Das Prinzip der Kontextfreiheit Das Prinzip der Wörtlichkeit

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 Präsentation transkript:

Fünf Interpretationsprinzipien der Objektiven Hermeneutik (nach Wernet): Das Prinzip der Kontextfreiheit Das Prinzip der Wörtlichkeit Das Prinzip der Sequentialität Das Prinzip der Extensivität: Das Prinzip der Sparsamkeit

1. Das Prinzip der Kontextfreiheit Interpretation ohne Kontext? Kontextuierung als hermeneutischen Prozess reflektieren Kontextuierung in ihrer je spezifischen Gestalt als Kontextuierung ins Bewusstsein heben Vermeidung von Zirkularität („Man weiß immer schon bescheid!“)

2. Das Prinzip der Wörtlichkeit jede Äußerung als Artikulation von Wirklichkeit ernst nehmen textimmanente Widersprüchlichkeiten nicht durch vorauseilende hermeneutische Schließung glätten, sondern als Reibungspunkte ernst nehmen textimmanente Widersprüchlichkeiten als Indikatoren für bislang nicht bemerkte latente Sinnstrukturen (= Ankerpunkte für bislang Unbemerktes) Vergleich mit „freudschen Fehlleistungen“ »Die wörtliche Interpretation verlangt eine ›Schamlosigkeit‹ im Sinne einer Distanz zum Gegenstand. Besonders deutlich markiert das Wörtlichkeitsprin­zip die kategoriale Differenz von praktischer und wissenschaftlicher Einstel­lung. Die Technik der wörtlichen Interpretation stellt ein Mittel dazu bereit, gegen die Tendenzen einer lebenspraktischen Perspektive den distanzierten Blick aufrecht zu erhalten.« (Wernet 2000, S. 27)

3. Das Prinzip der Sequentialität Die Einsicht in die Sequenziertheit des sozialen Handelns generiert zusammen mit dem Rekonstruktionsanspruch des Verfahrens die praktische Maxime, im Interpretationsverfahren selbst analog zu verfahren  Der Text wird Bemerkung für Bemerkung durchgegangen, d.h. die Interpretationsarbeit hält sich streng an die vom »natürlichen Protokoll« selbst vorgegebene Sequenziertheit. Forschungspraktische Regel: Umso strenger am Prinzip der Sequenzanalyse festhalten, je stärker die inneren Tendenzen sind, die Bedeutungsrekonstruktion einer Textse­quenz im weiteren Textverlauf zu suchen.

4. Das Prinzip der Extensivität möglichst viele Lesarten benennen, die mit der Textur kompatibel sind (pragmatische Erfüllungsbedingungen der Aussagen) die Generierung neuer Lesarten ist theoretisch nie abgeschlossen selektive Überprüfung nach forschungsökonomisch vertretbarer Interpretationszeit die bis dahin rekonstruierte Strukturiertheit als (vorläufiges) Ergebnis, als (Arbeits‑)Hypothese akzeptieren

5. Das Prinzip der Sparsamkeit methodisches Kontrollinstrument bei der Generierung von Lesarten nichts in den Einzelfall hineinprojizieren spieltheoretische Überprüfung der Angemessenheit in der Interpretationsgruppe die Interpretengruppe ist auf einen Konsens hinsichtlich der Valenz einer Lesart angewiesen Die Gruppe muss individuelle Eigenheiten der einzelnen Interpreten kontrollieren (individualistisch-subjektive Interpretationen verhindern), gleichzeitig aber das Potenzial eines jeden Interpreten ausschöpfen (Lesarten/ Angemessenheitsurteile)  erforderliche Streitkultur Die diskursive Klärung der Angemessenheitsurteile innerhalb der Interpretationsgruppe soll vermeiden, dass vorschnell Irrationalität oder gar Pathologie insinuiert wird, wenn der Text dieses Urteil nicht erzwingt. Balanceakt zwischen Extensivität und Sparsamkeit

Von der extensiven Lektüre zur Fallstrukturhypothese Aufrechterhaltung bzw. Verwerfen einer Strukturhypothese = Wiederholung der (zumeist unbewussten) Handlungsselektion des Akteurs (= »re-konstruktiv«) In der Identifizierung der re-kontextualisierten Selektion von möglichen Handlungen durch den Akteur scheint die Struktur des sozialen Handelns auf Die Ergebnisse der Einzelfallrekonstruktion müssen zu einer generativen Strukturformel zusammengeführt werden = abschließende Erklärung dafür, wie es zu einer bestimmten Argumentationssequenz gekommen ist, d.h. wodurch die Handlungsstrukturierung einer bestimmten Situation kennzeich­net ist = bis auf weiteres gültige Fallstrukturhypothese.