Rechtswissenschaftliches Institut Grundlagen des Obligationenrechts, Prof. Dr. C. HugueninSeite 1/25 Vertragsauslegung und -ergänzung Huguenin, OR AT und.

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Rechtswissenschaftliches Institut Grundlagen des Obligationenrechts, Prof. Dr. C. HugueninSeite 1/25 Vertragsauslegung und -ergänzung Huguenin, OR AT und BT, N 273 – 319 Vorlesung vom Dienstag, 29. September 2015 Obligationenrecht Allgemeiner Teil I Herbstsemester 2015 PD Dr. Michael Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 2/17 Essentials –Vertragsauslegung –Vertragsergänzung

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 3/17 Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen D. Auslegung der Verträge, Simulation OR 18 1 Bei der Beurteilung eines Vertrages sowohl nach Form als nach Inhalt ist der übereinstimmende wirkliche Wille und nicht die unrichtige Bezeichnung oder Ausdrucksweise zu beachten, die von den Parteien aus Irrtum oder in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen. 2 […] Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 4/17 Auslegung von Verträgen und Willenserklärungen Huguenin, OR AT und BT, N 278 ff. subjektive Auslegung (Rekonstruktion des Parteiwillens) Kann der wirkliche Parteiwille nicht (empirisch) eruiert werden, ist der mutmassliche Parteiwille zu ermitteln. objektivierte Auslegung (Konstruktion des Parteiwillens) Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 5/17 Vertragsauslegung Huguenin, OR AT und BT, N 278 ff. Auslegungsmittel (Erkenntnisquellen)  Wortlaut  ergänzende Auslegungsmittel  Verhalten vor Vertragsabschluss  Begleitumstände  Interessenlage der Parteien  Verhalten nach Vertragsabschluss  Natur und Zweck des Vertrages  Verkehrssitten und Usanzen  … Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 6/17 Vertragsauslegung Auslegungsmittel: Bedeutung des Wortlauts «Bei der Auslegung einer Vertragsklausel nach dem Vertrauensgrundsatz ist in erster Linie von deren Wortlaut auszugehen. In der Regel müssen die von den Vertragsparteien gewählten Ausdrücke und Wörter in ihrem objektiven Sinn verstanden werden. Ein klarer Wortlaut geht im Auslegungsverfahren grundsätzlich den anderen Auslegungsmitteln vor. Aus Art. 18 Abs. 1 OR geht allerdings hervor, dass der Sinn eines Textes, selbst wenn er klar ist, nicht zwingend massgeblich ist und dass die rein wörtliche Auslegung im Gegenteil verboten ist. Selbst wenn der Inhalt einer Vertragsklausel auf den ersten Blick klar erscheint, kann es sich nämlich aus anderen Bedingungen des Vertrages, aus dem von den Parteien verfolgten Zweck oder aus anderen Umständen ergeben, dass der Wortlaut der streitigen Vertragsklausel nicht genau den Sinn der geschlossenen Vereinbarung wiedergibt ...  » (BGE 131 III 606 ff., E. 4.2 = Pra 2006 Nr. 80; Hervorhebung hinzugefügt) Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Seite 7/17 Vertragsauslegung Huguenin, OR AT und BT, N 278 ff. Auslegungsregeln (Interpretationsgrundsätze)  gesetzliche Auslegungsregeln: z. B. OR 16 I, OR 76, OR 77, OR 176 III, OR 220 und OR 481 II  erweiterte Auslegung ex tunc (Vertragsschluss)  objektivierte Auslegung nach dem Vertrauensprinzip  ganzheitliche Auslegung  gesetzeskonforme Auslegung  … Die Parteien können auch selbst Auslegungsregeln vereinbaren. Diese gehen vor, unterliegen allerdings ihrerseits der Auslegung. Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Adelbert von Hohenfels gratuliert seinem besten Freund Otto in einem herzlichen Brief zum 60. Geburtstag und verspricht ihm darin, er könne sich beim nächsten Besuch «ein gutes Stück aus der Bibliothek» aussuchen. Alle Verwandten und Bekannten von Adelbert wissen um seinen Schalk, den Weinkeller als Bibliothek zu bezeichnen. Kann sich Otto auf eine Antiquität aus Adelberts Büchersammlung freuen oder erhält er ein edle Flasche Wein? Vertragsauslegung Seite 8/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Koni gewährte Beate am 21. Mai 2010 ein Darlehen. Im schriftlichen Vertrag steht Folgendes: “1.Der Darlehensgeber gewährt der Darlehensnehmerin ein Darlehen im Betrag von EUR 100‘ Das Darlehen wird mit 10 % p.a. verzinst. Die Zinsen sind quartalsweise zu zahlen, per Ende jedes Quartals, erstmals per 30. Juni Die Darlehensnehmerin hat sämtliche Zahlungen am Fälligkeitsdatum in EUR taggleich auf das Konto XY bei der A Bank zu überweisen. 8.Dieser Darlehensvertrag gilt als Schuldanerkennung für den Betrag von EUR 100‘000 zuzüglich Zins.“ Koni überwies das Darlehen und Beate bezahlte pünktlich die Zinsen. Als der Wechselkurs nachgab (am 21. Mai 2010: 1.45; am 4. Oktober 2010: 1.33) schlossen sie auf Wunsch von Koni folgenden Zusatz zum Darlehensvertrag: “Die Darlehensnehmerin verpflichtet sich, das Darlehen in Schweizer Franken zurückzuzahlen, und zwar CHF 145‘000 zuzüglich Zinsen.“ Koni und Beate geraten in Streit darüber, in welcher Währung die Zinsen zu zahlen sind. Vertragsauslegung Seite 9/17

Rechtswissenschaftliches Institut Ausgangslage  Der Vertrag ist gültig zustande gekommen.  Die Auslegung hat zum Ergebnis geführt, dass sich die Parteien über bestimmte Punkte, die regelungsbedürftig gewesen wären, nicht oder nicht vollumfänglich geeinigt haben (Vorliegen einer Lücke). Ob die Parteien sich der Lücke bewusst waren, spielt keine Rolle. Die Grenze zur Vertragsauslegung ist fliessend. Huguenin, OR AT und BT, N 299 ff. Vertragsergänzung Seite 10/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Mittel der Vertragsergänzung und ihre Rangfolge Meinung Huguenin etc. 1)hypothetischer Parteiwille 2)dispositives Gesetzesrecht 3)Gewohnheitsrecht 4)Richterrecht Meinung Gauch/Schluep/Schmid etc. 1)dispositives Gesetzesrecht 2)Gewohnheitsrecht 3)Vertragsergänzung durch das Gericht  hypothetischer Parteiwille  Richterrecht Huguenin, OR AT und BT, N 312 ff. Vertragsergänzung Seite 11/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Vertragsergänzung durch das Gericht Das Gericht hat sich am hypothetischen Parteiwillen zu orientieren. Um den hypothetischen Parteiwillen zu ermitteln, hat das Gericht zu fragen, was die Parteien nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie sich der Regelungslücke bewusst gewesen wären. Huguenin, OR AT und BT, N 305 ff. Vertragsergänzung Seite 12/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Marta ist Eigentümerin der Pferde "Panic“ und "Fleury“, die in die Reitschule von Patrick gehen. Im Februar 2015 kauft Marta die fünfjährige Stute “La Punt“ und gibt sie ebenfalls in die Pension. Am 9. April 2015 kauft Patrick von Marta die Pferde "Panic“ und "Fleury“ zu einem Preis von insgesamt CHF 26‘000, wovon er CHF 6‘000 bis 31. Juli 2015 bar zahlen und CHF 20‘000 durch die Aufnahme in die Pension und das Zureiten der Stute “La Punt“ abgelten soll. Am 26. Mai 2015 erleidet “La Punt“ ohne Verschulden von Patrick (oder sonst jemandem) in der Reithalle einen Beckenbruch und muss abgetan werden. Marta kündigt den Vertrag fristlos und klagt gegen Patrick auf Zahlung von CHF 26‘000. Wird das Gericht Marta recht geben? (vgl. BGE 107 II 144) Vertragsergänzung Seite 13/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Julia studiert Medizin an der Universität Zürich. Ihre Tante Emma besitzt eine grosse Jugendstilvilla in Zürich-Enge, fühlt sich aber seit dem Auszug ihrer Kinder oft einsam. Sie bietet deshalb Julia das vormalige Bediensteten- zimmer «zu einem vernünftigen Preis» an. Ohne langes Zögern, nimmt Julia das Angebot an. Sowohl Julia als auch ihre Tante sind der Auffassung, man werde sich schon noch über die Höhe des Mietzinses einigen und so zieht Julia bei ihrer Tante ein. Zwischen den beiden ereignet sich schon bald eine kleine Meinungsverschiedenheit, woraufhin die bisweilen cholerisch veranlagte Tante Emma Julia sofort wieder loswerden möchte. Als sie ihrem Bekannten Julius davon berichtet, meint dieser lapidar: Wenn sie sich ja nicht einmal über den Mietpreis geeinigt hätten, so sei doch gar kein Vertrag zustande gekommen. Folglich könne Tante Emma Julia ohne weiteres auf die Strasse stellen. Liegt Julius mit seiner Sichtweise richtig? (vgl. BGE 119 II 347) Vertragsergänzung? Seite 14/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Yasmin beauftragt die Sanitär GmbH damit, alte Wasserleitungen in ihrem Einfamilienhaus zu ersetzen. Im Werkvertrag steht zur Haftung der Sanitär GmbH Folgendes: “Die Sanitär GmbH haftet nur für vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden. Im Übrigen ist eine Haftung ausgeschlossen.“ Als Max, ein Mitarbeiter der Sanitär GmbH, ein Rohr anspitzt, läuft Wasser in grossen Mengen aus. Der Schaden am Parkett beläuft sich auf CHF 5‘000. Max hatte den falschen Hahn zugedreht, macht aber (zutreffend) geltend, die Leitungen seien falsch angeschrieben gewesen. Das Gericht wertet das Verhalten von Max als leicht fahrlässig und weist die Klage von Yasmin gegen die Sanitär GmbH aufgrund der Freizeichnungsklausel ab. Yasmin überlegt sich, aus unerlaubter Handlung (Art. 41 Abs. 1 OR) gegen Max zu klagen. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg oder ist die Haftung von Max beschränkt? Vertragsauslegung und -ergänzung Seite 15/17Vertragsauslegung und -ergänzung, Prof. Dr. C. Huguenin / PD Dr. M. Hochstrasser

Rechtswissenschaftliches Institut Der Darlehensvertrag zwischen Koni und Beate (Folie 9) enthält eine Ziff. 6, die ebenfalls zu Streit führt: “1.Der Darlehensgeber gewährt der Darlehensnehmerin ein Darlehen im Betrag von EUR 100‘ Das Darlehen wird mit 10 % p.a. verzinst. Die Zinsen sind quartalsweise zu zahlen, per Ende jedes Quartals, erstmals per 30. Juni Das Darlehen ist am 30. Juni 2011 zur Rückzahlung fällig. Mit Ablauf dieses Tages gerät die Darlehensnehmerin automatisch in Verzug und schuldet Verzugszinse in der Höhe von 5 % p.a. 8.Dieser Darlehensvertrag gilt als Schuldanerkennung für den Betrag von EUR 100‘000 zuzüglich Zins.“ Beate ist nicht in der Lage, das Darlehen rechtzeitig zurückzuzahlen und gerät am 1. Juli 2011 in Verzug, was sie anerkennt. Koni verlangt einen Verzugszins von 15 %, bestehend aus 10 % weiterlaufendem Darlehenszins und 5 % Verzugszins wie in Ziff. 6 vereinbart. Beate ist der Ansicht, sie schulde ab dem 1. Juli 2011 nur noch 5 % Zins. Vertragsauslegung und -ergänzung Seite 16/17

Rechtswissenschaftliches Institut 1. Zustandekommen des Vertrags  Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit  übereinstimmende gegenseitige Willenserklärungen (Konsens; OR 1 I) 2. Gültigkeit des Vertrags  Formmangel (OR 11 ff.)  Inhaltsmangel (OR 19/20)  Übervorteilung/Willensmangel (OR 21 ff.) 3. Erfüllung des Vertrags  richtige Erfüllung (OR 68 ff.)  Nichterfüllung/Unmöglichkeit (OR 97/119)  Nichterfüllung trotz Leistungsmöglichkeit (Verzug; OR 102 ff.)  mangelhafte Erfüllung 4. Beendigung des Vertrags  durch Erfüllung  andere Gründe (Übereinkunft, Rücktritt, Kündigung etc.) Huguenin, OR AT und BT, N 4098 ff. Vertragliche Ansprüche (Übersicht) Seite 17/17