Übungen im Obligationenrecht Besonderer Teil Frühjahrssemester 2017 Fall 4 – Die kranke Sekretärin und der schusselige Praktikant 16. März 2017 PD Dr. iur. Michael Hochstrasser
Sachverhalt (Chronologie) 9. Dez. 2016 Herr Zemp erhält Urteil (Eingangsstempel) 30. Dez. 2016 (abends) Herr Zemp schreibt E-Mail an Anwältin Bunt 31. Dez. 2016 Silvester (Samstag) 1. Jan. 2017 Neujahr (Sonntag) 2. Jan. 2017 Berchtoldstag (Montag) 3. Jan. 2017 Anwältin Bunt liest E-Mail (Dienstag) 24. Jan. 2017 Frist für Einreichung der Beschwerde Fragen (Varianten): a1) 9. Jan. 2017 Anwältin Bunt lehnt Mandat ab a2) 30. Dez. 2016 Autoantwort «bis 11. Jan. 2016 abwesend» b) 3. Jan. 2017 Einladung zur Besprechung: Bunt und Zemp b) 23. Jan. 2017 Bunt legt Beschwerde auf Pult der Sekretärin Michael Hochstrasser 16. März 2017
Herr Zemp: Ansprüche gegen Bunt A. Anspruch auf Schadenersatz (CHF 100'000) aus OR 398 II i.V.m. OR 97 I 1. Qualifikation des Vertrags 2. Vertragsverletzung 3. Schaden 4. Kausalzusammenhang 5. Verschulden 6. Fazit B. Anspruch auf Minderung des Honorars und Ersatz der Auslagen Michael Hochstrasser 16. März 2017
Beweismass strikter Beweis Normalfall zur vollen Überzeugung des Gerichts überwiegende Wkt. beim natürlichen und beim hypothetischen KZH das Gericht muss es für überwiegend wahrscheinlich halten, dass sich der Sachverhalt so zugetragen hat (Anforderungen an Beweismass unklar) Glaubhaftmachung v.a. im summarischen Verfahren (z.B. vorsorgliche Massnahmen, ZPO 261; Einwendungen bei provisorischer Rechtsöffnung, SchKG 82 II) für das Vorhandensein einer Tatsache sprechen gewisse Elemente, auch wenn das Gericht es für möglich hält, dass sie sich nicht verwirklicht haben könnte (mehr als behaupten, weniger als Beweis) Michael Hochstrasser 16. März 2017
Überwiegende Wahrscheinlichkeit «Die Möglichkeit, dass es sich auch anders verhalten könnte ..., darf aber für die betreffende Tatsache weder eine massgebende Rolle spielen noch vernünftigerweise in Betracht fallen.» (BGE 130 III 321 E. 3.3) «wenn für die Richtigkeit einer Behauptung derart gewichtige Gründe sprechen, dass andere Möglichkeiten vernünftigerweise nicht massgeblich in Betracht fallen ...» (BGE 132 III 715 E. 3.1) «60% ... vraisemblance prépondérante ...» (BGE 133 III 462 E 4.3) «Aus dem ... Urteil muss nicht abgeleitet werden, dass eine 51%-ige Wahrscheinlichkeit als überwiegend zu betrachten ist.» (BGer. 4A_397/2008 E. 4.3) «... dass er der wahrscheinlichste aller in Betracht fallenden Geschehensabläufe – bei zwei möglichen Sachverhaltsvarianten: der wahrscheinlichere ist. ... ein Wahrscheinlichkeitsgrad von generell 75% ist damit offensichtlich nicht vorausgesetzt.» (BGer. 9C_717/2009 E. 3.3) Michael Hochstrasser 16. März 2017
Alles-oder-Nichts oder "es bitzeli"? Hypothetischer KZH überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der eingetretene Schaden bei rechtmässigem Handeln hätte vermieden werden können? falls ja: KZH gegeben → voller Schadenersatz (CHF 100'000) falls nein: KZH nicht gegeben → kein Schadenersatz (CHF 0) anderer Ansatz: "perte d'une chance“ der Chance (hier: Prozessgewinn) wird ein Vermögenswert zugemessen Prozesschance 25% → Anspruch auf 25% Prozessgewinn (25‘000) Prozesschance 60% → Anspruch auf 60% Prozessgewinn (60'000) (vom BGer. abgelehnt in BGE 133 III 462 ff. = Pra 97/2008 Nr. 27) Michael Hochstrasser 16. März 2017
Honoraranspruch richtige Erfüllung mangelhafte Erfüllung voller Honoraranspruch mangelhafte Erfüllung grds reduzierter Honoraranspruch (soweit brauchbar) „Minderung“ Äquivalenzgedanke: voller Honoraranspruch, wenn Ausgleich über Schadenersatz vollständige Nichterfüllung bzw. unbrauchbare Erfüllung kein Honoraranspruch Äquivalenzgedanke: voller Honoraranspruch, wenn Ausgleich über Schadenersatz Michael Hochstrasser 16. März 2017
Hilfsperson / Substitution (I) generell: keine persönliche Leistungspflicht (OR 68) beim Auftrag: grds. persönliche Leistungspflicht (OR 398 III) Arten von Hilfspersonen Personen, die den Beauftragten nur unterstützen Personen, die das Geschäft grds. alleine erfüllen, wobei sie aber in die Arbeitsorganisation des Beauftragten eingegliedert sind Personen die das Geschäft selbständig erfüllen Im Auftragsrecht: Substitut (OR 399), (sonst Hilfsperson) Michael Hochstrasser 16. März 2017
Hilfsperson / Substitution (II) Hilfsperson (OR 101) Substitut (OR 399) Beizug erlaubt, wenn keine persönliche Leistungspflicht (OR 68); bei persönlicher Leistungspflicht erlaubt für untergeordnete Aufgaben, unter Aufsicht Beizug erlaubt, wenn (OR 398 III): ermächtigt durch Umstände genötigt oder übungsgemäss zulässig Abgrenzung wird vom Beauftragten geleitet und überwacht Beizug im Interesse des Beauftragten erfüllt die ihm übertragenen Aufgaben selbständig Beizug im Interesse des Auftraggebers Haftung OR 101 Befugter Beizug: Haftung für sorgfältige Auswahl + Instruktion (OR 399 II) Unbefugter Beizug: OR 399 I Beispiel Schreibarbeiten durch Anwaltssekretärin Anwalt beauftragt für eine Steuerfrage einen Steuerexperten Michael Hochstrasser 16. März 2017
Frau Mundi (Frage 1) Anspruch von Mundi gegen Bunt auf Schadenersatz (OR 398 II i.V.m. OR 97 I und 101) 1. Abgrenzung Hilfsperson/Substitut 2. Vertragsverletzung Beizug von Praktikant Hans Kuraufenthalt (CHF 10‘000) Haushaltschaden (CHF 50‘000) 3. Schaden 4. Kausalzusammenhang 5. Verschulden Michael Hochstrasser 16. März 2017
Frau Mundi (Frage 2) Anspruch von Mundi gegen Bunt aus OR 398 II i.V.m. OR 97 I und OR 399 II 1. Abgrenzung Hilfsperson/Substitut 2. Sorgfalt bei Auswahl und Instruktion 3. Weitere Haftungsvoraussetzungen Anspruch von Mundi gegen Schnell aus OR 399 III i.V.m. OR 398 II und OR 97 I 1. Voraussetzungen des Direktanspruchs (OR 399 III) 2. Weitere Haftungsvoraussetzungen Michael Hochstrasser 16. März 2017