Dr med. Andreas Schmid Leitender Arzt Klinik Schützen Pablo Picasso Wäre da nicht der Körper, der sich einmischt - Ein psychosomatischer Streifzug durch die zweite Lebenshälfte Dr med. Andreas Schmid Leitender Arzt Klinik Schützen 1 Andreas Schmid, März 2017
Gliederung 1) Einleitung 2) Langsam, steif und zitternd – Morbus Parkinson eine somato- psychische Herausforderung 3) Und damit soll man sich abfinden müssen? Acceptance and Commitment Therapy 4) Wer ist eigentlich krank? Die Betroffenheit der Nahestehenden – „we disease“ 5) Zusammenfassung Jasper Johns 2 Andreas Schmid, März 2017
Morbus Parkinson Nicht-motorische Phänomene Neuropsychiatrische Störungen: Depressionen, Angst, Schlaf- störungen, kognitive Veränderungen Für Betroffene und ihre Angehörigen oft problematischer als die motorische Beeinträchtigung Lucian Freud Aarsland D, Marsch L, Schrag A. Mov Disord. 2009;24:2175-2186 3 Andreas Schmid, März 2017
Depression / Parkinson Beeinflusst nicht nur die Stimmung Grössere funktionelle Behinderung Raschere physische und kognitive Verschlechterung Schlechtere Lebensqualität, erhöhte Mortalität Chaim Soutine u.a. Ravina B, Camicioli, Como PG, et al. Neurology. 2007;69:342-347 4 Andreas Schmid, März 2017
Epidemiologie Lovis Corinth Klinisch bedeutsame depressive Störungen: 40 -50% bei Morbus Parkinson Heterogene Präsentation Major Depression: etwas mehr als die Hälfte, viele leichtere oder subsyndromale Formen Reijinders JS, Ehrt U. Weber WE, et al. Mov Disord. 2008;23:183-189 5 Andreas Schmid, März 2017
Depression / Parkinson Depressionen treten zu jedem Zeitpunkt im Verlauf auf Affektive Symptome oft vor dem Beginn motorischer Symptome Depressionen beeinflussen den Verlauf der motorischen Symptome Cuno Amiet 6 Andreas Schmid, März 2017
Pathophysiologie Die Depressionen bei der Parkinson‘schen Erkrankung zugrundeliegenden Mechanismen sind unbekannt Psychosoziale Faktoren: relevant, nicht die entscheidenden Determinanten Der neurodegenerative Prozess, erklärt die höhere Rate an depressiven Symptomen Chaim Soutine 7 Chaudhuri KR, Healy DG, Shapira AH. Lancet Neurol. 2006;5:235-245 Andreas Schmid, März 2017
Pathophysiologie Nicht nur das Mittelhirn betroffen Diskreter Verlust an noradrenergen und serotonergen Neuronen In der Regulation von Stimmung und Belohnungssystemen involviert Edvard Munch Aarsland D, Pahlhagen S, Ballard CG et al. Nat Rev. Neurol. 2012;8: 35-47 8 Andreas Schmid, März 2017
Klinische Präsentation Schwierigkeiten sich an Stress anzupassen Prominente somatische Symptome, kognitive Veränderungen und vegetative Störungen Überlappen mit den Zeichen des Parkinsonsyndroms Stimmungsphänomene direkt anzusprechen Edvard Munch Schulmann LM, Taback RI, Rabinstein AA, Weiner WJ. Parkinsonism Related Disord. 2002;8:193-197 9 Andreas Schmid, März 2017
Überlappende Phänomene Psychomotorische Verlangsamung / Bradykinesie im engeren Sinne Vornübergebeugte Haltung, reduzierte Mimik / Hypomimie, maskenhaftes Gesicht Vermehrte muskuläre Spannung, gastrointestinale Symptome, sexuelle Störungen Edvard Munch Laura Marsh, Curr Neurol Neurosci Rep. 2013 December; 13(12): 409 10 Andreas Schmid, März 2017
Überlappende Phänomene Allgemein verminderte Energie, fatigue Schlafstörungen, Veränderungen des Appetits Kognitive Veränderungen wie Gedächtnisstörungen, Beeinträchtigung von exekutiven Funktionen Pablo Picasso Laura Marsh, Curr Neurol Neurosci Rep. 2013 December; 13(12): 409 11 Andreas Schmid, März 2017
Depressions-Behandlung Indiziert, wenn sie zur Not oder Dysfunktionalität beiträgt Behandlungsansatz: individualisiert und multidimensional (Medikation, Edukation, Skills im Umgang mit Störungen der Stimmung Ansprechen oft gut auf Antidepressiva, Psychotherapie, rehabilitative Therapie oder Kombinationen davon Fernand Leger Price A, Rayner L, Okon-Rocha E, et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2011;82:914-23 12 Andreas Schmid, März 2017
Somatopsychische Komorbidität Zirkuläre Beziehungen zwischen psychischen und somatischen Krankheiten Aktives Selbst-Management: eine noch grössere Herausforderung mit einer psychischen Krankheit, die Motivation und Antrieb negativ beeinflusst Depressive: dreifach geringere Wahrscheinlichkeit medizinische Therapieempfehlungen einzuhalten Ernst Ludwig Kirchner Merikangas KR, Ames M, Cui L et al. Arch Gen Psychiatry 2007;64(10):1180-1188 13 Andreas Schmid, März 2017
Die Acceptance and Commitment Therapy (ACT) ein behaviorales Interventions-Modell transdiagnostisch, flexibel einsetzbar Fokus auf adaptive Bewältigungsstrategien Gabriele Münter Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 14 Andreas Schmid, März 2017
ACT Edvard Munch Schmerz, Verlust, Enttäuschung, Angst , Krankheit: grundlegende Bestandteile des menschlichen Lebens Ziel: weder Beseitigung noch Unterdrückung von diesen Erlebnissen Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 15 Andreas Schmid März 2017
ACT Pierre August Renoir Engagement für wertvoll Aktivitäten im Leben in Gegenwart von schmerzvollen Erlebnissen Psychologische Flexibilität trotz negativen Gedanken, Emotionen und anderen Formen von Stress Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 16 Andreas Schmid, März 2017
Psychologische Flexibilität 6 zentrale Skills Flexibles Verbleiben im aktuellen Moment. Achtsamkeit: Denken, Gefühle, körperliche Wahrnehmungen und Handlungen Breite Perspektive von Denken und Empfinden, damit schmerzhaftes Erleben nicht automatisch vermeidendes Verhalten triggert Klären von Hoffnungen, Werten und Zielen Fernand Leger Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 17 Andreas Schmid, März 2017
Psychologische Flexibilität 6 zentrale Skills 4) Engagement in Aktivitäten im Einklang mit diesen Punkten 5) Bereitschaft ungewollte Gefühle zu erleben, die mit schwierigen Aktivitäten verbunden sind 6) Distanzierung von störenden Gedanken. Diese für das sehen, was sie sind, anstatt sie als buchstäbliche Wahrheiten zu betrachten Peder Severin Kroyer Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 18 Andreas Schmid, März 2017
„workability“ Amedeo Modigliani Bewusstsein: wie funktioniert Verhalten beim Lösen von Problemen, auf dem Weg zu wertvollen Zielen Wertneutrale Identifikation von nicht-funktionierenden Verhaltensmustern Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 19 Andreas Schmid, März 2017
Transdiagnostisch Fokus: nicht auf bestimmten Symptomen mit dem Ziel Symptomreduktion Breite Anwendbarkeit, die über psychische oder somatische Krankheiten im engeren Sinne hinausgeht Aktives Engagement im Leben Anders Zorn Hayes S, Strosahl K, Wilson K. Acceptance and commitment therapy: the process and practice of mindful change. New York: Guilford Press. 2011 20 Andreas Schmid, März 2017
ACT und Symptome Symptomreduktion als Nebenprodukt Angststörungen: die dauernde Beschäftigung mit und der Kampf gegen die Angst ist die hauptsächliche Ursache von Behinderung und Leiden Chaim Soutine A-Tjak A, Davis ML, Morina N, et al. Psychother Psychosom 2015;84:30-36 21 Andreas Schmid, März 2017
Wirksamkeit von ACT 8 Metanalysen: verschiedene Problemkontexte Mittlere Effektstärken im Vergleich mit üblicher Therapie, grosse Effektstärken verglichen mit Wartelistenkontrollen Bei komorbiden somatischen und psychiatrischen Krankheiten besonders geeignet Henri Matisse Dimidjian S, Arch JJ, Schneider RL, Desormeau P, Felder JN, Segal ZV. Behav Ther 2016;47:886-905 22 Andreas Schmid, März 2017
Nahestehende Qualität von nahen Beziehungen: einer der besten Prädiktoren für negative Entwicklungen Somatische Krankheiten: grosse Bedeutung „Minnesota Studie“ (Herzinsuffizienz): 48 Monate nach schwerem Myokardinfarkt: glückliche Ehen: 70% lebten, 45% in unglücklichen Beziehungen Oskar Kokoschka Hooley JM. Annu Rev Clin Psychol 2007;3:329-352 23 Andreas Schmid, März 2017
Das systemische transaktionelle Modell (STM) Stress in einer nahen Beziehung: ein dyadisches Phänomen Beide Partner beeinflusst Beide Partner in einer engagierten Beziehung teilen die Bewältigungsressourcen (dyadisches Coping) Sie verfügen über mehr Ressourcen im Umgang mit einer Krankheit Emil Nolde Bodenmann G. Swiss J Psychol. 1995;54:34-49 24 Andreas Schmid, März 2017
STM Unterstützung durch einen Partner: Schlüsselrolle in Coping Prozessen Beide Partner vom Stress des einen Partners beeinflusst Dyadisches Coping: Wiederherstellung der individuellen und Paar-Homöostase Verbesserung des Gefühls der Kohäsion, Wir-Gefühl, gegenseitiges Vertrauen und Intimität. Henri Matisse Coyne JC, Anderson KK. J Fam. Psychol. 1999;13:629-41 25 Andreas Schmid, März 2017
STM Somatische und psychische Krankheiten: inter-dependente Phänomene Beide Partner betroffen Individuelles und gemeinsames Coping Angst und depressive Symptome von beiden Partnern beeinflussen sich gegenseitig Amedeo Modigliani Revenson TA, Marin-Chollom AM, Rundle AG, Wisnivesky J, Neugut AI. J Behav Med. 2016;39:225-32 26 Andreas Schmid, März 2017
„we-disease“ Schwere körperliche und psychische Krankheiten Erweitert die Annahme, dass der Partner in erster Linie eine Ressource bei der Unterstützung ist und, dass ein Partner der mit Defiziten behaftete Patient ist, und der andere der gesunde, unterstützende über Ressourcen verfügende Part Edvard Munch Kayser K, Watson KL, Andrade IT. Fam Syst Health. 2007;25:404-418 27 Andreas Schmid, März 2017
„we-disease“ Die gemeinsame Herausforderung Die Interaktionen zwischen zwei Partnern stehen im Zentrum Beide sind betroffen, leiden unter den Folgen einer Krankheit Verfügen über die Kraft den Verlauf zu beeinflussen und die Fähigkeit zusammenzuarbeiten Oskar Kokoschka Kayser K, Watson KL, Andrade IT. Fam Syst Health. 2007;25:404-418 28 Andreas Schmid , März 2017
„we-disease“ Commitment beider Partner, vereinte Kräfte im Umgang mit einer Krankheit Konsistenter Einbezug beider Partner im Management einer Krankheit Druck reduzieren, den Patienten zu unterstützen, ohne Rücksicht auf eigene Befindlichkeit und zur Verfügung stehende Ressourcen Emil Nolde 29 Andreas Schmid, März 2017
Unterstützung als Problem Unterstützung: oft ambivalent angenommen Unterstützung mit guten Absichten, kann destruktiv wirken Empfänger von Unterstützung haben oft das Gefühl abhängig zu sein, nicht zu genügen, fühlen sich überflüssig und schuldig, verlieren ihr Selbstwertgefühl Edward Hopper Rafaeli E, Gleason MEJ, J Fam Theory Rev. 2009;1:20-37 30 Andreas Schmid, März 2017
Sinn und Wert Psychische und somatische Krank- heiten: Lebenssinn, Wert als Mensch? Rolle im Leben des Partners, kann man noch nützlich sein im Leben eines Menschen? Partner von kranken Menschen: oft in erster Linie für das Wohlergehen des erkrankten Partners verantwortlich, unterdrücken eigene Gefühle und Bedürfnisse Félix Vallotton Schmid-Büchi S, Halfens RJ, Dassen T, van den Borne B. J Clin Nurs. 2008;17:2895-909 31 Andreas Schmid, März 2017
Zusammenfassung Félix Vallotton 32 Andreas Schmid, März 2017
Literatur Depression and Parkinson’s Disease. Current Knowledge. Laura Marsh, Curr Neurol Neurosci Rep. 2013 December; 13(12): 409 Acceptance and Commitment Therapy: A Transdiagnostic Behavioral Intervention for Mental Health und Medical Conditions. Lilian Dindo, Julia van Liew, Joanna J. Arch. Neurotherapeutics (2017) 14:546-553 Interpersonal view on physical illnesses and mental disorders. Lorena Leuchtmann und Guy Bodenmann. Swiss Archives of Neurology, Psychiatry and Psychotherapy 2017; 168(6): 170-174 33
Edward Hopper Bilder
Bilder Edward Hopper
Bilder Chaim Soutine Henri de Toulouse-Lautrec