Bindung und Bildung Gute Beziehungen als Basis des Lernens 22 Bindung und Bildung Gute Beziehungen als Basis des Lernens 22. Internationale Konferenz für Neuromotorische Entwicklungsverzögerung bei Kindern mit Lern- und Verhaltensproblemen am 13. & 14. September 2014 in Wien Ausgewählte Folien des Plenarvortrages am 14. September 2014 © Mag. Theresia Herbst
zum Nachlesen: Herbst, T. (2012). Bindung und Bildung. Psychologie in Österreich, Vol.32/5, 436-447. Zum Download auf: www.sicherebindung.at
Kontakt: Mag. Theresia Herbst info@kinderpsychologin.at Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin Diplompädagogin, Dozentin in der Aus- und Fortbildung info@kinderpsychologin.at www.kinderpsychologin.at
Inhalt Erziehungskulturen Sichere Bindung: innerer Halt in der westlichen Welt, Grundlage der Bildung und Autonomie Primäre und sekundäre Bindungspersonen
Die Kulturen der Erziehung stehen in Abhängigkeit zur Lebenswirklichkeit Abb.: Elternsysteme: Primäre Pflege, Körperkontakt, Sprachumwelt, „Face-to-face“-Kontakt, motorische Stimulation, Objektstimulation. Abb.: Profile elterlichen Verhaltens in den Kulturen. ©Heidi Keller, 2011, Kinderalltag. Berlin: Springer Verlag
2 Prototypen mit maximalem Unterschied Nso-Mutter in Kamerun/Westafrika: > Ziel: Hierarchische Verbundenheit Deutsche Mittelschicht-Mutter: > Ziel: Psychische Autonomie
Nso in Kamerun/Westafrika Abb.: Babys von Babysittern getragen Abb.: Mutter geht der Arbeit nach, Baby am Rücken getragen ©Heidi Keller, 2011, Kinderalltag. Berlin: Springer Verlag
Abb.: intensive körperliche Stimulation Abb.: Baby im Behälter zum Erlernen des Sitzens ©Heidi Keller, 2011, Kinderalltag. Berlin: Springer Verlag.
Abb.: Junge holt Brennholz, selbstverständliche Mitarbeit, fixe Pflichten Abb.: Klassenzimmer ©Heidi Keller, 2011, Kinderalltag. Berlin: Springer Verlag.
Training der Motorik durch ständiges Tragen, intensive motorische Stimulation, Sitzbehälter, Gehilfen Keine Exklusivität, eine enge Mutter-Kind-Bindung ist nicht vorgesehen Betreuung durch 3-5 fixe Babysitter
Ziel der proximalen Strategie das symbiotische Selbst im sozialen System, durch: frühestmögliches stehen, laufen, mitarbeiten im Haus und auf dem Feld, Eingliederung in den Clan, unter die Priester und den König, Schulbildung wenig bedeutend Lernen durch Beobachtung und Imitation
Das Leben auf dem Hof vor 100 Jahren Abb.: Hofgemeinschaft Der Mensch als Untertan im hierarchischen System
Deutsche Mittelschicht-Mutter Abb.: „Face-to-face“-Blickkontakt Abb.: Baby unter dem Spieltrapez ©Heidi Keller, 2011, Kinderalltag. Berlin: Springer Verlag
Rouge-Test: bewusst das eigene Selbst erkennen Abb.: Kleinstkind vor dem Spiegel
Die Entwicklung des Selbst Das nonverbale, verbale, narrative Selbst… Säuglingsforschung von Daniel Stern © Daniel Stern, 2007, Die Lebenserfahrung des Säuglings.
Training der Kognitionen Exklusive Zuwendung, Interaktionsverhalten aus der Distanz – über Sehen und Hören „Face-to-face“-Blickkontakt Sprache Spielzeug
Ziel der distalen Strategie: Das eigenständige Selbst durch: entscheiden, wählen, wünschen, Entfaltung der Talente, Durchsetzungskraft, Bildung, Leistung. Kinder lernen durch Erklärungen und Verständnis, Exploration, Versuch und Irrtum
Wandel der Wertvorstellungen und Erziehungsstrategien Mit Zunahme der formalen Bildung, ändert sich die Erziehung parallel zu den soziodemographischen Variablen (Kinderzahl, Alter bei der 1. Geburt, Wohlstand)
3. neuer Prototyp: autonome Verbundenheit Abb.: „Face-to-face“-Kontakt, gebildete Nso aus der Stadt mit ihrem Säugling und älteren Kind
Kombination distaler und proximaler Strategien Ansprache der inneren Welt – Bindung, Selbstbewusstsein Förderung der Autonomie – Freiheit Körperkontakt Soziale Harmonie - Friedenserziehung
Autonomie © Lilo Boran, Montessori-Mehrstufenklasse in Wien „Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun!“
Verbundenheit ©Lilo Boran, Montessori-Mehrstufenklasse in Wien
Kosmische Erziehung © Lilo Boran, Montessori-Mehrstufenklasse in Wien „Wir werden gemeinsam diesen Pfad des Lebens beschreiten, denn alle Dinge sind Teil des Universums und miteinander verbunden, um eine große Einheit zu bilden.“ Maria Montessori, Kosmische Erziehung, S. 41
Bindung, Bildung und Kultur …hängen eng miteinander zusammen. Bildung: Weitergabe des Kulturschatz von der älteren Generation an die jüngere. Ganzheitlicher Bildungsbegriff: beruflich-fachlichen Qualitäten, Kulturtechniken, vernetztes Wissen, soziokulturelle und persönliche Kompetenzen „Wer Bildung will, muss Bindung stärken“, Gerald Hüther
„Junge Leute können Tradition nur von älteren Personen annehmen, die sie respektieren und lieben, so einfach ist das.“ Konrad Lorenz Abb.: Prägung von Graugänsen, Englisch: Imprinting
Entchen mit Entenmutter Video: Entchen folgen der Entenmutter
Bindungstheorie Erklärung der psychosozialen Entwicklung John Bowlby, 1907-1990 Studie über 44 jugendliche Diebe Mary Ainsworth, 1913-1999 Feldstudie „Fremde Situation“ ab 1950 lebenslange Zusammenarbeit
Bindung – vom Kind ausgehend Attachment: gefühlsmäßiges Band zu Eltern/Fürsorgepersonen Sicherheitssystem Bindungsqualität hängt von der sozialen Interaktionserfahrung ab
Bindung – von den Eltern ausgehend Bonding: Bindung der Eltern an das Kind Pflegesystem, intuitives Elternverhalten Feinfühligkeitstrainings für mehr Bindungssicherheit Bindungen Erwachsener: Liebesbeziehungen
Bindungsqualitäten sicher 50-60% unsicher-vermeidend 20-25% unsicher-ambivalent 5-10% desorientiert/desorganisiert 15-20% Bindungsstörungen 1% Prävention!
Erziehung in der Familie „Nun, der Erwachsene muss das Feingefühl erwerben, alle Bedürfnisse des Kindes zu erkennen.“ Maria Montessori, Das Kind in der Familie, S. 37
Bindungsdiagnostik Beispiele: Fremde Situation, Ainsworth et al. (1978) GEV-B, Gloger-Tippelt & König (2009)
Desorientierung/Desorganisation „gute/ weniger gute Orientierer“ im Säuglingsalter Verhaltensorganisation Kleinkind mit Behinderung Hohe mütterliche Feinfühligkeit kann eine mögliche (epi-)genetische Disposition zur Bindungsdesorganisation ausgleichen. Spangler, 2011, G&G S.176
Erziehung in der Familie „Die Wurzeln der Persönlichkeit liegen demnach eindeutig in der Eltern-Kind-Bindung.“ Grossmann & Grossmann, 2013, S. 293
Primäre Bindung Abb.: Vater, Mutter, Säugling in Umarmung ©Fotos privat, Theresia Herbst
Oxytocin Liebe, Vertrauen, Ruhe, Entspannung, Wärme, Geburtsprozess, Milchfluss, Sexualität, Umarmung, Küssen, Massage, Singen, angenehme Sinnesreize > viele pos. physiolog. Wirkungen Gegenspieler zum Stresshormon Cortisol
Bindungs-Explorations-Balance Abb.: Sicherheit, wohl fühlen, bekannte Umgebung, keine Gefahr > Exploration nimmt zu Unsicherheit, nicht wohl fühlen, unbekannte Umgebung, Gefahr > Exploration nimmt ab
Kern der Elternschaft Eltern als sichere Basis, von der aus das Kind/der Jugendliche auf Entdeckungsreise in die Welt geht mit der Gewissheit... willkommen zu sein, körperlich versorgt, emotional unterstützt, bei Sorgen getröstet, bei Ängsten beruhigt zu werden. Bowlby, 1988, S.11
Kreis der Sicherheit Abb.: © www.circleofsecurity.com
Phasen der Bindungsentwicklung Geburt – 2 Monate: Vorbindungsphase 2-6/8 Monate: Bindungsbeginn 6/8 Monate-2 Jahre: eindeutige Bindung ab 2,3,4 Jahren fließend er Beginn reziproker Beziehungen Bindungshierarchie
Geschwister Video: Kleinkind isst beim Teller des großen Bruders mit, intensive Interaktion
Familie – frühe Fremdbetreuung Die Beziehungen mit den Eltern sind nicht die einzigen, aber die wichtigsten. NICHD-Studie: nicht zu früh, nicht zu lange < 4 Jahre: physiologischer Stress in Gruppen 0-3 Jahre: 1 Bezugserzieherin auf 2-3 Kinder Sanfte Eingewöhnung
Frühkindliche emotionale Erfahrungen beeinflussen die funktionale Entwicklung des Gehirns. Forschung am Tiermodell: Nichtbefriedigung der Bindungsbedürfnisse verursacht folgenschwere Schäden Beruhigender Körperkontakt, Nähe zu Fürsorgefigur günstige hormonelle und neurologische Entwicklung
Entwicklung psychischer Sicherheit ...durch ein ausgewogenes Stressmanagement Das limbisch-corticale Zusammenspiel ist auf das soziale Miteinander angewiesen.
Sekundäre Bindung Abb.: Kind mit Pädagogin auf dem Lernteppich mit den geometrischen Körpern Die Pädagogin und der Pädagoge sind der lebendigste Teil der vorbereiteten Umgebung…
Zeigen und entdecken lassen Video: Pädagogin zeigt einer Gruppe von Kindern ein visuelles Phänomen beim Blick durch eingerolltes Papier
Anleiten und begleiten Video: Pädagogin leitet ein Kind beim Stempeln an und macht es achtsam darauf aufmerksam, einen Fehler selbst zu erkennen und zu berichtigen
Pädagogischer Alltag Abb.: Fotoreihe Pädagogin assistiert drei kleine Kinder beim Aufräumen, lässt körperliche Nähe zu.
auf Augenhöhe des Kindes Video: Freiarbeit in einem Montessori-Kinderhaus, Pädagogin geht auf Augenhöhe der Kinder
Zusammen Arbeiten Video: Kindergartenkinder graben miteinander in der Erde, interagieren, sprechen sich ab > Zusammenarbeit
Ich, Du, Wir Spiegelneurone Theory of Mind Mentalisierungsfähigkeit Sitte und Moral - Gewissensbildung
Beziehungen aufbauen gestalten pflegen zur Pädagogin/zum Pädagogen eine sichere sekundäre Bindung aufbauen, in einem sicheren Umfeld lernen, Fehlerkultur…
„Sozio-emotionale Faktoren haben den höchsten Einfluss auf das schulische Lernen.“ Metaanalyse hunderter Studien, Greenberg et al. 2003 „Schulethos, Einbeziehung, Gestaltung und Pflege von Bindungen in Bildungszielen“ Rutter et al. 1980, 2002
korrigierende Erfahrungen ermöglichen verlässlich und responsiv sein, Bindungsbedürfnisse erkennen und ihnen entsprechen, Gefühle ausdrücken, Grenzen setzen, ohne das Kind zu verlassen, Wertschätzung zeigen.
Geduld und Kraft für die Vertrauensbildung Foto: Szene mit dem Fuchs in der Geschichte vom Kleinen Prinzen.
Kinder mit Beziehungstraumata Provokationen und Aggressionen von Seiten des Kindes sind eine gute Gelegenheit, ihm in vielen Versorgungs- und Lernsituationen durch neue Beziehungserlebnisse zu zeigen, dass es „wertvoll und liebenswert“ ist. vgl. Julius, 2009, Bindungsgeleitete Intervention in der schulischen Erziehungshilfe. In:Bindung im Kindesalter, S.297
Primäre/sekundäre Prävention Safe ® (Brisch) Steep ® (Erickson&Egeland) Marte Meo® (Aarts) B.A.S.E.® - Babybeobachtung (Brisch) Lernprogramm Baby-Lesen (Ziegenhain et al.) u.a.
Bindung und Bildung „Die Qualität des Miteinanders sind – aus der Sicht der Bindungsforschung – der Schlüssel zum Verständnis geringer oder großer Bereitschaft zur Teilhabe auch an anspruchsvollen Lernprozessen.“ Grossmann & Grossmann, Bindung und Bildung, 2006
„All das, was wir uns für uns selbst wünschen,… Respektvoller Umgang „All das, was wir uns für uns selbst wünschen,… Die Kinder sind in der gleichen Weise menschliche Wesen, denen Achtung gebührt. Sie sind uns aufgrund ihrer Unschuld und ihres großen Potenzials für die Zukunft überlegen. Sie haben die gleichen Wünsche, wie wir.“ Maria Montessori, Praxishandbuch, S. 116
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Abb.: © Lilo Boran, Montessori-Mehrstufenklasse in Wien