Sorgezeit als Zeitsorge: Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

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 Präsentation transkript:

Sorgezeit als Zeitsorge: Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf DGB-Bundesvorstand Projekt Arbeit der Zukunft Sorgezeit als Zeitsorge: Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf Ringvorlesung WS 2016/2017 01.12.2016, TU Berlin

Arbeit 4.0_ mehr Flexibilität?

Ein Flexibilitätskompromiss? Flexibilität = mehr individuelle Freiheit? Flexibilität = Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Flexibilität = neue Souveränität (Wahl- und Einflussmöglichkeiten)? Flexibilität = Work-Life-Balance oder WL-Integration?

Neue Flexibilität? Szenarien der aktuellen Debatte Gute Arbeit: Mehr persönliche Freiheit Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort (any time, any place) Kostensenkung und Effizienzsteigerung: Fremdsteuerung Entgrenzung und Verdichtung, Arbeit On-Demand, Überwachung

Studie „Wertewelten“ (April 2016)

Trend: Entgrenzung und Verdichtung

Arbeitszeiten in Deutschland Dauer Arbeitszeiten in Deutschland Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit hat abgenommen, weil sich die Teilzeitquote auf knapp 30 % erhöht hat (w: 51% - m: 8%). Die tatsächliche Wochenarbeitszeit liegt 4 Std. höher als tariflich vereinbart (41,5 statt 37,7). Knapp 60 % der Beschäftigten arbeiten länger als vereinbart. 1 Mrd. unbezahlte Überstunden im Jahr. 16 % leisten mehr als zehn Überstunden pro Woche. 37 % der vollzeitbeschäftigten Männer und 24 % der vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiten länger als 48 Stunden.

Arbeitszeiten in Deutschland Lage Arbeitszeiten in Deutschland 27 % der Beschäftigten arbeiten oft oder sehr häufig am Abend oder am Wochenende 14 % arbeiten am Sonntag Schichtarbeit ist auf 16 % gestiegen

Arbeitszeiten in Deutschland Erreichbarkeit Arbeitszeiten in Deutschland 23 % der Beschäftigten müssen in der Freizeit oft verfügbar sein Nach „Edenred-Ipsos-Barometer“ (2015) fühlen sich 74 % auch in der Freizeit durch Arbeit beansprucht. 17 % sagen: IKT macht Freizeit zur Arbeitszeit 8 % arbeiten in „Kapovaz“ (Arbeit auf Abruf) (bei geringfügiger Beschäftigung 13 %)

Arbeitszeitsouveränität? Arbeitszeiten in Deutschland 52 % der Beschäftigten haben keinen oder nur geringen Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung (Arbeitsmenge 65 %) 41 % können kaum über Lage und Dauer der Arbeitszeit mitzuentscheiden Kurzfristig von zu Hause arbeiten können 14 % 30 % würden gern auch im Home Office arbeiten

„New Work“ = Gute Arbeit? Home Office 30 % der Betriebe bieten – zumindest unregelmäßig – Home Office an 16 % Home Office ist vertraglich geregelt 56 % arbeiten dabei in der Freizeit, Überstunden hier zu 73 % unbezahlt

„New Work“ = Gute Arbeit? Vertrauensarbeitszeit 14 % der Beschäftigten können ihre Arbeitszeiten völlig frei wählen 30% von ihnen haben keine Arbeitszeitvorgaben 53 % der Männer und 20 % der Frauen ohne feste Arbeitszeitvorgaben arbeiten länger als 45 h pro Woche

Arbeitszeiten in Deutschland Arbeitsverdichtung Arbeitszeiten in Deutschland 67 % müssen mehr in der gleichen Zeit leisten (Trend seit Jahren) 56 % der Beschäftigten arbeiten sehr häufig/oft gehetzt (ebd.)

Selbstausbeutung? Oder Leistungsdruck? Indirekte Steuerung (Kennziffern/Benchmarks): 43 % der Beschäftigten in Betrieben mit Zielvereinbarungen Für 36 % sind Zielvorgaben unerreichbar - „Zielspirale“ problematisch (42 %) Ergebnisorientierte Arbeit (Zielvorgaben) führt zu überlangen Arbeitszeiten, überdurchschnittlich hohem Zeitdruck und einem hohen Arbeitsvolumen

Handlungsbedarfe Ausrichtung Handlungs- und Arbeitszeitspielräume erweitern (ArbeitszeitSouveränität) Lebensphasenorientierung Schutzrahmen verbessern Mitbestimmung stärken

Arbeitszeit neu gestalten DGB-Forderungen Erreichbarkeit Recht auf Log Off Keine Einschränkung der gesetzlichen Ruhezeiten Verbot Arbeitsanweisung in Ruhezeiten Verbot „freiwilliger“ Arbeitsanweisungen in Ruhezeiten / Sonn- und Feiertagen durch IKT Arbeitszeiterfassung Verpflichtung zur Aufzeichnung der außerbetrieblich erbrachten Arbeitszeit durch Arbeitgeber Anerkennung von Dienstreisen

Arbeitszeit neu gestalten Arbeitsschutz Anpassung an mobile Arbeit und Home Office – in Verantwortung des Arbeitgebers Maßnahmen zur psychischen Gesundheit Personelle Stärkung der Aufsichtsdienste Home Office / mobile Arbeit Anspruchsvoraussetzungen verbessern Schutzrahmen verbessern

Arbeitszeit neu gestalten Arbeitszeitlage Schaffung Rechtsanspruch auf Bestimmung der individuellen Arbeitszeitlage Dauer Gewerkschaftliche Diskussion über Verkürzung der wöchentlichen Höchstarbeitsdauer und „kurze Vollzeit“ / Wahlarbeitszeit

Arbeitszeit neu gestalten Lebensphasen: Teilzeit Befristete Teilzeit mit Rückkehrrecht Lebensphasen: Arbeitszeitkonten Verbesserung Rahmenbedingungen (Portabilität, Insolvenzsicherung) Regelungen zur lebensphasenorientierten Nutzung Lebensphasen: Qualifizierungszeiten Stärkung des Rechts auf Bildungsteilzeit / Anspruch auf Freistellung für Weiterbildung

Arbeitszeit neu gestalten „Arbeit auf Abruf“ (§12 TzBfG) Abschaffung durch Verbot von „Kapovaz“ – Arbeit und sog. Nullstunden-Verträge Datenschutz Gesetzlichen Schutzrahmen verbessern (eigenständiges Beschäftigtendatenschutzgesetz) Mitbestimmung Einführung neuer Technologien und Anpassung der Arbeitsorganisation (menschengerechte Gestaltung der Arbeit)

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf Fast jede/jeder ist irgendwie in Pflege involviert (pflegebedürftig, pflegend, in der Pflege beschäftigt) 2,7 Mio. Pflegebedürftige in D., davon 70% zu Hause betreut 2/3 der privaten Hauptpflegepersonen sind berufstätig Zunahme psych. u. physische Überlastungssituationen, Vereinbarkeitsbedarfe pflegender Erwerbstätiger steigen Laut BR versuchen jedes Jahr neu ca. 360.000 Menschen den Spagat zwischen Pflege und Erwerbstätigkeit hinzukriegen

Seit 2015 gesetzl. Regelung durch PflegeZG und FamilienPfZG Ziel: „Zusammenführung beider Gesetz unter dem Dach des Rechtsanspruchs“ – Nebeneinander von Pflege- und Familienpflegezeit Pflegezeit bis 10 Tagen (kurzzeitige Organisation von Pflege) gem. § 2 PflegeZG– für alle Beschäftigte Pflegezeit bis 6 Monaten gem. § 3 PflegeZG ABER: Rechtsanspruch nur bei Arbeitgebern > 15 Arbeitnehmer Familienpflegezeit bis 24 Monaten (ggf. Zusammenrechnen mit Pflegezeit) ABER: Rechtsanspruch nur bei Arbeitgebern > 25 Arbeitnehmern

Finanzierung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf kurzzeitige (bis 10 Tages-Pflege) gem. § 2 PflegeZG - Pflegeunterstützungsgeld in Anlehnung an die Regelung zum Kinderkrankengeld (70 % des Brutto, maximal 90 % vom Netto) Pflegezeit bis 6 Monaten gem. § 3 PflegeZG - Keine Finanzierung im PflegeZG geregelt Familienpflegezeit - zinsloses Darlehen, direkt an den AN von der BAFzA (Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben)

Gut gemeint – nicht gut gemacht Grundsätzlich ein erster Schritt in die richtige Richtung ABER: keine Lösung des Finanzierungsproblems Bis Sommer 2016 nahmen ca. 39.000 pflegende Beschäftigte eine mehrmonatige Pflegeauszeit in Anspruch – nur ca. 5% pro Jahr! Von Januar 2015 bis Juli 2016 wurden 429 Darlehensanträge gestellt, in 348 Fällen wurde ein Darlehen bewilligt! Diskriminierung von Beschäftigten in Unternehmen < 15 AN Unzureichender Kündigungsschutz Kein ausdrückliches Rückkehrrecht auf den gleichen / gleichwertigen Arbeitsplatz

Der DGB kritisiert Keine Lösung für Selbständige und Beschäftigte in kleinen u. mittleren Betrieben Keine Lösung für Beschäftigte in Teilzeit D.h. vor allem Frauen gehen leer aus Altersarmut durch Erziehungs- u. Pflegezeiten ist programmiert Der DGB bleibt dran DGB engagiert sich im Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf im BMFSFJ, berät über Auswirkungen, gibt Empfehlungen DGB setzt sich für Lohnersatzmodell für alle Beschäftigten ein (Lohnersatz aus Steuermitteln wie beim Elterngeld)

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Annelie Buntenbach Mitglied im Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand Henriette-Herz-Platz 2 10178 Berlin Kontakt über: André Schönewolf Büroleiter 030/24060-610 andre.schoenewolf@dgb.de