Ungewollter Gewichtsverlust Evidenz-basiertes Vorgehen in der Praxis PD Dr. med. Andreas Zeller IHAM Basel und Praxis Hammer Kleinbasel Sörenberg,14. September 2012
Inhalt Pragmatisch evidenz-basierte Abklärung in der täglichen Praxis Besonderheiten beim geriatrischer Patienten Zusammenfassung
Fall: Herr A.Z., 61jährig Vorstellung wegen Gewichtsverlust von 6 kg (63kg → 57kg) Januar bis Juli, etwas Kopfschmerz, leichter Schwindel, etwas müde, keine Medikamente. PA: St.n. Magenulcus, St.n. Appendektomie, St.n. Sinusitis maxillaris (2x). SA: Nachtschweiss, weniger Appetit, Sodbrennen, etwas Rotwein, 30 PJ, Kubareise. FA: Vater mit Demenz und Magenulcus, Bruder (69j) mit Magenkrebs, geheilt.
Körperliche Untersuchung von Herrn A.Z. AZ normal, T 37.3 im Ohr EZ sehr schlank, 56kg mit KS, 172cm, BMI 19 BD 119/65mmHg, P 65, Herz/Lunge oB, keine Geräusche Enoral o.B., Zähne saniert Rechts zervikal und axilläre Lkn indolent, versch., <1cm3 Haut, Neurologie Normalbefund Abdomen: Leber in MCL 15cm, Milz nicht palpabel, rektal o.B. Was wissen wir?
Definition Ungewollter Gewichtsverlust Verlust von > 5 % des Körpergewichtes über 6 (-12) Monate Gewichtsverlust ≥ 4.5 kg Tagesvariation des Körpergewichtes um 2kg Definitionen nicht einheitlich Vanderschueren S. Eur J Intern Med 2005;16:160-164
Schlüsselinformationen durch Anamnese Gewichtsverlust gewollt oder ungewollt? Appetit ↓oder ↑ Wie viel Gewichtsverlust (absolut und % des KG)? Dynamik des Gewichtverlusts Gewichtsverlust dokumentiert?1 Immer gleiche Waage? Kleidergrösse?2 Fremdanamnese?2 (1) Marton K. Ann Intern Med 1981;95:568-574 (2) Winfield R. Ann Intern Med 1973;79:910
Gewichtsverlust mit gesteigertem Appetit ? Hyperthyreose Unkontrollierter Diabetes mellitus Malabsorption Phäochromozytom Exzessive körperliche Aktivität
Information durch Systemanamnese? Zahnstatus Dysphagie Odynophagie Vomitus Diarrhö/Meläna Bauchschmerzen Änderung der Stuhlgewohnheiten Junge Frau Älterer Mensch „Was haben Sie gestern wann gegessen?“ Polyurie makroskopisch Blut? Ikterus HIV Risiko Alkohol, Rauchen Tropenreise Hauteffloreszenzen Fieber psychosoziale Belastung Depression
Welche Diagnostik? In der Praxis: Sie haben etwa 250.- zur Verfügung. Welche Diagnostik ist für Sie unentbehrlich? Ihre Hit-Liste?
Diagnostik: → Anamnese und Klinik leitet ! Blutbild* CRP*, BSR* TSH* Glucose* Leberwerte Kreatinin Ultraschall Abdomen Urinstick* Thorax-Bild* HIV-Test? Ferritin Hämocult*, Coloskopie? „Diagnostic investigations should be targeted at the most probable explanation of weight loss. Shotgun investigations have low yields.“ Am Fam Phys 2002;65:640-50 „Schrotschuss“ nicht sinnvoll Vanderschueren S. Eur J Intern Med 2005;16:160-164 *McMinn J. BMJ 2011;342d1732 doi (older adults)
Wertigkeit von Status, Thorax-Rx, Ultraschall Belgien, n=101, follow-up 6 Monate Metalidis C. Eur J Intern Med 2008;19:345-349
Wichtige Frage in Klammern Wie weiter, wenn eine initiale Evaluation (Anamnese, körperliche Untersuchung, Zusatzuntersuchungen) unergiebig bleibt? Welche Meinung haben Sie?
→ Watchfull waiting, da Prognose allgemein gut 101 Patienten Belgien, Universitätsspital Gewicht ↓ -10kg (-13%) innert 6 Monaten Alter 64 Jahre (51-71) 43% outpatients Normale initiale Evaluation in 25% Kein Malignom bei diesen im Verlauf (follow-up 9 Monate, 6-16) „Completely normal baseline studies argue against severe organic disease in general, and malignancy in particular.“ Metalidis C. Eur Journal Intern Med 2008;19:345-349 Vanderschueren S. Eur J Intern Med 2005;16:160-164 Hernandez J. Am J Med 2003;114:631-67 Reife C. Med Clin North Am 1995;79:299-313 Wallace J. Clin Geriatr Med 1997;13:717-735
Labor von A. Z. In Praxis abgenommen…. Urin Stick oB, Thorax p/a und seitl. oB
Wollen Sie noch weiteres Labor?
Ursachen für ungewollten Gewichtsverlust Gemeindespital Lüneburg / D 158 Patienten ungewollter Gewichtsverlust ≥ 5% in 6 Mo 1.3% aller zugewiesenen Patienten über 4 Jahre mit ungewolltem Gewichtsverlust 68 Jahre (27 – 92), 56% Frauen Lankisch PG. J Int Med 2001:249:41-46
Unterschiedliche Prävalenzen In- vs. Outpatients n=328, Universitätsspital Nordspanien Hernandez JL. Q J Med 2003;96:649-655
Depression: 2 Screening Fragen AHEDONIE: Hatten Sie während des letzten Monats häufig kein Interesse oder Freude, Dinge zu tun? STIMMUNG: Waren Sie während des letzten Monats häufig niedergeschlagen, deprimiert oder hoffnungslos? Arroll B. BMJ 2003;327(7424):1144-6.
> 5 Symptome Major Depression Kognitive Symptome: Schuld/Wertlosigkeit Suizidalität Konzentration Somatische Symptome: Schlaf Appetit Antrieb/Energie Psychomotorik > 5 Symptome Major Depression
Herr A.Z.: „Entzündung….“ Hb↓, BSR↑, CRP ↑ TSH normal Thoraxbild normal Blutkulturen negativ HIV neg. PSA normal Ultraschall Abdomen: -> verdickte Wand der Aorta DD Infektiologisch? Tumor? Rheumatologisch/ immunologisch? Differentialdiagnostische Gedanken?
Ultraschall Abdomen bei A. Z. „verdickte Wand der infrarenalen Aorta …..der Truncus coeliacus ist Bereich und Abgang der A. mesenterica superior wegen Luftüberlagerung nicht schlüssig beurteilbar… Bild: M. Aschwanden
„Buchtipp“ Magen-Ca , Colon-Ca HIV Endokarditis Virale Hepatits Malignome Magen-Ca , Colon-Ca HIV Endokarditis Virale Hepatits Giardiasis Tbc Fieber Schlechter Zahnstatus Ösophagus (Ca, Reflux) Diarrhö Pankreasinsuffizienz Malabsorption Entz. Darmerkrankung Hyperthyreose Unkontrollierter Diabetes Phäochromozytom Hypercalcämie Vaskulitiden Niereninsuffizienz (Urämie) Herzinsuffizienz Depression Anorexia nervosa Alkoholabusus Demenz Armut Exzessive körperl. Aktivität
Diagnose: Grossefässvaskulitis An was leidet Herr A.Z.? PET Diagnose: Grossefässvaskulitis
Besonderheiten beim älteren Menschen (> 65j) mit Gewichtsverlust Rolland Y. Am J Med 2006;119:1019-1026 McMinn J. BMJ 2011;342d1732 doi
Abklärung beim älteren Menschen mit Gewichtsverlust Grundsätzlich gleiche Strategie wie beim jungen Menschen, aber… → an Mangel- und Unterernährung denken! Risikofaktor für Morbidität, Mortalität, verminderte Lebensqualität gesunde ältere Menschen verlieren nur 0.1 -0.2 kg/Jahr* Shabbir M. CMJA 2005;172(6):773-780 *Wallance JI. Int J Cardiol 2002;85:15-21
Warum die Aufregung? Prävalenz 10-20% Malnutrierte ältere Menschen: 2 x häufiger zum Hausarzt 3x häufiger hospitalisiert Infektionen als häufigste Folge Tod 2-5 wahrscheinlicher bei Malnutrition Erniedrigte Muskelkraft Schlechtere Wundheilung Risikofaktoren für Tod OR Malnutrition 1.87* Alter 65 Jahre 2.30* Diagnose eines Malignoms 2.07* Chirurg. Eingriff 0.16* *p < 0.05 stay 2 times longer in the hospital Correia et al. Clin Nutr 2003; 22:235-239
„Tipp“ zur Fremdanamnese Genf n=132 81j Boumendjeil N. Lancet 2000;356:563
Malnutrition im Alter ist “die grössere Bedrohung” als Übergewicht Schweden 70j+ follow-up 15J Dey D. Eur J Clin Nutr 2001;55(6):482-492
Die 10 Hauptursachen eines Gewichtsverlustes beim älteren Menschen1 Dentition (Zahnstatus) Dysgeusie Dysphagia Diarrhea Disease (chronic) Dysfunction (Sozialstatus) Depression Demetia (auch late life paranoia) Drugs Don‘t know - Tod des/der Partners/Partnerin - Armut, Isolation - „Kochen, Deformation der Hände, Tremor, Kognition, Visus…“ - „Glatteis, Regen, …“ nach Robbins L. Geriatrics 1989;44:31-37 McMinn J. BMJ 2011;342d1732 doi
Therapie Behandelbaren Grund suchen Mirtazapine (Remeron): Appetit steigernd und antidepressiv1 Metoclopramid (Motilium): Lingualtablette präprandial Nahrungszusätze (energy drinks)2 Behandelbaren Grund suchen (1) Rolland Y. Am J Med 2006;119:1019-1026 (2) Milne A. Cochrane Database Syst Rev. 2009 Apr 15;(2):CD003288.
Take home message Ungewollter Gewichtsverlust dokumentiert (> 5% in 6 Mte?) Breite Differentialdiagnose abhängig vom Setting Liste der DD „abarbeiten“ Anamnese und Status definieren weitere Abklärungen Kein diagnostischer Schrotschuss In etwa 25% bleibt die Ursache unklar Watchful waiting, wenn initiale Evaluation normal Gastrointestinale Malignome am häufigsten Elderly: „Liste der 10 D“
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!
Quelle Intranet USB