Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen.

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Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen

Grenzüberschreitender Gewaltschutz ist im Unionsrecht vor allem in zwei Rechtsakten geregelt: Verordnung 606/2013 (Zivilsachen) Richtlinie 2011/99/EU vom 13.12.2011 (Strafsachen) Daneben gibt es aber noch vor allem zwei weitere Rechtsakte, die hier eine Rolle spielen: Brüssel Ia-Verordnung (VO Nr. 1215/2012) – Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Brüssel IIa-Verordnung (VO Nr. 2201/2003) – Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen ....

Grundgedanken des grenzüberschreitenden Gewaltschutzes: Personenfreizügigkeit soll gestärkt werden. Eine durch eine Gewaltschutzmaßnahme geschützte Person soll nicht davon abgehalten werden, sich in der Union aufzuhalten oder frei bewegen, dass sie mangels einer grenzüberschreitenden Wirkung einer Schutzmaßnahme befürchten müsste, durch die Ausübung ihrer Freizügigkeit den Schutz vor der gefährdenden Person zu verlieren.

Die Schwierigkeit liegt dabei darin, dass Gewaltschutzmaßnahmen in den Mitgliedstaaten der Union teils zivilrechtlich und teils strafrechtlich erfolgt. Daher ist der grenzüberschreitende Gewaltschutz auf zwei Instrument verteilt, nämlich Gewaltschutzverordnung 606/2013 und Gewaltschutzrichtlinie 2011/99

Aber: was sind „Zivilsachen“? Bedauerlich ist, dass die Möglichkeit nicht ergriffen wurde, eine einheitliche Regelung zu schaffen, obwohl dem Unionsgesetzgeber die Vielfalt der Systeme in den Mitgliedstaaten bewusst war: siehe Nr. 12, 13 und 15 der Erwägungsgründe Für zivilrechtliche Anordnungen gilt ausschließlich die GewaltschutzVO, Art. 1, 2 Abs. 1 der VO. Aber: was sind „Zivilsachen“? Unbestimmter Rechtsbegriff Gerade im Familienrecht greifen Öffentliches Recht und Zivilrecht häufig ineinander Auslegungshilfe: Abgrenzung zur GewaltschutzRL. Alle Maßnahmen, die nicht in Strafverfahren erlassen wurden, sind als Zivilsachen anzusehen. Nur so wird der beabsichtigte lückenlose Schutz erreicht.

Anwendungsbereich der Verordnung: Zeitlich: für alle zivilrechtlichen Gewaltschutzmaßnahmen, die am oder nach dem 11. Januar 2015 angeordnet wurden, Art. 22 Abs. 3 Sachlich: Nur zwischen natürlichen Personen, Art. 3 Abs. 2 und 3 der VO Schutzmaßnahmen in Zivilsachen gem. Art. 3 Nr. 1 der VO Betretungsverbot Kontaktverbot Näherungsverbot Nicht umfasst: Wohnungszuweisung!

Anwendungsbereich der Verordnung: Räumlich: Schutzmaßnahmen aus anderen Mitgliedstaaten (einschließlich Irland und Vereinigtes Königreich, nicht aber Dänemark, Erwägungsgründe 40 und 41) „grenzüberschreitende Fälle“, Art. 2 Abs. 2 der VO. Bezug des Falles zum ersuchten Mitgliedstaat (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der VO)?

Voraussetzungen für Anerkennung und Vollstreckung: Formalitäten des Art. Abs. 2-4 der VO müssen erfüllt sein: Antrag der geschützten Person (ausschließlich antragsberechtigt?) Beweiskräftige Kopie der Schutzmaßnahme Bescheinigung nach Art. 5 der VO

Voraussetzungen für Anerkennung und Vollstreckung: Einzelheiten zur Bescheinigung: Wird nur auf Antrag erteilt, Art. 5 Abs. 1 Setzt voraus, dass gefährdende Person von der Schutzmaßnahme nach dem Recht des Unionsmitgliedstaates in Kenntnis gesetzt worden ist bzw. auf andere Weise an dem Verfahren beteiligt war, Art. 6 Abs. 1-3 Muss ggf. transkribiert/Übersetzt werden (Art. 4 Abs. 2 c), und zwar nach Art. 16 in die Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaates Besitzt keine weitergehende Wirkung als die Maßnahme selbst (Art. 4 Abs. 3) Wirkung der Bescheinigung ist befristet auf 12 Monate (Art. 4 Abs. 4); danach muss ggf. neue Bescheinigung eingeholt werden Rechtsbehelf ist nach Art. 5 Abs.2 nicht möglich, aber: Anfechtung der zugrundeliegenden Schutzmaßnahme natürlich immer möglich Antrag auf Aufhebung der Bescheinigung nach Art. 9 Abs. 1 b (mit der Frage, was „offenkundig zu Unrecht“ bedeutet) einschließlich Rechtsbehelf nach dem Recht des Ursprungslandes, Art. 9 Abs. 2 Rechtsbehelf der geschützten Person bei Versagung der Ausstellung? Dürfte zulässig sein (Umkehrschluss aus Art. 5 Abs. 2) und dem Recht des Ursprungslandes unterliegen. Wird Vollstreckung im Ausstellungsstaat ausgesetzt, aufgehoben oder beschränkt, ist dies auf Antrag der gefährdenden Person zu bescheinigen, Art. 14 (gibt es einen Rechtsbehelf dagegen?)

Voraussetzungen für Anerkennung und Vollstreckung: Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat: Richtet sich nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates, Art. 4 Abs. 5 Vollstreckbarerklärungsverfahren ausgeschlossen, Art. 4 Abs. 1 Ersuchter Mitgliedstaat kann aber die Anerkennung und Vollstreckung ggf. versagen: Auf Antrag der gefährdenden Person Soweit Anerkennung Dem ordre public widerspricht Mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die im ersuchten Mitgliedstaat ergangen ist Der ersuchte Mitgliedstaat hat allerdings das Recht, die Maßnahme anzupassen, Art. 11 (was häufig schon aufgrund der Verlegung des Aufenthaltsortes der geschützten Person in den ersuchten Mitgliedstaat erforderlich sein wird) Das Anpassungsverfahren richtet sich nach dem Recht des ersuchten Mitgliedstaates, Art. 11 Abs. 2 Rechtsbehelfe der geschützten und der gefährdenden Person nach Art. 11 Abs. 5

Abgrenzung von der Brüssel-IIa-Verordnung Sonderproblem: Verhältnis der Verordnung 606/2013 zu anderen Unionsrechtsakten: Abgrenzung von der Brüssel-IIa-Verordnung Art. 1 Abs. 1 b der Brüssel-IIa-VO lautet: „Diese VO gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand: ..... Die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung“. Vorrang der Brüssel-IIa-VO in Art. 2 Abs. 3 der GewaltschutzVO geregelt Vorbehalt betrifft vor allem Gewaltschutzmaßnahmen in Kindschaftssachen nach Art. 1 Abs. 1 b der Brüssel-IIa-VO (in Deutschland: § 1666 BGB) Problem: Brüssel-IIa-VO ist für das Kind teilweise ungünstiger, teilweise günstiger: Ungünstiger: Exequaturverfahren nur teilweise abgeschafft, nicht für allgemeine Gewaltschutzmaßnahmen, Art. 40 ff. der Brüssel-IIa-VO Günstiger: Vollstreckbarkeit nicht zeitlich beschränkt Man hätte also besser ein Günstigkeitsprinzip angeordnet! Wohnungszuweisung als Ehesache im Sinne der Brüssel-IIa-Verordnung anzusehen? Dürfte wohl zu bejahen sein, zumal Wohnungszuweisung ohnehin nicht unter den Anwendungsbereich von VO 606/2013 fällt.

Abgrenzung von der Brüssel-Ia-Verordnung Sonderproblem: Verhältnis der Verordnung 606/2013 zu anderen Unionsrechtsakten: Abgrenzung von der Brüssel-Ia-Verordnung Art. 1 Abs. 1 der Brüssel-Ia-VO lautet: „Diese VO ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. .....“ Sind zivilrechtliche Gewaltschutzanordnungen also allgemeine Zivilsachen, die unionsweit nach Brüssel-Ia-VO vollstreckt werden? Oder ist VO 606/2013 lex specialis? Wenn ja: Verdrängt VO 606/2013 die Brüssel-Ia-VO? VO 606/2013 schweigt hierzu (anders als zu Brüssel-IIa-VO) Denkbar also: Wahlrecht der geschützten Person Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gerichte und der EuGH hierzu positionieren werden.