Inobhutnahme - Aspekte aus Sicht des Jugendamtes -

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 Präsentation transkript:

Inobhutnahme - Aspekte aus Sicht des Jugendamtes - Günter Wottke, stellv. Amtsleiter Kinder- und Jugendamt Heidelberg KVJS Regionalkonferenz 25.10.2017

Zielsetzungen im Hinblick auf eine ION aus Sicht des Jugendamtes   Bei Vorliegen einer Not- und Krisensituation, die eine (vorübergehende) Trennung des Kindes oder Jugendlichen von seinen Eltern erforderlich macht, soll eine unmittelbare qualifizierte und differenzierte Intervention erfolgen, die zu einer möglichst konstruktiven Bewältigung der Krise/ Notlage führt – unter Einbeziehung des Kindes/Jugendlichen und seinen Eltern und/oder ggf. wichtigen Bezugspersonen aus dem sozialen Umfeld.

§ 42 SGB VIII: Das Jugendamt ist berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn das Kind oder der Jugendliche um Obhut bittet oder eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und a) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann oder   ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher unbegleitet nach Deutschland kommt und sich weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte im Inland aufhalten.

Praktische Fragen im Rahmen der ION (Fall 1): Wann und wie werden die Eltern informiert? Wie kann den Ängsten der Jugendlichen im Hinblick auf diese Information an die Eltern begegnet werden? Soll der Aufenthaltsort der Jugendlichen den Eltern bekannt gegeben werden? Wie geht die ASD-Mitarbeiterin mit möglichen Aggressionen oder Drohungen seitens der Eltern im Zusammenhang mit der Information um? Welche Unterstützung braucht sie und auch die Mitarbeiter/innen der Einrichtung in diesem Fall? Wie kommt die Jugendliche an ihr wichtige persönliche Gegenstände, Schulsachen etc.? Kann Kontakt zu einer Vertrauensperson der Jugendlichen hergestellt werden?

Praktische Fragen im Rahmen der ION (Fall 1): Wird ärztliche, z.B. kinder- und jugendpsychiatrische Hilfe benötigt? Soll die Jugendliche in den Tagen nach der Aufnahme die Schule besuchen – oder versuchen die Eltern sie dort zu treffen und sie zur Rückkehr zu bewegen? Wie kann die Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Schuld- und Schamgefühle unterstützt werden? Stimmen die Eltern der IO vielleicht doch zu oder muss das Familiengericht angerufen werden? Ist die Jugendliche zu einer Konfrontation mit ihren Eltern bereit? Und in der Lage? Ist sie zu einer familiengerichtlichen Anhörung bereit und in der Lage? Wann ist ein erstes gemeinsames Zusammentreffen mit den Eltern sinnvoll?

Praktische Fragen im Rahmen der ION (Fall 1): Kann eine Perspektive für eine Rückkehr ins Elternhaus entwickelt werden? Sind die Jugendliche und die Eltern hierzu bereit? Sind sie bereit dafür evtl. erforderliche weitere Hilfen anzunehmen und mitzuwirken? Sind sich Einrichtung, Jugendamt und ggf. auch KJP in ihren Einschätzungen einig? etc.

Praktische Fragen im Rahmen der ION (Fall 2): Wie erleben nun in einer solchen Situation die Kinder die Trennung von der Mutter? Wie gehen sie mit der Situation um, dass sich ihre Mutter gegen die Mitnahme der Kinder schreiend und körperlich zur Wehr gesetzt hat? Besteht bereits eine Co-Abhängigkeit der Kinder, die die Loyalität zur Mutter noch verstärkt? Können die Kinder zusammen untergebracht werden oder müssen sie getrennt werden? Was bedeutet eine solche Trennung der Geschwister für die Kontaktmöglichkeiten und die zukünftigen Beziehungen untereinander? Eine Suchtbehandlung der Mutter – falls diese sich darauf überhaupt einlässt – nimmt längere Zeit in Anspruch. Wie kann in diesem langen Zeitraum für eine angemessene Versorgung und Betreuung der Kinder gesorgt werden?

Was ist für einen positiven Verlauf einer IO förderlich? Ein geeigneter Unterbringungsplatz, der neben der allgemeinen Versorgung mit Sicherstellung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Schlafplatz, Kleidung, Pflege, ggf. ärztliche Versorgung…) v.a. einen Schutzraum bietet. Dies bedeutet Entlastung und Schutz sowohl vor den gefährdenden Bedingungen, die zur IO geführt haben, als auch vor evtl. neuen gefährdenden Einflüssen, die sich möglicherweise aus der Unterbringung selbst aus dem Zusammentreffen von mehreren belasteten Jugendlichen mit wechselseitigen negativen Beeinflussungen ergeben können (z.B. gemeinsames Entweichen aus der Einrichtung, Anstiftung zu Alkoholmissbrauch oder Straftaten – oder auch durch das konkurrierende Buhlen um Anerkennung und Zuwendung in der IO-Gruppe…)  

Was ist für einen positiven Verlauf einer IO förderlich? Zentral ist daher eine mit angemessenem Personal ausgestattete IO-Gruppe, in der sowohl emotionale Zuwendung – und möglichst ein Gefühl der Geborgenheit und des Vertrauens – gegeben sein sollte, wie auch ein professioneller, fachlich qualifizierter Umgang mit der jeweils gegebenen Problemstellung. Es braucht also sozialpädagogisch qualifizierte, motivierte und belastbare, offene, mutige und selbstsichere Menschen, die die Kinder und Jugendlichen in der Gruppe begleiten, beraten und stabilisieren.

Was ist für einen positiven Verlauf einer IO förderlich? Ebenso braucht es aber über das Fachpersonal in der Gruppe hinaus eine gute unterstützende Einrichtungsstruktur – mit psychologischem Fachdienst und einer Leitungsebene, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stützt und für gute Arbeitsbedingungen sorgt (z.B. mit Fortbildungs- und Supervisionsangeboten). Soll die IO einen guten Verlauf nehmen müssen für die Kinder und Jugendlichen – und ggf. auch für die Eltern – stimmige Entwicklungsperspektiven erarbeitet werden und hierfür braucht es über das Genannte hinaus v.a. auch eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen der IO-Einrichtung und dem ASD des Jugendamts, wie auch ggf. mit weiteren Partnern, v.a. aus dem Gesundheitswesen (wie Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Kinderklinik), der Polizei und auch dem Familiengericht.

Was ist für einen positiven Verlauf einer IO hinderlich? Die IO genommenen Kinder oder Jugendlichen erleben die IO nicht als Schutz oder Chance für eine bessere Perspektive – sie sind möglicherweise gefangen in der Loyalität mit ihren Eltern, drängen vorschnell, ohne Klärung zurück ins Elternhaus und sind dadurch beispielsweise auch bereit, für sie gefährdende Bedingungen wie Gewalt oder Vernachlässigung in Kauf zu nehmen. Die IO genommenen Kinder oder Jugendlichen erleben die IO möglicherweise als Gelegenheit, Freiräume auszuleben, die sie zuvor nicht hatten (sie halten sich dann nicht an Gruppenregeln, Absprachen, produzieren möglicherweise Symptome, um Pflichten wie Schulbesuch nicht erfüllen zu müssen – oder sie stiften andere zu Negativhandlungen an bzw. lassen sich anstiften…). Hier stehen wir immer wieder vor der Frage, wie es gelingen kann, solche Jugendliche besser zu halten und sie verbindlicher mit den gegebenen Hilfsangeboten zu erreichen.

Was ist für einen positiven Verlauf einer IO hinderlich? Möglicherweise sind in Obhut genommene junge Menschen psychisch so stark belastet, dass es zu angedrohten oder tatsächlichen grenzüberschreitenden oder auch suizidalen Handlungen kommen kann – hierzu sind konsiliarische Dienste der KJP, bis hin zu schnellen medizinischen Abklärungen oder auch stationären Aufnahmen erforderlich. Hierbei kann es auch zu „Drehtüreffekten“ mit häufiger wechselnden Unterbringungen in der Inobhutnahmegruppe und der KJP kommen. Häufige Personalfluktuation, eine Teamzusammensetzung mit überproportional unerfahrenen Mitarbeiter/innen erschwert die Durchsetzung von Regeln und Absprachen und das „Aushalten“ der häufig schwer belasteten in Obhut genommenen jungen Menschen.

Voraussetzungen für gelingende Kooperation Interesse und Bereitschaft der Beteiligten Einigkeit über die anzustrebenden Ziele Gegenseitige Wertschätzung und persönliche Akzeptanz Wissen um Kompetenzen und Grenzen der Kooperationspartner Offenheit für neue Wege Entscheidungsbefugnisse