Kinder, Jugendliche und Eltern mit Migrationshintergrund in der Rehabilitation Prof. Dr. Theda Borde Nachhaltige Stärkung der Kinder, Jugendlichen und Eltern in der Kinder- und Jugendrehabilitation 17.4.2019, Maritim Berlin
BEVÖLKERUNG IN DEUTSCHLAND Alterspyramide 2016 nach Migrationserfahrung deutliche regionale Unterschiede Stadt – Land Ost - West Kein Migrations-hintergrund 23,4 % Migrationshintergrund 11,5 % ausländische Staatsangehörigkeit jedes 3. Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund MH eigene Migra-tionserfahrung „Migrationshintergrund“ (seit 2005) = selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren MH in Deutschland geboren Statistisches Bundesamt 2017
FAMILIEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND 34% der Kinder in Deutschland davon 14% mit eigenen Migrationserfahrung Zur Familie zählen alle Haushalte, in denen Elternteile mit mindestens einem Kind unter 18 Jahren zusammenleben. Juni 2017
SOZIOÖKONOMISCHE LAGE IM VERGLEICH Juni 2017
GESUNDHEIT VON KINDERN UND JUGENDLICHEN Kinder- und Jugendgesundheitssurvey seit 2003 Bislang die einzige gesundheitsbezogene Querschnittstudie mit einer ausreichenden Fallzahl an Menschen mit Migrationshintergrund. Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund im Vergleich zur Stichprobe ohne Migrationshintergrund häufiger seltener Übergewicht Anämie ungünstiges Mundgesundheitsverhalten Merkmale psychischer Störungen allergische Erkrankungen Skoliose Diagnose Migränediagnose (RKI 2008) Wechselwirkungen verschiedener sozialer Determinanten v. Gesundheit Gesundheitschancen variieren nach Alter & Geschlecht Herkunftsland Aufenthaltsdauer sozioökonomischem Status (Lampert 2015). untere Sozialstatusgruppe 45,1% der Kinder und Jugendlichen mit beidseitigem Migrationshintergrund 13,6% der Kinder und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund) (Frank et al. 2018- KIGGS 2. Welle)
REICHT „MIGRATIONSHINTERGRUND“ ALS DEFINITION ? Sammelbegriff „Migrationshintergrund“ bildet die Verschiedenheit der Lebenslagen von Geflüchteten, Immigranten/-innen und deren direkte Nachkommen nicht ab! Migrationshintergrund umfasst im Ausland geboren ein Elternteil im Ausland geboren beide Eltern im Ausland geboren lange Aufenthaltsdauer in Deutschland kurze Aufenthaltsdauer deutsche Staatsangehörigkeit ausländische Staatsangehörigkeit befristete Aufenthaltserlaubnis unbefristete Aufenthaltserlaubnis ausgezeichnete Deutschkenntnisse geringe Deutschkenntnisse verschiedene Herkunftsländer, Ethnizitäten, Religionen ... Diversität und damit verbundene diverse Lebenslagen innerhalb der Bevölkerung mit „Migrationshintergrund“ verschwimmen. super-diversity (Vertovec 2007)
GESUNDHEIT UND GESUNDHEITSVERSORGUNG VON IMMIGRANTINNEN Zusammenhang von sozialer und gesundheitlicher Benachteiligung mangelnde Repräsentation von Immigranten/-innen in Patientenbefragungen Barrieren beim Zugang und bei der Inanspruchnahme eingeschränkte sprachliche Verständigung Vergleichsweise geringe Gesundheitskompetenzen In Deutschland nur wenige aktuelle Studien der Versorgungsforschung, die Migrationsfaktoren und die Diversität der Patienten/-innen angemessen berücksichtigen! ImmigrantInnen meist schlechterer Gesundheitsstatus Fehl-, Über und Unterinanspruchnahme der Gesundheitsversorgung Unzufriedenheit des Personals mit der Behandlungssituation geringere Qualität der Versorgung (Borde 2008, Lampert et al. 2016, Rechel 2013, Babitsch et al. 2008, Ellert et al. 2015, Schaeffer 2015)
Gefühlt häufig - aber nicht systematisch erfasst ! SPRACHBARRIEREN Gefühlt häufig - aber nicht systematisch erfasst ! Angaben zur Häufigkeit variieren zwischen 10% und 30% der PatientInnen mit MH (Langer et al. 2017, Ulrich et al. 2016, BBMFI 2014, Brenne et al. 2015) geringe Dolmetschkompetenzen Eile Parteilichkeit Schamgefühle falsche Übersetzungen Auslassungen Verzerrungen Filtern u. Verschweigen von Informationen meist Laiendolmetscher/-innen (z.B. Familienangehörige) Standards guter Kommunikation sind nicht erfüllt Langer et al. 2017, Kinder- und Jugendklinikstudie in NRW)
Beispiel: Rehabilitation bei Erwachsenen Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation bei Personen mit Migrations-hintergrund aus der Türkei weniger effektiv als bei Einheimischen (Schott et al 2015). Ursachen: sprachliche Verständigungsprobleme & sozio-kulturell divergierende Aspekte der Kommunikation Folgen: Ausschluss aus sprachbasierten Therapiemodulen aktive Teilnahmeverweigerung bei Rehabilitationsmaßnahmen
GESUNDHEITSKOMPETENZEN (HEALTH LITERACY) Unterschiede bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Deutschland (Schaeffer et al. 2016) Migrationshintergrund geringe Bildung chronische Erkrankung höheres Alter geringere Gesundheitskompetenzen
WIE RESPONSIV IST DIE KINDER- UND JUGENDREHABILITATION IN DER EINWANDERUNGSGESELLSCHAFT ? Haltung Responsiv sind Systeme, Institutionen und Einrichtungen, die Gesundheitsinformationen, Ressourcen, Unterstützung und Umgebungen so gestalten und anbieten, dass sie für Menschen mit unterschiedlich geprägter Gesundheitskompetenz (und Sprachpräferenz) gleichermaßen zugänglich und nutzbar sind (vgl. Dodson et al 2017). Qualifikation Strukturen Qualifizierte Sprachmittlung Patientenorientierung Es ist eine Organisationskultur notwendig, in der die Gesundheitsversorgung den Patientenwerten und -präferenzen unbedingten Vorrang einräumen und auch die Fähigkeit haben, diese den Patienten zu entlocken (Légaré und Witteman 2013: 279). Familienorientierung Elternarbeit Partizipation u.a bei der Entscheidungsfindung
ZUGÄNGLICHKEIT ? INANSPRUCHNAHME ? WIRKSAMKEIT ? Kinder- und Jugendrehabilitation Was ist aktuell nötig, um von Rehabilitationsangeboten zu erfahren, sie nutzen und davon profitieren zu können ? Information - Beratung - stationär - Nachsorge „Wenn eine Frau nicht ausreichend Deutsch spricht, dann ist eine Vermittlung in eine Kur nicht möglich.“ (Interview 6) „... die psychosoziale Betreuung fällt aus, da wir kein Personal dafür haben und keine Dolmetscherinnen.“ (Interview 1) „Wir haben keine professionellen Dolmetscher, daher gibt es eigentlich keine Beratung für Frauen, die kein Deutsch sprechen.“ (Interview 5) „Es wäre nötig, Dolmetscherinnen einzusetzen oder Kolleginnen mit entsprechenden Sprachkompetenzen.“ (Interview 4) „Es gibt auch keine Kurklinik für Frauen ohne Deutschkenntnisse.“ (Interview 6) Nicht repräsentative Befragung von MitarbeiterInnen von Mütter sowie Mutter-Kind-Kurmaßnahmen im September 2017