Preis- oder Qualitätswett-bewerb als Gretchenfrage des Vergaberechts

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
SEIS Rheinland-Pfalz Selbstevaluation in Schulen (SEIS) SEIS - Informationen zu Organisation und Ablauf.
Advertisements

Nico MüllerAgentenbasierte Systeme1 Seminar : Agentenbasierte Systeme Thema: Agenten mit dynamischem Preisverhalten.
Kontrollfragen zu Kapitel 1
Bayerische Architektenkammer
D ACH V ERBAND S CHWEIZERISCHER P ATIENTENSTELLEN DVSP Gesundheitswesen Schweiz – werden wir europäisch? Vor- und Nachteile aus politischer Sicht Jean-François.
Schulung und Workshops «Submissionsrechtliche Fragen für PraktikerInnen» vom 7. September 2005 «Vorbereitung der Submission» Workshop Dr. Stefan Scherler,
Qualität und Wettbewerb – Wie geht das zusammen? Die Entwicklungspartnerschaft IMPROVE Mag. Peter Grundner 17. Oktober 2006, FH Vorarlberg Dornbirn Eine.
VWL: Marktformen Zweiseitiges Monopol Angebots- monopol
Europäische Dimension der Daseinsvorsorge
Schulung Beschaffungswesen 2005
Linzer Forum 2011 Gesundheit & Gesellschaftspolitik
FORMMARKE T. Kandasamy und A. Felser Lizenz- und Patentrecht II FS2008.
Europäisches Vergaberecht und ÖPPs Aktuelle Entwicklungen Dr
Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht Frühlingssemester 2014
Fit für die Messe IHK zu Rostock 2. November 2011
Erneute Senkung des Umwandlungssatzes! Freier Fall.....oder nötige Korrektur der neuesten Gesetzgebung? BVG-Apéro vom 6. Februar 2006 Käfigturm Bern Innovation.
Chancen nutzen – Risiken bekämpfen Für eine umfassende und kohärente Migrationspolitik.
Wir wohnen nicht neben der Schule, so fahren wir mit dem Bus.
24. September Der Verband des Deutschen Fliesenfachhandels – VDF – hat unter der Bezeichnung „VDF-AKADEMIE“ eine Weiterbildungsinitiative für.
Die Eisenbahn in Bewegung - Restrukturierung - Folgen - Zukunft (?) Ein Bericht von Balla György.
Spam Dr. Barbara Haindl - Rechtsabteilung (Wie) Kann rechtlich dagegen vorgegangen werden?
Lenz Consulting Lenz Consulting © Grundidee.
B Das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV
S.124 Aufgaben Omar Bensoltane. Aufgabe 16 Richtige Antwort: Nein „Vollkommener Markt“: rationaler, transparenter und vorliebenloser Markt. Beispiel:
Schulung Beschaffungswesen 2005 Neues Beschaffungsrecht im Kanton Schwyz: Ein Überblick Dr. August Mächler Vorsteher Rechts- und Beschwerdedienst.
Dr. Jürgen Kühnen Vors. Richter am OLG
Demokratiequalität Österreichs, unter Berücksichtigung des EU- Beitritts Gmeiner, Elik-Gülen, Süzgen.
Bildungspolitische Baustelle 1: Umsetzung des Weiterbildungsgesetzes WeBiG DV SVEB, Bildungspolitische Tagung 5. Mai 2015 Hotel Kreuz, Bern Dr. André Schläfli,
Übung 2 Einführung in die Ökonomie 18. April 2016.
SO : FAIR „ Rechtliche Hintergrund zur sozial-fairen öffentlichen Beschaffung“
Politik Einführung Wer macht Politik Wie macht man.
I. Ziele der Präsentation II. Was ist Mediation? III. Sedes materiae IV. Mediationszeitpunkt V. Beurteilung Marc SchibliNino Hafner2.
„Warum ist Sia translations das Richtige für mich?“ „Warum ist Sia translations das Richtige für mich?“ Was bekommen Sie automatisch von uns? KKostenlose.
Wirtschaftsrecht für Manager 1 Fall 6: Wettbewerbsrecht PD Dr. iur. Simon Schlauri, Rechtsanwalt in Zürich Übungen im Handels- und Wirtschaftsrecht.
C Kartellverfahrensrecht
Checkliste zur Gestaltung barrierefreier Webanwendungen und Webauftritte Wolfgang Wiese 11. Mai 2007.
Schulungsunterlagen der AG RDA
Stärkung der Interkommunalen Zusammenarbeit im Bundesland Vorarlberg
ZUM TTIP AUFBAU DES ABKOMMENS
Anteil Industrieproduktion (in % des BIP)
Zeitpolitik für Familien
Stakeholder Panel Reputationsbefragung 2016 Ergebniszusammenfassung
Bundesverband Gedächtnistraining e.V.
Erster Entwurf eines ABDSG Allgemeines Bundesdatenschutzgesetz
Vorlesung Wasserwirtschaft & Hydrologie II
2. Teil: Europäisches Kartellrecht
Kundentag 2013 Ihre Drehscheibe zum Erfolg 24. Oktober 2013
Erstellung einer Roadmap für Profilbereiche der RWTH Aachen Video 0: Grundlegendes Vorgehen zur Erstellung einer Roadmap 1.
Anteil Industrieproduktion (in % des BIP)
Das Recht auf Datenübertragbarkeit
[Dieser Foliensatz kann als Grundlage zur Einführung in die Gruppenbewertung dienen. Es empfiehlt sich, ihn dem zu bewertenden Vorhaben anzupassen. Für.
Herzlich willkommen cordiale bienvenue
INTERREG Hamburg, 09. Januar 2018.
ENERGIE POOL SCHWEIZ AG
5 Jahre ZAG Symposium des BVZI
DIN 276-1, Ausgabe 2006 Udo Blecken
"Der Einsatz elektronischer Beschaffungsformen nach dem BVergG 2002 "
C Kartellverfahrensrecht
2. Teil: Europäisches Kartellrecht
Verkaufen eines Produkts oder einer Dienstleistung
2. Debatte des Semesters.
Wahl zwischen Bestangebots- und Billigstangebotsprinzip
Netzausbau in Deutschland und den europäischen Nachbarn: Einführung
„Austausch macht Schule Forum 1: Lernort Schüleraustausch
copyright Scompler GmbH (alle Rechte vorbehalten)
Impulsvortrag zum E-Learning-Kurs „Hallo Europa, Hallo Welt!“
Portal öffentliche Kontrolle in Österreich
Perspektiven der Unternehmensmitbestimmung in Europa
Kommunale Baulandentwicklung in Edingen-Neckarhausen für die Baugebiete Edingen-Südwest – Tennisgelände Wiese Wingertsäcker Neckarhausen-Nord Dr.
 Präsentation transkript:

Preis- oder Qualitätswett-bewerb als Gretchenfrage des Vergaberechts Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht* *Der Referent vertritt seine persönliche Meinung. Zürich / 19. April 2017

Thesen: Kulturwandel im Vergaberecht? - Das neue EU-Vergaberecht intendiert eine Bewegung hin vom niedrigsten Preis zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis und damit eine neue Vergabekultur (Soudry/Hettich, S. 64; vgl. dazu auch 17. forum vergabe Gespräche 2015, S. 148) - Das geltende schweizerische Vergaberecht ist in Bezug auf die Definition des wirtschaftlich günstigsten Angebots eigentlich auf Qualität ausgerichtet; das Problem ist die Vergabekultur. Zürich / 19. April 2017

Ziele des Vergaberechts und der Umgang mit Zielkonflikten Gliederung Ziele des Vergaberechts und der Umgang mit Zielkonflikten das wirtschaftlich günstigste Angebot / Qualitätswettbewerb / Mehreignung Unterangebot: In Europa hochbrisant, hierzulande erst langsam ein Thema Nachhaltigkeitsziele passen zum blossen Preiswettbewerb wie Faust aufs Auge Zürich / 19. April 2017

WTO und Welthandelsvergaberecht adölkfjfffdasdfasdfasdffdasdfasdkjjaösdl kfjölskdjföalskdjfsöldkfj Kanada und Europa gehen gemeinsam einen Schritt weiter. Zürich / 19. April 2017

Die Ziele des Vergaberechts Art. 1 BöB Abs. 1: Der Bund will mit diesem Gesetz: a. das Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträgen regeln und transparent gestalten; b. den Wettbewerb unter den Anbietern und Anbieterinnen stärken; c. den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel fördern. Abs. 2: Er will auch die Gleichbehandlung aller Anbieter und Anbieterinnen gewährleisten. Zürich / 19. April 2017

Die Ziele des Vergaberechts nach dem Vorentwurf 2015 für das neue BöB Art. 1 VE 2015: Dieses Gesetz bezweckt: a. den wirtschaftlichen Einsatz der öffentlichen Mittel, unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit; b. die Transparenz des Beschaffungsverfah-rens; c. die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminie-rung der Anbietenden, Zürich / 19. April 2017

Die Ziele des Vergaberechts nach der Botschaft 2017 für das neue BöB Art. 2 lit. a E-BöB: Dieses Gesetz bezweckt: den wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel Botschaft vom 15. Februar 2017: SVP, FDP und swissmem (nebst economiesuisse) sind von der Nachhaltigkeitszielsetzung nicht begeistert. Zürich / 19. April 2017

Die Ziele des Vergaberechts I Vulgärutilitaristische mögliche Haltung der Auftrag- geberseite: Ich kaufe einfach ein, was für mich am vorteilhaf- testen ist, und die langfristigen Auswirkungen auf dem Markt interessieren mich nicht. Wettbewerb und wirtschaftlicher Mitteleinsatz können nicht absolut gesetzt werden. Da gibt es Zielkonflikte. Beispiel: Strategische Losvergabe gemäss Art. 21 Abs. 1bis BöB Zürich / 19. April 2017

Die Ziele des Vergaberechts II Die Vorgabe der Wirtschaftlichkeit (im Sinne von Art. 1 BöB) bleibt aber insofern unbestimmt, als sie als offenes Prinzip nicht abschliessend klärt, ob das Vergaberecht dem Preis- oder dem Qualitätswettbewerb verpflichtet sein soll. Die Antwort auf diese Frage gibt Art. 21 BöB. Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 21 des schweizerischen BöB I Abs. 1: Das wirtschaftlich günstigste Angebot erhält den Zuschlag. Es wird ermittelt, indem verschiedene Kriterien berücksichtigt werden, insbesondere Termin, Qualität, Preis, Wirtschaftlichkeit, Betriebskosten, Kundendienst, Zweckmässigkeit der Leistung, Ästhetik, Umweltverträglichkeit, technischer Wert. Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 21 des schweizerischen BöB II Sowohl aufgrund des Wortlautes als auch der Ent- stehungsgeschichte von Art. 21 Abs. 3 BöB ist der Umkehrschluss zulässig, dass der Gesetzgeber den reinen Preiswettbewerb bei nicht weitgehend stan- dardisierten Gütern als nicht sachgerecht erachtet (Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts B-2960/2014 vom 28. Oktober 2014 E. 4.2.5.1 f. mit Hinweisen; Steiner, in: Zufferey/Stöckli (Hrsg.), Aktuelles Vergaberecht 2014, S. 166 f. mit Hinweisen). Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 21 des schweizerischen BöB III Die Ermittelung des besten Kosten-Leistungs- verhältnisses (bewusst nicht nur Preis-Leistungs- verhältnisses) der Angebote durch die Würdigung aller Zuschlagskriterien ist der eigentliche Sinn und Zweck des Beschaffungsverfahrens (Erläuternder Bericht zum VE BöB vom 30. Mai 2008, S. 54 zu Art. 29 Abs. 3 VE BöB 2008). Nach Entwurf 2017 Art. 41 des Entwurfs (“Zuschlag”) i.V.m. Art. Art. 29 des Entwurfs (“Zuschlagskriterien”); vgl. dazu Botschaft vom 15. Februar 2017, S. 109 Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 21 des schweizerischen BöB IV Öffentliche Aufträge müssen an den günstigsten Bewerber gehen. (Weltwoche vom 24. November 2016, S. 35) Nein! Das wirtschaftlich günstigste ist nicht das billigste Angebot! Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 67 der Richtlinie 2014/24/EU I Die Kommission wollte nicht so weit gehen wie das Parlament, das die schweizerische Lösung angepeilt hat, hat aber bereits im Entwurf vom 20. Dezember 2011 (Art. 66) neu das wirtschaftlich günstigste Angebot oder die günstigsten Kosten als Alternativen definiert. Je nach Wahl des Auftraggebers können die Kosten entweder nur auf Grundlage des Preises oder etwa aufgrund des Lebenszyklus-Kostenansatzes ermittelt werden. Zürich / 19. April 2017

Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art Das wirtschaftlich günstigste Angebot nach Art. 67 der Richtlinie 2014/24/EU II Das neue EU-Vergaberecht intendiert eine Bewegung hin vom niedrigsten Preis zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis und damit eine neue Vergabekultur; abweichend von der bisherigen Regelung misst der EU-Gesetzgeber dem reinen Preiswettbewerb zukünftig nur eine nachrangige Bedeutung bei (Soudry/Hettich, S. 64; vgl. dazu auch 17. forum vergabe Gespräche 2015, S. 148). Zürich / 19. April 2017

Mehreignung Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung (und auch nach neuem EU-Richtlinienrecht) ist die Besser- bewertung von Schlüsselpersonal im Rahmen des Zuschlags im Sinne einer Mehreignung ausdrücklich zulässig (BGE 139 I 489). Wird das gemacht, verschiebt sich das Gewicht weg vom Preis- hin zum Qualitätswettbewerb. Zürich / 19. April 2017

Unterangebot In Bezug auf dieses Thema sind wir in der Schweiz liberale Musterknaben, was die Wettbewerbsziel- setzung angeht (Art. 25 Abs. 4 VöB). Die Bauwirt- schaft fordert (wie die europäische Bauwirtschaft) im Rahmen der Vergaberechtsreform ein verschärftes Vorgehen gegen Unterangebote. Interessanterweise spricht in der Schweiz keiner über das europäische Richtlinienrecht (Art. 69 der Richtlinie 2014/24/EU), obwohl dort eine mögliche Option für eine Verschärfung der Regelung beschrieben wird. Zürich / 19. April 2017

Nachhaltigkeit und Preiswettbewerb Die Nachhaltigkeitszielsetzung, d.h. die Integration längerfristig relevanter Gesichtspunkte, passt zu reinem Preiswettbewerb wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Oder umgekehrt: Bauwirtschaft, Ingenieure, Textilindustrie usw. müssen sich fragen, ob sie ein Interesse daran haben, economiesuisse bei der Bekämpfung des Nachhaltigkeitsziels zu unter- stützen. Zürich / 19. April 2017

Bundesverband der Deutschen Industrie I Dr. Peter Schäfer, BDI Zürich / 19. April 2017

Bundesverband der Deutschen Industrie II “Daneben spielt auch eine Rolle, dass die europä- ische und vor allem die deutsche Industrie nach hohen Aufwendungen zur Einhaltung stetig verschärfter Umweltvorschriften inzwischen Produkte und Dienstleistungen anbietet, die im Vergleich zu [anderen] Wettbewerbern oft überlegen sind.” (Peter Schäfer, Festschrift Fridhelm Marx). -> Seit 2013 unterstützt der BDI die Nachhaltigkeit im Sinne von “Green Public Procurement” Zürich / 19. April 2017

Fazit Das geltende Schweizer Recht hat richtig ausgelegt klaren Qualitätsfokus. Das europäische Recht hat sich in dieselbe Richtung entwickelt. Wenn das in der Praxis nicht so gelebt wird (falsche Vergabekultur), kann man versuchen, das Gesetz zu ändern, und/oder offensiv um die Lufthoheit über dem vergaberechtspolitischen Stammtisch kämpfen, woraus sich die richtige Vergabekultur ergibt. Bonusfrage: Ist die Belohnung von Ökoinnovation für Ingenieure, Architekten und Bauunternehmen gut oder schlecht? Zürich / 19. April 2017