Prof. Dr. Kitty Cassée Zürich, 6. November 2017

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Referentinnen: Julia Michalewski, Birte Stapperfend, Elisa Remde
Advertisements

Bindung und die Entwicklung des Selbst
John Bowlby, Mary Ainsworth, Bindung.
Grundkonzepte der Bindungstheorie
Innere Arbeitsmodelle – Was ist das?
John Bowlby Über das Wesen der Mutter-Kind-Bindung (1959)
Bindungstheorien Bindungstheorien.
Bemerkungen zur Situation des Kindes (Familiensituation, Unterbringung, besondere Ma ß nahmen, Therapien, etc.) Lebt bei ihren Eltern in sehr einfachen.
Ich schaff´s! Kinder motivieren und stärken Realschule am Karlsberg Crailsheim Ein Vortrag von Holger Waidelich – Diplomsozialpädagoge (BA)
Reflexionsfragen: Haltung gegenüber dem Kind Welche drei wichtigen Aspekte prägen Ihre Haltung zum Kind und woran sind sie zu erkennen? Sprechen Sie in.
Stadt Brixen Fakultät für Bildungswissenschaften Erziehungsstile: Gibt es den Königsweg der Erziehung? von Prof. Dr. Wassilios E. Fthenakis Homepage
Copyright Dr. Ziebertz1 Schwierige Gespräche führen/ Psychische Traumatisierung Maria Lieb, M.A. Prof. Dr. Torsten Ziebertz.
Ablauf Informationen zum Schulsystem in Schweden
Evaluation von Coachingprozessen Herr Prof. Dr. Geißler Evaluation von Coachingprozessen Phase 6 Teil 4 KB
Eveline Jordi Raum für Entwicklung Möglichkeiten der Prävention sexueller Ausbeutung in Institutionen.
Familienzentrum der Samtgemeinde Gronau (Leine).
Klasse 5a Donnerstag, 25. August 2016 Stefan Onitsch.
Zehn Schritte zu Linux Der Weg in eine andere Welt...
„Mit Herz und Verstand“ Wochenrückblick vom Diese Woche gab es gleich zwei Gründe zum Feiern – zwei Kinder aus unserer Gruppe wurden sechs.
„Auswertung des Projektes“ Wochenrückblick vom bis Da unser Projekt nun zu Ende ist, müssen wir uns noch mit der Reflektion der letzten.
Lehrervortrag Jeanette Giardina Definition Im Lehrervortrag stellt der Lehrer der gesamten Klsse einen fachlichen Zusammenhang mündlich dar.
ECOPLAN Familienergänzende Kinderbetreuung für den Vorschulbereich im Kanton Solothurn ‏ Michael Marti, Ecoplan Präsentation Medienkonferenz.
„Ohren auf – Was höre ich da?“ Wochenrückblick vom
Anregungen für Eltern von werdenden Schulkindern
Eine Schule für die Kinder von Huanta.
Die kleine Fiorella ist
Aktionswoche Neue Medien
SICHERE AUSBILDUNG FÜR ErzieherInnen und ELTERN
„ERLEBNIS REITERHOF“- KINDER DROGENABHÄNGIGER ELTERN STÄRKEN“
Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten
Was ist gute Kindheitspädagogik wert?
“Hechtsommer” von Jutta Richter
Herausforderung FTD – Umgang und Strategien
Bedeutung und Aufgabe des Sports
Die Bindungsmodelle John Bowlby ( ).
SAFE © SICHERE AUSBILDUNG FÜR ELTERN I Modellprojekt zur Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind Karl Heinz Brisch Kinderklinik und.
Wie unterstütze ich mein Kind? Optimale Lernumgebung zu Hause
Thema: Bindung.
Angst und Ärger.
Einführung in die Stadtsoziologie
Begleiteter Besuchstreff 2018 Begleitete Besuchstage
Titel: Quelle: Übungsart: Titel: Quelle: Silbenübung Nina lernt lesen
Die Bedeutung der Bindungstheorie für die Prävention psychischer Störung Carolin Zeugke Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie.
TA 101 Kurs mit dem Kollegium Heimenschwand
Motivation ist wichtiger als Intelligenz
Thema 8: Spirituelle Begleitung: Aufgaben der Hospizbegleiter:
Widerstand gegen Entwicklung
„Komfortzone“ Crash-Übersicht
Eine videogestützte Entwicklungsberatung
dass-Sätze  beenden  nächste Seite
h – Kurs Rüegsauschachen
Laternen, Ausflug und noch mehr! Wochenrückblick vom bis
Vollständig beantwortet: 93
1418coach.
Mit unerfüllten Wünschen leben
Jugendsozialarbeit an der Elsbethenschule
9. Vererbung und Polymorphie
„Rund um die Familie“ Wochenrückblick vom bis
2. MKT – Die verbale Selbstinstruktion Mo
Forschungsthemen und Methodik
Elternpräsenz statt Suchtpräsenz Elterncoaching in Suchthilfe und Jugendhilfe Teil 2 – Indikation.
SAFE © SICHERE AUSBILDUNG FÜR ELTERN I Modellprojekt zur Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind Karl Heinz Brisch Kinderklinik und.
Ziel: Kinder in ihren kommunikativen Kompetenzen stärken.
Flucht und Trauma Aus: Barbara Preitler: An ihrer Seite sein. Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen. Innsbruck 2016, Studienverlag IN.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt – Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Es ist September und das neue Kindergartenjahr.
Inklusiver Kindergarten im Röthelheimpark
Elternabend digitale Medien
Ziel: Kinder in ihren emotionalen und sozialen Kompetenzen stärken.
Ziel: Kinder in ihren kommunikativen Kompetenzen stärken.
 Präsentation transkript:

Prof. Dr. Kitty Cassée Zürich, 6. November 2017 Ein sichere Bindung als Grundlage für das Lernen zuhause und in der Schule Prof. Dr. Kitty Cassée Zürich, 6. November 2017

Guy Bodenmann, Tages Anzeiger, 24.10.2017

Themen Was verstehen wir unter Bindung? Wie entsteht eine sichere Bindung Welche Bindungstypen gibt es? Welche Bedeutung hat Bindung für das Lernen? Was können Sie als Eltern tun für eine sichere Bindung ihrer Kinder? Fragen/Diskussion

Bindung Definition: Bindung ist ein biologisch verankertes Bedürfnis, das für den Säugling eine überlebenssichernde Funktion hat. Es ist das gefühlsmässige Band, das sich zu jener Person entwickelt, die Sicherheit vermittelt . Bindung ist die Basis für Entwicklung und Lernen. Anforderungen an eine Bindungsperson: Bindungsperson ist 3v: verlässlich / verfügbar / vertraut Bindungsperson ist fähig zu 3A: An-erkennung der kindlichen Bedürfnisse («Lesen»), gibt Anregung und Anleitung Bindungsperson ist feinfühlig und prompt Bindungsperson ist aktiv, d.h. initiiert Interaktionen

Bindung Bindung Besondere, spezifische Beziehung, die vor allem der Angst- und Spannungsvermeidung dient, aber auch Bedeutung hat für die emotionale und kognitive Entwicklung. Bindungsrelevanten Erinnerungen und Erfahrungen mit den Bindungspersonen aus der frühen Kindheit werden gespeichert und zu inneren Arbeitsmodellen für Beziehungen (erlernte wenn – dann - Sätze) Bindungsmuster sind stabil über den Lebenslauf, können aber verändert werden.

Bindung Unterschiedliche Bindungsqualitäten zu verschiedenen Bindungspersonen möglich > Hierarchie der Bindungspersonen Neben Bindung hat das Kind das Bedürfnis, seine Welt zu erkunden: neben dem Bindungssystem existiert das Explorationssystem. Bei Belastung/Angst/Stress wird das Bindungssystem aktiviert und das Explorationsverhalten eingeschränkt. Unsichere Bindungen können durch sichere Bindungen an andere Personen (z.B. Grosseltern Kita-MA/Lehrpersonen) kompensiert werden.

Wie entsteht Bindung? 0 - 6 Wochen: Vorbindungsphase („frühkindlicher Autismus“) Der Säugling scheint Beziehung noch nicht wahrzunehmen. Wenig Aufregung, wenn er mit fremden Menschen in Kontakt kommt. 6 Wochen – 8 Monate: Vorstufe der Bindung Der Säugling beginnt, auf Menschen unterschiedlich zu reagieren. Er zeigt Zeichen von Anspannung/Stress wenn er mit unbekannten Dingen und Menschen alleingelassen wird. 8 – 24 Monate: Eindeutige Bindungsphase Das Kind zeigt Fremden- und Trennungsangst. Die Bindungs-person wird zur „sicheren Basis“ > emotional auftanken! Ab 24 Monate: Phase der Erweiterung des Beziehungsumfeldes Das Kind exploriert die Umwelt > Übergangsobjekte .

Bindungstypen 1. Sicher gebunden Kind: ist im Beisein der Bindungsperson zufrieden, kann spielen und explorieren. Es reagiert im Beisein der Bindungsperson mit wenig Stress auf fremde Personen – sucht Blickkontakt zur Bindungs- person . Stressreaktion bei Trennung > ruft, läuft der Bindungs- person nach. Sucht die Nähe zur Bindungsperson, wenn diese in der Nähe ist und lässt sich trösten. Bindungsperson(en): vvv, AAA, spendet Zuwendung und Trost, ist feinfühlig und prompt

Bindungstypen 2. Unsicher-vermeidend Kind : versucht alleine zu bleiben und Belastungen selber auszuhalten. Sucht keine Unterstützung bei Stress. Wenn Bindungsperson verfügbar ist, ist das Kind desinteressiert. Spiel und Erkundung i.d.R. gut und ausgeprägt. > Verhalten kann als pflegeleicht missverstanden werden! Bindungsperson(en): Wenig An-erkennung, wenig verfügbar, weist Kind bei Nähewünschen häufig zurück, das Kind erfährt Desinteresse. Auch fremde Personen können trösten und beruhigen.

Bindungstypen 3. Unsicher-ambivalent Kind: Verhält sich anhänglich. Bleibt nahe bei der Bezugsperson und erscheint ängstlich. Panik und Überreaktion bei Belastung. Suche und gleichzeitige Abwehr von Nähe und Körperkontakt. Lässt sich kaum beruhigen. Bei Distanz der Bezugsperson: gesteigerte Affekte. Rückkehr der Bezugsperson: Nähewunsch und Aggression und kaum Beruhigung. > Verhalten kann mit ADHS verwechselt werden Bindungsperson(en): Nicht klar in der Beziehungsgestaltung: wenig vvv, kein vorhersehbares Verhalten, wenig Anerkennung (mal angemessen und bemüht, dann wieder abweisend /schroff)

Bindungstypen 4. desorientiert Kind: Widersprüchliche Verhaltensmuster. Nicht situationsange-messenes, unverständliches Verhalten (auch nur sehr kurz). Bewegungsablauf „erfriert“. Stereotype Verhaltensmuster. Plötzliche Lautäusserungen. Annäherung, dann abrupte Abkehr. > Verhalten kann mit Asperger/Autismus verwechselt werden Bindungsperson(en): nicht vvv, kein vorhersehbares Verhalten, Traumatisierungen durch Bindungsperson (Misshandlung, Gewalt, Missbrauch). Präsenz der Bindungsperson erzeugt Versunsicherung/Angst.

Bindung und Lernen Bindung ist bedeutsam für die emotionale (Gefühle) und kognitive Entwicklung (Denken, Aufgaben lösen) Kinder mit Bindungsbelastungen sind emotional nicht auf der Stufe ihres Lebensalters In Situationen mit Stress/Angst/Unsicherheit fallen sie zurück auf die Altersstufe eines 1,5 – 2-jährigen Kindes und können sich schlecht auf die gestellten Aufgaben konzentrieren Was bedeutet das z.B. für folgende Situationen: Die Lehrpersonen stellt in der Klasse eine Frage Das Kind muss eine Prüfungsaufgabe lösen Die Mutter fordert das Kind auf, seine Spielsachen aufzuräumen

Bindung und Lernen Kinder reagieren je nach Bindungstypus unterschiedlich auf die geschilderten Situationen: Das sicher gebundene Kind ist emotional kaum verunsichert und kann sich der Aufgabe zuwenden. Das vermeidend gebundene Kind hat gelernt, seine Angelegenheiten selber zu erledigen, ist wenig abhängig von Personen und kann sich auf die Aufgabe konzentrieren. Das ambivalent gebundene Kind wird emotional verunsichert, braucht emotionale Zuwendung und Sicherheit, um eine Aufgabe zu lösen. Das desorientiert gebundene Kind ist überfordert und verloren in der Situation und kann sich der Aufgabe sehr schwer zuwenden und sich keine Zuwendung holen.

Was können Sie als Eltern tun? Bindung bedeutet: Das Kind hat eine sichere Basis es gibt liebevolle Menschen, die für das Kind da sind, die für es sorgen, es verstehen, trösten und unterstützen auf einer sicheren Basis können Aufgaben und Herausfor- derungen besser bewältigt werden: in der Familie und in der Schule So können Bindungen gefestigt und eine gelingende Entwicklung gefördert werden. Sie können ihr Kind emotional tragen und auf dieser Basis Anforderungen/Aufgaben stellen. -