Qualitative Sozialforschung

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 Präsentation transkript:

Qualitative Sozialforschung Flick, Uwe (2002). Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung (Überarbeitete Neuauflage). Reinbek: Rowohlt. Zusammenfassung von Stefan Thomas © Stefan Thomas

Qualitative Forschung Spezifisches Gegenstandsverständnis: Sinn und Bedeutung Gegenstandsangemessenheit: die Methode ordnet sich dem Gegenstand unter Prozessbezogene Perspektive: es gibt nicht das EINE Forschungsdesign. Dieses entwickelt sich Schritt für Schritt © Stefan Thomas

Quantitative Forschung Spezifisches Methodenverständnis: Es geht um die Überprüfung wissenschaftlicher Theorien und Hypothesen Methodenangemessenheit: der Gegenstand ordnet sich der Methode unter. Daten müssen quantifizierbar sein Methodologiebezogene Perspektive: Es gibt eine Methode, durch die alle Untersuchungsschritte festlegt sind © Stefan Thomas

Aktualität qualitativer Forschung Pluralisierung der Lebenswelten durch sozialen Wandel Auflösung von Tradition in Milieus, Subkulturen, Lebensstile und Lebensweisen Individualisierung von Lebenslagen und Biographiemustern große Erzählungen sind obsolet; lokale, zeitlich und situativ begrenzte Erzählungen sind zeitgemäß © Stefan Thomas

Folgerungen der Forscher muss sich mit der „wirklichen Soziawelt“ im Kleinen vertraut machen Induktive Theorien und „sensitive concepts“ Untersuchung lokalen Wissens und Handelns Alltagsrelevanz der Forschung: Anwendungsrelevanz und Anschlussfähigkeit der Ergebnisse © Stefan Thomas

Prinzipien qualitativer Forschung Gegenstandsangemessenheit von Methode und Theorie Komplexität der Realität, offene Gestaltung der Methoden, Alltagsnähe, neue Theorien entwickeln Perspektiven der Beteiligten und ihre Vielschichtigkeit Subjektive Bedeutung, Unterschiedlichkeit der Perspektiven Reflexivität des Forschers und der Forschung Kommunikation und Subjektivität Breites Spektrum an Ansätzen Subjektive Sichtweisen, Interaktionsanalysen, latente Sinnstrukturen © Stefan Thomas

Prinzipien qualitativer Forschung Offenheit: Was die Befragten empfinden, denken und fühlen, keine vorgegebene Untersuchungsdimensionen und Antwortschemata Kommunikation: gegenseitiges Aushandeln von Wirklichkeitsdefinitionen, ein Wort „Liebe“, Haß, Leidenschaft bedeutet nicht immer dasselbe und hat eine subjektive Färbung Flexibilität: der Forscher muss flexibel reagieren und sich den Besonderheiten der Untersuchungssituation anpassen © Stefan Thomas

Geschichte der Sozialforschung Anfang der 1960er Jahre wurde die amerikanische Methodendebatte (Goffman, Garfinkel, Cicourel) aufgegriffen 1970er Jahre: Ethnomethodologie, symbolischer Interaktionismus, „grounded theory“ seit Anfang der 1980er Jahre: Etablierung einer eigenen Methodendebatte; Offenheit und Gegenstandsangemessenheit als zentrale Prinzipien, besondere Beschäftigung mit dem Interview, Entwicklung eigenständiger Methoden: narratives Interview und objektive Hermeneutik © Stefan Thomas

Geschichte der Sozialforschung Seit Mitte der 1980er Jahre zunehmende Professionalisierung, Diskussion des Problems der Gültigkeit und Verallgemeinerung Ende der 1980er Jahre entstehen die ersten Lehrbücher/Einführungen für den deutschsprachigen Raum in den 1990er Jahren schließlich rasante Zunahme an qualitativen Studien, Einrichtungen von Professuren für Qualitative Methoden © Stefan Thomas

Vier Tendenzen Rückkehr zum Mündlichen Rückkehr zum Besonderen, situationsgebundene, konkrete Probleme anstatt Bearbeitung abstrakter, universeller Fragen Rückkehr zum Lokalen (Wissenssysteme, Handlungs- und Erfahrungswissen, lokale Traditionen und Lebensformen) Rückkehr zum Zeitgebundenen; Berücksichtigung des zeitlichen/historischen Kontexts © Stefan Thomas

Bedeutung Menschen sind „symbolisierende, konzep-tualisierende und bedeutungsschaffende Tiere“. Ihnen ist das das tiefe, eingeborene Bedürfnis zu eigen, aus jeder Erfahrung einen Sinn zu machen. © Stefan Thomas

Bedeutung "The next necessary thing ... is neither the construction of a universal Esperanto-like culture ... nor the invention of some vast technology of human management. It is to enlarge the possibility of intelligible discourse between people quite different from one another in interest, outlook, wealth, and power, and yet contained in a world where tumbled as they are into endless connection, it is increasingly difficult to get out of each other's way." Clifford Geertz (1988).The Anthropologist as Author © Stefan Thomas

Forschungsperspektiven Kultur, Bedeutung, Sinn als zentraler Gegenstand der QM drei verschiedene Forschungsperspektiven: symbolischer Interaktionismus (subjektive Sichtweisen und soziale Milieus) Ethnomethodologie (Herstellung sozialer Ordnung) Strukturtheorien (Rekonstruktion von Tiefenstrukturen) © Stefan Thomas

Symbolischer Interaktionismus I Ausgangspunkt: subjektiver Sinn, Interaktion als wechselseitig orientierte Handlung, symbolvermittelter Charakter der Handlung Drei Prämissen: 1. Prämisse: Menschen handeln auf Grundlage von Bedeutungen 2. Prämisse: Bedeutungen entstehen in Interaktionen 3. Prämisse: Bedeutungen werden in einem interpretativen Prozess auf die jeweilige Situation angepasst © Stefan Thomas

Symbolischer Interaktionismus II Thomas-Theorem: Wenn eine Situation für eine Person real ist, dann ist diese Situation in ihren Konsequenzen real. Daher: Der Forscher muss die Welt aus dem Gesichtswinkel der Subjekte sehen! Der Alltagsmensch entwickelt - wie der Wissenschaftler - Alltagstheorien über das Funktionieren der Welt © Stefan Thomas

Ethnomethodologie Methoden zur Herstellung der Alltagswirklichkeit (als soziale Ordnung) Interesse an Routinen und Alltagshandeln und an der Herstellung des Handlungskontextes Interaktion läuft geordnet ab der Kontext bildet den Rahmen die Beteiligten verfügen über ein verkörpertes Wissen Handlung als Herstellungsleistung der Beteiligten Beschreibung des Wie der Herstellung sozialer Wirklichkeit © Stefan Thomas

Kultur-/Strukturanalyse Kulturelle Sinnsysteme rahmen die Wahrnehmung und Herstellung subjektiver und sozialer Wirklichkeit Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenstruktur des sozialen Handelns Erforscht werden latent bleibende Regeln und Strukturen von Kulturen und Bedeutungssystemen soziale Repräsentationen als System von Werten, Ideen und Handlungsweisen © Stefan Thomas

Gemeinsamkeiten der Perspektiven Verstehen aus der (Innen-)Perspektive als Erkenntnisprinzip Fallrekonstruktion als Ansatzpunkt um daraus Typologien zu entwickeln Die Rekonstruktion von spezifischen Versionen von Wirklichkeit Text als empirisches Material: Die untersuchten Bedeutungen müssen verschriftlicht werden © Stefan Thomas

Forschungsdesign Quant: Forschung ist ein linearer Prozess Modelle und Theorien bilden den Ausgangspunkt Ursachen und Wirkungen werden untersucht Hypothesen werden aus den Theorien abgeleitet Operationalisierung und Quantifizierung der Variablen Stichprobenziehung und Untersuchungsdurchführung Repräsentativität ist das Ziel und Theorien haben Priorität © Stefan Thomas

Das zirkuläre Modell Vorannahme Theorie Vergleich Sampling Fall I Fall X Fall II Erhebung Auswertung Vorannahme Theorie Vergleich Sampling aus Uwe Flick 2002, S. 76 © Stefan Thomas

Forschungsdesign Qual. Forschung: zielt auf die Bildung gegenstandsbegründeter Theorien ist interessiert an der Exploration des Feldes und der Entdeckung neuer Zusammenhänge zeichnet sich durch Prozessorientierung aus Stichprobenauswahl erfolgt nach Relevanzaspekten © Stefan Thomas

Forschungsdesign Komplexität und Kontextabhängigkeit bleiben gewürdigt Offenheit und Strukturierung sind die zwei wichtigen Orientierungspunkte bei der Forschungsplanung Stichprobenauswahl erfolgt nach dem theoretischen Sampling © Stefan Thomas

Phasen des Forschungsprozesses 1. Auswahl des Forschungsthemas 2. Einarbeitung in den Theoriestand 3. Formulierung der Fragestellung 4. Auswahl der Methode 5. Umsetzung der Fragestellung in Forschungsfragen 6. Auswahl der Untersuchungseinheiten 7. Aufbau des Feldzugangs 8. Durchführung der Datenerhebung 9. Datenerfassung 10. Datenauswertung 11. Publikation © Stefan Thomas

Forschungsdesign Das Forschungsdesign ist abhängig von: Zielsetzung der Studie theoretischer Rahmen konkrete Fragestellung Auswahl des empirischen Materials methodische Herangehensweise Generalisierungsziele zeitliche, personelle und materielle Ressourcen © Stefan Thomas

Standarddesigns Fallstudie (Beschreibung und Rekonstruktion des besonderen Falls: Person, Gruppe, Organisation) Vergleichsstudie (Betrachtung verschiedener Fälle im Hinblick auf bestimmte Ausschnitte: Expertenwissen, Biographie, kulturelle Unterschiede) © Stefan Thomas

Standarddesigns retrospektive Studie (etwa Biographieforschung, die einzelne Fälle vergleicht, typisiert oder kontrastiert) Momentaufnahme (Wissensbestände und Bedeutungszuschreibungen; Ablauf aktueller Geschehnisse: Gespräch, Interaktion) Längsschnittstudien (Rekonstruktion von Patientenkarrieren, Arbeitslosigkeit, Berufsentscheidungen) © Stefan Thomas

Fragestellung I Die Fragestellung soll die Tür zum Forschungsfeld eröffnen! Die Eingrenzung soll darüber Klarheit verschaffen, was die Forschung zutage bringen soll Fragestellung so früh wie möglich festlegen, auch wenn diese wieder konkretisiert, fokussiert, eingegrenzt oder revidiert wird. Das Verhältnis von Offenheit und Strukturiertheit sollte ausgewogen sein © Stefan Thomas

Fragestellung II Stellt sich in verschiedenen Phasen des Forschungsprozesses: Konzeption der Studie, Forschungsdesign, Feldzutritt, Sampling, Datenerhebung Fragestellung hat häufig Ursprung in der persönlichen Lebenserfahrung (Wissenschaft, Beruf und Privat) Reduktion der Breite und Vielfalt des Untersuchungsfelds durch Festlegung auf wesentliche Ausschnitte © Stefan Thomas

Fragestellung III Trotz Strukturiertheit Gewährleistung von Offenheit, um die Entdeckung von Neuem zu fördern Abstimmung auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Geld, Personal etc.) Theorien und Schlüsselkonzepte sollen als Ausgangspunkt Perspektiven-Triangulation (Sicht des Subjekts, Beschreibung der Lebenswelt, Rekonstruktion der Handlungen) © Stefan Thomas

Das Untersuchungsfeld Mit dem Ausdruck „Feld“ kann gemeint sein: eine bestimmte Institution/Organisation eine Subkultur öffentliche Orte eine bestimmte Gruppe/Stammesgruppe eine Familie besondere Biographieträger Entscheidungsträger in Verwaltungen/Unternehmen © Stefan Thomas

Probleme des Feldzugangs Das „get and keep in the field“. Es gibt keine Patentrezepte Der Forscher nimmt längere Zeit am Untersuchungsfeld teil (beidseitige Probleme). Das intensive Sich-Aufeinander-Einlassen Intimes Offenlegen persönlicher Aspekte über Alltag Wie gewinnt der Forscher seine Untersuchungsteilnehmer als Mitwirkende © Stefan Thomas

Rollendefinitionen I Der Forscher wird zum Instrument der Erhebung. Er ist kein Neutrum im Feld. Von der Rolle/Position hängt es ab, welche Informationen er erreichen kann und welche ihm verwehrt sind. Einordnung in die Handlungsroutinen des Feldes etwa als Praktikant, Wächter, Gesprächspartner etc. © Stefan Thomas

Rollendefinitionen II Die Rolle ist Resultat eines Aushandlungsprozesses Die Rolle soll die Beobachtung, eine offene und gezielte Interaktion und eine aktive Teilnahme am Alltag erlauben. Die Parodoxie von Beobachtung und Teilnahme: reine Beobachtung, teilnehmende Beobachtung, beobachtende Teilnahme, reine Teilnahme Offene und verdeckte Teilnahme © Stefan Thomas

Zugang zu Institutionen Zwei Ebenen des Zugangs: die Genehmigung durch die Verantwortlichen sowie die Befragten und Beobachteten, die Zeit und Bereitschaft in die Forschung investieren Der Forscher muss mit dem Misstrauen des Feldes rechnen Der Forscher sollte wenig stören und keine zusätzliche Arbeit verursachen. Feldzugang ist zumeist kein Informationsproblem, sondern ein Vertrauensproblem Verständigungsarbeit leisten und Arbeitsbündnis schmieden © Stefan Thomas

Zugang zu Einzelpersonen Wie gewinnt der Forscher das Zutrauen der richtigen Personen? Wie findet er die zentralen Figuren (Erfahrung und Kompetenzen) und nicht bloß die Randfiguren (die aber Zeit haben)? Positionierung im Feld durch Aushandlung, Strategien der Verweisung, Herstellung von Beziehungen. Der Forscher muss sich auf das jeweilige Individuum einlassen Erreichbarkeit von Personen außerhalb von Institutionen kann ein Problem sein: Subkulturen, private Bereiche Strategien beim Interview: Nutzung der Medien (Zeitungen) , Aushänge in Institutionen (Hochschulen, Treffpunkten), Schneeballprinzip (Bekannte, Kollegen) © Stefan Thomas

Fremdheit und Vertrautheit I Der Forscher als professioneller Fremder Einnahme einer Außenperspektive (Fremdheitspostulat), prinzipieller Zweifel an sozialen Selbstverständlichkeiten Der Forscher gewinnt Einblicke in Routinen und Selbstverständlichkeiten durch seine 2. Sozialisation im Feld Rollen im Feld: Fremder, Besucher, Initiant, Eingeweihter detaillierte Dokumentation der schrittweisen Einnahme der Innenperspektive © Stefan Thomas

Fremdheit und Vertrautheit II Das Feld hat zumeist zwei Wirklichkeiten: a) die den Außenseitern präsentierte und b) die für Eingeweihte reservierte (Drogenhandel, Prostitution, Arbeitsverweigerung) Ziel: Begreifen der anderen Welt/Subkultur aus ihren eigenen handlungsleitenden Vorstellungen Ängste des Forschers sich auf das Untersuchungsfeld wirklich einzulassen. Fragen des Vertrauens-, Interessens- und Datenschutzes sind wichtig © Stefan Thomas

Samplestrategien I Vorab-Festlegung der Samplingstruktur führt zu abstrakten Kriterien (etwa Alter, Geschlecht, Beruf), aus denen sich ein Zellengitter bildet Zufallsauswahl bedeutet, dass aus der Grundgesamtheit zufällig die einzelnen Untersuchungsfälle gezogen werden Vollerhebung aller Fälle, die einem bestimmten Kriterium entsprechen (etwa Regionalstudien). bei diesen Samplingstrategien wird die Theorieentwicklung stark eingeschränkt; Neues bleibt außerhalb der Sicht © Stefan Thomas

Samplingstrategien II Schrittweise Festlegung der Samplestruktur durch das „theoretische Sampling“ (entwickelt aus der „grounded theory“ nach Glaser & Strauss) Auswahlentscheidungen werden im Prozess der Untersuchung gefällt: Was schaue ich mir als nächstes an? Was gibt mir die größten Aufschlüsse? Kriterien für das Sampling leiten sich aus der sich entwickelnden Theorie ab Kriterien für die Beendigung der Datenerhebung leiten sich aus dem Prinzip der „theoretischen Sättigung“ ab Relevanz anstatt Repräsentativität © Stefan Thomas

Samplingstrategien III Sampling extremer Fälle Sampling typischer Fälle Sampling maximaler Variation Intensitäts-Sampling Sampling kritischer Fälle Sampling sensibler Fälle Convenience-Sampling Auswahl der Informanten (Primär-/Sekundärauswahl) © Stefan Thomas

Verbale Daten als Zugang Verbale Daten sind eine der methodischen Säulen qualitativer Forschung Das Interview bewegt sich zwischen Offenheit gegenüber Gegenstand und Sichtweisen der Interviewten Strukturierung der Datenerhebung durch besondere Vorkehrungen Narrative Interviews sind eher an Offenheit und Spielraum für den Forschungspartner orientiert, wenig steuernde Eingriffe des Interviewers Bei Leitfaden-Interviews hat die thematische Steuerung größeres Gewicht wegen der Fokussierung auf bestimmte Themen Gruppeninterviews erheben allgemein verbreitete Einstellungen und Ansichten © Stefan Thomas

Leitfaden-Interviews Verschiedene Typen des offenen Leitfaden-Interviews das fokussierte Interview das halbstandardisierte Interview das problemzentrierte Interview das Experten-Interview das ethnographische Interview © Stefan Thomas

Das fokussierte Interview I geht auf Merton/Kendall (1946) zurück Entwicklung für die Medienforschung von Kriegspropaganda Trennung von objektiven Stimuli der Situation (Inhaltsanalyse eines Films) und subjektiver Interpretation des Befragten Formulierung allgemeiner Prinzipien der guten Interviewführung © Stefan Thomas

Vier Kriterien eines guten Interviews I Nichtbeeinflussung des Interviewpartners Übergang von unstrukturierten zu strukturierten Fragen flexible Handhabung des Leitfadens Zurückhaltung mit eigenen Bewertungen non-direktive Gesprächshaltung Spezifität der Sichtweise Die Bedeutung eines Ereignisses soll herausgearbeitet werden Retrospektive Introspektion Explizite Bezugnahme auf das Ereignis Verhältnis von Spezifität und Allgemeinheit der Frage © Stefan Thomas

Vier Kriterien eines guten Interviews II Breites Verständnis erfassen Alle relevanten Aspekte und Themen ansprechen Offenheit für Themen des Interviewten eigene Themen vertiefen Tiefgründigkeit Angemessenes Niveau der Tiefgründigkeit schaffen: nicht zu hoch, nicht zu niedrig Fokussierung von Gefühlen Hinweise auf vergleichbare Situationen © Stefan Thomas

Das halb-standardisierte Interview Anwendung für die Rekonstruktion subjektiver Theorien nach Groeben/Scheele Drei Fragetypen: Offene Fragen (Was bedeutet für Sie Vertrauen?) Theoriegeleitete, hypothesengerichtete Fragen(Ist Vertrauen zu Unbekannten möglich?) Konfrontationsfragen (Ist Vertrauen zu Unbekannten nicht doch möglich?) Struktur-Lege-Technik als kommunikative Validierung (graphische Darstellung der subjektiven Theorien) © Stefan Thomas

Das problemzentrierte Interview I ist von Andreas Witzel entwickelt worden durch Fragen und Erzählanreize wird ein bestimmtes Problem thematisiert drei zentrale Prinzipien: Problemzentrierung Gegenstandsorientierung Prozessorientierung Das Interview umfasst: a) einen vorgeschalteten Kurzfragebogen, b) den Leitfaden, c) die Tonbandaufnahme und d) das Postskript © Stefan Thomas

Das problemzentrierte Interview II Aufbau und Ablauf: Gesprächseinstieg/Festlegung des Problembereichs: Du möchtest KFZ-Mechaniker, wie bist du darauf gekommen? Erzähl doch einfach mal? Allgemeine Sondierung: Was passiert da im einzelnen? spezifische Sondierung: durch Zurückspieglung, Verständnisfragen und Konfrontation ad-hoc-Fragen: offen gebliebene Fragen © Stefan Thomas

Das Experteninterview nach Meuser/Nagel es geht weniger um die ganze Person, sondern um den Interviewten in seiner Eigenschaft als Experte für ein bestimmtes Handlungsfeld Der Interviewte ist nicht Einzelfall, sondern Repräsentant einer Gruppe stärkere Steuerungsfunktion des Leitfadens © Stefan Thomas

Das ethnographische Interview nach Spradley 1980 Gelegenheit entstehen häufig überraschend aus dem Feldkontakt soll sich als eine freundliche Unterhaltung vorgestellt werden, in der der Forscher aber einen expliziten Zweck verfolgt und zunehmend neue Gesprächselemente einführt © Stefan Thomas

Der Leitfaden Fragen und Fragenreihenfolge sollen nur lose vorab festgelegt sein Die Umsetzung des Interviews soll flexibel und an den Erfordernissen der konkreten Gesprächssituation orientiert sein Die Fragen sollen offen formuliert sein, d.h. die Antwortmöglichkeiten nicht schon festlegen Der Leitfaden sollte gut beherrscht werden, um den Überblick über das Interview zu behalten, aber auch um bei Unsicherheiten/Aufregung an etwas festhalten zu können © Stefan Thomas

Vermittlungsprobleme und Steuerung Vermittlungsprobleme zwischen Vorgaben des Leitfadens/Themensetzung und der Darstellungsweise des Interviewpartners Steuerungsproblem zwischen Detaillierung und Rückkehr zum Leitfaden Leitfadenbürokratie verhindert Offenheit und Kontextinformationen gehen verloren © Stefan Thomas

Erzählung als Zugang Ausgangspunkt ist die Skepsis, ob subjektive Erfahrungen im Frage-Antwort-Schema zu erschließen sind Der Interviewte soll einen Gegenstandbereich als eine zusammenhängende Geschichte relevanter Ereignisse darstellen. Den subjektiven Sichtweisen wird viel Raum gegeben Erzählung als Schilderung von Ausgangssituation, relevanten Ereignisse, weiteren Fortgang bis zur gegenwärtigen Situation Einsatz in der Biographieforschung Unterscheidung von „episodischen“ und „semantischen“ Gedächtnis (Tulving) © Stefan Thomas

Narratives Interview I Zustände, Routinen und Argumentationen können nicht erzählt werden; aber wie ich zu einer bestimmten Ansicht/Haltung gelangt bin schon Dreifache Zugzwänge des Erzählens, wodurch auch schuld- oder schambesetzte Aspekte erzählt werden: Gestaltschließungszwang Kondensierungszwang Detaillierungszwang Drei Vorteile: Verselbständigung der Erzählung, Menschen wissen mehr über ihr Leben als sie in Theorie über sich formulieren können und dieses Wissens ist auf der Ebene des Erzählens verfügbar © Stefan Thomas

Narratives Interview II Problem besteht in der systematischen Verletzung der Rollenerwartung: keine Interviewfragen und großer Raum für Erzählungen, was zu Irritationen führen kann Erzählen als Alltagskompetenz wird unterschiedlich gut beherrscht (fremde Kulturen) Interviewtraining, um aktives Zuhören, Signalisierung von Interesse, zurückhaltende Intervention zu üben In einer Anwärmphase sollten Vorgehen und Zielsetzung verdeutlicht werden wichtig ist eine präzise und eindeutige Erzählaufforderung © Stefan Thomas

Aufbau des narrativen Interviews Eingangsfrage (ist zugleich die Erzählauforderung) Narrative Nachfrageteil (Vervollständigung unausgeführter Erzählansätze) Bilanzierungsphase (Erfragung theoretischer Erklärungen, Bilanz der Geschichte, des Sinns des Ganzen) © Stefan Thomas

Eingangsfrage Diese muss so breit und so spezifisch formuliert werden, dass darin der Erfahrungsbereich als Lebensabschnitt thematisiert wird (Ich möchte Sie bitten, mir zu erzählen, wie ich die Geschichte Ihres Lebens zugetragen hat ...) deutlicher Hinweis auf den erzählenden Verlauf, die verschiedenen Etappen und Ausführlichkeit non-direktives, sich interessiert zeigendes Zuhören es sollten keine Fragen gestellt werden, um nicht den Erzählfluss zu unterbrechen das Ende wird i.R. durch ein Koda signalisiert („Das war es eigentlich“) © Stefan Thomas

Nachfrageteil/Bilanzierungsphase Im Nachfrageteil werden unausgeführte Ansätze zu Erzählungen oder unklare Passagen durch eine neue Erzählaufforderung aufgegriffen Zur Bilanzierung werden theoriebezogene, auf Beschreibung und Argumentation zielende Fragen gestellt (Übergang von den „Wie“- zu den „Warum“-Fragen) © Stefan Thomas

Das episodische Interview I Erfahrungen werden sowohl als narrativ-episodisches als auch als semantisches Wissen gespeichert und erinnert Narrativ-episodisches Wissen ist erfahrungsnah, bezogen auf konkrete Situationen (Situationsablauf) und wird über Erzählungen erhoben Semantisches Wissen enthält abstrahierte, verallgemeinerte Annahmen (Begriffsnetz) und wird über konkret-zielgerichtete Fragen und eine argumentativ-theoretische Darstellung erhoben Das Interview richtet sich auf Situationen, in denen eine Erfahrung gemacht wurde und Erzählungen und Argumentationen kombiniert © Stefan Thomas

Das episodische Interview II Zu Beginn wird das Grundprinzip des episodischen Interviews erläutert Ausgangspunkt ist die regelmäßige Aufforderung zum Erzählen von Situationen (Erzählen Sie eine entsprechende Situation) Zu den thematischen Erzählbereichen wird ein Leitfaden erstellt Neben Erzählaufforderungen werden Fragen nach subjektiven Definitionen und abstrakten Zusammenhängen gestellt © Stefan Thomas

Das episodische Interview III Manche Menschen haben Schwierigkeiten zu erzählen (obwohl es hier nur um umgrenzte Erzählungen geht) Vorteile werden kombiniert: ein offenerer Zugang als die extrem einseitige, künstliche Situation des narrativen Interviews; eine kontextsensitivere, erlebnisnäherer Zugang gegenüber dem Leitfadeninterview Begrenzung auf alltägliches Wissen und die eigene Geschichte. Handlungen und Interaktionen können wie bei anderen Interviews auch nicht untersucht werden © Stefan Thomas

Gruppenverfahren Zur Erhebung von Meinungen und Einstellungen lässt sich die Dynamik von Gruppeninterviews verwenden (im Amerikanischen: focus groups) Anstatt monologisches Erzählen werden Gruppenprozesse der Konstruktion von sozialer Wirklichkeit untersucht (Familie, Cliquen, Peers) Es sollen tiefer liegende, latente Meinungen ihre Kontur erhalten, weil das Individuum sich gezwungen sieht, seinen Standpunkt zu bezeichnen und zu behaupten. © Stefan Thomas

Prinzipien der Gruppendiskussion I Die Gruppe soll ihre Diskussion selber bestimmen. Erst am Ende soll es einen Nachfrageteil geben Die Themenstellung soll an alle gerichtet sein und nicht an Einzelne Kein Eingriff in die Verteilung der Redebeiträge Es sollen Themen vorgeschlagen werden, keine einzelnen Aussagen zur Diskussion gestellt werden Die Fragestellung soll bewusst und demonstrativ vage gehalten werden. Dies soll eine Aufforderung an die Forschungspartner sein, die Unkenntnis des Forschers aufzuheben © Stefan Thomas

Prinzipien der Gruppendiskussion II Die Fragen und Nachfragen sollen detaillierte Darstellungen/Erzählungen generieren, um die konkrete Handlungspraxis/Sichtweisen zu erhalten Zuerst immanente Nachfragen stellen und erst dann zu exmanenten Nachfragen gelangen, wenn die Diskussion ihren Höhepunkt hinter sich gelassen hat Die direktive Phase thematisiert Widersprüche und andere Auffälligkeiten in der Diskussion © Stefan Thomas

Phasen der Interviewdurchführung Interviewplanung Kontaktaufnahme Interviewvorlauf Gesprächseinstieg Erzähl- und Nachfragephase Gesprächsabschluss Postskriptum © Stefan Thomas

Interviewplanung Bestimmung der benötigten Informationen und Zugangsmöglichkeiten: Welche Zugangsmöglichkeiten zum sozialen Feld bieten sich? Wen wählt man aus? (Stichprobenmodell vs. theoretical sampling) Wer soll das Interview wann und wo durchführen? Vorbereitung durch Hineinversetzen in die Rolle der befragten Person, einer angemessenen Einstiegsfrage, Abwägen von möglichen Gesprächsverläufen, Reflexion des eigenen Gesprächsverhaltens © Stefan Thomas

Kontaktaufnahme Wer ist die kontaktierende Person und wen repräsentiert sie? Worum geht es und was ist das Ziel der Untersuchung? Warum wurde gerade diese Person ausgewählt? Welche Erwartung hat man an die kontaktierte Person? Was lässt sich dem Gesprächspartner als Gegenleistung angeboten werden? © Stefan Thomas

Interviewvorlauf I Präzisierung der sozialen Beziehungen, Absichten des Interviewers, des Ablaufs des Interviews und Forschungsgegenstands Verständigung über die Gesprächsaufzeichnung und sollte zur Gewöhnung unmittelbar nach Zusage beginnen Was passiert mit dem Interviewmaterial? (Einverständniserklärung und Datenschutz) Wie lange wird das Gespräch dauern? © Stefan Thomas

Interviewvorlauf II Was erwartet man von der interviewten Person? (Kenner seiner Lebenswelt, Erfahrungen und Ansichten) Es sollte erläutert werden, wie man man im Interview vorgeht? Der Interviewpartner sollte nun die Gelegenheit haben, Fragen zu stellen © Stefan Thomas

Gesprächseinstieg Der Gesprächseinstieg ist immer schon durch den einführenden Small talk bestimmt Die Einstiegsfrage beendet den Interviewvorlauf und bietet einen ersten Gesprächsfaden an: Soll sorgfältig gewählt werden Soll das Gesprächsthema bestimmen und abstecken Soll an die Lebenswelt/Lebenserfahrung anschließen Soll einen breiten Antwortrahmen bieten © Stefan Thomas

Erzähl- und Nachfragephase Das Interview ist weder eine durchgehende Erzählung noch eine systematische Aufarbeiten der angesprochenen Themen gekennzeichnet Es orientiert sich an den verschiedenen Gesprächsangeboten (Eigendynamik beachten) Es ist der explorative Teil (Eigenstrukturiertheit der Beiträge des Befragten) und ein klärender Teil (Nachfragen des Interviewers) zu unterscheiden. Hörersignale: Erzählaufforderung (mhm, ja), Floskeln (interessant), Phrasen (ablehnend: verstehe ich nicht; zustimmend: genau, eben stimmt; verständniszeigend: verstehe ich gut); Kontaktparenthesen (wissen sie Herr Schmidt), Paraphrasierung (wenn ich sie verstanden habe) © Stefan Thomas

Gesprächsabschluss Eventuell ein abschließendes Fazit ziehen Das ungezwungenere Nachgespräch protokollieren Für Rückfragen Telefonnummer geben lassen/Zweittermin vereinbaren Um Unterstützung nach dem Schneeballprinzip bitten Kurzfragebogen ausfüllen lassen Für die Bereitschaft zum Interview bedanken © Stefan Thomas

Postskriptum Anmerkungen zum Zustandekommen des Interviews Festhalten von Milieudaten Beschreibung des Kontexts (Zeit, Dauer, Raum, Anwesende) Bemerkungen zum Gesprächsverlauf, -dynamik und Auffälligkeiten Aufzeichnungen über informelle Gespräche davor und danach Auflistung von Annahmen über das Interview Weiteres Vorgehen bestimmen (theoretical sampling) © Stefan Thomas

Interviewtraining Die Anwendung des Leitfadens wird im Rollenspiel erprobt und analysiert auf: Interviewfehler Umgang mit dem Leitfaden Probleme bei der Einführung und dem Wechsel von Themen nonverbales Verhalten des Interviewers Reaktionen auf den Interviewpartner © Stefan Thomas

Beobachtungsverfahren In den USA war Qualitative Forschung immer zuerst Ethnographie bzw. Teilnehmende Beobachtung. Beobachtung sind notwendig um Handlungsweisen zu erfassen (Interviews können nur individuelle Sichtweisen über Handlungen erforschen). Beobachtung ist wie das Interview eine Alltagkompetenz, die in der Forschung methodisch verwendet wird. © Stefan Thomas

Beobachtungsdimensionen Verdeckte Beobachtung vs. offene Beobachtung nichtteilnehmende Beobachtung vs. teilnehmende Beobachtung systematische Beobachtung vs. unsystematische Beobachtung B. in künstlichen vs. in natürlichen Situationen Selbst- vs. Fremdbeobachtung © Stefan Thomas

Beobachtungsschemata © Stefan Thomas

Beobachtungsdimensionen 1. Raum: der physikalische Ort 2. Akteure: die beteiligten Menschen 3. Aktivitäten: Set von zusammenhängenden Handlungen 4. Gegenstand: die physikalischen Dinge 5. Handlung: einzelne Handlungen 6. Ereignis: ein Set von zusammenhängenden Aktivitäten 7. Zeit: der zeitliche Ablauf 8. Ziel: die Dinge, die Menschen erreichen wollen 9. Gefühle: Emotionen, die empfunden und ausgedrückt werden © Stefan Thomas

Beobachtungsphasen Auswahl des Settings: Wo, Wann, Was und Wen Festlegung der Beobachtungseinheiten Training des Beobachters beschreibende Beobachtung einer allgemeinen Darstellung des Feldes fokussierte Beobachtung der für die Fragestellung relevanten Aspekte selektive Beobachtung besonders wichtiger Aspekte Abschluss der Beobachtung nach theoretischer Sättigung © Stefan Thomas

Beobachtungsrollen Beobachtungsrollen (nach Gold 1958): a) der vollständige Teilnehmer, b) der Teilnehmer-als-Beobachter, c) der Beobachter-als-Teilnehmer, d) der vollständige Beobachter Schwierigkeiten gibt es, eine geeignete Rolle im Feld zu finden: a) um möglichst ungestört zu beobachten, b) den Fluss der Ereignisse möglichst wenig zu beeinflussen, c) ohne bei kriminellen oder gefährlichen Handlungen zum Mittäter zu werden © Stefan Thomas

Teilnehmende Beobachtung I Es handelt sich um eine methoden-triangulierende Feldstrategie, die Dokumentenanalyse, Interviews, Teilnahme, Beobachtung und Introspektion kombiniert. Besonderes Interesse an der Insider-Perspektive Lokalisierung im Hier- und Jetzt der Alltagssituation © Stefan Thomas

Teilnehmende Beobachtung II Interpretation und Verstehen menschlicher Existenz steht im Vordergrund Forschungsprozess ist offen, flexibel und opportunistisch Ausfüllung verschiedener Teilnehmerrollen Beobachtungen und Erfahrungen werden protokolliert, um darüber Dichte Beschreibungen zu gewinnen © Stefan Thomas

Aspekte der TB Notwendigkeit der Auswahl bestimmter Situationen aus dem Universum aller Situationen Zugang zum Feld in der Regel über Schlüsselpersonen Gewinnung der Innenperspektive bei gleichzeitiger Systematisierung des Fremdenstatus: das Besondere im Alltäglichen und die Alltagsroutinen sind von Interesse Das „going native“ (Sekundärsozialisation) wird zum wichtigen Instrumentarium der Erkenntnis © Stefan Thomas

Aspekte der TB Reflexion des Vertrautwerden und Aufrechterhaltung von Distanz Gefahr der Überflutung durch die Ereignisdichte des Feldes und der Vereinnahmung durch die Akteure (etwa als Quasi-Praktikant) Das Eintauchen ins Feld wird häufig als kultureller Schock erfahren (fremde Kulturen, Subkulturen, Extremsituationen) Dilemma zwischen Teilhabe am Feld, aus der heraus Verstehen möglich wird, und Wahrung von Distanz, um das Verstehen wissenschaftlich und nachprüfbar zu machen © Stefan Thomas

Aspekte der TB Das Forschungssubjekt wird zum dialogischen Partner Triangulation von Beobachtung und Befragungen, um biographische Dimensionen oder individuelle Wissensbestände zu erfassen TB ist eine Forschungsstrategie, die relativ wenig standardisierbar und formalisierbar ist Die methodische Weiterentwicklung ist daher in den 1970er Jahren ins Stocken geraten © Stefan Thomas

Ethnographie I Beschäftigt sich mit dem kulturellen Alltagsleben einer Gruppe, beobachtet nicht einzelne Situation wie die TB „Der Ethnograph nimmt offen oder verdeckt für eine längere Zeit am täglichen Leben der Menschen teil, beobachtet dabei, was passiert, hört zu, was gesagt wird, stellt Fragen, eigentlich sammelt er alles, was auch immer an Daten verfügbar ist, um das Thema, mit dem er beschäftigt ist, näher zu beleuchten“ (Hammersley & Atkinson 1983) © Stefan Thomas

Ethnographie II Es werden nicht Hypothesen getestet, sondern soziale Phänomene erkundet Es wird mit unstrukturierten Daten gearbeitet, die nicht nach festen Kategorien erhoben werden Erforschung einer kleinen Anzahl an Fällen Es geht um die Interpretation der Bedeutungen und Funktionen menschlicher Handlungen in Form verbaler, dichter Beschreibungen Der Forscher arbeitet nicht zuerst mit besonderen Methoden, sondern macht sich eine allgemeine Forschungshaltung zu eigen © Stefan Thomas

Dokumentation von Daten I Aufzeichnung des gesprochenen Wortes und Verschriftlichung bzw. Protokollierung des Beobachteten als Grundlage für spätere Interpretationen Forschungstagebücher sollen die Daten durch persönliche Erfahrung und kontextuelle Anreicherungen ergänzen Der unauffälligeren Aufnahmetechnik sollte sachlich angemessen Vorzug gegeben werden (Video- resp. Audioaufzeichnung) Einhaltung der Sparsamkeitsregel: nur so viel Material aufzeichnen, wie zur Beantwortung der Fragestellung unbedingt notwendig © Stefan Thomas

Dokumentation von Daten II Gefahr der überbordenden Datenhuberei Gegenüber der Protokollierung des Gesprächsverlaufs bedeutet die Aufnahme, dass man Entscheidungen über Fragestellungen und theoretische Annahmen aufschieben kann Die Aufnahme ist immer eine kon-struktive Leistung, indem das Gespräch aus seinem einmaligen in sich abgeschlossenen, zeitlichen Ablauf gelöst wird. Dokumentationsbögen sollen Randinformationen bei Interviews festhalten (Wer, Wo, Kontext, Auffälligkeiten) © Stefan Thomas

Dokumentation von Daten III In der teilnehmenden Beobachtung werden zwischendurch oder im direkten Anschluss Feldnotizen gemacht Das Verhältnis der aufgewandten Zeit für Notation und Beobachtung sollte 1:1 betragen Die Aufzeichnung ist auch hier ein konstruktiver Prozess, indem ein Vorgang aus seinem Ablauf und seiner alltäglichen Vergänglichkeit herausgehoben wird Das Feldtagebuch lässt sich durch Fotos, Skizzen, Karten, andere Dokumente ergänzen © Stefan Thomas

Vier Formen von Feldnotizen kondensierte Darstellung in Stichworten, Sätzen, Zitate, usw. ausführliche Niederschrift der Eindrücke Forschungstagebuch, um Erfahrungen, Ideen, Befürchtungen, Fehler, Verwirrungen, Durchbrüche und Problem zu dokumentieren Aufzeichnungen über Interpretationen © Stefan Thomas

Feldtagebuch Beschreibung der Annährung an das Feld, die Erfahrungen und Probleme im Kontakt mit dem Feld und die konkrete Anwendung der Methode Im Hinblick auf Interpretationen wird empfohlen während der gesamten Untersuchung „Memos“ anzufertigen, in denen die Ideen und Gedanken festgehalten werden © Stefan Thomas

Transkription Zur Verschriftlichung der Aufnahme bedient man sich einem Transkriptionssystem Es gibt keinen Standard. Die Genauigkeit der Notation richtet sich nach der Fragestellung Transkriptionssystem sollte an der Handhabbarkeit, Lesbarkeit, Lernbarkeit und Interpretierbarkeit gemessen werden Transkriptionsregel nach Flick (S. 254) © Stefan Thomas

Realität als Text - Text als neue Realität In den Daten dokumentieren sich Geschichten über das Feld - Forschung als Produktionsprozess und als Inskription Die Fixierung löst die soziale Realität aus seiner Flüchtigkeit und Vergänglichkeit Der einzelne Fall soll in seiner Spezifik und Struktur dokumentiert werden Die Wissenschaft kommt nur innerhalb von Texten zu ihrem Recht Der Text ist schließlich die einzige Realität, auf die die weitere Interpretation aufbaut © Stefan Thomas

Selektive Plausibilisierung Eine häufige Kritik an QM besteht darin, dass nicht valide Belege für die Theorien gesucht, sondern nur illustrative Zitate eingeflochten werden (Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse) Drei Fragen nach der Qualität von Forschung: Welche Geltungskriterien gibt es für qualitative Forschung? Wie lässt sich eine Verallgemeinerung vom Einzelfall erreichen? Wie werden Vorgehen und Resultate angemessen dargestellt? © Stefan Thomas

Reliabilität I Messgenauigkeit (klassisches Gütekriterium) Quichotische Reliabilität: Es werden immer die gleichen Messergebnisse erzielt (irreführend für QM) diachrone Reliabilität: Messgenauigkeit im zeitlichen Verlauf einer Beobachtung synchrone Reliabilität: Konsistenz von Ergebnisse unter Verwendung verschiedener Erhebungsinstrumente © Stefan Thomas

Reliabilität II Prozedurale Reliabilität: Eine Erhöhung der Messgenauigkeit im Prozess der Datenerhebung genau Protokollierung durch Standardisierung der Aufzeichnung und Trennung von Beobachtung und Interpretation durch Interviewschulung Probeinterviews zur Überprüfung von Leitfäden und Eingangsfrage Schulung des Beobachters © Stefan Thomas

Validität I Das Dilemma: „... der Forscher sieht nur, was er zu sehen meint ...“ Übereinstimmen Wirklichkeit des Feldes und Sichtweise des Forschers Fehlertyp 1: einen Zusammenhang dort zu sehen, wo dieser nicht zutrifft Fehlertyp 2: einen Zusammenhang dort zurückzuweisen, wo dieser tatsächlich zutrifft Fehlertyp 3: es werden die falschen Fragen gestellt © Stefan Thomas

Validität II Analyse der Interviewsituation: trifft der Inhalt des Gesagten zu ist das Gesagte sozial angemessen ist das Gesagte aufrichtig wurde ein Arbeitsbündnis aufgebaut Kommunikative Validierung: an einem zweiten Termin wird über Interview und Theorien gesprochen Prozedurale Validität: Der Forscher sollte gut zuhören, gute Protokolle erstellen, entlang der Daten seine Theorien aufstellen und genau schreiben © Stefan Thomas

Qualitätskriterien Intersubjektive Nachvollziehbarkeit (Dokumentation des Forschungsprozesses, des Vorverständnisses, des Auswertungsverfahrens, der Ergebnispräsentation, der Entscheidungen und Probleme) Indikation des Forschungsprozesse: Welche Forschungsfrage, Methode, Stichprobe habe ich warum ausgesucht? Empirische Verankerung der Theoriebildung Limitation von Methode, Daten und Ergebnissen Kohärenz und Widerspruchsfreiheit der Daten Relevanz für Alltag, Praxis und Emanzipation Reflexion der eigenen Subjektivität (Feldtagebuch) © Stefan Thomas

Triangulation Daten-Triangulation differenziert nach Zeit, Raum und Personen Forscher-Triangulation bedeutet den Einsatz unterschiedlicher Forscher, um die persönlichen Verzerrungen aufzufangen Theorien-Triangulation bedeutet die Einbeziehung verschiedener Perspektiven, Hypothesen und Theorien Methodologische Triangulation als „within method“ und „between-method“ © Stefan Thomas

„Qual und Quant“ Anstatt kritisches Verhältnis gibt es zunehmend die Bestrebung nach einer Kombination und Integration von Qual und Quant Verschiedene Ebenen: Erkenntnistheorie, Forschungsdesign, Forschungsmethoden, Ergebnisse, Verallgemeinerungen und Bewertung der Qualität Auf der Ebene der Erkenntnistheorie wird häufig von einer Unvereinbarkeit (Paradigmenkrieg) ausgegangen (Positivismus vs. Konstruktivismus) © Stefan Thomas

„Qual und Quant“ Häufig werden die Anwendungsfelder gegeneinander abgesteckt. Die einen untersuchen subjektive Theorien, die anderen Häufigkeitsverteilungen etwa von Krankheiten Es wird eine Dominanz der Quant gegenüber der Qual behauptet. Qual ist für „explorative Vorstudien“ zuständig, Quant für die wissenschaftliche Hauptuntersuchung Umgekehrt wird auch ein Dominanz der Qual gegenüber der Quant behauptet. Die Qual liefert reichhaltigere Daten, während Quant nur oberflächliche Zusammenhänge untersuchen kann © Stefan Thomas

Kombination beider Ansätze Vier Typen: beide Datensorten werden gleichzeitig gesammelt eine qualitative Untersuchung wird von mehreren Wellen quantitativer Erhebungen begleitet Qual (Exploration) --> Quant (Fragebogen) --> Qual (Vertiefung der Ergebnisse Qual (Umfrage) --> Qual (Feldstudie) --> Quant (Experiment) Qual für die Exploration des Gegenstandes und Bildung von Hypothesen, die durch Quant getestet werden (sequenzielle Verbindung) © Stefan Thomas

Kombination beider Ansätze Triangulation beider Ansätze: a) am Einzelfall, wo Interview- und Fragebogendaten miteinander verglichen werden, b) am Datensatz, wo zuerst Interviews und Fragebögen für sich ausgewertet werden und erst dann miteinander verglichen werden Überführung von Qual- in Quant-Daten: etwa Quantifizierung der Aussagen im Interview Überführung von Quant- in Qual-Daten: ist kaum möglich und macht Erhebung neuer Daten notwendig © Stefan Thomas

Kombination beider Ansätze Verknüpfung von Qual- und Quant-Methoden: a) in Fragebögen mit offenen Fragen, b) indem die Interviews erst interpretiert werden und die wichtigen Begriffe dann quantifiziert werden Verknüpfung von Qual- und Quant-Ergebnisse: a) entweder ergänzen sie sich zu denselben Schlussfolgerungen nahe, b) fokussieren unterschiedliche Aspekte und c) widersprechen einander, was erklärt werden müsste © Stefan Thomas

Angemessenheit Welches Gewicht wird den beiden Zugängen eingeräumt? Werden beide Zugänge miteinander kombiniert oder nur voneinander getrennt angewendet? Was ist die logische Beziehung zwischen beiden? Was sind die übergeordneten Bewertungskriterien, nach denen sich die Anwendung einer Methode entscheidet? © Stefan Thomas