Das europäische Kartellverbot und seine Ausnahmen Unter welchen Bedingungen ist eine Wettbewerbsbeschrän- kung freigestellt? Dr. Theo Taurer 26.11.2004.

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Das europäische Kartellverbot und seine Ausnahmen Unter welchen Bedingungen ist eine Wettbewerbsbeschrän- kung freigestellt? Dr. Theo Taurer

Leitlinien „Art. 81 (3) EG“ Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag (ABl. Nr. C 101 vom , S. 97) Legalausnahme, Art. 81 (3) kann von jedem Unternehmen, jederzeit unmittelbar in Anspruch genommen und von den zuständigen nationalen Behörden judiziert werden (Art. 1(2) Vo 1/2003) analytischer Rahmen für die Anwendung von Art. 81 (3) Verhältnis zu den Leitlinien für vertikale Beschränkungen und horizontale Zusammenarbeit

Überblick - Verhältnis von Verbot zu Ausnahme Prüfungssystematik Art. 81 (1) EG – Tatbestandsmerkmale – Nebenabreden Art. 81 (3) EG

Prüfungssystematik für Fälle nach Art. 81 EG 1. Stufe: Liegt eine tatbestandsmäßige Rechtswidrigkeit iSd Art. 81 (1) vor? 2. Stufe: Erfüllt die rechtswidrige Beschränkung in Stufe 1 sämtliche Vorraussetzungen der Freistellung nach Art. 81 (3) ?

Rolle des Kartellverbots in Art. 81 (1) Schutz des Wettbewerbs, effiziente Ressourcenallokation Schutz der Verbraucher Förderung der Integration des Gemeinsamen Marktes

Tatbestandsmerkmale des Art. 81 (1) Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels Beschränkung des Wettbewerbs wird spürbar bewirkt oder bezweckt

Wann liegt eine Wettbewerbsbeschränkung vor ? Markeninterner Wettbewerb: Beschränkt eine Vereinbarung den tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb, der ohne sie bestanden hätte? Markenwettbewerb: Beschränkt die Vereinbarung einen tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb, der bestanden hätte, wenn es die vertragliche Beschränkung nicht gegeben hätte?

Bezweckte Beschränkungen des Wettbewerbs dem Wesen nach geeignet den Wettbewerb zu beschränken maßgebliche Faktoren: – Inhalt der Vereinbarung – Zusammenhang – tatsächliches Marktverhalten – Absicht? z.B. Kernbeschränkungen

Bewirkte Beschränkungen des Wettbewerbs alle anderen Vereinbarungen, die tatsächlich oder potentiell zu einer Beschränkung des Wettbewerbs führen Marktmacht mind. einer Partei Kausalität Auswirkung - Vereinbarung objektive Notwendigkeit der Beschränkung

Das Konzept „Marktmacht“ (RZ 25) Marktmacht ist definiert als die Fähigkeit, Preise über einen erheblichen Zeitraum auf einer Höhe oberhalb des freien Marktpreises oder die Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt oder Innovation für einen erheblichen Zeitraum unterhalb des Wettbewerbsniveaus aufrecht zu erhalten. In Märkten mit hohen Fixkosten müssen die Preise erheblich oberhalb der Produktionsgrenzkosten liegen, um eine ausreichende Investitionsrendite zu erzielen. Wenn die Preise oberhalb der Grenzkosten liegen, kann allein hieraus nicht geschlossen werden, dass der Wettbewerb nicht gut funktioniert und dass Unternehmen ihre Marktmacht nutzen, um die Preise oberhalb der Wettbewerbshöhe festzusetzen. Eine Marktmacht im Sinne von Artikel 81 Absatz 1 läge hingegen vor, wenn der Wettbewerbsdruck unzureichend wäre, um die Preise und die Produktionsmengen auf einem wettbewerblichen Niveau zu halten.

Nebenabreden Wettbewerbsbeschränkungen, die einer neutralen Hauptvereinbarung untergeordnet und untrennbar mit dieser verbunden sind für die Durchführung der Hauptvereinbarung objektiv notwendig stehen zu Hauptvereinbarung in einem angemessenen Verhältnis  fallen nicht unter Art. 81 (1) EG

„Philosophie“ des Art. 81 (3) EG Abwägung der negativen und positiven Effekte einer Wettbewerbsbeschränkung positive Effekte: wettbewerbsfördernd oder bessere Erreichung der Wettbewerbsziele Bewertung und Beurteilung der negativen Wettbewerbseffekte ergibt sich aus Art. 81 (1); Beurteilung und Bewertung der positiven Effekte ergibt sich aus Art. 81 (3)

Art. 81 (3) EG Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen,die a) unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn b) zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen c)Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder d)Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.

Allgemeine Grundsätze alle 4 Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein Freistellung ist gültig solange alle 4 Bedingungen erfüllt werden (z.B. Amortisationszeitraum) keine Berücksichtigung von „public interests“ keine Gewährleistung „gerechter“ Wettbewerbsbedingungen Betrachtung nach betroffenen Märkten Beurteilung anhand der zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegender Fakten und wesentlicher Änderungen (reversible - nicht reversible Ereignisse) kein automatischer Ausschluss einer Wettbewerbsbeschränkung Verhältnis GVO - Art. 81 (3)

Effizienzgewinne, Art. 81 (3) lit.b Objektive Vorteile Begründungspflicht der Partei (Art. 2 Vo 1) + Substantiierung – Art der Effizienzgewinne – (direkter) kausaler Zusammenhang Vereinbarung - Effizienzgewinn – Wahrscheinlichkeit und Ausmaß – wie und wann – Beachtung der Kosten bei Herstellung der Effizienzgewinn (Nettoprinzip)

Wie kommt es zu Effizienzgewinnen? RZ 60 Im Allgemeinen werden Effizienzgewinne durch eine Integration der wirtschaftlichen Tätigkeiten erzielt, indem Unternehmen ihre Vermögenswerte zusammenlegen, um zu erreichen, was sie alleine nicht ebenso effizient verwirklichen könnten (Mehrwert!!!), oder indem sie einem anderen Unternehmen Aufgaben übertragen, die von diesem effizienter erbracht werden kann.

Arten von Effizienzgewinne (enumerativ) Kosteneinsparungen – Entwicklung neuer Produktionstechniken und -verfahren – Zusammenlegung von Vermögenswerten (z.B. Produktions-GU) – economies of scale, learning economies – economies of scope – sonstige Kosteneinsparungen (bessere Produktionsplanung, Verringerung der Kosten der Lagerhaltung) Bsp. Smart Qualitative Effizienzgewinne – neue, verbesserte Produkte (F&E-Vereinbarungen; Lizenzverein- barungen, Kooperationsvereinbarungen; Vertriebsvereinbarungen; Bsp. Reifen) – früherer Markteintritt

Economies of scale („Vorteile der Massen- produktion“) AC Q MES, Qmin LAC norm SAC1 SAC2 SAC3 LAC nm

MES (minimum efficiency scale), RZ 76 Die effiziente Mindestgröße ist das für die Minimierung der Durchschnittskosten und die vollständige Ausschöpfung der Größenvorteile erforderliche Produktionsvolumen. Je größer die effiziente Mindestgröße im Vergleich zu der gegenwärtigen Größe der beiden Vertragsparteien ist, um so wahrscheinlicher ist es, dass die Effizienzgewinne als spezifische Folge der Vereinbarung angesehen werden.

Economies of scope (Verbundvorteile) Die gemeinsame Produktion mehrerer Güter ist kosteneffizienter, als deren getrennte Herstellung. CS = C(Q1) + C(Q2) - C(Q1,Q2) C(Q1) + C(Q2) * 100 CS Kostenersparnis in% C(Q1) Kosten von Produkt 1 C(Q2) Kosten von Produkt 2 C(Q1,Q2)..Kosten der gemeinsamen Produktion

Unerlässlichkeit, Art. 81 (3) lit.c doppelte Prüfung: Ist die Vereinbarung als ganzes notwendig, um die Effizienz- gewinne zu erzielen?  Unternehmen müssen nachweisen, warum realistische und weniger wettbewerbsbeschränkende Alternativen für die Vereinbarung in der konkreten Marktsituation erheblich weniger effizient wären. Sind die einzelnen Wettbewerbsbeschränkungen in der Vereinbarung notwendig, um die Effizienzgewinne zu erzielen?  Wie sehen in der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation die Risiko- und Anreizstrukturen der Unternehmen aus, und sind die Wettbewerbsbeschränkungen zur Beseitigung allfälliger Probleme erforderlich hinsichtlich Art und Umfang?

Was bedeutet nun Unerlässlichkeit? RZ 79 Eine Wettbewerbsbeschränkung ist unerlässlich, wenn ohne sie die sich aus der Vereinbarung ergebenden Effizienzgewinne beseitigt oder erheblich geschmälert würden oder die Wahrscheinlichkeit zurückgehen würde, dass sich diese Effizienzgewinne realisieren.

Angemessene Verbraucherbeteiligung, Art. 81 (3) lit.a umfassender Verbraucherbegriff „angemessene Beteiligung“: Weitergabe der Effizienzvorteile - negative Auswirkungen > 0 Betrachtung nach relevanten Märkten, Zeiträumen Auswirkungen auf den Einzelnen - gesamtgesellschaftliche Auswirkungen Zeitraum: Abzinsung; PV = Staffelprinzip: je geringer die Wettbewerbsbeschränkung und je größer die Effizienzgewinne bzw. deren Weitergabe, desto weniger intensiv muss die Analyse erfolgen. Welcher Grad an Wettbewerb verbleibt im Markt? FV (1+i) n

Weitergabe und Abwägung von Effizienz- gewinnen Merkmal und Struktur des Marktes – verbleibender Wettbewerb, – Art des Wettbewerbs, – Verhalten der Marktteilnehmer Art und Ausmaß der Effizienzgewinne – Grenzerlös = Grenzkosten – Gewinnoptimale Entscheidungen richten sich ausschließlich nach den variablen Kosten – Kostentangenten Nachfrageelastizität – Preiselastizität – Preisdiskriminierung 1., 2. und 3. Grades Ausmaß der Wettbewerbsbeschränkung - Abwägung

Keine Ausschaltung des Wettbewerbs, Art. 81 (3) lit.d Vorrang des Wettbewerbsschutzes vor Effizienzgewinnen Kohärenzgrundsatz: Was nach Art. 82 verboten ist, kann nicht nach Art. 81 (3) erlaubt sein. Grad des Wettbewerbs vor Abschluss der Vereinbarung Wie viel Wettbewerbsdruck verbleibt im Markt? Welcher Wettbewerbsparameter wird beeinflusst? Wie verhalten bzw. verhielten sich die Parteien am Markt? Substitutionsgrad zwischen konkurrierenden Produkten potentieller Wettbewerb - Zutrittsschranken

Beurteilung von Marktzutrittsschranken Rechtsrahmen Marktzutrittskosten, sunk costs effiziente Mindestgröße eines Unternehmens im Markt wettbewerbsstarke, potentielle Neuzugänger Nachfragestruktur im Markt wahrscheinliche Reaktionen der bestehenden Marktteilnehmer wirtschaftliche Aussichten der Branche Markteintritte in der Vergangenheit

Michel R. Baye Managerial Economics and Business Strategy 4th ed., McGraw-Hill, (2004) ISBN F.M. Scherer/ David Ross Industrial Market Structure and Economic Performance 3rd ed., Houghton Mifflin Company, (1990) ISBN Jean Tirole The Theory of Industrial Organization MIT Press, (1988) ISBN Leseempfehlungen zur ökonomischen Theorie