Wirkung, Wirksamkeit und Wirkungskontrolle in der Eingliederungshilfe Wirksamkeit aus Sicht der Selbsthilfeverbände 20. März 2018 in Gelsenkirchen Carl-Wilhelm Rößler Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Köln
Überblick Wirksamkeit aus Betroffenensicht Maßstäbe aus Betroffenensicht, insbesondere UN-BRK Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Verträge zwischen Leistungserbringern und Leistungsträgern Zweck der Wirkungsmessung Perspektive und Maßstäbe der Wirkungsanalyse Fazit und Ausblick
Wirksamkeit aus Betroffenensicht Anlass für Wirksamkeitskontrolle und Steuerung Zielkonflikt bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes Verbesserung der Teilhabesituation behinderter Menschen einerseits Begrenzung der aktuellen, Verhinderung einer neuen Ausgabendynamik andererseits für den Bereich der Eingliederungshilfe Beide Ziele stehen parallel nebeneinander, viele Betroffene haben den Eindruck, dass die fiskalischen Gesichtspunkte im Vordergrund stehen
Wirksamkeit aus Betroffenensicht Auch behinderte Menschen haben ein Kostenbewusstsein Erkenntnis, dass in das System der Eingliederungshilfe hohe finanzielle Mittel eingespeist werden Teilhabesituation ist jedoch in vielen Fällen unbefriedigend, da nicht ausreichend unterstützt Fehlende Passgenauigkeit macht Teilhabeleistungen kostenintensiv und ineffizient Nach wie vor zu hoher Anteil an institutionalisierten Leistungen der Eingliederungshilfe Abwarten, ob Paradigmenwechsel der angeblichen Personenzentrierung insoweit Abhilfe schaffen kann
Wirksamkeit aus Betroffenensicht Wann ist eine Teilhabeleistung aus Betroffenensicht wirksam? Teilhabeleistungen müssen sich an den individuellen Bedürfnissen des Einzelfalles orientieren und ausreichend finanziell hinterlegt werden Eigene Ziele des behinderten Menschen müssen als förderungswürdig akzeptiert und durch Teilhabeleistungen unterstützt werden Umfassendes Wunsch- und Wahlrecht der betroffenen Menschen Auch bezogen auf „unvernünftige“ Teilhabeziele Diese Ziele müssen durch Teilhabeleistungen kausal ermöglicht werden
Maßstäbe aus Betroffenensicht (UN-BRK) Grundlegender Maßstab: Prinzipien der UN-Behindertenrechtskonvention Volle und wirksame Teilhabe, gleichberechtigt mit anderen Zugang und Genuss der Allgemeinen Menschenrechte Kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderung, lediglich Gewährleistung dessen, was für Menschen ohne Behinderung selbstverständlich ist Teilhabe als Menschenrecht
Maßstäbe aus Betroffenensicht (UN-BRK) Ob und inwieweit die jeweiligen Ziele erreicht werden, ist primär eine Frage der Sichtweise des betroffenen Menschen im Einzelfall Bezieht sich sowohl auf die anzustrebenden Ziele als auch auf die im Einzelfall bewilligten Teilhabeleistungen (Nebeneinander von Ziel und Weg) Beispiel: Assistenzleistungen als manuelle Handreichung nach Anleitung des behinderten Menschen, kein Aufzwängen von sog. „qualifizierter“ Assistenz Kein Zwangspoolen, da dies das Ziel der individuellen Teilhabe unterläuft
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Koalitionsvertrag von 2013 (Auftrag zur Schaffung eines neuen BTHG) sah ausdrücklich vor, Menschen mit wesentlicher Teilhabebeeinträchtigung aus dem System der Sozialhilfe herauszuführen BTHG in der geltenden Fassung behält die Zuordnung der Eingliederungshilfe zum System der Fürsorge ausdrücklich bei Wesentlicher Kardinalfehler des BTHG
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Negative Konsequenzen für Menschen mit Behinderung: Machtgefälle zwischen Leistungsträgern und Leistungsberechtigten ist nirgendwo größer als im System der Fürsorge Zuordnung zum System der Fürsorge allein aufgrund des Umstands der Behinderung wird als Herabwürdigung und Demütigung empfunden Gefahr der „traditionellen“ Auslegung elementarer Begrifflichkeiten nach Maßstäben der klassischen Sozialhilfe Beispiel: Vermögensanrechnung, Teilhabe an Bildung
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Konsequenzen der Zuordnung zur Fürsorge für die Bedarfsermittlung, Steuerung und Wirksamkeitskontrolle: Eingliederungshilfe hat sich im BTHG ein gegenüber dem SGB IX Teil 1 deutlich stärkeres und restriktiveres Instrumentarium der Steuerung und Kontrolle ausbedungen Keine sachliche Rechtfertigung für diese Sonderstellung zugunsten der Eingliederungshilfe erkennbar
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Teilhabeplanung nach SGB IX Teil 1 und Gesamtplanung nach Teil 2 verfolgen dasselbe Ziel Auch die anderen Rehabilitationssysteme des SGB IX (Zuständigkeitsbereich des Teil 1) unterliegen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Sonderregelungen der Eingliederungshilfe somit weder zielführend noch gerechtfertigt
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Beispiele für Schlechterstellung der Eingliederungshilfe § 8 Abs. 1 SGB IX: Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten Bei der Entscheidung über Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen BSG stellt auch berechtigten Wünsche unter einen Angemessenheitsvorbehalt § 104 Abs. 2 SGB IX: Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung § 119 Abs. 1 S. 3 SGB IX: Gesamtplankonferenz Den Vorschlag auf Durchführung einer Gesamtplankonferenz kann der Träger der Eingliederungshilfe ablehnen, wenn der maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann oder der Aufwand zur Durchführung nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Umfang der beantragten Leistungen steht Darlegung der Ablehnungsgründe nicht erforderlich Im SGB IX Teil 1 müssen diese Gründe dargelegt werden
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Auch das Bedarfsermittlungsverfahren NRW (neu) beinhaltet das Instrument der Gesamtplankonferenz Möglichkeit der Verweigerung einer solchen Konferenz ist de jure auch hier gegeben Ungenauigkeit des Begriffs der Unangemessenheit des Aufwands einer Konferenz Angebliche Unangemessenheit kann sich aus der Relation zwischen finanziellem Leistungsumfang und Aufwand für die Konferenz ergeben Auch kleine Teilhabeleistungen können für Menschen mit Behinderung sehr wichtig sein einschließlich des Rechts, hierüber in einer Konferenz sprechen zu können
Eingliederungshilfe als Fürsorgeleistung Angebliche Unangemessenheit könnte theoretisch auch dadurch entstehen, dass zur Herstellung einer adäquaten Kommunikation in einer solchen Konferenz erhebliche Aufwendungen zu bewältigen wären Insbesondere Gebärdensprache, sogenannte Leichte Sprache Derartige Unzulänglichkeiten im Gesetz müssen durch entsprechendes Problembewusstsein und eine positive Haltung der Beteiligten kompensiert werden
Verträge zw. Leistungsträger und -anbieter Rahmenverträge müssen so ausgestaltet werden, dass genug Gestaltungsspielraum verbleibt, um für jeden Einzelfall ein an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtetes Leistungsangebot unterbreiten zu können Aufgabe an den derzeitigen Prozess der Vertragsverhandlungen Persönlicher Eindruck meinerseits durchaus positiv
Zweck der Wirkungsmessung Intensität der Steuerungsmöglichkeiten und Kontrollbefugnisse verdrängt die Sichtweise von Menschen mit Behinderung Träger der Eingliederungshilfe lassen sich „das Heft nicht aus der Hand nehmen“ Hohes Interesse an einer Begrenzung der bisherigen und Verhinderung einer neuen Ausgabendynamik darf nicht übersehen werden, ist aber zu kritisieren Kostensteigerungen aktuell fast ausschließlich auf Steigerung der Fallzahlen zurückzuführen Keine Zugangserleichterungen im Gesetz vorgesehen
Zweck der Wirkungsmessung Steigerung der Fallzahlen im Wesentlichen auf höhere Lebenserwartung und medizinischen Fortschritt und historische Entwicklungen zurückzuführen Entwicklung bei den Fallzahlen ist aus Betroffenensicht hinzunehmen Verbesserung der Teilhabesituation muss zudem Vorrang haben vor fiskalischen Überlegungen, da Teilhabe inzwischen als Menschenrecht gesehen wird Wirkungsmessung muss daher primär an den Auswirkungen auf die Teilhabesituation erfolgen
Perspektive, Maßstäbe der Wirkungsanalyse Sichtweise der Leistungsberechtigten muss deutlich stärker als bisher in den Mittelpunkt der Wirkungsanalyse gestellt werden Teilhabe als subjektives Menschenrecht Maßstäbe müssen somit die Handlungsoptionen und –perspektiven sein, die auf der Grundlage der Allgemeinen Menschenrechte einem Menschen offenstehen
Perspektive, Maßstäbe der Wirkungsanalyse Problembewusstsein für die Argumente aus Betroffenensicht ist dringend notwendig, um die strukturellen Fehler des BTHG zumindest teilweise zu kompensieren Dies setzt eine entsprechende Haltung und eine Offenheit gegenüber den Maßstäben der UN-BRK auf Seiten der Beteiligten voraus Gefahr durch Dezentralisierung AG BTHG NRW (Entwurf) gibt weitreichende Möglichkeiten, Angelegenheiten der Eingliederungshilfe von der überörtlichen auf die örtliche Ebene zu verlagern (Heranziehung)
Perspektive, Maßstäbe der Wirkungsanalyse Erfahrung und Haltung ist auf der örtlichen Ebene vielfach (noch) nicht in diesem Sinne vorhanden Stärkung der Instrumente der Steuerung und Wirksamkeitskontrolle im neuen Recht der Eingliederungshilfe wird sich auf der örtlichen Ebene zumeist sehr negativ auf die Teilhabesituation behinderter Menschen auswirken Fiskalische Erwägungen stehen erfahrungsgemäß auf der örtlichen Ebene sehr stark im Vordergrund und überlagern Aspekte der Teilhabe behinderter Menschen
Fazit und Ausblick Sonderstellung der Eingliederungshilfe auch bei Steuerung, Wirksamkeitskontrolle usw. steht einer vollen und wirksamen Teilhabe behinderter Menschen nach Maßstäben der UN-BRK entgegen Anerkennenswerte Bemühungen etwa im neuen Bedarfsermittlungsinstrument für NRW zur Partizipation behinderter Menschen an diesem Verfahren sind (noch) nicht ausreichend und ohnehin lediglich geeignet, strukturelle Defizite des BTHG durch diese Sonderstellung zu lindern
Fazit und Ausblick Bedarfsermittlung, Steuerung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit müssen aus Betroffenensicht allein nach Maßstäben des SGB IX Teil 1 erfolgen Verbesserung der Teilhabesituation im Sinne der UN-BRK muss im Vordergrund stehen Notwendig ist auch eine positive Haltung insbesondere auf Seiten der Leistungsträger und eine entsprechende Sensibilität für die Sichtweise der Betroffenen Ebenso notwendig ist ein intensiver Dialog auf Augenhöhe zwischen Leistungsträgern, Leistungsanbietern und Leistungsberechtigten
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.