Anfechtung von Willenserklärungen nach §§ 119 ff BGB

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 Präsentation transkript:

Anfechtung von Willenserklärungen nach §§ 119 ff BGB

Ziel: ►Vernichtung einer Willenserklärung bzw Ziel: ►Vernichtung einer Willenserklärung bzw. eines Rechtsgeschäfts ►Wirknorm: § 142 I BGB

§ 142 I BGB: Tatbestand der Wirknorm: „Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten...“ Rechtsfolge: „...so ist es von Anfang an als nichtig anzusehen.“

Einleitung der Prüfung: Rechtsfolge als Fallfrage: "Die Willenserklärung des X könnte gem. § 142 I BGB als von Anfang an nichtig anzusehen sein.“ Tatbestand als Voraussetzung: Wirksame Anfechtung

I. Anwendbarkeit der §§ 119 ff BGB Vorrangige Spezialregelungen? z.B.: Erbrecht (§§ 1949, 1954 f,1956; 2078 ff BGB) Familienrecht (§ 1314 BGB) Anfechtbarkeit von geschäftsähnlichen Handlungen? Anwendung bei Erklärungen ohne Erklärungsbewußtsein? (Keine) Anwendbarkeit auf Rechtsscheintatbestände mit Erklärungsfiktion Konkurrenz von § 119 II zum Gewährleistungsrecht Anfechtung dinglicher Rechtsgeschäfte?

II. Zulässigkeit d. Anfechtung Keine Anfechtung bei nicht erkennbarem Handeln in fremden Namen, § 164 II BGB Keine Anfechtung bei Irrtum über das vertragstypische Risiko (Risikogeschäfte). Modifizierte Rechtsfolgen im Gesellschafts- und Arbeitsrecht ("Fehlerhaftes Arbeits- bzw. Gesellschaftsverhältnis)

III. Anfechtungsgrund Irrtum in der Erklärung (§§ 119 I, 120) als Inhaltsirrtum (§ 119 I Alt. 1) Erklärungsirrtum (§ 119 I Alt. 2) Übermittlungsirrtum (§ 120) Eigenschaftsirrtum (§ 119 II) Arglistige Täuschung (§ 123 Alt. 1) Rechtswidrige Drohung (§ 123 Alt. 2)

Inhaltsirrtum Erklärender benützt das gewollte Erklärungszeichen, verkennt aber dessen Bedeutung Wichtig: Liegt nicht vor bei bewußter Unkenntnis (Erklärung „tel quel“).

Erklärungsirrtum (Irrung) Erklärender benützt ein anderes Erklärungszeichen, als gewollt (Verschreiben etc.) Wichtig: Abgrenzung zu Fehlleistungen bei der Vorbereitung der Willenserklärung (unbeachtlicher Motivirrtum, z.B. Kalkulationsirrtum, Verschreiben bei der Preisauszeichnung)

Eigenschaftsirrtum, § 119 II BGB Charakter: Ausnahmsweise beachtlicher Motivirrtum Eigenschaft: Alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die infolge ihrer Beschaffenheit und Dauer auf die Brauchbarkeit und die Wertschätzung der Person oder Sache von Einfluß sind und in der Person oder Sache selbst ihren Grund haben, von ihr ausgehen und sie kennzeichnen oder näher beschreiben. Nicht der „gemeine Wert“ einer Sache. Verkehrswesentlichkeit: Nach der Verkehrsanschauung im Hinblick auf das konkrete Geschäft wird die Eigenschaft als wertbildend angesehen. A.A. Theorie vom rechtsgeschäftlichen Eigenschaftsirrtum: Im jeweiligen Rechtsgeschäft (konkludent) vereinbarte Eigenschaften (= Ausschluß einseitiger Vorstellungen einer Partei)

Übermittlungsirrtum, § 120 BGB Unbewußt falsche Übermittlung durch Erklärungsboten Wichtig: Bei bewußt falscher Übermittlung keine Zurechnung an den „Erklärenden“ (-> Bote ohne Botenmacht, §§ 177 ff BGB analog), d.h. eine Anfechtung ist unnötig, da keine WE vorliegt.

Arglistige Täuschung, § 123 I Alt. 1 BGB Arglist = (bedingter) Vorsatz Rechtswidrigkeit: Vom Gesetz vorausgesetzt. (Wenige) ungeschriebene Ausnahmen bei unzulässigen Fragen („Recht auf Lüge“) Täuschung: Erregen oder Aufrechterhalten eines Irrtums beim Vertragspartner Täuschung durch Dritte (§ 123 II 1): "Dritter" ist nicht, wer "im Lager" des Erklärungsgegners steht, insbes. also nicht Vertreter und Verhandlungsgehilfe

Rechtswidrige Drohung Drohung: Ankündigung eines Übels, auf dessen Eintritt sich der Erklärende Einfluß zuschreibt (Abgrenzung zur Warnung) Widerrechtlichkeit: Bei Rechtswidrigkeit des Zwecks Bei Rechtswidrigkeit des Mittels Rechtswidrigkeit der Zweck-Mittel-Relation: Hat der Drohende ein berechtigtes Interesse an der Erreichung des verfolgten Zwecks und kann die Drohung nach Treu und Glauben noch als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zwecks angesehen werden?

IV. Kausalität des Anfechtungsgrundes für die Abgabe der Willenserklärung Irrtumsanfechtung (§ 119): Objektive Filterung („...und bei verständiger Würdigung des Falles“) Täuschung/Drohung (§ 123): WE darf ohne die Täuschung/Drohung nicht, nicht so oder nicht zu dieser Zeit abgegeben worden sein

V. Anfechtungserklärung, § 143 I BGB Charakter: Empfangsbedürftige Willenserklärung, einseitiges Rechtsgeschäft (Gestaltungsrecht), bedingungsfeindlich Inhalt: Muß erkennen lassen, daß die Erklärung wegen eines Willensmangels nicht gelten soll Adressat: Zweiseitige Rechtsgeschäfte: Vertragspartner, § 143 II Einseitige empfangsbed. WE: Erklärungsgegner, § 143 III Nicht empfangsbed. WE: Unmittelbar rechtlich Begünstigter, § 143 IV

VI. Anfechtungsfrist, §§ 121, 124 BGB Irrtumsanfechtung, § 121 BGB: Unverzüglich (Legaldef.: „ohne schuldhaftes Zögern“) Fristbeginn: Kenntnis des Anfechtungsgrundes Fristwahrung mit Absendung Täuschung/Drohung, § 124 BGB: 1 Jahr Fristbeginn: Kenntnis der Täuschung (einschl. Arglist!) bzw. Ende der Zwangslage Fristwahrung mit Zugang Absolute Ausschlußfrist: 10 Jahre nach Abgabe der WE (§ 121 II, 124 III BGB)

VII. Ausschluß der Anfechtung bei Bestätigung, § 144 BGB Bestätigungswille Auch konkludent möglich (z.B. Durchführung des Vertrags in Kenntnis der Anfechtbarkeit)

VIII. Wirkungen der Anfechtung Ex tunc-Nichtigkeit der angefochtenen Willenserklärung, § 142 I BGB Rückabwicklung erbrachter Leistungen aus ungerechtfertigter Bereicherung, § 812 I Alt. 1 BGB (Leistungskondiktion) Bei in Vollzug gesetzten Arbeits- oder Gesellschaftsverhältnissen Nichtigkeit nur ex-nunc Ausschluß des Reuerechts: Anfechtungsgegner kann den Anfechtenden im Falle von § 119 I BGB am wirklich Gewollten festhalten Kenntnis der Anfechtbarkeit = Kenntnis der Nichtigkeit, § 142 II BGB. Wichtig für §§ 687 II, 819 I, 892, 932, 989 f

IX. Schadensersatzanspruch des Anfechtungsgegners § 122 BGB: Verschuldensunabhängig Ersatz des Vertrauensschadens Maximal Erfüllungsinteresse Kein SE bei Kenntnis/grobfahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgrundes Culpa in contrahendo: Verschulden des Anfechtenden (§ 276 BGB) Keine Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse

X. Schadensersatzanspruch des Anfechtenden Mögliche Anspruchsgrundlagen: Culpa in contrahendo (§§ 280 I, 311 II, 241 II BGB) § 823 II i.V.m. Schutzgesetz (§ 263 StGB, § 240 StGB, § 253 StGB), § 826 BGB.

XI. Komplementäre Rechtsinstitute Vertragsaufhebung wg. c.i.c. Problem: Konkurrenz zu §§ 123, 124 BGB Vertragsanpassung wg. c.i.c. Problem: Kausalität: BGH NJW 1989, 1793

XII.Prüfungsreihenfolge in der Klausur: Zulässigkeit der Anfechtung (Konkurrenzen) Anfechtungsgrund Irrtum über Inhalt und Erklärung (§119 I BGB) Irrtum: unbewußtes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung Kausalität zwischen Irrtum und Inhalt der Erklärung Objektive Erheblichkeit Irrtum über wesentliche Eigenschaften (§ 119 II BGB) Anwendbarkeit (Konkurrenz insbes. zu §§ 459 ff BGB) Irrtum über die Eigenschaft einer Person oder "Sache" (Eigenschaftsbegriff) Verkehrswesentlichkeit der Eigenschaft Kausalität

Unrichtige Übermittlung (§ 120 BGB) Einschaltung eines Erklärungsboten Unbewußte unrichtige Übermittlung Arglistige Täuschung (§ 123 BGB) Täuschung Irrtum Kausalität zwischen Täuschung, Irrtum und Abgabe der Willenserklärung Arglist Widerrechtliche Drohung (§ 123 BGB) Drohung Kausalität zwischen Drohung und Abgabe der Willenserklärung Vorsatz Widerrechtlichkeit Anfechtungserklärung § 143 BGB Inhalt Adressat Anfechtungsfrist (§§ 121, 124 BGB) Kein Ausschluß der Anfechtung (§ 144 BGB)

Das war‘s theoretisch! Übungsfälle: Köhler, PdW Allgemeiner Teil, Fälle 54 - 70