“Aktuelles zur Aufsichtsratshaftung”
§ 99 AktG „Für die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder gilt § 84 über die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder sinngemäß.“
§ 33 GmbHG “Die in …§ 25… hinsichtlich der Geschäftsführer getroffenen Anordnungen finden auch auf den Aufsichtsrat Anwendung.” “Sind die Mitglieder des Aufsichtsrates zugleich mit den Geschäftsführern zum Ersatz eines Schadens verpflichtet, so haften sie mit diesen zur ungeteilten Hand.” Daneben Sondertatbestände (§§ 41, 47, 227 AktG, § 6a Abs 4 GmbHG)
Verweis auf Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes Prinzipiell: Business Judgement Rule gilt bei unternehmerischer Entscheidung nicht von sachfremden Interessen geleitet auf der Grundlage angemessener Information berechtigte Annahme Handeln zum Wohl der Gesellschaft Aber: Sind unternehmerische Entscheidungen beim Aufsichtsrat wirklich häufig?
Jedenfalls: deutlich anderer Fokus durch Überwachungs- anstelle von Geschäftsführungspflicht Typische Fälle: Verlangen eines Berichtes Einsichts- und Prüfungsrechte Recht, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen Zustimmungsrechte und -pflichten für bestimmte wichtige Geschäfte
Seit 2002: nur fünf Entscheidungen
1 Ob 144/01k – Intercontinentale GmbH Transport- und Speditionsunternehmen, Konkurs Masseverwalter macht Ersatzansprüche wegen Konkursverschleppung und nicht rechtzeitiger Schließung des Unternehmens wegen Überschuldung geltend 15 Mio S Verfahrensdauer: 1998-2002
Konkrete Vorwürfe Gf nicht zur Konkursanmeldung veranlasst Jahresabschluss nicht ordnungsgemäß geprüft Bewusstsein der „katastrophalen“ finanziellen Situation Werthaltige Patronatserklärung von Muttergesellschaft nicht beigeschafft Keine Sitzung des AR zum Thema Überschuldung
Klagsabweisung in allen drei Instanzen Gründe: Prinzipiell Haftung auch bei bloß fakultativen Aufsichtsrat Sorgfaltspflicht reicht nicht weiter als jene der Gf Aufgabengebiet und Umfang der Tätigkeiten geringer als Gf Verweis auf (einzige!) Vorentscheidung 5 Ob 306/76: Maßstab: größeres Maß an Erfahrung und Wissen als durchschnittlicher Kaufmann; Fähigkeit, schwierige rechtliche und wirtschaftliche Zusammenhänge und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft zu erkennen.
Branche, Größe und Marktposition des Unternehmens relevant Gilt für alle Mitglieder des AR gleichermaßen Erhöhter objektiver Sorgfaltsmaßstab “akzentuiert” durch Weisungsfreiheit Fähigkeit, Berichte der Gf mit Sachkunde aufzunehmen + ziehen der “richtigen” Schlüsse
In concreto: Gesellschafterin schon seit Jahrzehnten in Verlustzone Stets erhebliche Zuschüsse der Mehrheitsgesellschafterin zwecks Verlustabdeckung und Insolvenzvermeidung Pflicht zur Abhaltung der gesetzlich vorgesehenen Anzahl von AR-Sitzungen ist Schutzgesetz, hier nicht erfolgt (!) aber: Mehrheitsgesellschafter war dezidiert gegen Insolvenzverfahren => keine Kausalität
Und: Niederlegung des AR-Mandats zur Unzeit kann schadenersatzpflichtig machen Oberste Richtschnur auch für AR ist Unternehmenswohl Auch Interessen der Öffentlichkeit, der Arbeitnehmer und der Gläubiger einzubeziehen Unbestrittene Interessen der Gesellschaft = Gewinn- und Bestandinteresse Verletzungen der Sorgfaltspflicht (nur) bei eklatanter Überschreitung des Ermessensspielraums zu ahnden Aber: Unterlassungen nicht pflichtwidrig => keine Haftung
8 Ob 262/02s Rieger Bank Masseverwalter macht Ersatzansprüche wegen Konkursverschleppung und Nichthinterfragung unerklärlich hoher Barmittel geltend und Bankguthaben, die - falls existent - zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs verwendet hätten werden können Zahlungsunfähigkeit/Überschuldung durch Untersuchung von Bilanzen erkennbar EUR 7.267.283,42 Verfahrensdauer 2000-2003
Gründe: Klagsabweisung in allen drei Instanzen Verweis auf 1 Ob 144/01k, auch auf AG anwendbar, AR kein “Supergeschäftsführungsorgan”, keine Erfolgshaftung Bericht über die Abschlussprüfung wichtige Grundlage für AR; dort wäre eine vorsätzlich unrichtige Rechnungslegung aufzudecken gewesen AR hat daher den Jahresabschluss nicht neuerlich selbst zu prüfen Handlungspflicht nur bei offensichtlichen Unvollständigkeiten, Widersprüchen oder Wahrheitswdrigkeiten
In concreto: Jahresabschlüsse hatten uneingeschränkte Bestätigungsvermerke Aus dem Prüfberichten selbst ergaben sich keine Mängel oder Bedenklichkeiten „Randindizien“ (Verneinung der Finanzierung eines Fußballklubs) nicht vorhanden AR muss physische Präsenz der bilanzierten Bargeldbestände nicht persönlich überprüfen Ex ante waren massive kriminelle Handlungen des Vorstands nicht zu erahnen => Keine Haftung
3. 7 Ob 58/08t: Hirsch Servo AG AG klagte AR und Vorstände Aktienkurs entwickelte sich sprunghaft, AR-Vorsitzender (nicht beklagt) gab Studie zur Überprüfung der v. Vorstand erstatteten Berichte und Strategiepapiere in Auftrag Ergebnis: Drastische Verfehlung der Finanzziele, Rückgang von Unternehmenswert und Return on Investment Vorstände erhielten “Golden Handshake”, je 500.000,- zusätzlich € 714.886,72 Bilanzgewinn war € 696.986,92 Verfahrensdauer 2005 - 2008
Konkrete Vorwürfe Aufsichtsrat hätte freiwillige Abfindungen nicht vereinbaren dürfen Keine Veranlassung für zusätzliche Abfertigung Gesetzwidrige (§ 78 Abs 1 AktG) Festlegung der Vergütung des Vorstands, unangemessen Fehlende Befugnis des Aufsichtsrats zum Abschluss Offenkundige Verletzung & Missbrauch der Vertretungsmacht
Erstgericht: Klagestattgebung Berufungsgericht und OGH: Klagsabweisung Gründe: Maßgebliches Kriterium für AR: Wohl der Gesellschaft Zulässigkeit einer Suspendierung fraglich Berücksichtigung der Interessen der Aktionäre, Arbeitnehmer & Öffentlichkeit Probleme mit Führungsebene ad-hoc-meldepflichtig Daher dringender Handlungsbedarf; rasch einvernehmliche Lösung Ansicht, dass im Unternehmensinteresse, eine Veröffentlichung der Suspendierungen zu vermeiden, ist „vertretbar“ Keine „eklatante“ Überschreitung des Ermessensspielraums
4. 9 Ob 58/11m: DoRo Media AG (im Konkurs) Masseverwalter klagte Aufsichtsräte Mangelnde Sorgfalt, weil sie sich bereits vor ihrer Bestellung über die Lage der Gesellschaft informieren hätten müssen Stets negatives Eigenkapital Zahlreiche Kapitalzufügungsmaßnahme gebilligt, obwohl dadurch nur Konkursverschleppung Hätten sich nicht auf Gründungsbericht verlassen dürfen EUR 800.000,- Verfahrensdauer: 2005 – 2012
Aber auch hier: Klagsabweisung in allen drei Instanzen Gründe (soweit für § 99 AktG relevant): Zwar strenger Sorgfaltsmaßstab nach § 99 AktG Die Aufsichtsratsmitglieder haben aber entsprechend der damaligen Rechtslage sorgfältig gehandelt (iZm Eigenkapital) Hätten daher nicht den Vorstand zur Insolvenzeröffnung drängen müssen Keine Haftung
5. 6 Ob 198/15h AE & E GmbH & Co KG (in Insolvenz) Siehe letztes Jahr: die “die Beunruhigende” € 10 Mio Sanierungsverfahren; Treuhänder der Kommanditgesellschaft klagte ehem. Geschäftsführer und Aufsichtsrat der Komplementärin Vorwürfe: Verstoß gegen Kapitalerhaltungsvorschriften Aktiv- und Passivlegitimation aber fraglich Direktes Klagerecht der KG gegenüber sorgfaltswidrig handelnde Organe der Komplementärin? Unbedingte Voraussetzung der Personenidentität? => Erst- und Berufungsgericht wiesen die Klage ab, OGH hob auf und verwies zurück
OGH: Unmittelbare Haftung der sorgfaltswidrig handelnden Organe einer Komplementär-GmbH analog § 25 GmbHG Andernfalls wäre natürliche Person, die tatsächlich auch handelt, gegenüber Kommanditgesellschaft nicht (direkt) haftbar Daher AR der Komplementär-GmbH direkt verantwortlich Ergebnis: Auch der Aufsichtsrat einer Komplementär AG/GmbH haftet gegenüber der Kommanditgesellschaft direkt für sorgfaltswidriges Handeln
Annex: Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds aus wichtigem Grund
§ 30b (1a) GmbHG: AR hat vor seiner Wahl Umstände offenzulegen, die Befangenheit begründen könnten § 30b (5) GmbHG: Abberufung aus wichtigem Grund über Antrag einer Minderheit von 10 % Entscheidung durch das Gericht Außerstreitverfahren! Antragsgegner: GmbH
Sachverhalt: Streit um Entsendungsrecht im AR, 2er GmbH Mehrheitsgesellschafter behauptet Erlöschen des Entsendungsrechts des Minderheitsgesellschafters und beruft von diesem entsandtes AR-Mitglied ab Professor macht 2 Rechtsgutachten im Auftrag des Mehrheitsgesellschafters Professor lässt sich selbst statt des Abberufenen zur Wahl aufstellen, beteuert Unbefangenheit Professor macht nach seiner Wahl 3. Rechtsgutachten zur Rechtfertigung eben dieser Wahl
Abberufung aus wichtigem Grund § 30b (5) GmbHG Details: In Kenntnis, dass mehrere Prozesse und EV anhängig sind Befragung in der GV, ob er weiter (als künftiges AR-Mitglied) gegen Mitgesellschafterin gutachten wird: „werde er sich das sehr gut überlegen“ Keine Offenlegung des Honorars Sieben Tage nach der Wahl erstellt er ein weiteres Rechtsgutachten gegen Mitgesellschafterin => Anschein der Befangenheit? Neutrale Kontrolle der Gesellschaft? Abberufungsgrund?
Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Hon.-Prof. Dr. Irene Welser Partner Parkring 2 1010 Vienna +43 1 514 35 121 irene.welser@chsh.com