Binnenmarkt Grundfreiheiten

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
„Rom II“ als Beispiel für Fragestellungen im Verhältnis IP/IPR/IZPR
Advertisements

Prof. Dr. Burkhard Boemke
Auslandsentsendung und Beschäftigung ausländischer Forscher:
Gesetzliche Bestimmungen zu
Prof. Dr. Justus Meyer, Juristenfakultät
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Massengeschäfte Massengeschäften ähnliche Geschäfte Der Öffentlichkeit
Grenzausgleich bei Ressourcensteuern: Europarechtliche Aspekte
Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010
Friedrich-Schiller-Universität Jena SS 2010
Das Subsidiaritätsprinzip Grundlage der Kommunalen Selbstbestimmung & der gesetzlichen Vorrangstellung der freien Wohlfahrtspflege Erstellt von der.
und die soziale Sicherheit
Pflichtübung aus Europarecht 7. Jänner 2014
ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer
Der Staat als Unternehmer (3) Öffentliche Unternehmen und EG- Wettbewerbsrecht SS 2009 Kurt Reindl Kurt Reindl, Der Staat als Unternehmer, SS 2009,
Pflichtübung aus Europarecht
Mag. Marie-Therese Richter, B.A.
Europäische Dimension der Daseinsvorsorge
Die Schaffung des Binnenmarktes
Wirtschaftsverwaltungsrecht
Datenschutz als Grundrecht
Pflichtübung aus Europarecht 8. Mai 2013 Dr. Marie-Therese Richter, BA, LL.M.
UE Vorbereitung auf die FÜM I - Europarechtlicher Teil
Pflichtübung aus Europarecht 9. Mai 2013
Mag. Marie-Therese Richter, B.A.
Bescheidprüfung, Art 144.
Europarecht Materielles Recht
Einheit 6 Die Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK.
Rechtliche Argumente Pro und Contra
Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht Frühlingssemester 2014
Pflichtübung aus Europarecht 10. Mai 2013
Pflichtübung aus Europarecht 11. Mai 2013 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
Pflichtübung aus Europarecht 30. April 2014
Pflichtübung aus Europarecht 16. Jänner 2014
Pflichtübung aus Europarecht 2. April 2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
Pflichtübung aus Europarecht 13. Mai 2013
Pflichtübung aus Europarecht 20. Jänner 2014
Pflichtübung aus Europarecht 23. Jänner 2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
3. Fall PÜ Europarecht Mag. Dr. Anna Bender-Säbelkampf, BA
Pflichtübung aus Europarecht 9. Jänner 2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
UE Vorbereitung auf die FÜM I - Europarechtlicher Teil
Gleichbehandlungsgesetz
SEVESO-II-RL und Störfall-Verordnung
Völker- und europarechtliche Wirkungen der UN- Behindertenkonvention – am Beispiel des Behindertenbegriffs Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder, LL.M.
Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht
§ 10 VO 1/2003 als Grundlage des EU-Kartellverfahrensrechts 2. Teil: Europäisches Kartellrecht C Kartellverfahrensrecht I. Die VO 1/2003 als neues Kartellverfahrensrecht.
Teil: Europäisches Kartellrecht
Pflichtübung aus Europarecht 21. Mai 2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
Pflichtübung aus Europarecht 14. Mai2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
Pflichtübung aus Europarecht 15. Oktober 2014
RA Dr. Andreas Weitbrecht - Deutsches und Europäisches Kartellrecht - Universität Trier, SS 2008 Aufbauschema Prüfung Art. 81 EG Verstößt der Vertrag/das.
Pflichtübung aus Europarecht 3. Einheit Dienstleistungsfreiheit
Öffentliches Wirtschaftsrecht I
Pflichtübung aus Europarecht 17. Dezember 2014 Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
1 Prof. Dr. Justus Meyer, Juristenfakultät Wettbewerbsrecht Recht gegen unlauteren Wettbewerb III. Die wichtigsten Vorgaben des EU-Rechts.
2. Teil: Europäisches Kartellrecht
Dr. Jürgen Kühnen Vors. Richter am OLG
Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht 1 Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht Frühlingssemester 2015 Fall 5 – Wettbewerbsrecht PD Dr. iur. Simon.
Pflichtübung aus Europarecht 6. Einheit Arbeitnehmerfreizügigkeit Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
4) Kaufmännische Realisierung
Titel der Präsentation
Pflichtübung aus Europarecht 5. Einheit Niederlassungsfreiheit Dr. Marie-Therese Richter, BA LL.M.
Europarecht für Wirtschaftswissenschaftler Ao. Univ.-Prof. Dr. Alina-Maria Lengauer, LL.M.
Ρ. ri x ecker.recht Die Shisha-Café Gesellschaft bürgerlichen Rechts Wonach ist gefragt? [S-GbR, A und B erheben VB gegen das NRSchG]  Rechtssatzverfassungsbeschwerde.
S OMMERSEMESTER 2014 AG Europarecht Fall 8: Arbeitnehmerfreizügigkeit/ Niederlassungsfreiheit Felix Bieker.
RA Philipp Franke, wiss. Mit. Übung zu den Grundlagen des Rechts I 5. Stunde Fall: Nach der Handwerksordnung kann nur derjenige selbständig ein Handwerk.
1 Vierte Doppelstunde: Europarecht 2 Programm vierte Doppelstunde I.Entstehung und Bedeutung der Europäischen Union II.Die Institutionen der Europäischen.
Folie 1 Kulturelle Vielfalt: eine ethische Reflexion Peter Schaber (Universität Zürich)
Das Arbeits- und Sozialrecht der Europäischen Union.
 Präsentation transkript:

Binnenmarkt Grundfreiheiten

Binnenmarkt Art. 26 Abs. 2 AEUV: „Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von 4 Grundfreiheiten gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“ Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital

Die Grundfreiheiten (1) Freiheit des Warenverkehrs – Art. 28 AEUV Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung Freiheit des Personenverkehrs Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 AEUV Niederlassungsfreiheit – Art. 49 AEUV Freiheit der Dienstleistung – Art. 56 AEUV Freiheit des Kapitalverkehrs – Art. 63 AEUV

Die Grundfreiheiten (2) Freiheit des Warenverkehrs: Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung, Verbot diskriminierender Steuervorschriften und Verbot mengenmäßiger Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Recht der abhängig Beschäftigten innerhalb der EU Arbeit zu suchen, Aufenthalt zu nehmen und zu arbeiten Niederlassungsfreiheit: Recht der Unternehmer sich innerhalb der EU frei niederzulassen

Die Grundfreiheiten (3) Freiheit des Dienstleistungsverkehrs: Recht zur ungehinderten Erbringung und Entgegennahme von Dienstleistungen innerhalb der EU Freiheit des Kapitalverkehrs: Recht zum ungehinderten Kapitaltransfer innerhalb der EU Freiheit des Zahlungsverkehrs: Notwendige Annexfreiheit (sog. Fünfte Grundfreiheit) zur Verwirklichung der anderen Grundfreiheiten

Bedeutung des freien Warenverkehrs Kernstück ist Zollunion: Wirtschaftsraum, in dem die Waren und andere Leistungen im Rahmen einer einheitlichen Wettbewerbsordnung frei zirkulieren können Verbot diskriminierender innerstaatlicher Abgaben und Praktiken sowie Verbot aller mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung Gemeinsamer Zolltarif gegenüber Drittländern RL 92/12/EWG: Abbau der Grenzkontrollen im innergemeinschaftlichen Warenverkehr durch Verzicht auf Einfuhr- und Ausfuhrbesteuerung

Bedeutung des freien Personenverkehrs Binnenmarkt = „Raum ohne Binnengrenzen“ Abschaffung der Grenzkontrollen und Binnenzölle an den Staatsgrenzen der MS und gemeinsamer Außenzoll Schengener Durchführungsabkommen und Dubliner Übereinkommen

Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten I Allgemeines Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV: „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verboten. […]“ Verbot direkter und indirekter Diskriminierung = unmittelbare Anwendbar Die Grundfreiheiten stehen im Verhältnis der Spezialität zu Art. 18 AEUV alle Grundfreiheiten enthalten Diskriminierungsverbot „aufgrund der Staatsangehörigkeit“ Achtung: Erfasst ist das jeweilige Schutzgut der Grundfreiheit (nicht nur natürliche und juristische Personen!)

Direkte Diskriminierung Direkte Diskriminierung liegt vor bei: Das verpönte Unterscheidungskriterium findet sich in der Verbotsnorm  z.B. Art. 18 AEUV = Staatsangehörigkeit Anwendung eines verpönten Unterscheidungskriteriums im nationalen oder Unionsrecht Formal gleicher Behandlung bei ungleichen Sachverhalten

Indirekte Diskriminierung (1) Indirekte Diskriminierung liegt vor bei:  z.B. statt Staatsangehörigkeit ist Kriterium Wohnort oder Herkunftsort Anwendung von scheinbar neutralen Vorschriften, Kriterien und Verfahren die im Ergebnis einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen einer Gruppe benachteiligen

Indirekte Diskriminierung (2) Vgl. Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG: „[…] liegt eine mittelbare Diskriminierung dann vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn die betreffenden Vorschriften sind angemessen und notwendig und sind durch nicht auf das Geschlechte bezogene Gründe gerechtfertigt.“ Vgl. ebenso EuGH Rs. 152/73, Sotgiu, Slg. 1974, 153

Direkte/Indirekte Diskriminierung Scheinbar neutrales Unter- scheidungskriterium führt zu einer Benachteiligung eines wesentlich höheren Anteils von Angehörigen einer Gruppe Art. 2 Abs. 2 der RL 97/80/EG Rechtfertigung: Wie direkte Diskriminierung und mit sachlichen Gründen des Allgemeininteresses nach Maßgabe der Verhältnis- mäßigkeit

Rechtfertigung von Diskriminierung Direkte Diskriminierung: Eine Rechtfertigung ist nur über die im EUV/AEUV und in Sekundärrechtsakten vorgesehenen Rechtfertigungsgründe zulässig  z.B. Art. 36 oder Art. 45 Abs. 3 AEUV Indirekte Diskriminierung: Eine Rechtfertigung ist neben gesetzlichen Rechtfertigungsgründen auch über sachliche Gründe des Allgemeininteresses der EU möglich. Verhältnismäßigkeitsprüfung:  Angemessenheit: Eignung zur Zielerreichung?  Notwendigkeit: Liegt ein Mindesteingriff vor?  kein Bezug auf das verpönte Unterscheidungsmerkmal

Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten II Beschränkungsverbot: Die Rsp des EuGH hat eine Weiterentwicklung gebracht: Alle Grundfreiheiten enthalten auch ein Beschränkungsverbot für grenzüberschreitende Vorgänge! Auch für In- und Ausländer unterschiedslos anwendbare Maßnahmen fallen in den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Auch nicht diskriminierende Maßnahmen beeinträchtigen die Grundfreiheit (geringere Attraktivität, zusätzliche Kosten, abschreckende Wirkung) „Effet utile“ verlangt Auslegung über Diskriminierungsverbot hinaus

Rechtssprechung - Beschränkungsverbote Warenverkehrsfreiheit:  Cassis de Dijon (EuGH Rs.120/78, Slg.1979, 649) Dienstleistungsfreiheit:  Van Binsbergen (EuGH Rs.33/74, Slg. 1974, 1299) Arbeitnehmerfreizügigkeit:  Bosman (EuGH Rs. C-415/93, Slg. 1995, I-4921) Niederlassungsfreiheit:  Centros (EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-459)

Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten III Alle Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbar  sie verleihen dem Einzelnen subjektive Recht Adressaten der Grundfreiheiten: zuerst die Union und MS aber auch „Drittwirkung“ gegenüber den Einzelnen möglich Anwendungsbereich der Grundfreiheiten: Die Grundfreiheiten erfassen nur grenzüberschreitende Sachverhalte  rein innerstaatliche Sachverhalte sind nicht Gegenstand der Grundfreiheiten Bereichsausnahmen: Keck-Formel bei Warenverkehrsfreiheit Arbeitnehmer in der öffentlichen Verwaltung

Gemeinsame Struktur der Grundfreiheiten III Beschränkungen der Grundfreiheiten bedürfen einer Rechtfertigung: Bei unmittelbar diskriminierenden Maßnahmen sind nur in den Verträgen/Sekundärrecht vorgesehene Rechtfertigungsgründe zulässig Bei unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen sowie mittelbar diskriminierenden Maßnahmen hat die Rsp zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses anerkannt Schranken-Schranke  Verhältnismäßigkeitsprüfung Angemessenheit Notwendigkeit kein Bezug auf das verpönte Unterscheidungsmerkmal

Die Warenverkehrsfreiheit (1) Art. 28 Abs. 1 AEUV: „Die Union umfasst eine Zollunion, die sich auf den gesamten Warenaustausch erstreckt; sie umfasst das Verbot, zwischen den Mitgliedstaaten Ein- und Ausfuhrzölle und Abgaben gleicher Wirkung zu erheben, sowie die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber dritten Ländern.“

Die Warenverkehrsfreiheit (2) Zollunion: Keine Ein- und Ausfuhrzölle unter den MS Keine Abgaben zollgleicher Wirkung unter den MS Gemeinsamer Zolltarif gegenüber Drittländern Freihandelszone ≠ Zollunion: kein gemeinsamer Zolltarif

Die Warenverkehrsfreiheit (3) Gemeinsamer Zolltarif - GZT: Ausschließliche Zuständigkeit der Union Mehrheitsbeschluss im Rat genügt Zolleinnahmen stellen Eigenmittel der Union dar Zoll- und Verfahrensrecht einheitlich auf Unionsebene geregelt Zollkodex Zollkodex-Durchführungsverordnung

Die Warenverkehrsfreiheit (4) Verboten sind nach Art. 30 AEUV: Zölle Zollgleiche Abgaben Adressaten  die Mitgliedstaaten Abzugrenzen sind Gebühren: der Höhe nach angemessenes Entgelt für dem Importeur oder Exporteur tatsächlich geleistete Dienste

Die Warenverkehrsfreiheit (5) Begriffsbestimmung: Waren: Körperlicher Gegenstand, der über die Grenze gebracht wird, einen Geldwert hat und deshalb Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein kann Zoll: Abgabe anlässlich des Grenzübergangs einer Ware, die in einem Zolltarif festgelegt ist und als solche bezeichnet wird, ohne dass eine entsprechende Abgabe für gleichwertige inländische Waren besteht

Die Warenverkehrsfreiheit (6) Begriffsbestimmung: Zollgleiche Abgabe: Jede einseitig auferlegte finanzielle Belastung die anlässlich des Grenzübergangs einer Ware erhoben wird, auch wenn sie keinen Zoll im eigentlichen Sinn darstellt

Die Warenverkehrsfreiheit (7) Verboten sind nach Art. 34 - 36 AEUV: Mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen Maßnahmen mengengleicher Wirkung Adressaten  die Mitgliedstaaten Abzugrenzen ist privates Handeln Art. 101 und 102 AEUV

Die Warenverkehrsfreiheit (8) Begriffsbestimmung: Mengenmäßige Beschränkung: Alle Maßnahmen der MS, mit deren Hilfe zum Schutz der einheimischen Produktion die Konkurrenz ausländischer Erzeugnisse vom nationalen Markt fern gehalten werden soll durch Verbringungsverbot ODER Kontingentierung

Die Warenverkehrsfreiheit (9) Begriffsbestimmung: Maßnahmen mengengleicher Wirkung: Dassonville-Formel (EuGH Rs. 8/74, Slg. 1974, 847) „[…] Jede Handelsregelung der MS, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern […]“ Erfasst werden sollen jene Fälle, in denen die MS ohne dies ausdrücklich zu erklären, Regelungen erlassen, welche ausländische Produkte benachteiligen können

Die Warenverkehrsfreiheit (10) EuGH Rs. 8/74, Staatsanwaltschaft/Benoit und Gustav Dassonville, Slg. 1974, 847: Sachverhalt Der Großhändler Dassonville hatte in Frankreich aus dem Vereinigten Königreich stammenden „Scotch Whiskey“ gekauft und unter Vorlage der den französischen Bestimmungen entsprechende Begleitdokumente nach Belgien ausgeführt. Dort wurde Herr Dassonville strafrechtlich verfolgt, weil dieser nicht in der Lage war, die für die Einfuhr von „Scotch Whiskey“ nach belgischen Rechtsvorschriften erforderliche britische Ursprungsbescheinigung vorzulegen. Der EuGH hatte nun zu entscheiden, ob die Einfuhr einer Ware, die mit der Ursprungsbezeichnung versehen war („Scotch Whiskey) zu Recht von der Vorlage einer amtlichen Urkunde abhängig gemacht werden durfte, in der die Berechtigung zur Verwendung dieser Bezeichnung bescheinigt wird.

Die Warenverkehrsfreiheit (11) Urteil des EuGH – „Dassonville“ „Jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, ist als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen.“ Die belgischen Rechtsvorschriften erfüllen diese Voraussetzungen, da sie den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar dadurch behinderten, dass Importeure wie Herr Dassonville gegenüber Direkteinführern von Scotch Whiskey aus UK erheblich benachteiligt werden.

Die Warenverkehrsfreiheit (12) Urteil des EuGH – „Dassonville“ Die wesentlichsten Aussagen sind: Eignung zur Handelsbehinderung genügt Vorliegen einer Behinderung des Handels ist unabhängig von einer eventuellen handelsbeschränkenden Zielrichtung der Maßnahme oder der Spürbarkeit der handelshemmenden Wirkung zu beurteilen Art. 34 AEUV erfasst nur solche Maßnahmen die in adäquater Verursachung Handelsbeschränkungen zur Folge haben

Die Warenverkehrsfreiheit (13) EuGH Rs. 120/78, Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 – „Cassis de Dijon“: Sachverhalt Die deutsche REWE-AG beantragte bei der zuständigen Bundesmonopolverwaltung für Branntwein die Erteilung einer Einfuhrgenehmigung für französischen Likör (Cassis de Dijon), der mit einem Alkoholgehalt von 15-20 % in Frankreich vertrieben wird. Die Bundesmonopolverwaltung verweigerte die Erteilung der Einfuhrgenehmigung, da der französische Likör aufgrund seines zu geringen Weingeistgehaltes in der Bundesrepublik Deutschland nichtverkehrsfähig sei. Gestützt wurde diese Entscheidung auf das Branntweinmonopolgesetz und den dazu ergangen Verordnungen, die einen Mindestweingeistgehalt von 25% Prozent für Fruchtsaftliköre vorsahen.

Die Warenverkehrsfreiheit (14) EuGH Rs. 120/78, Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 – „Cassis de Dijon“: Sachverhalt Nach Ansicht der Klägerin beschränkt die Bestimmung über einen Weingeistmindestgehalt den freien Warenverkehr und verstößt als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung gegen Art 30 EWG Vertrag (Art 34 AEUV). Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat vorgebracht, dass die Regelung über den Mindestweingeistgehalt einerseits dem Schutz der öffentlichen Gesundheit diene, da durch diese Bestimmung verhindern werden könnte, dass Produkte, mit geringerem Weingeistgehalt, die leichter als Produkte mit einem hohen Weingeistgehalt zu einer Gewöhnung führen würden, verhindert würde. Darüber hinaus soll nach Auffassung der Bundesrepublik Deutschland der Mindestweingeistgehalt die Verbraucher vor einem unlauteren Wettbewerb unter den Herstellern und Händlern schützen.

Die Warenverkehrsfreiheit (15) EuGH Rs. 120/78, Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, Slg. 1979, 649 – „Cassis de Dijon“: Sachverhalt Der EuGH hatte zu entscheiden, ob eine unterschiedslos für einheimische und eingeführte Erzeugnisse geltende Regelung, die einen Mindestalkoholgehalt für bestimmte Liköre festsetzt, mit Art 34 AEUV vereinbar ist.

Die Warenverkehrsfreiheit (16) Urteil des EuGH – „Cassis de Dijon“ Diese nationale Regelung erfüllt ohne weiters die Kriterien der Dassonville-Formel, da so der französische Cassis de Dijon in Deutschland nicht vertrieben werden kann. In Ermangelung einer gemeinschaftlichen Regelung der Herstellung und Vermarktung von Weingeist ist es Sache der Mitgliedstaaten, alle die Herstellung und Vermarktung von Weingeist und alkoholischen Getränken betreffenden Vorschriften für ihr Hoheitsgebiet zu erlassen. Hemmnisse für den Binnenhandel der Gemeinschaft, die sich aus den Unterschieden der nationalen Regelungen über die Vermarktung dieser Erzeugnisse ergeben, müssen hingenommen werden, soweit diese Bestimmungen notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes.

Die Warenverkehrsfreiheit (17) Urteil des EuGH – „Cassis de Dijon“ Die durch dieses Urteil modifizierte Dassonville-Formel führt zu dem Grundsatz, dass alle in einem MS rechtmäßig hergestellten und in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse - vorbehaltlich der zwingenden Erfordernisse und der Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV - Warenfreizügigkeit genießen. Es gilt also das Ursprungslandprinzip  Wurde eine Ware rechtmäßig in einem MS erzeugt, ist dies von den anderen MS anzuerkennen. Im Ergebnis gibt es keinen stichhaltigen Grund dafür, zu verhindern, dass in einem MS rechtmäßig hergestellte und in den Verkehr gebrachte alkoholische Getränke in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Der Verkauf dieser Erzeugnisse kann kein gesetzliches Verbot des Vertriebs von Getränken entgegengehalten werden, die einen geringeren Weingeistgehalt haben, als im nationalen Recht vorgeschrieben ist.

Die Warenverkehrsfreiheit (18) EuGH Rs. C-267/91 und C-268/91, Keck und Mithouard, Slg. 1993, I-6097: Sachverhalt In der Rs. Keck und Mithouard ging es um die Frage, ob die französische Regelung, wonach der Weiterverkauf von Erzeugnissen unter dem Einkaufspreis verboten ist, mit den Grundsätzen des Art 28 EGV vereinbar ist. In der Rs. Hünermund stellte sich die gleiche Frage im Hinblick auf die dt. Regelung, die das Betreiben von Werbung für pharmazeutische Produkte außerhalb von Apotheken verbietet. Der EuGH stellte, ausgehend von der Dassonville-Formel, zunächst fest, dass die fraglichen Verbote grundsätzlich geeignet sind, das Volumen des Absatzes von Erzeugnissen aus anderen MS zu beschränken, da sie den Wirtschaftsteilnehmern eine Methode der Absatzförderung nehmen.

Die Warenverkehrsfreiheit (19) Urteil des EuGH – „Keck-Formel“ Anders als in den früheren Entscheidungen genügt die Feststellung dem EuGH jedoch nicht, um die fraglichen Verbote als Maßnahmen gleicher Wirkung zu qualifizieren. Vielmehr führte der EuGH eine neue Unterscheidung zwischen verkaufsbezogenen und produktsbezogenen Beschränkungen ein. Für verkaufsbezogene Beschränkungen verlangt der EuGH über die Voraussetzungen der „Dassonville“ und „Cassis de Dijon“-Formel hinaus, dass die nationalen Regelungen über Verkaufsmodalitäten geeignet sein müssen, den Marktzugang für Erzeugnisse aus einem anderen MS zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tun.

Die Warenverkehrsfreiheit (20) Die neue Unterscheidung: Verkaufsbezogene Beschränkungen: eine nationale Regelung über Verkaufsmodalitäten muss geeignet sein, den Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen MS zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tut. Produktbezogene Beschränkungen: in diesen Fall sind weiter ausschließlich die „Dassonville“ und die „Cassis de Dijon“-Formel anwendbar!

Die Warenverkehrsfreiheit (21) Beispiele für Maßnahmen mengengleicher Wirkung: Regelungen bezüglich des Einfuhrvorgangs Grenzkontrollen, Vorlage bestimmter Bescheinigungen Regelunge bezüglich der Zusammensetzung, Beschaffenheit und Bezeichnung der Waren Diskriminierende Regelungen Unterschiedslos anwendbare Regelungen Regelungen bezüglich Preise und Preisbestandteile Regelungen bezüglich Werbung und Absatzförderung

Die Warenverkehrsfreiheit (22) Beschränkung des Art. 34 AEUV: Immanente Schranken: zwingende Erfordernisse Allgemeinwohlinteressen Verhältnismäßigkeit Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV: Überragende Rechtsgüter taxativ aufgezählt Regelungskompetenz liegt bei den MS MS sind gebunden an Verhältnismäßigkeit, Verbot der willkürlichen Diskriminierung und Verbot der verschleierten Beschränkung des Handels

Die Warenverkehrsfreiheit (23) Zwingende Erfordernisse nach Cassis de Dijon: Bestehen zwischen den MS abweichende Regelungen bezüglich der Ware (Form, Verpackung, Etikettierung etc.) welche unterschiedslos anwendbar sind und die den innergemeinschaftlichen Handel potentiell beschränken, sind diese nicht von Art. 34 AEUV erfasst wenn: die Regelung notwendig ist um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden.

Die Warenverkehrsfreiheit (24) Zwingende Erfordernisse – EuGH: Wahrnehmung von Grundrechten Verbraucherschutz – Etikettierungsrechtsprechung des EuGH Umweltschutz Wirksame steuerliche Kontrolle Lauterkeitsschutz

Die Warenverkehrsfreiheit (25) EuGH Rs. 178/84, Kommission/BRD, Slg. 1987, 1227 – „Reinheitsgebot für Bier“: Sachverhalt §§ 9 und 10 Biersteuergesetz (BstG), nach denen in Deutschland unter der Bezeichnung Bier nur jene Getränke in den Verkehr gebracht werden durften, die aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt werden, stellten eine Behinderung des Warenverkehrs für all jene Produzenten dar, welche Zusatzstoffe (Geschmackstoffe etc.) beimengten. § 11 Abs 1 Nr. 2 des Lebensmittel und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) sah nämlich ein absolutes Verkehrsverbot für Bier, das Zusatzstoffe enthält vor.

Die Warenverkehrsfreiheit (25) EuGH Rs. 178/84, Kommission/BRD, Slg. 1987, 1227 – „Reinheitsgebot für Bier“: Sachverhalt Bundesrepublik Deutschland argumentierte dass deutsche Verbraucher von einem Getränk mit der Bezeichnung Bier erwarten, dass dieses aus den oben angeführten Grundstoffen ohne weitere Grundstoffe (etwa Mais oder Reis) hergestellt werde. Das Reinheitsgebot diene somit dem Verbraucherschutz, da die Konsumenten ansonsten Gefahr laufen würden, über die Inhaltsstoffe eines Erzeugnisses getäuscht zu werden. Dies diene somit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen.

Die Warenverkehrsfreiheit (26) Urteil des EuGH – „Reinheitsgebot für Bier“ Es ist unstreitig, dass das Verkehrsverbot für Bier, das Zusatzstoffe enthält, die Einfuhr von Bier aus anderen Mitgliedstaaten, das dort zugelassene Zusatzstoffe enthält, behindert und daher insoweit durch Art 34 AEUV erfasst wird. Es ist jedoch zu prüfen, ob seine Anwendung gemäß Art 36 AEUV aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit gerechtfertigt werden kann. Soweit die deutsche Zusatzstoffregelung für Bier ein allgemeines Verbot von Zusatzstoffen enthält, entspricht ihre Anwendung auf aus anderen Mitgliedstaaten eingeführtes Bier demnach nicht den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts, wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofes herausgearbeitet worden sind, denn sie verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist daher nicht durch die Ausnahmeregelung des Artikels 36 AEUV gedeckt.

Die Warenverkehrsfreiheit (27) Allgemeinwohlinteressen: Allgemeine Maßnahmen der Wirtschafts-, Sozial- oder Kulturpolitik können bei zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, wenn diese überwiegen. EuGH: Sonntagsarbeitsverbot zeitlich begrenzte Beschränkung der Verbreitung von Filmen ausschließlich im Kino Maßnahmen zur Sicherung der Verkehrssicherheit

Die Warenverkehrsfreiheit (28) Verhältnismäßigkeitsprüfung: Es ist eine umfassende Güter- und Interessensabwägung zwischen den Erfordernissen des freien Warenverkehrs und den berechtigten Schutzinteressen der fraglichen nationalen Maßnahmen vorzunehmen. Die MS haben unter den zur Zielerreichung geeigneten Maßnahmen jene zu wählen, die den geringsten Eingriff in die Wareverkehrsfreiheit bedeutet. Darüber hinaus bedarf es angemessener Übergangsfristen bei neu eingeführten Maßnahmen.

Die Warenverkehrsfreiheit (29) Art. 36 AEUV: „Die Bestimmungen der Artikel 34 und 35 stehen Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind. […]“

Die Warenverkehrsfreiheit (30) Rechtfertigung nach Art. 36 AEUV: Sowohl diskriminierende als auch unterschiedslos anwendbare Maßnahmen können gerechtfertigt werden Die Schutzgüter sind taxativ aufgezählt und laut EuGH eng auszulegen Besteht unionsrechtliche Harmonisierung (z.B. durch eine RL) steht es den MS nicht mehr zu strengere Regungen zu erlassen Schranken-Schranken: Verhältnismäßigkeit, Verbot willkürlicher Diskriminierung und Verbot verschleierter Beschränkungen des Handels

Die Warenverkehrsfreiheit (31) Beispiel: Der burgenländische Winzer Nepomuk Schluckspecht betreibt eine Weinkellerei, diesich auf die Produktion von Leichtweinen mit einem geringen Alkohohlgehalt von unter 9 % spezialisiert hat. Nachdem seine Leichtweine in Österreich reißenden Absatz finden, möchte Herr Schluckspecht den Vertrieb nun auf die gesamte EU erweitern. Im Mitgliedstaat Utopia wird der Weinkellerei Schluckspecht der Vertrieb ihres Leichtweins allerdings mit der Begründung verweigert, dass in Utopia nur Weine mit einem Alkoholgehalt von mind. 11 % in Verkehr gebracht werden dürfen.

Die Warenverkehrsfreiheit (32) Fortsetzung: Herr Schluckspecht denkt sich empört, dass diese Vertriebsbeschränkung doch nicht mit dem Gemeinsamen Markt der EU vereinbar sein kann und fragt im für die Weinkontrolle in Utopia zuständigen Landwirtschaftsministerium nach. Dort erklärt ihm ein Beamter, das Vertriebsverbot für Leichtweine verstoße keineswegs gegen Gemeinschaftsrecht, denn erstens gelte es gleichermaßen für inländische Weine wie auch für Weine aus anderen EU-Mitgliedstaaten, und zweitens könne diese Regelung sowohl aus Gründen des Gesundheitsschutzes als auch des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden. Wie bewerten Sie die Chancen der Kellerei Schluckspecht, ihren Leichtwein doch in Utopia zu vertreiben? Gehen Sie dabei genau auf die Aussagen und Argumente des Beamten ein! Nennen Sie die Leitentscheidung!