Rechtliche und ökonomische Grundlagen des Gesundheitssports Vorlesung Rechtliche und ökonomische Grundlagen des Gesundheitssports im Studiengang B.A. Sport, Gesundheit und Prävention (SGP) im Wintersemester 2017/2018 von Prof. Dr. Martin Nolte
Kann sich H auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen? 2/16 Fall 1: Hans auf Lola Hans (H) ist glücklicher Freizeitreiter. Das Reiten tut ihm gut. Jeden Sonntag erholt er sich vom stressigen Berufsalltag bei einem Ritt auf seiner Lieblingsstute. Die heißt Lola (L). Eines Tages auf einem verträumten Weg im Forst bei Roetgen auf dem Hohen Venn kommt H an ein Schild, wonach dieser Weg von der zuständigen Behörde (B) für jegliches Reiten unter Hinweis auf das einschlägige Landesrecht (Landesforstgesetz, Landschaftsgesetz NRW) gesperrt wird. H fühlt sich durch die Sperrung in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt. Kann sich H auf das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen?
3/16 Art. 2 Abs. 1 GG lautet wie folgt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit (…).“ Wie lautet die Antwort? Ja! H gehört zum geschützten Personenkreis („jeder“) und das Reiten im Wald gehört zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht versteht den Art. 2 Abs. 1 GG als eine Verbürgung allgemeiner Handlungsfreiheit, wonach „jeder tun und lassen darf, was er will.“
4/16 Muss die Behörde die Handlungsfreiheit des H bei der Wegsperrung berücksichtigen? Art. 1 Abs. 3 GG lautet: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ Antwort: Die Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des H bindet unmittelbar den Staat, insbesondere die Behörde (vollziehende Gewalt) bei ihrer Wegsperrung.
5/16 Durch die Wegsperrung wird es dem H verboten, auf dem verträumten Weg zu reiten. Damit wird in die Handlungsfreiheit des H eingegriffen. Kann dieser Eingriff gerechtfertigt werden – oder wird Handlungsfreiheit etwa grenzenlos gewährt? Der gesamte Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 GG ist: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
6/16 Antwort: Der Eingriff kann gerechtfertigt sein. Die Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG wird nur eingeschränkt gewährleistet. Die Schranken der Handlungsfreiheit ergeben sich aus den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz. Im Mittelpunkt dieser Schrankentrias steht die verfassungsmäßige Ordnung. Hierzu zählen alle (rechtmäßigen) Gesetze auf Bundes- und Landesebene. Zu den maßgeblichen Landesgesetzen zählen etwa das Landesforstgesetz und das Landschaftsgesetz NRW, wonach Wegesperrungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind.
7/16 Nach den maßgeblichen Landesgesetzen können Wege unter näheren Voraussetzungen gesperrt werden. Können Sie sich vorstellen, aus welchen Gründen Wegsperrungen zulässig sind? Antwort: Insbesondere aus forstwirtschaftlichen Gründen (Holzeinschlag; Schäden an Wegen; Jagd), aus ökologischen Gründen (Schutz von Fauna und Flora) sowie zum Schutze anderer Waldbesucher (Sportler, Andere).
8/16 Bei Abwägung zwischen Handlungsfreiheit und gegenläufigen Belangen (Forstwirtschaft, Ökologie, Interessen anderer) durch Wegesperrungen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Was versteht man darunter? Die Wegesperrung muss geeignet sein, indem sie ein legitimes Ziel (Forstwirtschaft, Ökologie, Interessen anderer) zumindest fördert, erforderlich sein, indem die Wegesperrung (auch im Umfang und Dauer) die mildeste unter gleichgeeigneten Maßnahmen darstellt und sie muss angemessen sein, indem die Intensität der Belastung für H nicht außer Verhältnis steht zu dem Gewicht der Gründe für die Wegsperrung („nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen“).
B. Grundrechtsstatus – Teil 2: Fall: Röntgenzwang für Studierende 9/16 B. Grundrechtsstatus – Teil 2: Fall: Röntgenzwang für Studierende Nehmen Sie an, das Hochschulgesetz von NRW erlaubt die Exmatrikulation von Studierenden unter anderem dann, wenn ihr Gesundheitszustand ein ordnungsgemäßes Studium ausschließt. Das Gesetz ermächtigt ferner zu einer Regelung der Einzelheiten der Exmatrikulation in einer Universitätssatzung. Gehen Sie weiter davon aus, dass die Universitätssatzung der DSHS normiert, dass Studierende exmatrikuliert werden können, wenn sie sich nicht alle vier Semester einmal röntgenologisch untersuchen lassen. Die Untersuchung dient der Feststellung von Tuberkuloseerkrankungen. Der Student S weigert sich und wird exmatrikuliert.
10/16 Frage 1: Greift eine amtlich angeordnete Röntgenuntersuchung in das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein? Dieses Grundrecht lautet: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Antwort: Ja. Mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit verbunden ist der Anspruch des Einzelnen auf psychisches und physisches Wohlbefinden. Röntgenstrahlen können physiologische Veränderungen verursachen. Damit greift die Anordnung einer Röntgenuntersuchung in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein.
11/16 Frage 2: Die Universitätssatzung der DSHS stellt den Studierenden frei, nicht an der röntgenologischen Untersuchung teilzunehmen, und ordnet für diesen Fall die Exmatrikulation an. Ist dieser Umstand mit Blick auf einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit anders zu bewerten als eine amtliche Anordnung einer Röntgenuntersuchung? Antwort: Der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit erfolgt hierbei nicht durch die Anordnung der Untersuchung, sondern durch die drohende Exmatrikulation, die ihrerseits in das Grundrecht der Ausbildungsfreiheit aus Art. 12 GG eingreift.
12/16 Frage 3: Unter welchen beiden zentralen Voraussetzungen können Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit nur gerechtfertigt werden? Orientieren Sie sich hierbei an Artikel 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Dort heißt es: „In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Antwort: Es muss eine gesetzliche Grundlage vorhanden sein (Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes), die ihrerseits genauso verhältnismäßig ist wie einzelne Maßnahmen aufgrund des Gesetzes.
13/16 Frage 4: Ist der Eingriff in die Rechte des Studierenden der DSHS auf der Grundlage der Universitätssatzung gerechtfertigt? Antwort: Nein. Denn zum ersten beruht der Eingriff im Kern nicht auf dem Hochschulgesetz, sondern auf der Universitätssatzung. Das Hochschulgesetz verlangt zwar einen studiertauglichen Gesundheitszustand, regelt aber nicht dessen Nachweis. Zum zweiten verletzt die Untersuchung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insofern, als sie mit Blick auf die Häufigkeit von Tuberkuloseerkrankungen zumindest unangemessen ist.
14/16 2. Fall: Blessuren beim Turnen: Die Eltern E befördern das leistungssportliche Kunstturnen ihrer 14jährigen Tochter intensiv. Das Kind macht den Leistungssport freiwillig, erleidet aber immer wieder trainings- und wettkampfbedingte Blessuren. Frage 1: Gibt es im Allgemeinen Situationen, in denen der Staat nicht nur das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu achten hat, sondern sich auch schützend vor diese Rechte stellen muss? Wie sieht es konkret in dem Fall 2 damit aus?
15/16 Antwort: Eine staatliche Pflicht zum Lebens- und Gesundheitsschutz besteht dort, wo der Einzelne – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage ist, sein Leben oder seine Gesundheit selbst zu bewahren (Bedrohung durch andere, nasciturus, Katastrophen). In dem Fall 2 liegt ein solche Konstellation (noch) nicht vor. Zwar hat der Staat ein ausdrückliches Wächteramt über die Pflege und Erziehung von Kindern aus Artikel 6 Abs. 2 S. 2 GG insbesondere dort, wo deren Leben und Gesundheit bedroht sind. Doch würde dies das elterliche Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG in dem Fall 2 erst dann überlagern, wenn das Kind zu einem Leistungssport durch die Eltern gezwungen werden würde, der zu erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen führt. Dies ist im Fall 2 nicht angezeigt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 16/16 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!