Der aussergewöhnliche Todesfall aus Sicht der Rechtsmedizin

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 Präsentation transkript:

Der aussergewöhnliche Todesfall aus Sicht der Rechtsmedizin Dr. med. Barbara Fliss, MSc Oberärztin Fachärztin für Rechtsmedizin, Forensische Anthropologin

Definition eines agT „Alle Todesfälle, die plötzlich und unerwartet eingetreten sind, die gewaltsam verursacht wurden oder die vielleicht gewaltsam verursacht worden sein könnten.“ (Prof. Schwarz) Schwarz F. Der aussergewöhnliche Todesfall. Erste Feststellungen am Ort des Geschehens. Stuttgart: Enke; 1970. Sterbefälle bei denen die Umstände des Todeseintritts unklar sind, also in diesem Falle auch der Assistierte Suizid

Die Aufgabe der Rechtsmedizin bei einem agT Feststellung des Todes anhand von sicheren Todeszeichen Totenflecken Totenstarre Fäulniserscheinungen Mit dem Leben nicht zu vereinbarenden Verletzungen

Die Aufgabe der Rechtsmedizin bei einem agT Feststellung des Todes Schätzung der Todeszeit Totenflecke Totenstarre Temperatur Supravitale Reaktionen Fäulnis und weitere späte Leichenerscheinungen Anhaltspunkte: Letzter Kontakt, Post im Briefkasten, Zeitung etc.

Die Aufgabe der Rechtsmedizin bei einem agT Feststellung des Todes Schätzung der Todeszeit Überprüfen der Identität

Die Aufgabe der Rechtsmedizin bei einem agT Feststellung des Todes Schätzung der Todeszeit Überprüfen der Identität Klärung von Todesart und Todesursache

Beizug des Rechtsmediziners bei einem assistierten Suizid – auf welcher Grundlage? Art. 253 StPO - aussergewöhnlicher Todesfall - Bestehen bei einem Todesfall Anzeichen für einen unnatürlichen Tod, […] so ordnet die Staatsanwaltschaft zur Klärung der Todesart […] eine Legalinspektion durch eine sachverständige Ärztin oder einen sachverständigen Arzt an. Art. 115 StGB - Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe1 bestraft. Art. 16 ZGB -  Urteilsfähigkeit BGE 133 I 58 von 2006 Betäubungsmittelgesetzt regelt die Abgabe von Natrium-Pentobarbital Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln Bestehen bei einem Todesfall Anzeichen für einen unnatürlichen Tod, insbesondere für eine Straftat, oder ist die Identität des Leichnams unbekannt, so ordnet die Staatsanwaltschaft zur Klärung der Todesart oder zur Identifizierung des Leichnams eine Legalinspektion durch eine sachverständige Ärztin oder einen sachverständigen Arzt an. 2 Bestehen nach der Legalinspektion keine Hinweise auf eine Straftat und steht die Identität fest, so gibt die Staatsanwaltschaft die Leiche zur Bestattung frei. Ansonsten kann ON angeordnet werden

Beizug des Rechtsmediziners bei einem assistierten Suizid – auf welcher Grundlage? Richtlinien der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (2013) Die Erkrankung des Patienten rechtfertigt die Annahme, dass das Lebensende nahe ist. Alternative Möglichkeiten der Hilfestellung wurden erörtert und soweit gewünscht auch eingesetzt. Der Patient ist urteilsfähig, sein Wunsch ist wohlerwogen, ohne äusseren Druck entstanden und dauerhaft. Dies wurde von einer unabhängigen Drittperson überprüft, wobei diese nicht zwingend ein Arzt sein muss. Der letzte Akt der zum Tode führenden Handlung muss in jedem Fall durch den Patienten selbst durchgeführt werden. https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html SAMW Richtlinien von 2013, wobei gerade Neuerung Hauptorganisationen (im Kt. Zürich): Exit & Dignitas

Zusätzliche Aufgaben bei einem assistierten Suizid Prüfung der ärztlichen Unterlagen Kopie ärztlicher Zeugnisse bzw. Krankengeschichte Urteilsfähigkeit: Bestätigt 2x nicht älter als 6 Monate Bei psychiatrischen oder hirnorganischen Erkrankungen ein psychiatrisches Fachgutachten; nicht älter als 30 Tage Kopie des NAP – Rezepts Vergleich der geschätzten Todeszeit mit dem von der Organisation angegebenen Ablauf der Sterbebegleitung Optional: Begutachtung der Videoaufzeichnung der Einnahme des NAP Bei ungenügenden oder fehlerhaften Unterlagen – Info an Staatsanwalt Daraus ergeben sich:

Natrium-Pentobarbital Wirkstoff aus der Gruppe der Barbiturate Rechtlich gehört es zu den Betäubungsmitteln Früher als Beruhigungsmittel und Schlafmittel verabreicht wurde Wird kaum mehr in der Humanmedizin eingesetzt, da Überdosis lebensgefährlich ist und zu einem Atem- und Herzstillstand führen kann Einsatz in der Tiermedizin

Rezeptierung des NAP Abgabe von NAP durch die Apotheke ist freiwillig Rezept muss mit den Personalien des Suizidenten sowie ‘Dosis letalis’ oder ‘zur Sterbehilfe’ gekennzeichnet werden Applikationsart wird notiert Gültigkeit des Rezepts max. 6 Monate Nicht gebrauchtes NAP wird durch die kantonalen Behörden vernichtet Gesetzliche Hinweise bekommen Sie im Anschluss von STA de Capitani

Leichenschau (jeder Arzt) Legalinspektion (Amtsarzt, Rechtsmediziner) Einnahme des NAP Wird als Pulver verschrieben, dass entsprechend aufgelöst wird Vorher Einnahme eines Antiemetikums (z.B. Paspertin) Überwiegend oral, z.T. mittels Strohhalm Vermehrt intravenös über Spritzenpumpe (Dignitas) oder Infusion (Exit) Leichenschau (jeder Arzt) Legalinspektion (Amtsarzt, Rechtsmediziner)

Take home – Main facts Assistierter Suizid ist ein unnatürlicher Tod und erfüllt somit die Definition eines agT Zusätzliches Augenmerk auf Prüfung der ärztlichen Unterlagen Postmortal überprüfbar sind die formellen Aspekte der entsprechenden Unterlagen Inhalt lässt sich postmortal nicht mit genügender Rechtssicherheit überprüfen

Leichenschau (jeder Arzt) Legalinspektion (Amtsarzt, Rechtsmediziner) barbara.fliss@irm.uzh.ch