Fachtagung: Die Verankerung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – den Prozess mitgestalten am 25. Juni 2009 in Berlin.

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 Präsentation transkript:

Fachtagung: Die Verankerung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – den Prozess mitgestalten am 25. Juni 2009 in Berlin Arbeitsgruppe 4: Gleiche Anerkennung als Rechtsperson – Was muss sich in Betreuungsrecht und –praxis ändern? Die verschiedenen Versionen für den Titel finden Sie auf den Seiten 1-3. Hier können Sie sich entscheiden zwischen Layouts mit und ohne Bildern. Um mehr Folien einzufügen bitte Folie mit gewünschtem Layout duplizieren: Einfügen -> Folie duplizieren – Nicht gewünschte Folien löschen

Der Paradigmenwechsel des Art Der Paradigmenwechsel des Art. 12 Behindertenrechtskonvention (BRK) vom Prinzip der Stellvertretung zur unterstützten Selbstbestimmung: Menschen mit Behinderungen haben das Recht, überall als Rechtssubjekt anerkannt zu werden und in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit zu genießen (Art. 12 Abs. 1 und 2 BRK)

Rechtsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Nach § 1 BGB ist jeder Mensch mit Vollendung seiner Geburt rechtsfähig. Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit zu rechtlich relevantem Handeln. Der Oberbegriff der Handlungsfähigkeit umfasst vor allem Die Geschäftsfähigkeit als Fähigkeit zur eigenständigen Vornahme von Rechtsgeschäften, z. B. Vertragsabschlüssen; Die Einwilligungsfähigkeit als Fähigkeit, in ärztliche Heileingriffe oder sonstige medizinische Maßnahmen, wie z. B. eine Sterilisation oder einen Eingriff zu Forschungszwecken, einzuwilligen; Die Deliktsfähigkeit als Fähigkeit, sich durch unerlaubte Handlungen schadenersatzpflichtig zu machen (§ 827 ff. BGB).

Die Anerkennung gleichberechtigter Rechts- und Handlungsfähigkeit postuliert eine Abkehr von dem traditionell in den meisten Rechtsordnungen gebräuchlichen Prinzip, behinderte Menschen ganz oder teilweise für geschäftsunfähig zu erklären und ihnen insoweit einen Vertreter zuzuordnen. Unbestritten ist allerdings, dass viele Menschen mit Behinderung Unterstützung bei ihrer Teilhabe am Rechtsleben benötigen.

Nach Art. 12 Abs. 3 sollen deshalb die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um Menschen mit Behinderung Zugang zu de Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit ggfs. benötigen Die BRK setzt damit auf ein Modell der Assistenz – der Begriff der Stellvertretung findet keine Erwähnung

Maßnahmen zum Schutz behinderter Menschen Art. 12 Abs. 4 BRK: Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass zu allen die Ausübung der rechts- und Handlungsfähigkeit betreffenden Maßnahmen im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen geeignete und wirksame Sicherungen vorgesehen werden, um Missbräuche zu verhindern. Diese Sicherungen müssen gewährleisten, dass bei den Maßnahmen betreffend die Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit die Rechte, der Wille und die Präferenzen der betreffenden Person geachtet werden, es nicht zu Interessenkonflikten und missbräuchlicher Einflussnahme kommt, dass die Maßnahme verhältnismäßig und auf die Umstände der Person zugeschnitten sind, dass sie von möglichst kurzer Dauer sind und dass sie einer regelmäßigen Überprüfung durch eine zuständige, unabhängige und unparteiische Behörde oder gerichtliche Stelle unterliegen.

Art. 12 BRK und das deutsche Betreuungsrecht Keine Prüfung von Geschäftsfähigkeit bei Anordnung der Betreuung, Betreuter bleibt handlungsfähig, Vorrang des Selbstbestimmungsrechts, § 1901 Abs. 2 Satz 2 BGB Betreuer muss Wünsche des Betreuten beachten, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft, § 1901 Abs. 3 BGB Das Betreuungsrecht ist damit im Grundsatz auf den Vorrang des Selbstbestimmungsrechts und den Verzicht auf Fremdbestimmung angelegt.

Prinzip der gesetzlichen Vertretung - § 1902 BGB: Der Betreuer ist in seinem Aufgabenkreis gesetzlicher Vertreter des betreuten Menschen; er verfügt damit über das Kriterium des Wohls über ein Korrektiv, um nachteilige Rechtsfolgen für den betreuten Menschen zu verhindern. Notfalls kann er ohne oder gegen den Willen des Betreuten in dessen Namen Entscheidungen treffen.

Beschränkung der Geschäftsfähigkeit durch den Einwilligungsvorbehalt - § 1903 BGB: Nach § 1903 BGB kann zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten angeordnet werden, dass er für Willenserklärungen, die den Aufgabenkreis des Betreuers betreffen, die Zustimmung des Betreuers benötigt (Einwilligungsvorbehalt). Dadurch wird im Ergebnis eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit des betreuten Menschen bewirkt.

Zweck der Instrumente der Vertretung - § 1902 (im Rahmen der Erforderlichkeit stets am Vorrang der Selbstbestimmung bzw. am Wohl orientiert) sowie des Einwilligungsvorbehaltes - § 1903 (nur zur Abwehr einer erheblichen Schadensgefahr zulässig) ist der Schutz behinderter Menschen vor nachteiligen Rechtsfolgen – gleichwohl sind sie in dieser Form auf ihre Vereinbarkeit mit der Garantie der vollen Rechts- und Handlungsfähigkeit des Art. 12 BRK zu überprüfen

Weitere Regelungen, die auf Ihre Vereinbarkeit mit der BRK zu überprüfen sind: § 1905 BGB – Sterilisation – Ersetzung der Einwilligung einer einwilligungsunfähigen Volljährigen durch die eines Betreuers – nach Art. 23 Abs. 1 c BRK sind die Vertragsstaaten zu gewährleisten verpflichtet, dass Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern, gleichberechtigt mit anderen ihre Fruchtbarkeit behalten; Der Verlust des Wahlrechts bei Betreuung „für alle Angelegenheiten“ u. a. nach § 13 BundesWahlG – nach Art. 29 BRK garantieren die Vertragsstaaten die politischen Rechte sowie das Recht und die Möglichkeit, zu wählen und gewählt zu werden;

Weitere zu überprüfende Regelungen (Forts.) § 1906 BGB und PsychKG der Länder: Recht und Praxis der freiheitsentziehenden Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung bzw. zur Ermöglichung von Behandlung – nach Art. 14 BRK gewährleisten die Vertragsstaaten, dass jede Freiheitsentziehung im Einklang mit dem Gesetz erfolgt und dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt; §§ 104 f. BGB – Recht der Geschäftsunfähigkeit und deren Rechtsfolge der rückwirkenden Nichtigkeit aller Willenserklärungen – Art. 12 BRK garantiert die Rechts- und Handlungsfähigkeit behinderter Menschen.

Position der Bundesregierung – Denkschrift zu Art. 12 BRK: „Gleichberechtigt mit anderen bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen unter denselben Voraussetzungen wie Menschen ohne Behinderungen Rechts- und Handlungsfähigkeit beanspruchen können. Sie sind uneingeschränkt rechtsfähig. Sie können aber wie Menschen ohne Behinderung aufgrund ihres jugendlichen Alters oder wegen fehlender Willens- und Einsichtsfähigkeit in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt sein. Sowohl die Geschäftsfähigkeit als auch die Deliktsfähigkeit setzen voraus, dass ein Mensch in der Lage ist, die Bedeutung seines Verhaltens zu beurteilen und auch nach dieser Einsicht zu handeln. Nur dann kann ihm die Rechtsordnung auch die Folgen seines Handelns zurechnen, d. h. ihn als geschäfts- und deliktfähig ansehen“.

Kernproblem: angemessener Schutz Der Grundsatz der vollen Handlungsfähigkeit hat zur Konsequenz, dass die Rechtsfolgen sämtlicher durch oder für einen Menschen mit Behinderung abgegebenen Erklärungen diesem auch zugerechnet werden. Wie kann in einem „Assistenzmodell“ gewährleistet werden, dass die von „Assistenten/Unterstützern“ (Angehörige, Mitarbeiter, sonstige Vertrauenspersonen) erklärten/vermittelten Entscheidungen den Willen der/des Betreuten beinhalten und Missbrauch und Ausbeutung ausgeschlossen sind?

Wichtig: Die BRK bindet nicht nur die Legislative, sondern die Vertragsstaaten insgesamt d. h. auch die laufende Praxis und Umsetzung des geltenden Betreuungs- und Unterbringungsrechts durch Behörden und Gerichte ist an den Inhalten der BRK zu messen! Da Struktur und Inhalt eines kompletten „Systemwechsels“ von der Vertretungs- zur Assistenzlösung auch nicht ansatzweise entwickelt sind, empfiehlt es sich, zunächst spezifische Problembereiche des Betreuungs- und Unterbringungsrechts zu identifizieren und Maßnahmen zur Abhilfe zu entwickeln

Beachtung der Leitbildfunktion der BRK bei der Anwendung und Umsetzung des geltenden Rechts durch Gerichte, Behörden, Gutachter, Betreuerinnen und Betreuer; Überprüfung und Weiterentwicklung der betreuungsrechtlichen Infrastruktur (siehe auch VGT e.V.: Zur rechts- und sozialpolitischen Diskussion um die Weiterentwicklung des Betreuungsrechts, BtPrax 1/2009, S. 25 ff.; www.vgt-ev.de)

Schritte von der Vertretung zur Unterstützung : Entwicklung und Einführung von Unterstützungsmodellen, die als „andere Hilfen“ im Sinne von § 1896 Abs. 2 BGB der Anordnung einer Betreuung vorrangig sind: Die breit diskutierte Personenzentrierung von Unterstützungsleistungen erfordert die Bereitstellung eines Beratungs- und Unterstützungsmanagements für Menschen mit Behinderung, mit dem das Betreuungsrecht sachgerecht vernetzt ist, Förderung und Unterstützung von Selbstvertretungsinitiativen, Netzwerken familiärer und sonstiger Unterstützerkreise, Aufklärung und Information über bestehende Rechte, auch in barrierefreier Form