige Integrationsquoten/ wo sind die SuS mit ADHS/ASS ? Gebietet die UN-BRK schulorganisatorische Inklusion ? Altershomogenität vs. Entwicklungshomogenität bei Einschulung/ Problematik (nicht nur) bei ASS Einstufungsdiagnostik bei L,E,S Regionales Stellenbudget und ASS Konnexitätsproblematik: I-Helfer/Schulbegleiter aus kommunalen Mitteln

Förderschulen und sonstige zusätzliche Hilfen widersprechen entgegen verbreiteter Ansicht bzw. Behauptung nicht dem Art. 24 der BRK

Status quo: Zahlen ..davon 2-10 % Kinder mit ASS: normal begabte meist in L,E,S, ggfs. lokal auch KM, Kinder mit ADHS wenn in FS, meist in E

Status quo: Zahlen

Status quo: Zahlen

Altershomogenität vs. Entwicklungshomogenität Zurückstellung wegen Entwicklungsverzögerung in NRW nur in Ausnahmefällen, aber Die Entwicklungsspannweite von 1. Klassen umfaßt bereits allgemein ca. 3 Jahre NRW: zusätzlicher „Frühchenmalus“ Individuell kann gerade bei ASS ein späterer Start der Schullaufbahn sinnvoll sein, um die Bedingungen zu verbessern !

Kernpunkte des Gesetzes: Diagnostik/AOSF minimieren, Schule kann i.d.R. nicht aktiv werden Schließung kleiner Förderschulen für L, E, S durch Mindestgrößenverordnung L, E, S: Verteilung der Sonderpädagogen ohne Kenntnis der Bedarfslage der Kinder, Abschaffung der besseren Lehrer/Schüler-Relation nach Förderschulstandard Verzicht auf Inhalte und Qualitätsvorgaben, um mögliche Schulträgerforderungen nach Finanzausgleich (Konnexitätsprinzip) zu vermeiden Aber: expliziter Verweis auf Eingliederungshilfe (!) wegen bundesrechtlicher Grundlage

§ 19 (2) Die sonderpädagogische Förderung umfasst die Förderschwerpunkte 1. Lernen, 2. Sprache, 3. Emotionale und soziale Entwicklung, 4. Hören und Kommunikation, 5. Sehen, 6. Geistige Entwicklung und 7. Körperliche und motorische Entwicklung. (3) Die sonderpädagogische Förderung hat im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen das Ziel, die Schülerinnen und Schüler mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung zu den Abschlüssen zu führen, die dieses Gesetz vorsieht (zielgleich). Für den Unterricht gelten grundsätzlich die Unterrichtsvorgaben (§ 29) für die allgemeine Schule sowie die Richtlinien für die einzelnen Förderschwerpunkte. (4) Im Förderschwerpunkt Lernen und im Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung werden die Schülerinnen und Schüler zu eigenen Abschlüssen geführt (§ 12 Absatz 4). Dies gilt auch für Schülerinnen und Schüler, bei denen daneben weitere Förderschwerpunkte festgestellt sind. Im Förderschwerpunk Lernen ist der Erwerb eines dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Abschlusses möglich.

(5) Auf Antrag der Eltern entscheidet die Schulaufsichtsbehörde über den Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung und die Förderschwerpunkte. Vorher holt sie ein sonderpädagogisches Gutachten sowie, sofern erforderlich, ein medizinisches Gutachten der unteren Gesundheitsbehörde ein und beteiligt die Eltern. Besteht ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung, schlägt sie den Eltern mit Zustimmung des Schulträgers mindestens eine allgemeine Schule vor, an der ein Angebot zum Gemeinsamen Lernen eingerichtet ist. § 20 Absätze 4 und 5 bleiben unberührt.“ (7) In Ausnahmefällen kann eine allgemeine Schule den Antrag nach Absatz 5 stellen, insbesondere 1. wenn eine Schülerin oder ein Schüler nicht zielgleich unterrichtet werden kann oder 2. bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Emotionale und soziale Entwicklung, der mit einer Selbst- oder Fremdgefährdung einhergeht. Bei einem vermuteten Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt Lernen kann die allgemeine Schule den Antrag in der Regel erst stellen, wenn eine Schülerin oder ein Schüler die Schuleingangsphase der Grundschule im dritten Jahr besucht; nach dem Ende der Klasse 6 ist ein Antrag nicht mehr möglich.“ § 19 (5,7)

Erfolgreich und lange inklusiv(er) beschulende Länder haben permanentes 2-Lehrkräfte-Konzept kleine Klassengrößen Binnendifferenzierung (ansonsten lernpsychologisch ungünstige Dynamiken oder Abwärtsnivellierung) Schule kann nur in der Wissensermittlung erfolgreich und sozial ausgleichend wirken, wenn sie überhaupt wirkt: wer betreibt in D empirische Pädagogik ? Was ist schlimmer: der Labeling-Effekt (der präventabel wäre) oder die reale Vernachlässigung spezifischer Bedürfnisse und Förderchancen ? Wichtig auch: Zeitfenster der Gelegenheit ! Gerade SuS mit ASS benötigen eine differenzierte Syndrom-, Leistungs-, Entwicklungs- und Förderdiagnostik als Basis spezifischer Interventionen

Literatur (allgemein) http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-044l_S3_Lese- Rechtschreibstörungen_Kinder_Jugendliche_2015-06.pdf http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028-019l_S1_Hyperkinetische_Stoerungen_ADHS_01.pdf http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/028- 018_S1_Tief_greifende_Entwicklungsstoerungen__F84__11-2006_11-2011_01.pdf www.adhs.info „Die“ deutsche ADHS-Website mit vielen weiteren Hinweisen Attwood, Tony: Asperger-Syndrom: Das erfolgreiche Praxis-Handbuch für Eltern und Therapeuten. Trias 2010 Freitag Chr: Empirisch überprüfte Frühfördermethoden bei autistischen Störungen. Eine selektive Literaturübersicht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie 38, 4, S. 247-256 (2010) Ganz M.: The lifetime distribution of the incremental societal costs of autism. Archives of Pediatric and Adolescent Medicine 2008; 343-349 Keenan M., Dillenburger K., Moderato P., Röttgers H.R.: Science for sale. ABA in a free market economy. Behaviour and Social Issues, 2010 (19), 124-141 (2010) Nedjat S., Röttgers H.R., Croissant B.: Langzeitverläufe und psychosozialer Outcome von Personen mit dem Asperger-Syndrom. Präsentation auf dem DGPPN-Kongress, 24.11.2011 Röttgers H.R.: Förderung von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen. in Blanz/Como/Schermer: Verhaltensorientierte Soziale Arbeit. Stuttgart: Kohlhammer 2013 Volkmar, F. R. und Wiesner, L. A.: A Practical Guide to Autism – What Every Parent, Familiy Member and Teacher Needs to Know. New Jersey, John Wiley & Sons 2009 Weinmann St. et al: Verhaltens- und Fertigkeitenbasierte Frühinterventionen bei Kindern mit Autismus. DIMDI, Schriftenreihe Health Technology Assessment, Bd. 89:, Köln 2009 mit umfangreichem Literaturverzeichnis, www.dimdi.de

Literatur (Einzelfragen Schule) http://www.brd.nrw.de/schule/grundschule_foerderschule/Nachteilsausgleich_an _Schulen.html http://www.schulministerium.nrw.de/docs/Recht/Schulrecht/Erlasse/LRS- Erlass.pdf http://www.zweigstelle.studienseminar- koblenz.de/medien/wahlmodule_unterlagen/2014/605/08%20Nachteilsausgleich% 20Autismus%20Unterrichtsorganisation.pdf Grundsätze zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben: Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 04.12.2003 LWL: Arbeitshilfe zum Umgang mit LRS. Leitfaden für Jugendämter. „Mehr Sicherheit beim Lesen und Schreiben“, FAZ vom 9.4.2014 (Wirksamkeit bzw. Verzichtbarkeit bestimmter Interventionen bei LRS) http://www.spiegel.de/schulspiegel/schulbegleiter-gerichtsentscheidung-zu- integrationshelfern-a-971129.html Wilhelm Schipper: Thesen und Empfehlungen zum schulischen und außerschulischen Umgang mit Rechenstörungen. http://www.uni- bielefeld.de/idm/serv/empfehlungen.pdf