Dr. Sabina Enzelberger WS 2008/09

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
DER WIRTSCHAFTSKREISLAUF UND SEINE TEILNEHMER
Advertisements

Einführung in die VWL.
Karl Marx.
Einleitung Makroökonomie Beispiel Arbeitsteilung
Reformen für den Widerstand
Besonderheiten des 2. Vorschlags
Wandel der Erwerbsstruktur
Wandel privater Lebensformen
Modelle der Sozialstrukturanalyse
Einführung in die Internationalen Beziehungen
Was ist Globalisierung?
Soziale Ungleichheit im internationalen Vergleich
HS: Sozialstruktur II WS 2008/09 Dr. Sabina Enzelberger
9. Jan: Klassen und Schichten
Vorlesung: Einführung in die Soziologie – WS 2009/10 Prof. Dr
2. Vom Stand zur Klasse: Karl Marx und Max Weber
Was soll unter Bildung verstanden werden?
Modulforum „Christlicher Glaube in säkularer Gesellschaft“
Unterrichtsinhalte im Fach Geschichte/Oberstufe
Bauern im Mittelalter.
Tutorium: Wirtschaftliche Grundlagen für den Arbeitslehreunterricht
Lernen in Lernfeldern Franz Wieland Landesinstitut für Erziehung und Unterricht.
Das Menschenbild des Marxismus
(bitte als Bildschirmpräsentation starten)
Geschichte und Sozialkunde kombiniert
Französische Revolution
Maßlosigkeit des Kapitals
Agrarische Grundstruktur
«Vorhang auf!» Einstieg in die Kapital-Lektüre mit PolyluxMarx
DEFINITIONEN PRODUKTION
Politisch-historische Bildung: Militarismus Ursachen und Gefahren des Militarismus OLt Steffen Mazanek Den preußisch-deutschen Militarismus.
Arbeitslehreseminar- Arbeit & Beruf
Übersicht: Sozialstruktur und soziale Schichtung
Mächtigster Konkurrent der Wirtschaft
Die Ordnung des menschlichen Zusammenlebens Menschen leben in Staaten.
Aufbruch in die Industriegesellschaft – Bedingungen des Wandels
(bitte als Bildschirmpräsentation starten)
Geschichte und Sozialkunde kombiniert
Parteien und gesellschaftlicher Wandel
Familienpolitik in Deutschland
Theorie des Neoliberalismus
Arbeitskampf in der Schweiz
Die freie Marktwirtschaft
Referat „Soziale Wandel“
Französische Revolution
6. Grundlagen des Wirtschaftens
Industrialisierung (ab 1750)
England – Die Wiege der Industrie
-lich Willkommen ProRegio.
Gastprofessor Dr. Árpád v. Klimó Katholische Kirche und Katholiken: Österreich im europäischen Kontext (19. und 20. Jahrhundert)
Demos der Aufklärung 18. Jahrhundert Erweiterung der Kommunikationsinfrastruktur im 18. Jahrhundert: Freimaurer, Illuminatenorden: Logen Formen der Soziabilität:
SSPF2/02/01/01 © Peter Weichhart Modul 02/01 Leitlinien der Wirtschaftsent- wicklung: Paradigmenwandel der Produktionstechnologie Standortsysteme im Postfordismus.
Vorlesung Geschichtswissenschaft:
DIE WIRTSCHAFTSSEKTOREN
Präsentation Unternehmens- organisation.
Klassiker der Frühpädadogik
Historischer Hintergrund der Landwirtschaft
Historischer Hintergrund der Landwirtschaft
Industrielle Revolution
der deutschen Sozialversicherung
Industrielle Revolution
Industrielle Revolution im 19.Jhd
Verwaltungslehre Ist Bürokratie eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Kapitalismus?
Industrialisierung.
Ende der Feudalgesellschaft und Anfang einer Technikgesellschaft
Ullrich Beck/ Individualisierungstheorie Von: Lukas Autor und Julius Ullrich.
Was ist Arbeit? Soziologische Perspektive Franz Bär, Christos Karagiannis, Jakob Liedl.
DIE INDUSTRIELLE REVOLUTION
Was ist die industrielle Revolution? Veränderungen/ Auswirkungen
 Präsentation transkript:

Dr. Sabina Enzelberger WS 2008/09 Die historische Entwicklung westlicher Gesellschaften von der vorindustriellen Agrargesellschaft über die moderne Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft I. Teil: Vom Agrar- zum Industriestaat

Definitionen – Gesellschaft Sozialstruktur Sozialer Wandel Modernisierung

Definitionen - Gesellschaft ENDRUWEIT: „eine räumlich, zeitlich oder sozial begrenzte und zugleich geordnete Menge von Individuen, die in direkten wie indirekten Wechselbeziehungen verbunden sind …“ SCHÄFERS: „Organisationsform des menschlichen Zusammenlebens“.

Definitionen – Sozialstruktur Struktur (lat. struere = aufbauen, ordnen): Aufbau, innere Gefüge eines Phänomens bzw. die Untergliederung einer Erscheinung in verschiedene Elemente. Ganz allgemein meint Sozialstruktur die „Struktur einer Gesellschaft“:

Definitionen – Sozialstruktur HRADIL: „Gesamtheit der relativ dauerhaften sozialen Gebilde (Gruppie-rungen, Institutionen, Organisationen) einer Gesellschaft, der sozialen Beziehungen und Wirkungszusammenhänge innerhalb und zwischen diesen Gebilden sowie deren Grundlagen“. (HRADIL) Soziale Gebilde: Soziale Schichten, Familien, Betriebe, Recht, Wirtschaftsord-nungen

Definitionen – Sozialstruktur GEISSLER: Die Sozialstrukturanalyse zergliedert die Gesellschaft in ihre relevanten Elemente und Teilbereiche und untersucht die zwi- schen den Einzelelementen bestehenden relativ dauerhaften Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhänge.

Definitionen – Sozialstruktur ENDRUWEIT: Sozialstruktur als soziodemografische Grundgliederung der Bevölkerung: Altersstruktur Geschlechtsstruktur Haushaltsstruktur sozialstatistische Aspekt der Klassifikation

Definitionen – Sozialstruktur ENDRUWEIT: b) Sozialstruktur als Grundgliederung der Bevölkerung - nach der Verteilung zentraler Ressourcen - Bildungsstruktur - Berufsstruktur - Einkommensstruktur bzw. - als Zusammenfassung dieser Gliederungen in eine Aufteilung nach Ständen, Schichten, Klassen, Lagen (oder Sozialmilieus und Lebensstile) Gleichsetzung von sozialer Schichtung und Sozialstruktur  sozioökonomische Klassifikation

Definitionen – Sozialstruktur ENDRUWEIT: c) Sozialstruktur als zusammenfassende Charakterisierung einer bestimmten Gesellschaftsform über die Zusammenfassung von spezifischen Einzelbefunden wird eine konkrete historische Gesellschaftsform mit einem einzigen Begriff typisiert - Risikogesellschaft - Multikulturelle Gesellschaft - vorindustrielle Agrargesellschaft - Industriegesellschaft - nachindustrielle Dienstleistungsgesellschaft

Definitionen – Sozialer Wandel HRADIL: Nachhaltige und verbreitete Veränderung sozialer Strukturen (Strukturwandel) Sozialstruktur: stabilen Muster der Gesellschaft Sozialer Wandel: dynamischen Aspekte einer Gesellschaft.

Definitionen – Modernisierung ZAPF/ENDRUWEIT: Die Modernisierung bzw. die Entwicklung zur modernen Gesellschaften vollzieht sich in den letzten 250 Jahren in - Stadien der wirtschaftlichen Entwicklung (Industrialisierung) - Stadien der politischen Entwicklung (Demokratisierung) - weiteren kulturellen und individuellen Veränderungen (Rationalisierung, Säkularisierung, Emanzipation, Pluralisierung der Lebensformen, Individualisierung)

Definitionen – Modernisierung BENDIX: „Unter Modernisierung verstehe ich einen Typus des sozialen Wandels, der seinen Ursprung in der englischen industriellen Revolution von 1760-1830 und in der politischen Französischen Revolution von 1789-1794 hat. (…) Modernisierung (…) besteht im wirtschaftlichen und politischen Fortschritt einiger Pioniergesellschaften und den darauf folgenden Wandlungsprozessen der Nachzügler.“ Industrialisierung und Demokratisierung sind die beiden zentralen Prozesse der Modernisierung.

Definitionen – Modernisierung Zumeist meint Modernisierung die Entwicklung in 3 Phasen 1. vormoderne einfache und arme Agrargesellschaft 2. moderne komplexe, differenzierte und reiche Industriegesellschaft 3. postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft mit je typischer Ausformung der Sozialstruktur und der Arbeits- und Lebensverhältnisse.

I. 2. Die vorindustrielle feudale Agrargesellschaft Struktur der Gesellschaft: Vorwiegend agrarischer Charakter Ständische Struktur Zentrale Stellung von meist geheiligten Traditionen Kirchliche Vormundschaft über kulturelle Normen, Lebensanschauung und -führung

a) Agrarische Charakter (bis 2. Hälfte des 18. Jh.s) 85-90% in Landwirtschaft tätig, in ländlichen Siedlungen lebend Kleine Städte V. a. Ackerbürgerstädte

a) Agrarische Charakter (bis 2. Hälfte des 18. Jh.s) Agrarische Charakter betrifft auch: Kultur Lebenshorizonte und -führung Wirtschaftsdenken (Haus- und Subsistenzwirtschaft) Familienformen Erziehungspraktiken Berufsgliederung und -ausbildung politische und religiöse Deutungen

b) Ständische Gesellschaftsordnung Ständegliederung bestimmt die Sozialstruktur der feudalen Agrargesellschaft: FRAGE: Besonderheiten im Vergleich zur modernen Sozialstruktur einer Industrie- bzw. Dienstleistungsgesellschaft?

b) Ständische Gesellschaftsordnung Feudalismus (lat. feudum = Lehngut): Form der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und recht-lichen Gesellschaftsordnung in West- und Mitteleuropa seit dem Frühmittelalter Grundelement: Lehnswesen

b) Ständische Gesellschaftsordnung Sozialstruktur: differenzierte Lehenspyramide König Adlige Oberschicht als Kronvasalle After- bzw. Untervasalle Bauern: Zins und Abgaben an Grundherren (Naturalien, Fron-, Kriegsdienste) Persönliche Abhängigkeit, Treueid

b) Ständische Gesellschaftsordnung Stände: „Relativ scharf umrissene, durch Tradition, Sitte und Recht festgelegte soziale Gruppen. Die durch Geburt – oder auch seltener durch Verdienst (Ministeriale) – erworbene Standeszugehörigkeit ist mit bestimmten Verpflichtungen, Privilegien oder Benachteiligungen verbunden, die die gesamte Lebensführung umgreifen. Von ihr hängen Ansehen und ‚Ehre’ ab; sie verpflichtet zu bestimmten Berufen und regelt die berufliche Tätigkeit; sie schreibt einen ‚standesgemäßen’ Lebensstil, die Formen der Geselligkeit und die Erziehung der Kinder vor; sie greift in die Wahl des Ehepartners und in das Religiöse ein und bestimmt die politischen Rechte.“ (Geißler 2006, S. 27)

b) Ständische Gesellschaftsordnung Wechsel zwischen den Ständen nicht von persönli-cher Entscheidung, Ausbildung oder Leistung des einzelnen Individuums abhängig Abstammungsgesellschaft statt Leistungsgesell-schaft

Ländliche Sozialstruktur Adel (1,5-2% der Bevölkerung) Geistlichkeit bzw. Klerus Bauern (85-90% der Bevölkerung) Unterbäuerliche Schichten Heimarbeiter Tagewerker, Tagelöhner kleine Katenbesitzer Vagabunden, Bettler

Hradil 2001

Städtische Sozialstruktur Vorbereitung der Modernisierung durch die politi-schen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen in der Stadt: Bürgerlich-rechtliche Freiheit (Stadtluft macht frei) Berufsverbände (Zünfte, Gilden) Ausgeprägter Erwerbssinn Funktionsdifferenzierte Einrichtungen (Ämter, Schulen, spezialisierte Handwerker, Händler) Güter- und Leistungsmärkte Zweckrationale, anonyme und sachliche Sozialbeziehungen Individuelle Unabhängigkeit

Städtische Sozialstruktur Patrizier Adlige und geistliche Stadtherren und ihre Ministeriale Fernhandelskaufleute (Magistrat) freie Grund- und Hausbesitzer Bürger Handwerker (z.T. über 50% der Erwerbstätigen) Einzelhändler Städtische Beamte Ackerbürger Unterbürgerliche Schichten Sondergruppen Geistlichen Juden

Hradil 2001

Quelle Hradil 2001

Ständische Sozialstruktur Leben der Individuen kontrolliert durch Grundherrschaft Ständische Unterschiede Stadt- und Dorfgemeinde Familie

c) Zentrale Stellung der Traditionen

d) Kirchliche Vormacht

Vergleich mit der gegenwärtigen Gesellschaft Immobilität Statik Fehlende Individualisierung FRAGE: Wann beginnt Prozess der Individualisierung?

Politische Macht im Feudalismus Das Recht, im Staat zu regieren, war auf den Adel - in manchen Ländern nur auf den absoluten König - beschränkt England: Absolutismus durch Revolution unter O. Cromwell (1649) verhindert Glorreiche Revolution (1688/89): Königsmacht durch Parlament begrenzt Regierung: König, Adel, Teile des städtischen Großbürgertums

Politische Macht im Feudalismus Frankreich: Absolutismus seit (1614) Höhepunkt 1661-1715 unter Ludwig XIV Ende 1789 mit Französischen Revolution

I.3 Die Französische Revolution und Auf- lösung der Ständischen Gesellschaft Aufhebung der Steuerfreiheit des Adels des Erbadels der Leibeigenschaft der Frondienste der Bauern des geistlichen Zehnten der Zünfte Einziehung der Kirchengüter (Verwendung als Nationalgüter) Ende des Absolutismus (Ancien Regime) Beseitigung der politischen und sozialen Macht des Adels

Die Französische Revolution Deklaration/Verankerung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 Prinzipien des modernen liberalen westlichen Verfassungsstaates Freiheit und Rechtsgleichheit

Die Französische Revolution Beginn des modernen Prozesses der Demokratisierung Verfassungsgebende Nationalversammlung Beseitigung der feudalen Standesrechte 1792 Republik Demokratische Prinzipien in Verfassung Abschaffung des Zensuswahlrechts

Die Französische Revolution Auflösung der ständischen Sozialordnung! Begründung bürgerlichen Zeitalters (1789-1918)!

I.3 Die Französische Revolution Weg in die moderne Gesellschaft: Voraussetzungen für freie Marktwirtschaft/ Industrialisierung Eröffnung des Weges von der Agrar- zur Industrie- gesellschaft Demokratisierung der Gesellschaft

I.3 Die Französische Revolution und Deutschland Preußischen Staats- und Verwaltungsreformen (1808-1812): Aufhebung aller Privilegien und innerer Schranken Staatsbürgerliche Gleichheit Einheitliches Recht (Code Napoléon 1804) Motive: Aufbrechen der ineffektiven Strukturen des absolutistischen Staates mit Ziel des Wiederaufstieg des preußischen Staates zur Großmacht nach der Niederlage Preußens (Schlacht Jena und Auerstedt 1806) Mitwirkungsmöglichkeiten für Staatsbürger (nicht mehr Untertanen) zur Gewinnung für den Befreiungskrieg

I.3 Die Französische Revolution und Deutschland Die Liberalisierung der preußischen Wirtschaft: Bauernbefreiung (ländliche) Gewerbefreiheit Aufhebung der ständischen Zunftverfassung Säkularisierung des Kirchengutes Judenemanzipation Wirtschaftsliberalismus (ADAM SMITH, 1723-1790) zur Stärkung der wirtschaftlichen Potenz Aufstieg des Bürgertums

I.4 Die Entstehung der Industrie- gesellschaft im 19. Jh.

Begriff „Industriegesellschaft“ HENRI DE SAINT-SIMON (1760-1825): Neue industrielle Produktionsweise als wesentliches Merkmal: Methodisch-systematische Anwendung technischen Wissens auf die Güterproduktion Erhöhung von Präzision und Effizienz

Begriff „Industriegesellschaft“ R. GEISSLER 2006: Erweiterter Begriff Nicht nur auf neue maschinen-orientierte Produktion von Massengütern in arbeitsteiligen Großbetrieben bezogen, sondern auch auf die durch den technisch-ökonomischen Wandel hervorgerufenen sozialen, kulturellen, politischen Veränderungen in den außerökonomischen Bereichen (Familien, Erziehung, Ausbildung, Berufsgliederungen, Ideologien und Sozialstruktur).

1.4.1 Der technisch-ökonomische Wandel Vorformen der industriellen Produktionsweise Das Verlagssystem Die Manufaktur Fehlen des entscheidenden Elements der industriellen Produktionsweise: Einsatz von Maschinensystemen als Schlüsseltechnologie der Industrialisierung

Verlagswesen

1.4.1 Der technisch-ökonomische Wandel Vorformen der industriellen Produktionsweise Das Verlagssystem Die Manufaktur Fehlen des entscheidenden Elements der industriellen Produktionsweise: Einsatz von Maschinensystemen als Schlüsseltechnologie der Industrialisierung

Entwicklungen im Zeitalter atemberaubender technischer Innovation 1705: Dampfmaschine von Newcomen 1762-1775:Verbesserungen der Dampfmaschine durch James Watt 1765: "Spinning Jenny" (v. engine), Spinnmaschine v. J. HARGREAVES 1769: Baumwollspinnmaschine von ARKWRIGHT (Beginn maschineller Garnproduktion in England) 1779: Mule (Maultier) - Spinnmaschine von CROMPTON (Universalmaschine, die feine bis grobe Garne herstellte) 1784: Puddelverfahren bei Eisengewinnung von CORTE 1784: Mechanischer Webstuhl von CARTWRIGHT (mit Dampfmaschine motorisiert) 1792: "Cotton Gin", Baumwollreinigungsmaschine von Whitney in USA 1800: Drehbank von MAUDSLEY

Begriff „Industrielle Revolution“ ARNOLD TOYNBEE (1889-1975) bezogen auf die bisher nicht gekannte Geschwindigkeit und Radikalität der wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im Zuge der technischen Umwälzungen (Chemie-, Optik- und Elektrizitätsbereich) P. A. SOROKIN (1889-1968): Zahl der Erfindungen zwischen 1700 und 1900 übersteigt um das Sechsfache die Zahl der Erfindungen der 1.700 Jahre vorher.

Neue Merkmale der industriellen Technik? Neue Apparate und Maschinen: Kokshochöfen und Dampf-maschine Neue Energiegewinnung und -produktion Neue Apparaturensysteme Verwissenschaftlichung der Technik Moderne Organisation der Arbeit und Produktion

Taylorismus – FREDERICK WINSLOW TAYLOR 1856-1915 Ziel: Rationalität Effektivität Produktivität Zielereichung durch: System der wissenschaftlichen Erfassung und Gliederung der Arbeitsabläufe mittels Zeitstudien ( Standardisierung)

Taylorismus – FREDERICK WINSLOW TAYLOR 1856-1915 STANDARDISIERUNG: kollektive Arbeits- und Anstellungsbedingungen immer wieder kehrende Arbeits- und Produktionsabläufe Synchronisierung wie „rush hour, Fabriksirene, gemeinsamer Feierabend FRAGE: Veränderungen in der Dienstleistungsgesellschaft?

Taylorismus – FREDERICK WINSLOW TAYLOR 1856-1915 „Wissenschaftliche Betriebsführung“: Trennung von Planung und Durchführung der Arbeit  Loslösung der Kontrolle des Arbeitsprozesses von (handwerklichen) Kenntnissen und Fertigkeiten des Arbeiters Wissensmonopol um die beste Arbeitsdurchführung allein beim Management  Analyse und Planung des Arbeitsprozesses durch das neue hierauf spezialisierte moderne professionelle Management 

Taylorismus – FREDERICK WINSLOW TAYLOR 1856-1915 Rationelle, systematisch-wissenschaftliche Unter-nehmensführung und -planung: unternehmerisches Rationalitätsprinzip höherer Grad an Arbeitsteilung Bürokratisierung (s. Angestellte) Abb.: Werbeplakat für Taylorismus, Deutschland 1920er-Jahre

Folgen des Taylorismus als moderne Arbeitsorganisation für die Arbeiterschaft Standardisierung Spezialisierung Entzug der Kontrolle über die Produktion (Machtverlust) Verlust des Arbeitsstolzes Anreiz nur noch durch Leistungslohnsystem DEQUALIFIZIERUNG Psychische Belastung und Entfremdung

Moderne Verkehrswege und Transportmittel 1807 Erster regelmäßiger Dampfschiffverkehr in USA (FULTON) 1814 Erfindung der Lokomotive durch STEPHENSON (von Stockton nach Darlington) 1816 Erstes Dampfschiff von Nordsee den Rhein hoch 1818 Erste Dampfschifffahrt von New York nach Liverpool 1825 Dampfschifffahrt auf dem Rhein 1825 Erste Eisenbahn in England 1834 Elektromotor durch JACOBI 1835 Erste Eisenbahn in Deutschland

Die Eisenbahn als Wachstumsmotor der Industrialisierung Verbilligung der Transportkosten Wachsende Geschwindigkeit von Rohstoff-, Güter- und Personaltransport Sombart: 1800: Postkutsche 50km/Tag 1900: Eisenbahn 800 km/Tag Entstehung industrieller Ballungszentren Förderung von Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie, Maschinenbau (1850: 5.000 km 1910: 63.000 km Schienennetz)

Bedingungen der frühzeitigen Industrialisierung in England 17. Jh.: Absolutismus, Grundherrschaft, Zunftzwang gelockert Früh Voraussetzungen für freiere Marktwirtschaft (Gewerbefreiheit) Günstige Lage am Meer Landzersplitterung früh aufgehoben Systematischer Fruchtwechsel Viehzucht (Stallfütterung, Düngung)  18. Jh. verbesserte Lebensstandard  Bevölkerungsanstieg  Erhöhte Nachfrage nach gewerblichen Gütern (Textilien)

Bedingungen der frühzeitigen Industrialisierung in England Steigendes Angebot an leistungsstarken Arbeitskräften Produktionsüberschuss in Landwirtschaft, positive Handelsbilanz  Kapitalanhäufung, Kolonialbesitzes (Rohstoffe, Handel)  Finanzierung neuer Gewerbe und industrieller Maschinen Calvinismus: kapitalistischer Wirtschaftsgeist Wenig Einmischung des Staates England als Mutterland der Industrialisierung und 1. Industrie- und Handelsmacht

Verspätete Industrialisierung in Deutschland Gründe: Schwächung durch den Dreißigjährigen Krieg Religiöse Spaltungen Viel- und Kleinstaaterei (Zollgrenzen) bis in 1. Hälfte des 19. Jh.s Hörigkeit der Bauern schwach entwickeltes Bürgertum absolutistische Regierungsformen – keine freiere Markwirtschaft großen Entfernungen zu maritimen Handelswegen ( Zapf, Schäfers)

Verspätete Industrialisierung in Deutschland Beförderung der Industrialisierung durch Stein-Hardenbergsche Reformen (1808-1812) Deutschen Zollverein von 1834 Revolution von 1848 Gründung des deutschen Nationalstaates Sieg über Frankreich 1870/71 Vereinheitlichung des Geld- und Münzwesens 1873

Stürmische Industrialisierung in Deutschland (Gründerperiode ab 1848) Dt. Schwerindustrie Kohlebergbau Eisen-, Stahlindustrie Maschinenbau Eisenbahnbau

Deutschland wird industrielle Weltmacht überholt England um die Jh. wende Verfünffachung der industriellen Produktion zwischen 1870 und 1913 Neue (auch welt-)führende Industrien Ende des 19. Jh.s: Metallindustrie Chemieindustrie (BASF) optischen Industrie Elektrotechnikindustrie Energiegewinnung (Verbrennungsmotor, Elektrizität, elektrische Motoren) „Made in Germany“

Gründerkrise Organisation von Konzernen „Organisierter Kapitalismus: Konzentration Kartellierung Verbandsbildung

Voraussetzung der Industrialisierung in Deutschland Modernisierung der Landwirtschaft: neue Anbaumethoden (Fruchtwechsels) rationellere Ausnutzung des Bodens Ausweitung der Futterpflanzung und des Kartoffelanbaus Verbesserung der Düngung (Chemie), Viehzucht Maschinelle Ausrüstung Steigerung der Erträge der Landwirtschaft zwischen 1874 und 1914 um 73%  Steigerung der Nahrungsmittelproduktion Verbilligung der Lebenshaltung Bevölkerungswachstum

Ökonomische Indikatoren für Übergang zur Industriegesellschaft Anteile der Produktionssektoren an der Wertschöpfung Anteil der Produktionssektoren an den Beschäftigten Zu 1. Wertschöpfung: Kurz vor 1890 hatte das produzierende Gewerbe die landwirtschaftliche Produktion überholt.

Geißler, S. 25

Ökonomische Indikatoren für Übergang zur Industriegesellschaft Zu 2. Beschäftigte: Beginn der 1890er Jh.: sekundäre Sektor (Industrie, Handwerk) überholt Landwirtschaft zahlenmäßig 1907: Anteil über 40% Beginn des 19. Jh.s.: 80% der dt. Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig; Beginn des 20. Jh.s: ca. ein Drittel Lohnarbeiter immer dominanter (64% 1882; 75% 1907) (Geißler)

Geißler, S. 26

„Industriekapitalismus“ Wichtigste Charakteristika des Kapitalismus: Privateigentum an Produktionsmitteln Erzeugung von Mehrwert Gewinnstreben („Profitmaximierung“) Marktkonkurrenz (K. MARX 1818-1883) (Geißler 2006)

Kennzeichen eigentlicher Industrieproduktion Effektivere, Kosten sparende Verfahren der Stahl- und Eisen-erzeugung (Kokshochöfen) Massenhafte Nutzung bisher wenig verwendeter Rohstoffe (Kohle, Eisen) Neue Formen der Energienutzung (künstliche Kraftstoffgewinnung: Dampfkraft, Elektrizität) Neue technische Maschinensysteme und Großapparaturen Rationalisierung  Erhöhung des Produktionsvolumens 

Kennzeichen eigentlicher Industrieproduktion Groß- und Massenproduktion Erfindergeist Fortschrittsglaube Verzahnung wissenschaftlicher Forschung und Produktion

Kennzeichen eigentlicher Industrieproduktion Rationalisierung nicht nur als Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschine, sondern auch im Sinne aller Maßnahmen zur Erhöhung der Rentabilität durch rationale Organisation und Planung der menschlichen Arbeit (Taylorismus)  Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung kaufmännischer und verwalterischer Tätigkeiten (Management, Büroangestellte)

Kennzeichen eigentlicher Industrieproduktion Neue standardisierte Muster von Arbeits- und Zeitdisziplin Spezialisierung (Auffächerung der Berufe und Tätigkeiten) und Arbeitsteilung Maximierung (immer höhere Produktionszahlen) Produktion statt in Kleingruppen (Familie, Heimindustrie) in Großgruppen/-betrieben Modernes Verkehrswesen Einsatz von immer mehr Kapital Konzentration- und Zentralisationsprozesse im Produktionsbereich Erschließung neuer Märkte

Kennzeichen eigentlicher Industrieproduktion Bezüglich NIP, NSP, Beschäftigungsanteil, Gesamtproduktion, Kapitaleinkommen und -stock, Wertschöpfung, Nettoinvestition: Industrie an 1. Stelle Kapitalistische Eigentums- und Produktionsverhältnisse Privateigentum an Produktionsmittel Erzeugung von Mehrwert Gewinnstreben (Profitmaximierung) Marktkonkurrenz FRAGE Kennzeichen der Postindustrieller Produktionsweise?

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Aufhebung der Grundherrschaft Bauernbefreiung Aufhebung des Zunftzwanges freier Handel und Gewerbe Einschränkung der Adelsvorrechte

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Kapitalistische Marktwirtschaft bzw. der Arbeitmarkt entschei-den anstelle familialer Herkunft über die Lebenschancen  Umschichtung der Sozialstruktur von der Ständegesellschaft zur Klassengesellschaft Expansion der marktbedingten sozialen Klassen (M. WEBER) im Wilhelminischen Kaiserreich (aus Ständen werden Klassen)

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Stände sind „relativ scharf umrissene, durch Tradition, Sitte und Recht festgelegte soziale Gruppen. Die durch Geburt – oder auch seltener durch Verdienst – erworbene Standeszugehörigkeit ist mit bestimmten Verpflichtungen, Privilegien oder Benachteiligungen verbunden, die die gesamte Lebensführung umgreifen. Von ihr hängen Ansehen und ‚Ehre’ ab; sie verpflichtet zu bestimmten Berufen und regelt die berufliche Tätigkeit; sie schreibt einen ‚standesgemäßen’ Lebensstil, die Formen der Geselligkeit und die Erziehung der Kinder vor; sie greift in die Wahl des Ehepartners und in das Religiöse ein und bestimmt die politischen Rechte.“ (Geißler 2006, S. 27)

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Die Zugehörigkeit zu den Klassen, die Stellung einer Klasse in der Sozialstruktur und damit die klassenspezifischen Lebenschancen sind dagegen in erster Linie von ökonomischen Faktoren bestimmt von: von der Stellung im Produktionsprozess Besitz und Einkommen

Die neue Klassengesellschaft (H.-U. WEHLER) Adel (1% der Bevölkerung): Einbußen in wirtschaftlichen Stellung und rechtlichen Privilegien Behauptung der Führungsrolle in Gesellschaft, Politik, Bürokratie, Wirtschaft und Militär (Dt. Spezifikum) Bürgertum (höchstens ca. 15% der Gesamtgesellschaft) Wirtschaftsbürgertum/ Bourgeoisie (5 % der Bevölkerung) Oberschicht mit großer wirtschaftlicher und politischer Macht teilweise Feudalisierung Korporatismus (dt. Spezifikum) Verzicht auf demokratische Mitbestimmungsrechte Defizit an Bürgerlichkeit „Herr im Hause-Stil„ (dt. Spezifikum)

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft b) Bildungsbürgertum (ca. 1 % der Bevölkerung) obere Mitte der Gesellschaft Ambivalenz von Bedeutungsgewinn und Prestigeverlust gegenüber Wirtschaftsbürgertum Bedrohungsgefühl durch Aufstieg des organisierten Proletariats Statusängste, Identitätsverlust Anfälligkeit für Reichsnationalismus, Militarismus, Sozialdarwinis- mus, Antisemitismus

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Kleinbürgertum (10-15 % der Bevölkerung) Gewerbefreiheit, Industrialisierung  Zerfall des Stadtbürgertums Alter Mittelstand Untere Mitte der Gesellschaft Mittlere und kleinere selbständige Handwerker und Kaufleute Auf- und Abstiegsdynamik Gewinner und Verlierer

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Neuer Mittelstand a) Beamte b) Angestellte (1%) als neue Sozialfigur, bedingt durch Unternehmenskonzentration Wachstum der Handels-, Warenhäuser und Filialketten Moderne Verkehrswesen Wachstum der Banken und Versicherungen Wachstum der staatlichen und kommunalen Verwaltung Schriftlichkeit und Arbeitsteilung in Produktion Trennung von Kopf- und Handarbeit (TALORISMUS) Büromäßige Organisation der Verwaltung, des Lohn- und Rechnungswesens: Arbeitsvorbereitung Kontrolle Koordination Kaufmännische Tätigkeiten Verwaltung Verwissenschaftlichung der Produktion

Die Angestellten als neue Sozialfigur Klare gemeinsame Abgrenzungskriterien gegenüber der Arbeiterschaft: Nichtkörperliche Arbeit Bessere Ausbildung Höherer Verdienst Größere Arbeitsplatzsicherheit Bessere Aufstiegsmöglichkeiten Bessere Behandlung durch Unternehmer Eigenes Renten-Versicherungssystem Innerbetriebliche Privilegien (Urlaub, Prämien, kürzere Arbeitszeiten) Höheres Prestige Kein Arbeitnehmerbewusstsein Mittelstandsbewusstsein Orientierung am bürgerlichen Lebensmodell Aufstiegsorientierung

Bäuerliche Besitzklassen und Landproletariat Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Bäuerliche Besitzklassen und Landproletariat

Von der alten Ständeordnung zur modernen Industriegesellschaft/Klassengesellschaft Arbeiterklasse (1907 69%) Aufstieg zur dominanten Klasse Sehr heterogene Unterschicht Marx: „Proletariat“ Unselbstständigkeit Kein Eigentum Gezwungen, Arbeitskraft gegen Lohn und Gehalt am Markt denen anzubieten, die über die wichtigsten Produktionsmittel verfügen

Arbeiterklasse Arbeits- und Lebensbedingungen: 1. Hälfte des 19. Jh.s: Pauperismus

Arbeiterklasse (1907 69%) 2. Hälfte des 19. Jh.s Verbesserung des Lebensstandards Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktivität verbilligte Handelswaren aus Übersee neue Nahrungsmittelindustrie, Konserven, industriell erzeugte langhaltbare Lebensmittel Sozial- bzw. Interventionsstaat Verdoppelung der Reallöhne zwischen 1871 und 1913 Verbesserung der Wohnungen Senkung der Arbeitszeit 1903: Verbot der Kinderarbeit in Deutschland Senkung der Arbeitslosenquote unter 3 % Gewerkschaften, Arbeitervereine Produktionssteigerung in der Landwirtschaft (Kunstdünger) soziale Frage nicht beseitigt  Arbeitskämpfe

Die bürgerliche Gesellschaft (1789-1918) SCHÄFERS 2002: „Bürgerliche Gesellschaft ist … diejenige Organisation des Zu-sammenlebens“, die entstanden ist durch die Innovationen der Industriellen Revolution, „von den Bürgern getragen“ ist und in den bürgerlichen Revolutionen des 17.-19. Jahrhunderts durchgesetzt“ wurde.

Die bürgerliche Gesellschaft (1789-1918) Politische, soziale, ökonomische Emanzipation Politische Mitbestimmung Menschen- und Grundrechte Bürgerliches Recht Verfassungs- und Rechtsstaat Liberalismus - staatsfreie Sphäre Institutionalisierte Konfliktlösungen Säkularisierung Rationalisierung – methodische Lebensführung Autonomie Sachkompetenz Freie, nicht-zünftige Markt- und Konkurrenzwirtschaft Absicherung des Privateigentum

Die bürgerliche Gesellschaft (1789-1918) Individuelles Leistungsprinzip  gegen Adel Handlungsraum autonomer Individuen (Freisetzung der Individuen) Tugendhaftigkeit (Arbeitsethos, Fleiß, Nützlichkeit)  gegen Adel Unternehmerischer Wagemut und Gewinnstreben Arbeitsteilung Rationell-funktionell-sachliche Beziehungen Moral und Sittlichkeit  gegen Adel Bildung statt Herkunft Materieller Wohlstand Soziale und geografische Mobilisierung Diesseitigkeit Intimsphäre der Kleinfamilie (Wohnstil) Bejahung von Wissenschaft und Technik Autonomes Wissenschaftssystem Hochkultur

Deutsches Spezifikum der bürgerlichen Gesellschaft Umsetzung bürgerlicher ökonomischer Prinzipien Defizit an Bürgerlichkeit im politischen Bereich: Keine Vertretung liberaler und parlamentarischer Ideale Reichseinheit nicht unter bürgerlicher Führung monarchieorientiertes Bürgertum halbe Macht des Bürgertums!

Die verspätete Demokratie WEHLER: „Deutsche Sonderweg in die Moderne“: „Deutschland ist nicht nur eine verspätete Nation“ und eine verspätete Industriegesellschaft, sondern erst recht eine verspätete Demokratie. In Deutsch-land kann man trotz Bauernbefreiung, Gewerbefrei-heit, Schulpflicht, kommunaler Autonomie nicht vor Mitte des 19. Jh.s vom Beginn der gesellschaftlichen Modernisierung sprechen:

Die verspätete Demokratie WEHLER: „klassisches Modernisierungsdilemma“: überaus dynamische und innovative Industriewirtschaft (weltweite Spitzenposition) erstaunliche Urbanisierungsleistungen modernstes Sozialversicherungssystem herausragende Leistungen in Wissenschaft und Technik ABER erstarrtes autoritäres obrigkeitsstaatliches politisches Herrschaftssystems Fehlen der politischen Modernisierung: des bürgerlichen Liberalismus, Parlamentarisierung und Demokratisierung Militarismus und Nationalismus

Die verspätete Demokratie H.-U. WEHLER: „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ F. NAUMANN (1860-1919): „Industrievolk im Kleide des Agrarstaates“ Problemstau  1. Weltkrieg und Nationalsozialismus

Bevölkerungsentwicklung, Migration und Urbanisierung Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft: größtes Bevölkerungswachstum in der dt. Geschichte (demografische Revolution) größte Bevölkerungsbewegung in der deutschen Geschichte Urbanisierung

Industrialisierung Der sozioökonomische Wandel im 19. Jh. beruht auf einem komplexen Wirkungszusammenhang und nicht nur auf technischen Entwicklungen, auch wenn diese einen „Knotenpunkt in dem vielschichtigen Wirkungsgefüge“ darstellen, von dem entscheidende Impulse für Veränderungen in allen gesellschaftlichen Sektoren ausgingen. (Geißler 2006).

Kennzeichen von modernen Industrie-gesellschaften Freisetzung und Marktabhängigkeit Individualisierung Urbanisierung und Urbanität

Kennzeichen von modernen Industrie-gesellschaften Konzentration der Arbeitskräfte (große Produktionszentren) Stark differenzierte Berufsstruktur Umschichtungsprozesse im Sozialgefüge Mehrzahl: unselbständige Arbeitnehmer Angestellte entstehen Individuelle Leistungsgesellschaft

Kennzeichen von modernen Industrie-gesellschaften Soziale und regionale Mobilisierung Trennung von Haushalt und Arbeitsstätte Ausdifferenzierung autonomer funktionsspezifischer gesellschaftlicher Teilsysteme  Komplexität der Gesellschaft Rollendifferenzierung Anonyme Beziehungen Konsumgesellschaft - Trennung Produktion und Konsum Wandel der Familienstrukturen Rechtsgesellschaft (Rechtsgleichheit, Universalistische Normen)

1. Phase der Individualisierung mit Beginn des Industrialisierungsprozesses Aufbruch in die Moderne Jahrhunderte alte Gefüge von Kontinuität und Beständigkeit zerstört Die einzige Konstante ab jetzt: Veränderung

1. Phase der Individualisierung mit Beginn des Industrialisierungsprozesses Auf das Individuum bezogen meint Individualisie-rung die fortschreitende Freisetzung und Heraus-lösung des Individuums aus traditionellen kollek-tiven Lebenszusammenhängen und Bindungen und den Verlust von traditionalen kollektiven Vorgaben und Sicherheiten der Lebensführung aufgrund der Auflösung traditioneller soziokultureller Milieus (Stände-, Nachbarschaftszugehörigkeit) und kon-ventioneller Moralvorstellungen und Glaubens-systeme.

1. Phase der Individualisierung mit Beginn des Industrialisierungsprozesses Das Schwinden alter Bindungen schafft Wahlfreiheit in Bezug auf Wohnort Beruf Ehepartner Selbstbestimmung des Lebens und befreit von Fesseln des Ständesystems der Zünfte der ländlichen Armut der Kontrolle der großen Haushaltsfamilie der Dorfgemeinschaft der Naturkräfte und bringt für alle mehr Wohlstand

1. Phase der Individualisierung mit Beginn des Industrialisierungsprozesses Individualisierung schafft aber auch Unsicherheit aufgrund des Verlusts an - alten Gewissheiten - traditionellen Sicherheit gebenden Zweckgemeinschaften (Ganze Haus) neue Abhängigkeiten z.B. vom - Takt der Maschinen - Markt - dem Unternehmer.