Privatrecht II Lektion 5 Mangelhafte Verträge (§ 3, V)
Übersicht zur Lektion 5 Irrtum (§ 3, V, A) Täuschung (§ 3, V, B) Drohung (§ 3, V, C)
Ungültigkeitsgründe (Vertragsmängel) Nichtigkeitsgründe Anfechtungsgründe Übervorteilung Willensmängel Art. 21 OR Art. 23 – 31 OR
Die Willensmängel im OR Irrtum Täuschung Drohung Art. 23 - 27 OR Art. 28 OR Art. 29 - 30 OR
Die zwei Arten des Irrtums Mangelhafte Kundgabe des Willens Bildung des Willens Mangelhafte Kundgabe des Willens Motivirrtum Erklärungsirrtum
Mangel in der Willensbildung (natürlicher) Konsens Der Motivirrtum Wer sich in einem Motivirrtum befindet, will zwar das, was er erklärt, lässt sich dabei aber von einer falschen Vorstellung über die Wirklichkeit leiten. A B Mangel in der Willensbildung Wille Wille Austausch der Willenserklärungen Erklärung Erklärung (natürlicher) Konsens A B
Der Erklärungsirrtum Wer sich in einem Erklärungsirrtum befindet, will nicht das, was er erklärt, indem er eine falsche Vorstellung über die Ausdruckskraft seines eigenen Erklärungsverhaltens hat. Diskrepanz zwische Wille und Erklärung A B Wille Wille Auslegung der Willens-erklärungen nach dem Vertrauensprinzip Erklärung Erklärung normativer Konsens A B
Rechtserheblicher Irrtum wesentlicher Irrtum unwesentlicher Irrtum Anfechtungsgrund (Art. 23 OR) kein Anfechtungsgrund
Wesentlicher Irrtum Erklärungsirrtum Motivirrtum Unwesentlich Ausnahme Grundsatz Unwesentlich Wesentlich Unwesentlich Art. 24 Abs. 2 OR Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 - 3 OR Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
Fälle des wesentlichen Erklärungsirrtums (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 1 – 3 OR) Natur des Rechtsgeschäfts Identität der Sache / Person Umfang von Leistung und Gegenleistung Ziffer 1 Ziffer 2 Ziffer 3 error in negotio error in objecto/ in persona error in quantitate
Beispiel für einen Erklärungsirrtum: Irrtümliche Preisangabe bei einer Warenauslage „Auch wenn der Beklagte die Preisanschrift im Schau-kasten in guten Treuen als gültiges Angebot des Klägers verstanden hat, vermag sich letzterer somit durch Berufung auf Irrtum von seinen vertraglichen Pflichten loszusagen, da sein Irrtum erheblich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR ist.“ (BGE 105 II 23 ff. – „Ring-Fall“)
Der wesentliche Motivirrtum: Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) Voraussetzungen (Tatbestandselemente): Subjektive Wesentlichkeit: „notwendige Grundlage des Vertrages“ Objektive Wesentlichkeit: „nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr“ Erkennbarkeit
Beispiel für einen Grundlagenirrtum: Irrtum über die Echtheit eines Kunstwerkes „Die Echtheit eines Kunstwerkes gehört bei solcher Betrachtungsweise zur notwendigen Geschäftsgrundlage, weshalb sich eine falsche Vorstellung darüber grund-sätzlich nicht als blosser Irrtum im Beweggrund ausgeben lässt. (…)“ (BGE 114 II 131 ff. – „Picasso-Fall I“)
Grundlagenirrtum über künftige Sachverhalte „Allerdings ist zu beachten, dass Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR sich nicht nur auf Sachverhalte und Umstände bezieht, die im Zeitpunkt des Vertrags-sschlusses bereits bestanden haben. Auch ein Irrtum über eine in der Zukunft liegende Entwicklung ist möglich. Diesfalls müssen aber die Parteien einen bestimmten zukünftigen Sachverhalt irrtümlich als sicher angesehen haben. Nur wenn die eine Partei fälschlicherweise annahm, ein zukünftiges Ereignis sei sicher, und die andere Partei davon entweder auch überzeugt war oder - wenn sie sich der Unsicherheit bewusst war - nach Treu und Glauben hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war, liegt ein Irrtum im Sinne der genannten Bestimmung vor. Es genügt somit nicht, dass die sich auf Irrtum berufende Partei von einer künftigen Entwicklung ausging, die sich nicht verwirklicht hat; sie muss sich vielmehr über die Sicherheit dieser Entwicklung geirrt haben.“ (BGE 117 II 224)
Täuschung (Art. 28 OR) A B Wille Wille Erklärung Erklärung Mangel in der Willensbildung A B Wille Wille Erklärung Erklärung Täuschungshandlung Konsens B A
Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen Täuschungshandlung positives Tun Unterlassen Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen Verschweigen von Tatsachen* *(nur wenn im konkreten Fall eine Aufklärungspflicht bejaht wird)
Täuschung (Art. 28 OR) Voraussetzungen (Tatbestandselemente): Täuschungshandlung Täuschungsabsicht (Widerrechtlichkeit) Irrtum (Erfolg) Kausalzusammenhang
Täuschung durch einen Dritten (Art. 28 Abs. 2 OR) andere Vertragspartei hat die Täuschung gekannt oder hätte sie kennen sollen (ZGB 3 II) andere Vertragspartei hat die Täuschung weder gekannt noch hätte er sie kennen sollen Anfechtbarkeit keine Anfechtbarkeit
Furchterregung / Drohung (Art. 29 und 30 OR) Mangel in der Willensbildung A B Wille Wille Erklärung Erklärung Drohungshandlung Konsens B A
Furchterregung / Drohung (Art. 29 und 30 OR) Voraussetzungen (Tatbestandselemente): Drohungshandlung (Drohungsabsicht) Widerrechtlichkeit Gegründete Furcht (Erfolg) Kausalzusammenhang
Widerrechtlichkeit der Drohung Art. 30 Abs. 2 OR Widerrechtlichkeit des angedrohten Übels (Mittel / Zweck / Zweck-Mittel-Relation) Erlangung eines übermässigen Vorteils bei Drohung der Geltendmachung eines Rechts Beispiele: - Bedrohung von Leib und Leben - Drohung vertragwidrigen Verhaltens Beispiele: - Drohung mit Betreibung - Drohung mit Strafanzeige
Drohung durch einen Dritten (Art. 29 Abs. 1 und 2 OR) andere Vertragspartei hat die Drohung gekannt oder hätte sie kennen sollen (ZGB 3 II) andere Vertragspartei hat die Drohung weder gekannt noch hätte er sie kennen sollen Anfechtbarkeit Anfechtbarkeit (evtl. Entschädigung gegenüber der anderen Vertragspartei)
Anfechtbarkeit des mangelhaften Vertrages Anfechtungserklärung Rechtsfolge bei Willensmängeln / Übervorteilung: Anfechtbarkeit des mangelhaften Vertrages Willensmangel einseitige Unverbindlichkeit B A Anfechtungserklärung Ungültigkeit des Vertrages B A
Gültigkeit des mangelhaften Vertrages einjährigen Verwirkungsfrist nach Ablauf der einjährigen Verwirkungsfrist (Art. 31 OR*) durch Genehmigung vor Ablauf der einjährigen Verwirkungsfrist *(für die Übervorteilung: Art. 21 OR)
Haftung bei Anfechtung des Vertrages A B A B fahrlässig Irrender (Art. 26 OR) A B culpa in contrahendo Anfechtung Übervorteilter Getäuschter Bedrohter A B culpa in contrahendo* *(evtl. in Konkurrenz mit Art. 41 OR)