Kolloquium Europa Intensiv

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Prof. Dr. Ansgar Staudinger
RA Dr. Ingmar Etzersdorfer
 Präsentation transkript:

Kolloquium Europa Intensiv Prof. Dr. Ansgar Staudinger Prof. Dr. Ansgar Staudinger 1

Rechtsprechung zu materiellen und immateriellen Schäden Angehöriger bei Verkehrsunfällen (1) EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14 Leitsatz: Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) ist für die Bestimmung des auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus einem Verkehrsunfall anzuwendenden Rechts dahin auszulegen, dass Schäden im Zusammenhang mit dem Tod einer Person bei einem solchen Unfall im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnhafte nahe Verwandte dieser Person erlitten haben, als „indirekte Schadensfolgen“ dieses Unfalls im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind. Fundstelle: NJW 2016, 466 m. Anm. Staudinger; dazu auch Czaplinski, jurisPR-IWR 1/2016 Anm 4; Friesen, r+s 2016, 196; Kadner Graziano, RIW 2016, 227; Wurmnest, LMK 2016, 376926 Prof. Dr. Ansgar Staudinger

Rechtsprechung zu materiellen und immateriellen Schäden Angehöriger bei Verkehrsunfällen (2) Bestätigung des Urteils (EuGH, Urt. v. 10.12.2015 - C-350/14) in der Vorabentscheidung des EuGH vom 21.1.2016 in den verbundenen Rechtssachen C-359/14 und C-475/14 (Rn. 52) Beachte den jüngst eingeführten Anspruchs auf Hinterbliebenengeld § 844 Abs. 3 BGB (hierzu sogleich). Prof. Dr. Ansgar Staudinger

Literatur zu materiellen und immateriellen Schäden Angehöriger bei Verkehrsunfällen (3) Staudinger, Anwendbares Recht bei mittelbaren Schäden Angehöriger bei Verkehrsunfällen (zu EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14), NJW 2016, 468 Czaplinski, Auslegung des Begriffs "indirekte Schadensfolgen" im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO bei Beteiligtenmehrheiten auf Geschädigtenseite, jurisPR-IWR 1/2016 Anm. 4 Friesen, Anwendbares Recht auf Ersatzansprüche mittelbar geschädigter Angehöriger, r+s 2016, 196 Kadner Graziano, Zum Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall (Anm. zu EuGH, Urt. v. 10.12.2015 – C-350/14), RIW 2016, 227 Wurmnest, Bestimmung des anwendbaren Rechts für mittelbare Schäden aus Verkehrsunfällen, LMK 2016, 376926 Prof. Dr. Ansgar Staudinger

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld erfolgte am 22.7.2017 auf Grundlage des Gesetzes vom 17.7.2017 (BGBl. 2017 I 2421). Die nachfolgenden Ausführungen zum neu hinzugefügten § 844 Abs. 3 BGB nehmen auf den Entwurf vom 7.3.2017 (BT-Drucks. 18/11397) Bezug. Prof. Dr. A. Staudinger 5

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld § 844 Abs. 3 BGB: „(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“ Prof. Dr. A. Staudinger 6

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Ausgangslage Der historische Gesetzgeber des BGB, welches zum 1. Januar 1900 in Kraft trat, stand dem Ersatz von Nichtvermögensschäden zurückhaltend gegenüber (BT-Drucks. 18/11397, S. 8). Ansprüche von unmittelbar und mittelbar Geschädigten (BT-Drucks. 18/11397, S. 8): Mit dem zweiten Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 hat der Gesetzgeber über die deliktische Verschuldenshaftung hinaus mit § 253 Abs. 2 BGB einen allgemeinen Anspruch auf Schmerzensgeld für die Gefährdungshaftung und für die Vertragshaftung eingeführt. Dieser Anspruch steht aber nur unmittelbar Geschädigten zu, die in eigenen Rechtsgütern betroffen sind. Mittelbar Betroffene, welche keine Verletzung in eigenen deliktisch geschützten Rechten erlitten haben, sind von dem geltenden Recht nur ausnahmsweise geschützt. Dieser Schutz betrifft im Falle einer fremdverursachten Tötung auch nur materielle Schäden (z.B. Beerdigungskosten, entgangenen Unterhalt, …). Immaterielle Schäden, welche die Hinterbliebenen regelmäßig in Folge einer fremdverursachten Tötung erleiden, werden vom geltenden Recht also als entschädigungslos hinzunehmendes Schicksal angesehen (z.B. erlittene Trauer und seelisches Leid). Prof. Dr. A. Staudinger 7

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Neuer Regelungsgehalt und Anwendungsbereich Hinterbliebenen, welche in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten standen, soll nun ein auf angemessene Entschädigung in Geld gerichteter Anspruch gegen den Verantwortlichen für das zugefügte Leid eingeräumt werden. Demzufolge muss der für die Tötung Verantwortliche dem Hinterbliebenen nun also unabhängig vom Nachweis einer medizinisch fassbaren Gesundheitsbeeinträchtigung („Schockschaden“), Entschädigung für dessen seelisches Leid leisten (BT-Drucks. 18/11397, S. 8). Einbeziehung von Fällen der Gefährdungshaftung: Die Trauer der Hinterbliebenen um den Getöteten hängt nicht davon ab, ob dieser sein Leben durch die schuldhafte Handlung eines anderen oder durch eine haftungsbewehrte Gefahrenquelle verloren hat, deren Gefährlichkeit sich im Tod des Angehörigen und dem hierdurch bedingten Leid realisiert hat, und die ein anderer zu verantworten hatte (vgl. somit auch die Änderung der entsprechenden Normen im StVG [§ 10 Abs. 3 StVG-E] sowie ProdHaftG [§ 7 Abs. 3 ProdHaftG-E]; hierzu BT-Drucks. 18/11397, S. 15, 17). Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld besteht nur in Fällen einer fremdverursachten Tötung, nicht hingegen dann, wenn eine schwere Verletzung eines besonders nahestehenden Menschen der Grund für das zugefügte Leid ist. Prof. Dr. A. Staudinger 8

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Eine Ausdehnung des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld über die Deliktshaftung hinaus auf die Vertragshaftung ist nicht erforderlich (BT-Drucks. 18/11397, S. 9). Die Hinterbliebenen sind regelmäßig nicht in den Schutzbereich eines zwischen dem Getöteten und dem für die Tötung Verantwortlichen geschlossenen Vertrag mit einbezogen. Mithin können sie aus diesem Vertrag also auch keine eigenen Ansprüche herleiten. Weiterhin bleibt zu berücksichtigen, dass nebeneinander bestehende vertragliche und deliktische Ansprüche wegen der Tötung eines Angehörigen zu weitgehend parallelen Ergebnissen führen würden. Eine Ausnahme hiervon bilden jedoch die §§ 618 Abs. 3 BGB, 62 Abs. 3 HGB. Sie erklären nach geltendem Recht die Vorschriften der §§ 844 bis 846 BGB für bestimmte Vertragsverhältnisse in der Vertragshaftung für entsprechend anwendbar. Eine weitere Ausnahme bildet die Passagierschadenshaftung im Luftverkehr. Diese beruht zwar auch auf einem Beförderungs- oder Reisevertrag. Allerdings würde aufgrund des Ausschlusses der allgemeinen deliktsrechtlichen Ansprüche des nationalen Haftungsrechts andernfalls ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld in den Fällen fremdverursachter Tötung im Luftverkehr entfallen. Gleiches gilt für die Passagierschadenshaftung im Eisenbahn- und Seeverkehr. Prof. Dr. A. Staudinger 9

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Zu § 844 Abs. 3 S. 1 BGB-E: § 844 Abs. 3 S. 1 BGB-E bestimmt, dass der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu dem Getöteten stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten hat (BT-Drucks. 18/11397, S. 12). Die Hinterbliebenen sind anspruchsberechtigt, wenn sie zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen. Ein solches liegt regelmäßig vor, wenn Familienangehörige betroffen sind (z.B. Ehegatte, Lebenspartner, Eltern oder Kinder des Getöteten). Für die eben aufgeführten Familienangehörigen enthält § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E eine gesetzliche Vermutung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses. Andere Personen können unter Umständen auch anspruchsberechtigt sein. Sie müssen aber die Umstände, aus denen sich dieses Näheverhältnis ergibt, darlegen und ggf. beweisen. Prof. Dr. A. Staudinger 10

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Das besondere persönliche Näheverhältnis muss zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen bereits zur Zeit der Verletzung bestanden haben. Entscheidend ist die Verletzung des unmittelbar Betroffenen, die unmittelbar zu dessen Tod geführt hat. Tritt der Tod nicht sofort, sondern mit einer zeitlichen Verzögerung als mittelbare Folge einer durch unerlaubte Handlung beigebrachten Körperverletzung ein, so muss das besondere persönliche Näheverhältnis zur Zeit der Körperverletzung bestanden haben. Dabei lehnt sich § 844 Abs. 3 BGB-E an § 844 Abs. 2 BGB an, sodass die hierzu entwickelten Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden können (BT-Drucks. 18/11397, S. 13). Prof. Dr. A. Staudinger 11

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Zu § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E: § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E enthält eine (widerlegliche) gesetzliche Vermutung für diejenigen Fälle, in denen eine formale familienrechtliche Beziehung zwischen den Hinterbliebenen und dem Getöteten bestand (BT-Drucks. 18/11397, S. 14). Die Hinterbliebenen, die zum Getöteten in einer formalen familienrechtlichen Beziehung nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E standen, sollen die Tatsachen, aus denen sich die Existenz eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ergeben, vor Gericht nicht darlegen und gegebenenfalls auch noch beweisen müssen. Diese Vermutung kann der Anspruchsgegner im Einzelfall widerlegen (§ 292 ZPO). Dies betrifft den Fall, dass zwischen dem Getöteten und einem nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E privilegierten Anspruchsteller etwa nur noch ein formales familienrechtliches Band bestand oder die Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartner getrennt lebten (beachte auch die Voraussetzungen des § 1933 BGB bzw. des § 10 Abs. 3 LPartG). Einem Verwandten, der kein besonderes persönliches Näheverhältnis zu dem Getöteten mehr unterhielt, soll kein unerwarteter Vorteil zukommen. Prof. Dr. A. Staudinger 12

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Es sollen ebenso Personen anspruchsberechtigt sein, die mit dem Getöteten zwar nicht in einer formalen familienrechtlichen Beziehung nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E standen („Patchwork“-Familien), die tatsächlich gelebte soziale Beziehung in ihrer Intensität aber den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB-E aufgeführten Beziehungen entspricht (BT-Drucks. 18/11397, S. 15). Kritik: Die Länderkammer hat gefordert, den Kreis der Anspruchsberechtigten konkreter zu fassen, damit umfangreiche Beweisaufnahmen zur Aufklärung des Näheverhältnisses vermieden werden können. Die Bundesregierung hält jedoch am ursprünglichen Gesetzesentwurf mit der Begründung fest, dass das Hinterbliebenengeld das seelische Leid entschädigen solle, welches nicht notwendigerweise mit einem bestimmten Verwandtschaftsgrad zusammenhänge (BT-Mitteilung v. 24.3.2017, hib 189/2017). Prof. Dr. A. Staudinger 13

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Gesetzesfolgen Zu beachten ist, dass sich der Gesetzgeber bei der Festlegung der Höhe des Hinterbliebenengeldes an derjenigen Entschädigung orientiert, welche die Gerichte den Angehörigen in der Vergangenheit für die sog. „Schockschäden“ zugesprochen haben. Dabei soll allerdings der Umstand Berücksichtigung finden, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine gesundheitliche Beeinträchtigung voraussetzt und somit ein „Minus“ im Vergleich zum Schockschaden darstellt (BT-Drucks. 18/11397, S. 14). Zudem wird auch ein mitwirkendes Verschulden des Getöteten nach § 846 BGB bei der Geltendmachung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld berücksichtigt. Aufgrund des nicht höchstpersönlichen Charakters des Anspruchs kann dieser übertragen bzw. vererbt werden. Anwendung finden auch die für Schadensersatzansprüche geltenden Verjährungsregeln (30-jährige Verjährungsfrist bei vorsätzlicher Tötung gem. § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB; im Übrigen gilt die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB und die dreißigjährige Höchstverjährungsfrist nach § 199 Abs. 2 BGB; vgl. BT-Drucks. 18/11397, S. 12). Konkurrenzen Liegen gleichzeitig die Voraussetzungen auf Ersatz eines „Schockschadens“ nach § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB und diejenigen des § 844 Abs. 3 BGB-E vor, genießt der Anspruch auf Ersatz des „Schockschadens“ gegenüber der Forderung auf Hinterbliebenengeld Vorrang, bzw. wird der niedrigere Anspruch (Hinterbliebenengeld) von dem höheren (Schockschaden) konsumiert. (BT-Drucks. 18/11397, S. 12). Prof. Dr. A. Staudinger 14

Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld Literaturhinweis Jaeger, Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld, VersR 2017, 1041 Prof. Dr. A. Staudinger 15