Klausur S 163 Strafrecht WS 2010/2011 Friedrich Toepel.

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 Präsentation transkript:

Klausur S 163 Strafrecht WS 2010/2011 Friedrich Toepel

Zu Frage 1 I) Strafbarkeit des A 1.) Das Geschehen in der Wohnung des O a) §§ 242 I, II, I StGB durch Einstecken der EC-Karte aa) Vorprüfung: Diebstahl  vollendet, Karte für A nicht fremd, Versuch strafbar, § 242 II StGB bb) Tatentschluss: Vorsatz des A bezüglich Karte = fremde bewegliche Sache,

Vorstellung einer Wegnahme? Bruch von Os Gewahrsam +, kein Einverständnis; Begründung neuen Gewahrsams +, Wohnung = genereller Herrschaftsbereich des O, körpereigene Sphäre der Gäste, die deren Kleidung mit umfasst, aber = Gewahrsamsexklave mit Einstecken Karte in diese Exklave verbracht.

(noch vertretbar: verhindert Begründung neuen Gewahrsams –, wegen Beobachtung und sofortigen Eingreifens des O (später bei versuchtem § 252 StGB evtl. von Bedeutung) cc) Abs. rw Zueignung: + (Auftreten als Eigentümer beabsichtigt: behalten und für Einkäufe benutzen) dd) § 22 StGB: unproblematisch ee) Rw, Schuld +, Strafbarkeit gem. §§ 242 I, II, I StGB +

b) §§ 249, 22, 23 I StGB durch dasselbe Verhalten i. V. m. Faustschlägen gegen Brust und Arme Tatentschluss: aa) Gewalt (vis absoluta) +, bb) Finalzusammenhang Gewalt- Wegnahme: Gewalt  Mittel, um die Wegnahme zu ermöglichen, O soll nur abgelenkt werden (Ablenkung bzw. Täuschung  Raubmittel)

Keine Absicht O bei seiner Verteidigung gegen die Wegnahme der EC-Karte einzuschränken werden, daher Tatentschluss – c) §§ 240 I, II, III, 22, 23 I StGB durch die Faustschläge gegen Brust und Arme? Finalzusammenhang: Einsatz der Nötigungsmittel zur Herbeiführung eines Nötigungserfolgs?

Vertretbar: A will O mit Hilfe der Schläge zwingen, sich zu rechtfertigen und soll gerade so abgelenkt werden (Sachverhalt nicht ganz klar, auch vertretbar, hier Tatfrage anzunehmen) d) § 223 I StGB aufgrund der Faustschläge: unproblemat. 1. u. 2 Alt. + (schmerzhaft, bei lebensnaher Interpretation zumin- dest blaue Flecke)

e) § 187 StGB aufgrund Bezeichnung als Falschspieler aa) obj. Tb.: Falschspieler = falsche Tatsachenbehauptung gegenüber Dritten (B hört mit) bb) subj. Tb.: wider besseres Wissen + (A hat auch Vorsatz, dass B zuhört), Rw, Schuld +, Strafbarkeit gem. § 187 StGB + [§§ 246, 22, 23 I StGB aufgrund Verdeckens oder Einsteckens: muss nicht erwähnt werden, jedenfalls verdrängt, § 246 I StGB]

2.) Die Vorgänge nach dem Verlassen der Wohnung des O a) §§ 223 I, 224 I Nr. 4 StGB aufgrund Niederschlagens des O: aa) Grundtb. unproblemat. 1. u. 2 Alt. +; bb) § 224 I Nr. 4 StGB: A und B wirken zusammen, nach h. L. unabhängig davon, ob Bs Mitwirken mittäterschaftlich oder nur Beihilfe (anders möglicherweise BGH NStZ 2000, 194, 195,

insofern Ablehnung des § 224 I Nr. 4 StGB mit der Begründung vertretbar, B habe nicht mittäterschaftlich gehandelt) cc) Rw, § 32 StGB:  ) Angriff des O +,  ) Versuch, dem A die Karte wieder abzunehmen = rw Angriff? Nur dann, wenn Erfolgsunwert ausreichend O irrt sich, Handlungsunwert des Angriffs fehlt insofern  ) Gegenwärtigkeit des Angriffs +

 ) Verteidigungshandlung, Erforderlichkeit der Abwehr? Mildestes Mittel unter mehreren gleich geeigneten ausgewählt? Hinweis auf den Namen auf der Karte als milderes Mittel? (so Musterlösung, dieser Weg aber nicht zugänglich für A, weil er ihn nicht kannte)  ) Subj. Rechtfertigungselement: Verteidigungswille fehlt wegen As Irrtum, es handle sich um Os Karte: Meinungsstreit:

 ) überwiegende Ansicht: bei Verwirklichung des Handlungsunwerts Anwendbarkeit der Versuchsregeln  ) auch vertretbar: keine volle Rechtfertigung, daher Strafbarkeit vollständig gegeben (Finalisten, ältere Rspr. BGHSt 2, 114)  Mindermeinung (Spendel): subj. Rechtfertigungselement bei Notwehr überflüssig, volle Rechtfertigung

Ergebnis: je nachdem Vollendung, Anwendbarkeit der Versuchsregeln Straflosigkeit b) §§ 240 I, II StGB durch Zwingen des O, Abnehmen der Karte zu unterlassen Rw, § 32 StGB: Problematik wie soeben in Bezug auf Körperverletzung zu entscheiden

Aber auch vertretbar: obj. Tatbestand ablehnen: objektiv berechtigter Zweck: das Eigentum des Täters zu verteidigen selbes Ergebnis unter der Verwerflichkeitsklausel c) §§ 252, 22, 23 I StGB durch Niederschlagen des O und Entfernen mit der Karte aa) Tatentschluss, Vorstellung des A:  ) Gewalt nach Vollendung des Diebstahls (nach Begründung neuen Gewahrsams)? +

es sei denn: Beobachtung und sofortiges Eingreifen des O würde Gewahrsamsbegründung hindern, dann Raubversuch zu prüfen  ) auf frischer Tat betroffen? + Gewaltanwendung im Beendigungsstadium bb) Besitzerhaltungsabsicht + cc) § 22 StGB: unproblematisch dd) Rw, § 32 StGB: Problematik wie in Bezug auf Körperverletzung zu entscheiden

3.) Konkurrenzen: §§ 252, 22, 23 I; 240 I; 224 I Nr. 4; 52 StGB (Konsumtion von §§ 242 I, II, 22, 23 I StGB durch §§ 252, 22, 23 I StGB) II) Strafbarkeit des B 1.) Das Geschehen in der Wohnung des O §§ 242 I, II, I, 25 II [27 I] StGB durch Zwischen-O-und-A-Stellen B hat nicht selbst weggenommen

Mittäterschaftliche Zurechnung der gewollten Wegnahmehandlung durch A aufgrund des § 25 II StGB? a) subjektive Theorie: Täterwille? Indizien: keine soziale Abhängigkeit des B vom A, gewichtige Hilfe dem A gegenüber, aber: kein Eigeninteresse (Abwägung, beides vertretbar);

b)Tatherrschaftslehre: wohl eher Täterschaft, sofern nicht unmittelbare Mitwirkung bei der Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen gefordert wird (Rudolphi, Bockelmann-FS) (Musterlösung: Beihilfe liege näher) Sukzessive Mttäterschaft? Nur falls bereits Verdecken der Karte als Begründung neuen Gewahrsams betrachtet wird (entgegen h. M., bei guter Begründung aber gerade noch vertretbar),

[§§ 246, 22, 23 I, 25 II bzw. 27 I StGB: wiederum jedenfalls verdrängt, § 246 I StGB] 2.) Die Vorgänge nach dem Verlassen der Wohnung des O a) §§ 223 I, 224 I Nr. 4, 25 II [27 I] StGB aufgrund Festhaltens des O (auch Versuchstrafbarkeit, je nach Ergebnis bei der Haupttat des A): Täterschaft: auch hier beides, Annahme und Ablehnung vertretbar

b) §§ 240 I, 25 II [27 I] StGB aufgrund desselben Verhaltens Selbes Abgrenzungsproblem Mittäterschaft/Beihilfe c) §§ 252, 22, 23 I, 25 II [27 I] StGB aufgrund desselben Verhaltens aa) Täterschaft: selbes Abgrenzungsproblem wie voriger Tb. bb) Absicht, sich im Besitz der Karte zu erhalten fehlt jedenfalls? (weil B weiß, dass er nicht Gewahrsam an der Karte hat),

BGHSt 6, 248, 250: dem Mittäter kann auch Tun und Besitz des anderen Mittäters als eigenes Verhalten zugerechnet werden, danach mittäterschaftlicher Tatentschluss vertretbar, falls Merkmale der Täterschaft erfüllt sind; Strafbarkeit dann gegeben, je nach Haupttat des A d) §§ 253, 255, 22, 23 I, 25 II [27 I] StGB aufgrund desselben Verhaltens Tatentschluss:

Vermögensverfügung stellt sich B nicht vor, nach Rspr. nicht erforderlich, vorgestellter Vermögensschaden: Rückgängigmachung des Gewahrsamswechsels? (vertretbar, anders der BGH NJW 1984, 500) Aber: Sperrwirkung des § 252 StGB, Drittbesitzerhaltungsabsicht soll nicht auf dem Umweg über §§ 253, 255 StGB strafbar sein

(BGH StV 1991, 349, LK-Herdegen § 252 Rdnr. 23, a. A. nur nach Auseinandersetzung mit dieser Ansicht vertretbar), Strafbarkeit gem. §§ 253, 255, 22, 23 I, 25 II [27 I] StGB – Zu Frage 2 (Entscheidung des Revisionsgerichts) I. Zulässigkeit 1. Statthaftigkeit der Revision gem. §§ 335 I, 312 StPO (Sprungrevision) 2. A rechtsmittelberechtigt: Beschuldigter, § 296 I StGB

3. A beschwert: als Verurteilter [Einhaltung der Form und Fristvorschriften sowie der Voraussetzungen gem. §§ 344, 345 StPO ist zu unterstellen] II. Begründetheit, §§ 337, 338 StPO 1.) Gesetzesverletzung, § 337 II StPO: Straferwartung von mehr als 4 Jahren Freiheitsstrafe, sachliche Zuständigkeit des LG große Strafkammer, § 71 I GVG nicht Schöffengerichts, § 24 I Nr. 2 GVG,

(außerdem „Strafbann“ gemäß § 24 II GVG überschritten) 2.) Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung, § 337 I StPO: absoluter Revisionsgrund: § 338 Nr. 4 StPO (Zuständigkeit zu Unrecht angenommen), Beruhen unwiderlegbar vermutet III. Entscheidung des Revisionsgerichts: Aufhebung und Verweisung an das örtlich zuständige LG (Große Strafkammer) gem. §§ 74 I, 76 I 1 GVG