Konversatorium zum Strafrecht BT I

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 Präsentation transkript:

Konversatorium zum Strafrecht BT I (Grundkurs III) – Nicht-Vermögensdelikte – Dozentin: Dr. iur. Tamina Preuß Zeit und Ort: freitags 8 Uhr c.t. bis 9:45 Uhr bzw. 10 Uhr s.t. bis 11:30 Uhr in S 101 (Paradeplatz) Kontakt: tamina.preuss@uni-wuerzburg.de

Fall 8: Pressefreiheit Die freie Redakteurin A berichtet in einer Zeitung ausführlich über den örtlichen Motorradverein „Komet Harley“, um auf dessen wilden Lebenswandel hinzuweisen und vor den tatsächlich gesche-henen, wiederholten Belästigungen durch die Vereinsmitglieder zu warnen. In ihrem Artikel behauptet A unter anderem, dass der Vereinsvorsitzende O seine Maschine nur fahre, da er „anderweitig seinen Mann nicht stehen könne“. Außerdem verbreitet sie bewusst wahrheitswidrig, dass ein – namentlich nicht genanntes – Vor-standsmitglied des Motorradvereins wegen einer Schlägerei bereits vorbestraft sei. Der Artikel bleibt nicht ungelesen. Vereinsmitglied B erklärt einem engen Freund gegenüber, der Artikel belege, dass A nichts als eine

Fall 8: Pressefreiheit Bearbeitervermerk: gemeine Lügnerin sei. Außerdem trifft A eines Abends den Vereinsgegner C. Da er schon immer eine Schwäche für A hatte und durch den Artikel nur in seiner Meinung bestärkt wurde, macht er ihr anzügliche Komplimente, welche A sich verbitten lässt. Als A auf die erneuten Komplimente nicht reagiert, greift C ihr flüchtig an die Brust. A schreit den C daraufhin wütend an. Bearbeitervermerk: Wie haben sich A, B und C nach dem StGB strafbar gemacht? Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt. § 123 StGB ist nicht zu prüfen.

Fall 8 Lösung: Tatkomplex 1: Zeitungsartikel Strafbarkeit der A A. Äußerung über die Manneskraft des O I. § 185 StGB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand Beleidigung = Kundgabe der eigenen Miss- oder Nichtachtung gegenüber einem anderen Kundgabe = eine zur Kenntnisnahme durch einen anderen bestimmte ehrverletzende Äußerung (Kundgabehandlung), die vom Adressaten wahrgenommen werden muss (Kundgabe-erfolg) (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 28 Rn. 20)

Fall 8 Miss- o. Nichtachtung = wenn dem Beleidigten Mängel unterstellt werden, die im Falle ihres Vorliegens seinen grds. uneingeschränkten Geltungswert u. den daraus fließenden Achtungsanspruch minderten (Valerius, in: BeckOK-StGB, 36. Aufl. 2017, § 185 Rn. 21 m.w.N.) eigene Miss- o. Nichtachtung: nicht bloße Wieder- und Weitergabe fremder Beleidigungen (anders bei zu Eigen machen des Inhalts), Arg.: anders als § 186 f. StGB kein Verbreitungsdelikt hier (+) durch Zeitungsartikel, der von Lesern zur Kenntnis genommen werden sollte durch unwahre (str.) Tatsachenbehauptung o. ehrver-letzendes Werturteil:

Fall 8 Tatsache = Ereignis, Vorgang oder Zustand der Außen- oder Innenwelt, das der Vergangenheit oder der Gegenwart angehört und dem Beweis zugänglich ist Werturteil = Äußerung der subjektiven Stellungnahme, des Dafürhalten u. Meines, dessen Richtigkeit o. Unrichtigkeit Sache der persönlichen Überzeugung bleibt hier: Werturteil, denn die Behauptung unterstellt O, er müsse durch sein Motorrad Defizite auf anderer Ebene kompensieren Hinweis: Man könnte auch auf die Idee kommen, eine Tatsachenbehauptung bezüglich der Potenz des O zu prüfen. Maßgeblich dafür, ob ein Werturteil o. eine Tatsachenbehauptung anzunehmen ist, ist der obj. Sinngehalt der Äußerung, wie er von dem angesprochenen Adressaten verstanden werden muss, wobei nicht nur Wortlaut u. Form, sondern auch der gesamte Kommunikationszusammenhang zu berücksichtigen sind

Fall 8 (Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 186 Rn. 3). Im Gesamtkontext des Artikels geht es nicht um die sexuelle Potenz des O. Daraus wird ersichtlich, dass A mit „Manneskraft“ allgemein die „Männlichkeit“ als Charaktereigenschaft meint u. damit ein Werturteil abgibt. Wenn man annimmt, dass die Äußerung sowohl wertende, als auch nicht wertende, nicht voneinander abgrenzbare Aussagen enthält, muss ermittelt werden, welcher Gehalt nach dem aus dem Gesamtinhalt der Äußerung sich ergebenden Sinn im Vor-dergrund steht (Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 186 Rn. 4). Auch führt wiederum zur Annahme eines Werturteils.

Fall 8 b. Subjektiver Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit a. Allgemeine Rechtfertigungsgründe (-) b. Wahrnehmung berechtigter Interessen, § 193 StGB Anmerkung: Bei § 193 StGB handelt es sich nach h.M. um einen besonderen Rechtfertigungsgrund, der Ausprägung des Art. 5 I GG ist, auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses beruht und den Gedanken des erlaubten Risikos zum Ausdruck bringt. Alle in § 193 StGB genannten Fallgruppen sind Anwendungsfälle des berechtigten Interesses (Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 193 Rn. 1). aa. Objektive Rechtfertigungselemente

Fall 8 berechtigtes Interesse = jedes Interesse öffentlicher, privater, immaterieller o. vermögensrechtlicher Na-tur, dessen Schutzwürdigkeit von der Rechtsordnung anerkannt ist grds. nur eigene private Interessen o. fremde Interessen, zu dessen Verfechter sich der Äußernde nach vernünftigem Ermessen machen darf (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 29 Rn. 40) Interessen der Allgemeinheit, wenn sie nach dem heutigen Verfassungsverständnis (vgl. Art. 5 I GG) jeden etwas angehen (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 29 Rn. 40) hier (+) als Pressevertreter besteht ein berechtigtes Interesse auf Belästigungen durch Vereinsmitglieder aufmerksam zu machen

Fall 8 Interessenabwägung vorzunehmen, Arg.: § 193 StGB ist Ausprägung der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 I GG: die Äußerung muss zur Interessen-wahrnehmung geeignet, erforderlich und angemessen sein (vgl. Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 29 Rn. 41 ff.) Geeignetheit: wenn die Äußerung nach ex-ante-Betrachtung zur Interessenwahrnehmung beitragen kann (Valerius, in: BeckOK-StGB, 36. Aufl. 2017, § 193 Rn. 20) – hier (+) Erforderlichkeit: Grundsatz des relativ mildesten Mittels – hier (-) A hätte auf die Belästigungen auch ohne den persönlichen Angriff auf O aufmerksam machen können (a.A. vertretbar unter Bezugnahme auf mangelnde Effektivität)

Fall 8 bb. Zwischenergebnis (-) Angemessenheit: wenn bei Abwägung aller konkreten Einzelfallumstände die Interessen des Beleidigers mit denen des Beleidigten mindestens gleichwertig sind (Rengier, Strafrecht BT I, 18. Aufl. 2017, § 29 Rn. 43; a.A. das Interesse an der Äußerung muss überwiegen) Einbeziehung von Form, Inhalt u. Umständen der Äußerung (z.B. Vorverhalten des Beleidigten) Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertungen (insb. Art. 5 I GG) kein Schutz von Schmähkritik, d.h. wenn anstatt der Auseinandersetzung mit der Sache die bloße Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht hier bloße Schmähkritik ggü. O bb. Zwischenergebnis (-)

Fall 8 3. Schuld (+) 4. Strafantrag, § 194 I S. 1 StGB (+) 5. Ergebnis (+) B. Äußerung über die Vorstrafe eines Vorstands-mitglieds I. § 186 StGB Hinweis: § 187 StGB stellt – angesehen vom Sonderfall der Kreditgefährdung (Vermögensdelikt) – eine Qualifikation des § 186 StGB dar, sodass auch direkt mit der Prüfung dieser Norm begonnen werden kann. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand

Fall 8 ehrenrührige Tatsache: Tatsache = Ereignis, Vorgang oder Zustand der Außen- oder Innenwelt, das der Vergangenheit oder der Gegenwart angehört und dem Beweis zugänglich ist (+) bei Vorstrafe der Fall ehrenrührig = dazu geeignet ist, dem Betroffenen den sittlichen, personalen oder sozialen Geltungswert abzusprechen (+) durch Unterstellung einer strafgerichtlichen Verurteilung in Beziehung auf einen anderen (Drittbezug) = Äußerung muss zumindest auch ggü. einem anderen als dem Beleidigten erfolgen – hier (+) ggü. den Zeitungslesern

Fall 8 P.: Beleidigungsfähige Person: grds. kann nur eine individualisierte o. zumindest indi-vidualisierbare Person an ihrer Ehre verletzt werden es könnte jedoch die Beleidigung von Einzelpersonen unter einer Kollektivbezeichnung vorliegen (sog. Kollektivbe-leidigung), Voraussetzungen: aus der Allgemeinheit deutlich hervortretender, klar ab-grenzbarer Personenkreis – nicht bloße allgemeine Wert-urteile, bei denen sich die Ehrverletzung in der Un-bestimmtheit verliert – hier (+) Mitglieder des Motorradvereins zahlenmäßige Überschaubarkeit (+) Mitglieder lassen sich zweifelsfrei bestimmen (+)

Fall 8 Tathandlung: Kundgabe durch Behaupten o. Ver-breiten: behaupten = eine Tatsache als nach eigener Überzeugung wahr hinstellen, unabhängig davon, ob die Tatsache als Produkt eigener oder fremder Wahrnehmung erscheint verbreiten = wenn der Täter die Tatsache als Gegenstand fremden Wissens weitergibt, ohne sie sich zu Eigen zu machen, unabhängig von etwaiger Distanzierung hier (+) zumindest in der Var. des Verbreitens Qualifikation des § 186 Alt. 2 StGB: durch Verbreiten von Schriften (§ 11 III StGB) Schriften, § 11 III StGB (+)

Fall 8 b. Subjektiver Tatbestand verbreiten = die Schrift muss einem größeren Personenkreis körperlich, also nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer Substanz, zugänglich gemacht werden; der Personen-kreis muss – sei er auch individuell bestimmbar und in sich abgeschlossen – so groß sein, dass er vom Täter nicht mehr kontrollierbar ist (presserechtlicher Verbreitungsbegriff) (Regge/Pegel, in: MüKo, 3. Aufl. 2017, § 186 Rn. 37) – hier (+) b. Subjektiver Tatbestand 2. Tatbestandsannex: Objektive Bedingung der Straf-barkeit Hinweis: Es empfiehlt sich, den Tatbestandsannex außerhalb des Tatbestands unter einem separaten Prüfungspunkt zu prüfen.

Fall 8 Nichterweislichkeit der Wahrheit der Tatsache: wenn das Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht (§ 244 II StPO) nicht sicher feststellen konnte, dass die Tatsache zumindest in ihrem Kern zutrifft Beweisführungspflicht verbleibt beim Gericht – materielle Beweislast trägt der Angekl. (entgegen dem sonst geltenden „in dubio pro reo“-Grundsatz) den Angekl. trifft das Risiko einer ergebnislosen Wahrheits-forschung hier (+) Äußerung sogar unwahr 3. Rechtswidrigkeit: Wahrnehmung berechtigter In-teressen, § 193 StGB

Fall 8 hier (+) bereits keine Erforderlichkeit der wissentlich unwahren Behauptung einer Vorstrafe für das Anliegen der A 4. Schuld (+) 5. Strafantrag, § 194 I S. 1 StGB (+) 6. Ergebnis (+) II. § 187 StGB Hinweis: Wurde § 186 StGB vorab geprüft, kann hier weitgehend nach oben verwiesen werden. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand

Fall 8 ehrenrührige Tatsache (+) s.o. Unwahrheit der Tatsache = wenn die Behauptung in ihren wesentlichen Punkten falsch ist (Lenck-ner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 187 Rn. 2) – hier (+) Hinweis: Zu beachten ist, dass die Unwahrheit der Tatsache bei § 187 StGB als obj. Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist. Bei Zweifeln gilt i.R.d. § 187 StGB „in dubio pro reo“. Gelingt der Beweis nicht, kommt wiederum § 186 StGB in Betracht. in Beziehung auf einen anderen (Drittbezug) (+) s.o. Tathandlung: Kundgabe durch Behaupten o. Verbreiten (+) s.o.

Fall 8 Qualifikation des § 187 Alt. 2 StGB: durch Verbreiten von Schriften (§ 11 III StGB) (+) s.o. b. Subjektiver Tatbestand Vorsatz, § 15 StGB (+) Handeln wider besseres Wissen: Täter muss sicheres Wissen i.S.v. dolus directus 2. Grades hinsichtlich der Unwahrheit der Tatsachenbehauptung aufweisen – hier (+) A wusste um die Unwahrheit 2. Rechtswidrigkeit: Wahrnehmung berechtigter In-teressen, § 193 StGB P.: Anwendbarkeit des § 193 StGB auf § 187 StGB:

Fall 8 3. Schuld (+) 4. Strafantrag, § 194 I S. 1 StGB 5. Ergebnis (+) e.M.: § 193 StGB unanwendbar, Arg.: bewusste Lüge kann von vornherein nicht auf einem berechtigten Interesse beruhen a.M.: § 193 StGB bleibt in besonderen Ausnahmesituationen anwendbar Streitentscheidung entbehrlich, da keine besondere Ausnahmesituation 3. Schuld (+) 4. Strafantrag, § 194 I S. 1 StGB 5. Ergebnis (+) III. Ergebnis zum 1. TK

Fall 8 Strafbarkeit der A gem. § 187 Alt. 2 StGB z.N. der Vorstandsmitglieder (§ 186 StGB tritt zurück) Strafbarkeit der A gem. § 185 StGB z.N. des O §§ 187 Alt. 2 StGB, 185, 52 StGB Tatkomplex 2: Leserreaktion des B Strafbarkeit des B Hinweis: Ist nicht offensichtlich, ob eine Äußerung eines Tatsachenaussage o. ein Werturteil darstellt, empfiehlt es sich mit § 186 f. StGB zu beginnen (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 28 Rn. 5).

Fall 8 I. § 186 StGB 1. Objektiver Tatbestand ehrenrührige Tatsache: ehrenrührig (+) durch Bezeichnung als „Lügnerin“ P.: Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen u. Werturteilen: nach dem obj. Sinngehalt im Einzelfall Grenzen im Einzelfall fließend tatrichterliche Auslegung nach Wortlaut, Kontext u. Begleitumständen (Valerius, in: BeckOK-StGB, 36. Aufl. 2017, § 186 Rn. 6) wenn eine Äußerung sowohl Tatsachen als auch Werturteile enthält, kommt es darauf an, welches Element nach Sinn u. Gesamtkontext überwiegt

Fall 8 isolierte Betrachtung v. Tatsachen u. Wertungen bei zusammenhängender Aussage i.d.R. unzulässig (Valerius, in: BeckOK-StGB, 36. Aufl. 2017, § 186 Rn. 6 m.w.N.) hier: Tatsachenbehauptung („Lügnerin“), Arg.: Bezugnahme auf den Artikel, der (nachweisliche) Unwahrheiten enthält; hiermit verbundene Wertung („gemeine“) macht die Äußerung nicht zu einem Werturteil in Beziehung auf einen anderen (Drittbezug) (+) ggü. seinem Freund Kundgabe durch Verbreiten o. Behaupten (+)

Fall 8 P.: Teleologische Reduktion: Kundgabe trotz Äu-ßerung im privaten Kreis: frühere Rspr.: auch hier grds. strafbar heute h.M.: teleologische Reduktion bei Äußerungen im engsten Familienkreis u. bei vergleichbaren engen persönlichen Verhältnissen (sog. „beleidigungsfreie Sphäre“); unterschied-liche Begründungen: Äußerung tritt nicht in einen Kreis, der als bes. Träger der Wertschätzung des Einzelnen in Betracht kommt, Kritik: es kommt nicht darauf an, ob die Familie Träger der Wert-schätzung des Betroffenen ist, jedenfalls für die einzelnen Familienmitglieder ist dies unstr.; mit dieser Begründung wären auch Verleumdungen nach § 187 StGB straffrei (Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, Vor § 185 Rn. 9a)

Fall 8 Äußerungen nicht gegen den Achtungsanspruch des Betroffenen in der Gemeinschaft gerichtet Parallele zum Selbstgespräch Freiraum für Spontanäußerungen, Kritik: kein Anlass der Beschränkung auf mündliche Spontanäußerungen (Lenck-ner/Eisele, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, Vor § 185 Rn. 9b) kein Kundgabevorsatz, sofern mit Vertraulichkeit gerechnet dem Einzelnen muss wegen Art. 5 I GG und Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG ein Rückzugsraum verbleiben in dem er sich ungezwungen mitteilen, aussprechen und abreagieren kann, ohne deswegen eine Bestrafung befürchten zu müssen (BVerfG NJW 2007, 1194)

Fall 8 2. Zwischenergebnis (-) II. Ergebnis (-) hier aufgrund der Äußerung ggü. einem engen Freund mangels Kundgabe der obj. Tatbestand nicht erfüllt 2. Zwischenergebnis (-) II. Ergebnis (-) B. Strafbarkeit des C durch die anzüglichen Kompli-mente ggü. A I. § 185 StGB P.: Abgrenzung von Beleidigung u. bloßen Taktlosig-keiten sowie Persönlichkeitsverletzungen ohne abwertenden Charakter: hier wohl noch bloße Taktlosigkeit

Fall 8 C. Strafbarkeit des C durch den Griff an die Brust der A I. § 223 I StGB (-) II. § 177 I StGB 1. Objektiver Tatbestand sexuelle Handlung = ein Tun (ausnahmsweise Unter-lassen), das aus der Sicht eines obj. Beobachters unmittelbar der Befriedigung geschlechtlicher Bedürf-nisse eines Menschen dient; die Verhaltensweise muss das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand haben u. bereits nach ihrem äußeren Er-scheinungsbild für das allg. Verständnis sexual-bezogen sein (Ziegler, in: BeckOK-StGB, 36. Aufl. 2017, § 184h Rn. 3)

Fall 8 Einschränkung des § 184h Nr. 1 StGB: die Handlung muss im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sein: Bestimmung nach Art, Intensität u. Dauer des sexual-bezogenen Vorgehens, unter Berücksichtigung des Handlungsrahmens u. der Beziehung der Beteiligten (BGH NStZ 2012, 269 [270]) Erheblichkeitsgrenze bei sozial nicht mehr hinnehmbarer Beeinträchtigung erreicht (BGH NStZ 2012, 269 [270]) hier (-) da bei „nur“ einmaligem, flüchtigem Anfassen im Hinblick auf das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht der Fall 2. Ergebnis (-)

Fall 8 III. § 184i I StGB („Sexuelle Belästigung“) 1. Tatbestand Anmerkung: Die Vorschrift wurde durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung v. 4.11.2016 (BGBl. 2016 I, S. 2460), das am 10.11.2016 in Kraft trat, neu in das StGB eingefügt. Sie soll das Recht der sexuellen Selbstbestimmung umfassend schützen u. auch Fälle erfassen, die die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB nicht erreichen. 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand körperliche Berührung = unmittelbare körperliche Einwirkung erforderlich (+) in sexuell bestimmter Weise:

Fall 8 nach objektivierender Betrachtung zu bestimmen unter Berücksichtigung von Art, Intensität und Dauer des Vorgehens, aber auch auf den Handlungsrahmen des fraglichen Akts sowie die Beziehung der Beteiligten untereinander bei Berührung an den Geschlechtsorganen o. Vornahme von Handlungen, die typischerweise sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetzen, naheliegend hier (+) durch Griff an die Brust dadurch sexuelle Belästigung des Opfers: wenn die Handlung das Opfer in seinem Empfinden nicht unerheblich beeinträchtigt u. das Opfer sich in seiner sexuellen Selbstbestimmung tangiert fühlt – hier (+) durch Griff an die Brust nach vorangegangener Zurückweisung

Fall 8 b. Subjektiver Tatbestand (+) 2. Rechtswidrigkeit u. 3. Schuld (+) 4. Strafantrag, § 184i III StGB (+) 5. Ergebnis (+) IV. § 240 I StGB hier (-) mangels Nötigungsmittels V. § 185 StGB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand P.: Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung als Be-leidigung (sog. Sexualbeleidigung):

Fall 8 frühere Rspr.: mit Angriffen auf das sexuelle Selbst-bestimmungsrecht liegt eine regelmäßig auf Konkurrenzebene zurücktretende Beleidigung vor (BGH NJW 1951, 368; NStZ 1987, 21), Arg.: Schamverletzung gleichzeitig Ehrverletzung, Kritik: § 185 StGB wird zum Lückenbüßer (etwa bei Rücktritt vom Sexualdelikt); Scham- und Ehrverletzung gerade nicht identisch Anmerkung: Die damalige Rspr. ging sogar so weit, in sexualbezogenen Handlungen gegenüber Minderjährigen eine Beleidigung der Erziehungsberechtigten zu sehen (BGH NJW 1955, 471) und bei ehebrecherischem Verhalten den „Ehestörer“ wegen einer Beleidigung zu Lasten des betrogenen Ehepartners schuldig zu sprechen (BGH NJW 1952, 476).

Fall 8 b. Subjektiver Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit u. 3. Schuld h.M.: Beleidigung nur, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters, über eine Schamverletzung hinausgehend, eine selbstständige herabsetzende Bewertung des Opfers o. Dritter zu sehen ist (OLG Karlsruhe NJW 2003, 1263, 1264) hier (+) da nach den zurückgewiesenen anzüglichen Komplimenten durch den Griff an die Brust zusätzlich Geringschätzung zum Ausdruck gebracht wird (a.A. vertretbar) b. Subjektiver Tatbestand 2. Rechtswidrigkeit u. 3. Schuld 4. Strafantrag, § 194 I S. 1 StGB 5. Ergebnis (+) VI. § 185 Alt. 2 StGB (+/-)

Fall 8 Anmerkung: Ob § 184i StGB Auswirkungen auf den An-wendungsbereich der Sexualbeleidigung haben wird, ist bislang noch nicht geklärt (vgl. Regge/Pegel, in: MüKo, 3. Aufl. 2017, § 185 Rn. 14). V. Ergebnis zum 2. TK Strafbarkeit des C gem. §§ 185, 184i I, 52 StGB Gesamtergebnis Strafbarkeit der A gem. §§ 187 Alt. 2 StGB, 185, 52 StGB B ist straflos

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