Die Jugendhilfe ist auf den Hund gekommen! PD Dr. Andrea M. Beetz Dipl.-Psych., Dr. phil., Dr. phil. habil. Institut für sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation Dept. für Verhaltensbiologie
Übersicht Positive Effekte von Mensch-Tier-Interaktion Zugrundeliegende psychophysiologische Mechanismen Biophilie Bindung & Fürsorge Oxytozin Motivation Optimale Aktivierung Tiergestützte Jugendhilfe
Entwicklung tiergestützter Interventionen Sigmund Freud Hündin Jofi, besonderer Sinn für den Charakter/ psychische Befindlichkeit/ Ruhe eines Menschen beruhigende Wirkung des Hundes auf Patient Kinder- und Jugendpsychotherapeut Boris Levinson (ab ca. 1961) Hund Jingles – sozialer Katalysator, Vertrauen
Tiere in der Psychotherapie Tiergestützte Psychotherapie seit ca. 1990 in Europa von Tierpräsenz bis Interaktion mit Tier als Hauptmerkmal Hund, Pferd, Katze, Kleintiere Tierhaltung in Psychiatrien (Kleintiere, Fische, Vögel) 2000: jeder 3. Klinik für Psychiatrie/Psychosomatik; (Claus 2000) 2007: ca. 40% der KJPs integrieren Tiere in die Therapie (Prothmann 2007)
Effekte von Tieren Für eine Übersicht s. Beetz, Uvnäs-Moberg, Julius & Kotrschal (2012): Psychosocial and Psychophysiological Effects of Human-Animal Interactions: The Possible Role of Oxytocin: Frontiers in Psychology, 2012, 3, 234. Julius, Beetz, Kotrschal, Turner, Uvnäs-Moberg (2014). Bindung zu Tieren. Psychologische und neurobiologische Grundlagen tiergestützter Interventionen. Hogrefe.
Effekte von Tieren: Gesundheit Heady & Grabka (2007): „Kontrolliert“ man Geschlecht, Alter, Partnerschaft und Einkommen: 7 % weniger Arztbesuche der Tierbesitzer in 2001 16% weniger Arztbesuche der langfristigen TB Tierbesitzer zeigen eine bessere Kardiovaskuläre Gesundheit
Gesundheit … ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit!
Gesundheit … ist ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens! Salutogenese
Soziale Effekte von Tieren Sozialer Katalysator-Effekt, Stimulation sozialer Interaktion Mehr freundliche soziale Aufmerksamkeit durch andere in Begleitung eines freundlichen Hundes Mehr Sprachgebrauch in Anwesenheit eines Hundes bei Kindern mit Autismus (Sams, Fortney & Willenbring 2006)
Tiere reduzieren Depressionen… Signifikant, wohl auch bei klinischer Depression oder komorbiden Depressionen
… verbessern die Stimmung… … wichtig für Lebensqualität bei chronischer Erkrankung, Motivation bei Rehabilitation, Psychotherapie, Salutogenese
Verbesserung der Stimmung, Reduktion von Depressivität AAI mit Hunden, v.a. bei Senioren oder Pflegebedürftigen, aber auch bei Kindern mit psychischen Auffälligkeiten (z. B. Kaminski, Pellino & Wish 2002; Souter & Miller 2011, Banks & Banks 2002, 2005, Colombo et al. 2006, Crowley-Robinson et al. 1996, Holcomb et al. 1997, Jessen et al. 1996, Nathans-Barel et al. 2005, Kaminski et al. 2002; Prothmann et al. 2006)
Tiere reduzieren Stress – Herzrate, Blutdruck, Kortisol…
… oft besser als ein anderer Mensch
Bindung, Tiere und Stressregulation s. Beetz et al. 2011/2012) DACh-Studie Kann Kontakt mit Hunden Stressreaktionen in Anforderungssituationen reduzieren? Unsicher gebundene Jungen (z.T. mit Verhaltensauffälligkeiten) Trierer Sozialer Stress Test 5 Speichelproben: Cortisol 3 Gruppen: Hund, Studentin, Stoffhund
Bindung, Tiere und Stressregulation
Tiere fördern Ruhe
Tiere fördern Vertrauen…
…zum Tier und zum Therapeuten auch zum Pädagogen ?!
Tiere reduzieren Aggression…
…und Schmerzen auch Ablenkungs-Effekte
Hunde fördern Konzentration! Hediger & Turner (2015): Kinder können in Anwesenheit eines Hundes länger eine hohe Konzentrations halten Gee et al. (2011, 2012): Kinder können in Anwesenheit eines Hundes konzentrierter und motivierter Aufgaben erledigen
Wie machen Tiere das? Was können Tiere, was der Mensch nicht kann?
Was wirkt in der Mensch - Tier - Beziehung? Häufig zitierte Wirkfaktoren: Aschenputtel-Effekt /Uneingeschränkte Akzeptanz Authentizität Tiere als sozialer Katalysator Soziale Unterstützung Julius, Beetz, Kotrschal, Turner, Uvnäs-Moberg (2013): Integrative Theorie der Mensch-Tier-Beziehung: Biophilie, Bindung, Oxytozin
Biophilie
Biophilie
Biophilie (Wilson, 1984; Kellert 1997) Wieso interessieren sich Menschen für Kontakt mit Tieren? s. Alltagserfahrungen mit Kindern/Erwachsenen Biophilie: Interesse an Tieren und Natur gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Mensch und Tier ein natürliches/angeborenes Interesse an Tieren war in der menschlichen Geschichte von Vorteil zunehmende Technisierung: Natur- und Beziehungsverlust keine optimale Anpassung an diese neue, künstliche Umwelt
Affinität zu Natur…
… und zu Tieren
Biophilie – Menschen brauchen Tiere Zunahme an psychischen / emotionalen Störungen bzw. Bindungsstörungen im Kindes- und Erwachsenenalter Suche nach Entspannung in der Natur und bei Tieren Ruhige Tiere vermitteln Sicherheit: Biophilie-Effekt (Stressreduktion)
Integratives Model der Mensch-Tier-Beziehung Oxytozin als ein Schlüsselfaktor der positiven Effekte von Tieren (Julius, Beetz, Kotrschal, Turner, Uvnäs-Moberg 2012) hat ähnliche Effekte wie Kontakt mit Tieren mehr Entspannung, Vertrauen, soziale Interaktion, weniger Aggression, bessere Stimmung Reduktion von Stress, Depression, Angst Neuere Therapieansätze (Autismus, VhSt) mit Oxytozin-Nasenspray
Psychophysiologische Effekte von Tieren Das Bindungshormon Oxytozin Der Spiegel des Hormons Oxytozin steigt nach der Interaktion mit einem Hund an, am meisten beim eigenen Hund direkten Körperkontakt Odendaal 2000 Odendaal & Meintjes 2003 Handlin et al. 2011 Miller et al. 2009 Nagasawa et al. 2009
Bindung - Was kann ein Tier, was ein Mensch nicht kann? Kaum spontane Übertragung von unsicherer oder desorganisierter Bindung auf Tiere (Kurdek 2008, 2009 a/b, Julius et al. 2010) ein Tier kann fast jedem Menschen effektiv Unterstützung geben und helfen, Stress zu regulieren unkomplizierte Möglichkeit zum Körperkontakt
Fürsorgeverhalten gegenüber Tieren Tiere können das Fürsorgeverhaltenssystem beim Menschen aktivieren Viele Interaktionen sind Fürsorgeinteraktionen (füttern, bürsten, versorgen) … gehen mit den gleichen positiven Gefühlen (und wahrscheinlich Hormonreaktionen/physiologischen Reaktionen) wie Bindung einer Caregiving in der Mensch-Tier-Beziehung ein besonderer Faktor!
Motivation (Wohlfarth et al. 2013) Intrinsische Motivation Extrinsische Motivation natürliche Anreize erlernte Anreize heißer Modus der Ziel- kalter Modus der Ziel- verfolgung verfolgung Tiere scheinen „heiße Stimuli“ zu sein und intrinsische Motivation zu erhöhen – sie sind interessant, Menschen wollen interagieren (Biophilie) Vorteil tiergestützter Arbeit: man kann damit auch therapiemüde Klienten wieder motivieren, die die Hoffnung verloren haben oder Angst haben
Stress, Lernen und Selbstreflektion Lernen ist nur möglich : in guten und vertrauensvollen Beziehungen in Abwesenheit von akutem Stress Stress beeinträchtigen die Exekutiven Funktionen Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle logisches Denken Selbstmotivation Selbstreflektion
Tiere fördern die optimale Aktivierung (Beetz 2015) Yerkes-Dodson Law (1908) Tiere als Modulatoren
Explizite/Implizite Funktionen Impliziter Erfahrungsmodus Erfahrungen, nicht immer bewußt Verbunden mit Emotionen, Motiven Direkte Erfahrung über aktuellen sensorischen Input Implizite Erinnerung Alte Prozesse Explizit-kognitiver Modus Verbal und bewußt repräsentiert Digitale Kommunikation: Worte, Sprache Analytisch-rationales Denken Realität indirekt erfahren Deklaratives Gedächtnis Neue Prozesse
Explizite/Implizite Funktionen Der Kontakt mit Tieren spricht immer auf sozialer emotionaler nonverbaler Ebene an !!! Schultheiss, O. (2001) An information processing account of implicit motive arousal. In: M.L. Maehr & P. Pintrich (eds). Advances in motivation and achievement. Greenwich, CT: JAI Press, 1-41.
Tiere wirken in der Pädagogik Direkte Effekte des Tieres auf Angst, Stress, Entspannung – entspannte Atmosphäre (Biophilie-Effekt) Das Tier kann helfen, eine gute pädagogische Beziehung herzustellen: sozialer Katalysator/Vertrauen Modell für gute Beziehung: Pädagoge und sein Bezugs-Tier direktes Erfahren von Körperkontakt !!! Versorgen dürfen (Fürsorgeverhaltenssystem) Tiere bringen Spaß – halten sich nicht an menschliche Normen!!! Tiere motivieren auch therapiemüde Kinder/Jugendliche !!!
Tiergestützte Interventionen für… Menschen mit Körperlichen und seelischen Erkrankungen Autismus PTBS Angst Depression Stressbedingten Erkrankungen sonderpädagogischem Förderbedarf in der Jugendhilfe
Voraussetzungen ONE HEALTH Eine gute Beziehung zwischen Mensch und Tier Das Tier muss selbst frei von Stress sein, um einen stressreduzierenden Effekt zu haben Das Tier muss seinen Bedürfnissen entsprechend gehalten werden ONE HEALTH
Die Jugendhilfe ist auf den Hund gekommen! Wie kann ein Hund in der stationären Jugendhilfe integriert werden Es wirken die Effekte von Hunden auf die große Bandbreite von Problematiken - sozial, emotional, kognitiv Großes Potential tiergestützter Arbeit mit Hund in der Jugendhilfe - bei richtiger Umsetzung
Die Jugendhilfe ist auf den Hund gekommen! Tiere helfen Dir, Dich zu ent-falten!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt: andrea.m.beetz@gmail.com