Kündigungsschutz bewahren und gestalten

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Kündigungsschutz bewahren und gestalten Kündigungsschutz als Beschäftigungshindernis? Kündigungsschutz im internationalen Vergleich Kündigungsschutz heute wichtiger denn je Kündigungsschutz und Flexibilität Was die Bundesregierung ändern will Die Antwort der IG Metall VB 01 - Justitiariat 11. November 2018

1. Kündigungsschutz als Beschäftigungshindernis? Clement: Kündigungsschutz hat „symbolische Bedeutung“. Das trifft zu. Der Arbeitsmarkt ist nicht verkrustet. Am Arbeitsmarkt herrscht Mobilität und Flexibilität. Der Kündigungsschutz ist kein Beschäftigungshindernis. Jedes Jahr werden 3,5 bis 4,5 Mio Arbeitsverhältnisse aufgelöst und etwa gleich viele neue begründet. 7,4 Mio Personen haben sich in 2002 arbeitslos gemeldet, die Hälfte kam aus der Erwerbstätigkeit 7,2 Mio Personen haben die Arbeitslosigkeit beendet, davon gut 3 Mio durch Rente oder andere Formen der Nichterwerbstätigkeit Beendet werden Arbeitsverhältnisse Zu 38% durch den Arbeitnehmer Zu 32 % durch den Arbeitgeber Zu 20 % durch Befristung VB 01 - Justitiariat

2. Kündigungsschutz im internationalen Vergleich Die OECD Studie 1999 zeigt: Der Kündigungsschutz in Deutschland liegt im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld. Einen strengeren Kündigungsschutz haben die südeuropäischen Länder Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Türkei. Einen schwachen Kündigungsschutz haben die USA, Kanada, England, Irland und Neuseeland (OECD Employment Outlook, 1999) VB 01 - Justitiariat

3. Kündigungsschutz heute wichtiger denn je Weniger Kündigungsschutz bedeutet mehr „Hire an Fire“. Jeder dritte Arbeitnehmer fürchtet um seinen Arbeitsplatz. Die Lockerung des Kündigungsschutzes soll die Verjüngung der Belegschaften erleichtern. Wer über 50 ist, hat am Arbeitsmarkt keine Chance. Die beabsichtigte Verkürzung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld bestraft besonders die Älteren. Die geplanten Anrechnungsvorschriften bei der Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe ruinieren die private Altersvorsorge. VB 01 - Justitiariat

4. Kündigungsschutz und Flexibilität Der Kündigungsschutz verhindert keine Flexibilität. Der Arbeitgeber kann Arbeitsverhältnisse bis zu zwei Jahren und für Arbeitnehmer über 52 unbegrenzt befristen Mit Sachgrund auch länger befristen Teilzeit vereinbaren Leiharbeiter einstellen Arbeitszeit flexibilisieren In Notfällen die tarifliche Beschäftigungssicherung nutzen oder Kurzarbeit vereinbaren VB 01 - Justitiariat

5. Was die Bundesregierung bei betriebsbedingten Kündigungen ändern will a) Schwellenwert für Kleinbetriebe b) Sozialauswahl beschränken c) Leistungsträger herausnehmen d) Namensliste in Betrieben mit Betriebsrat e) Abfindungs“anspruch“ f) Befristungsverlängerung für Existenzgründer g) 3 – Wochenfrist gilt für alle Kündigungsgründe h) gesetzl. Arbeitszeit auf 48 Std./Woche beschränken VB 01 - Justitiariat

a) Schwellenwert für Kleinbetriebe Unternehmen mit bis zu fünf Beschäftigten (Teilzeitbeschäftigte zählen anteilig) sollen künftig begrenzt bis zu 5 weitere befristet beschäftigte Arbeitnehmer einstellen können, ohne unter das Kündigungsschutzgesetz zu fallen. Diese Regelung gilt für befristete Verträge ab 1.1. 2004 bis 31.12. 2008. Dafür gibt es keinen Grund. Die geltende Kleinbetriebsklausel in § 23 KSchG wird mit den engen persönlichen Beziehungen in Unternehmen bis zu fünf Beschäftigten begründet und trägt dem ausreichend Rechnung. VB 01 - Justitiariat

b) Sozialauswahl Die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Entlassungen soll auf die vier Grunddaten Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung beschränkt werden. Individuelle Härtefälle können dann nicht mehr berücksichtigt werden, z.B eine Berufskrankheit oder ein Arbeitsunfall. Das widerspricht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden. Die Regelung galt bereits von Okt. 1996 bis Ende 1998. Sie hatte keinen positiven Beschäftigungseffekt. VB 01 - Justitiariat

c) Leistungsträger Der Arbeitgeber soll von der – eingeschränkten – Sozialauswahl abweichen können, um sozial weniger schutzbedürftige „Leistungsträger“ zu halten und um eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern. Heute schon ist kein Arbeitgeber gezwungen, Arbeitnehmer zu entlassen, auf deren besondere Qualifikation er angewiesen ist. Er kann auch von der Sozialauswahl abweichen, wenn die Alterstruktur der Belegschaft es erfordert. § 1 Abs. 3 KSchG lautet: Der Arbeitgeber kann von der Sozialauswahl abweichen, „wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer bedingen.“ VB 01 - Justitiariat

d) Namensliste Der Arbeitgeber soll mit dem Betriebsrat Namenslisten vereinbaren können, die die Sozialauswahl ersetzen. Betriebsräte sind die gewählten Interessenvertreter der Belegschaft. Es ist nicht ihre Aufgabe, Arbeitnehmer für Kündigungen auszuwählen. Namenslisten vergiften das Betriebsklima. In den meisten Klein- und Mittelunternehmen gibt es keinen Betriebsrat. Das ist aber die „Zielgruppe“ der Bundesregierung. Auch diese Regelung galt von Okt. 1996 bis Ende 1998. Sie hatte keinen positiven Beschäftigungseffekt und machte Kündigungsschutzklagen aussichtlos, da die Betriebsbedingtheit vermutet wurde und die Sozialauswahl nur auf grobe Fehler geprüft werden konnte. VB 01 - Justitiariat

e) Abfindungsanspruch (1) Der Arbeitnehmer soll künftig zwischen einem Abfindungsanspruch und einer Kündigungsschutzklage wählen können, wenn der Arbeitgeber in der Kündigung darauf hinweist. Ein gesetzlicher Abfindungsanspruch ist vernünftig, wenn er nicht in das Belieben des Arbeitgebers gestellt wird. Heute erhalten nur 15 % aller entlassenen Arbeitnehmer eine Abfindung. Dadurch würden viele Kündigungsschutzprozesse vermieden. Heute enden ca. 46 % der Kündigungsschutzprozesse mit der Zahlung einer Abfindung. Ein Abfindungsanspruch ist kein Ersatz für den Kündigungsschutz. Der Arbeitnehmer muss zwischen beiden Möglichkeiten tatsächlich wählen können. VB 01 - Justitiariat

e) Abfindungsanspruch (2) Eine gesetzliche Abfindungsregelung braucht Eine gesetzlich geregelte Abfindungshöhe (ein volles Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, vorgesehen ist ein halbes Gehalt). Den Vorrang für Sozialpläne. Eine Umlage für Kleinbetriebe. Eine sozialrechtliche Flankierung durch den Ausschluss von Sperrzeiten und die Möglichkeit, Abfindungen anrechnungsfrei für die private Alterssicherung verwenden zu können. Ein Widerrufsrecht zum Schutz vor übereilten Entscheidungen. Eine steuerliche Flankierung durch höhere Freibeträge und eine Steuerbegünstigung für überschießende Beträge einer Abfindung. VB 01 - Justitiariat

f) Befristungsverlängerung für Existenzgründer Existenzgründer sollen die Möglichkeit erhalten, Arbeitsverhältnisse bis zu vier Jahren mehrfach ohne sachlichen Grund zu befristen. Jede sachgrundlose Befristung führt dazu, dass der Kündigungsschutz unterlaufen wird. Je länger der Befristungszeitraum, desto wirkungsloser ist der Kündigungsschutz. Die bestehenden Befristungsmöglichkeiten bis zu zwei Jahren und unbegrenzt für über 52jährige Arbeitnehmer reichen auch für Existenzgründer völlig aus. VB 01 - Justitiariat

g) 3 – Wochenfrist gilt für alle Unwirksamkeitsgründe Wie bisher nur im Insolvenzfalle soll nunmehr in allen Kündigungsschutzverfahren ein Unwirksamkeitsgrund nur noch bis zur letzten mündl. Verhandlung vorgebracht werden können, wenn die Kündigungsschutzklage innerhalb der 3 – Wochenfrist erhoben wurde. D.h. also auch z.B. bzgl. § 102 BetrVG und Altersschutz im TV. Eine Ausnahme gilt nur für die Schwangerschaft. Hier soll eine nachträgl. Klagzulassung ermöglicht werden, wenn die Mutter erst nach Ablauf der 3-Wochen-Frist von der Schwangerschaft Kenntnis erhält. Die 3-Wochenfrist läuft erst ab Zugang einer schriftlichen Kündigung. VB 01 - Justitiariat

h) Wöchentliche Arbeitszeit auf max. 48 Std. im ArbZG In Umsetzung der sog. Simap- und Jäger - Entscheidung des EuGH werden nunmehr Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, jedoch nicht Rufbereitschaft, als Arbeitszeit iS des ArbZG angesehen. D.h., dass insbesondere bei Berechnung der 11 Std. Ruhezeit diese Zeiten nicht mehr als Ruhezeit betrachtet werden können. Für die Vergütung dieser Zeiten ist damit allerdings nichts gesagt. Diese muss nach wie vor individuell oder durch TV geregelt werden. Eine Ausdehnung ist allerdings zulässig, wenn der einzelne Arbeitnehmer dem schriftlich zugestimmt hat (Widerruf mit Frist 1 Monat jederzeit möglich) und ein TV oder eine BV auf der Basis eines TV dies regelt. VB 01 - Justitiariat

6. Die Antwort der IG Metall Ja zu Reformen und Nein zu einem Systemwechsel. Das bedeutet für den Kündigungsschutz: Der Kündigungsschutz ist der Kernbestand des Arbeitnehmerschutzrechts. Weniger Kündigungsschutz bringt nicht mehr Beschäftigung. Er darf nicht aus „symbolischen Gründen“ eingeschränkt werden. Mehr Rechtssicherheit und Gerechtigkeit – z. B. durch eine gesetzliche Konkretisierung der Rechtsprechung in Einzelfragen des Kündigungsschutze, z.B. Abmahnungsrecht. Unbürokratische und transparente Verfahren ohne qualitative Einbußen, z.B. durch einen gesetzlichen Abfindungsanspruch als Wahlrecht des Arbeitnehmers (statt Kündigungsschutzklage) ohne Bindung an Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigung VB 01 - Justitiariat

Auswirkungen des Gesetzes auf die BR-Arbeit BRe werden wieder mit der Namensliste bei Massenentlassun- gen erpressbar, Kündigungsschutzklagen fast aussichtslos Widerspruchsgründe gem. § 102 BetrVG zwar nicht einge- schränkt, sind bei Sozialauswahl aber nicht zu berücksichtigen, z. B. Alleinerziehend, Pflegebedürftige im Hh, Arbeitsunfall In Kleinbetrieben bis 10 AN werden BR-Wahlen erschwert. Befristete werden sich nicht engagieren. Dasselbe gilt bei „Existenzgründern“ in den ersten 4 Jahren Kürzungen der Bezugszeit beim Alog bei älteren AN und der Höhe der Alhi durch Alog II werden Sozialplanverhandlungen beeinflusst. Die ATZG-Förderung läuft zum 01.01.2010 aus. VB 01 - Justitiariat