Konversatorium zum Strafrecht BT I

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 Präsentation transkript:

Konversatorium zum Strafrecht BT I (Grundkurs III) – Nicht-Vermögensdelikte – Dozentin: Dr. iur. Tamina Preuß Zeit und Ort: freitags 8 Uhr c.t. bis 9:45 Uhr bzw. 10 Uhr s.t. bis 11:30 Uhr in S 101 (Paradeplatz) Kontakt: tamina.preuss@uni-wuerzburg.de

Fall 2: Ein romantischer Herbsttag Sachverhalt: Zwischen den Eheleuten A und O ist das Tischtuch seit Monaten zerschnitten. Beide leben – trotz fortbestehender Ehe – vonein-ander getrennt und A leistet Unterhaltszahlungen. Als A von einer Affäre der O mit dem Briefträger erfährt, will er sie aus Rache für ihre vermeintliche Untreue töten. Dass er sich dadurch zugleich seiner Unterhaltspflicht gegenüber der O entledigen würde, kommt ihm nicht ungelegen. Unter dem Vorwand einen Neuanfang zu versuchen, kann A die zu-nächst noch widerwillige O zu einem gemeinsamen Spaziergang im Wald bewegen. Nachdem A und O eine längere Strecke zurückge-legt haben, geraten sie an eine einsame Stelle, wo A einen Revolver zieht und der O offen gegenübertritt.

Fall 2: Ein romantischer Herbsttag O zeigt sich jedoch nicht sonderlich davon beeindruckt, da A ihr in den letzten Jahren wiederholt gedroht hatte, sie fertig zu machen, ohne eine seiner Drohungen jemals umgesetzt zu haben. Sie versucht daher überhaupt nicht, die Flucht oder etwaige Ver-teidigungsmöglichkeiten gegen den bewaffneten A zu ergreifen. Vielmehr sagt O dem A, dass er ohnehin nicht schießen werde, weil er schon immer ein großer Schlappschwanz gewesen sei und noch nie was zu Ende gebracht habe. A realisiert zwar, dass O ihm nicht glaubt, drückt dennoch wider Erwarten der O ab und trifft sie tödlich. O ist sofort tot. Um seine Tat zu vertuschen und einen Unfalltod vorzutäuschen, schleppt A die O zu ihrem Pkw und fährt zu einer nahe gelegenen Schlucht.

Fall 2: Ein romantischer Herbsttag Dort nimmt er am Fuße des lang gezogenen Abhangs zur Klippe eine Gruppe von 20 Personen wahr, die in ein Picknick vertieft ist und ihn nicht bemerkt. Ungeachtet dessen löst A die Handbremse des Pkw und lässt ihn den langen Abhang zur Klippe herunterrollen. Er ist sich dabei der Möglichkeit bewusst, dass der Pkw mehrere Ausflügler erwischen und tödlich verletzen könnte. An sich will A den Personen kein Leid zufügen, jedoch findet er sich mit der Möglichkeit ab, dass er einige – wenn auch nicht alle – ggf. tödlich verletzen könnte, da es ihm darauf ankommt, dass der Pkw mit der Leiche der O die Klippe herunterstürzt und dadurch die Spuren seiner Tat beseitigt werden. Tatsächlich wird der Picknicker P vom dem von der Klippe stürzenden Pkw tödlich erfasst, bevor dieser in der Schlucht explodiert. Weitere Personen werden wie durch ein Wunder weder verletzt noch getötet.

Fall 2: Ein romantischer Herbsttag Bearbeitervermerk: Wie hat sich A nach den §§ 211 ff., 223 ff. StGB strafbar gemacht? Eventuell erforderliche Strafanträge sind gestellt!

Fall 2 Vorüberlegungen Tatkomplex 1: Spaziergang im Wald I. §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten der O II. §§ 223 I, 224 I StGB zu Lasten der O Tatkomplex 2: Der rollende Pkw I. §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten des P II. §§ 223 I, 224 I StGB zu Lasten des P III. §§ 212 I, 211, 23 I, 22 StGB zu Lasten der 19 anderen Personen IV. §§ 223 I, 224 I, 23 I, 22 StGB zu Lasten der 19 anderen Personen

Fall 2 Lösung: Strafbarkeit des A Tatkomplex 1: Spaziergang im Wald I. §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten der O A könnte sich des Mordes gem. §§ 211, 212 I StGB an O strafbar gemacht haben, indem er sie unter einem Vor-wand in den Wald lockte und dort mit dem Revolver tödlich traf. 1. Tatbestand Objektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 212 I StGB Taterfolg (+) O wurde tödlich getroffen

Fall 2 Kausalität, objektive Zurechnung (+) bb. Der Qualifikation, § 211 II StGB Indem A die O unter einem Vorwand in den Wald lockte und an einer einsamen Stelle einen Revolver zog, mit dem er ihr offen gegenüber trat, könnte er das tatbe-zogene Mordmerkmal der Heimtücke gem. § 211 II Gruppe. 2 Var. 1 StGB verwirklicht haben. Heimtücke = Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers, wobei einschränkend ein besonders ver-werflicher Vertrauensbruch (Teil der Lit.) bzw. ein Han-deln in feindlicher Willensrichtung (Rspr.) verlangt wird

Fall 2 arglos = wer sich im Zeitpunkt des Beginns der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unver-sehrtheit oder sein Leben versieht (Wessels/Het-tinger/Engländer, Strafrecht BT 1, 41. Aufl. 2017, § 2 Rn. 128) setzt die Fähigkeit zum Argwohn voraus (ab einem Alter von ca. drei Jahren vorhanden, vgl. weiterführend: Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 27 ff.) darauf, ob das Opfer mit einem Angriff auf sein Leben rechnet, kommt es nach aktueller Rspr. nicht mehr an (vgl. Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 35. Aufl. 2017, § 211 Rn. 43 m.w.N.; abweichend noch BGH NJW 1969, 2292 [2292])

Fall 2 str. Entfallen der Arglosigkeit bei vorangegangenen rein ver-balen Auseinandersetzungen (vgl. weiterführend Eser/Stern-berg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 24) nicht ausgeschlossen durch generelles Misstrauen (BGH NStZ 1995, 394 [396]), latente Angst (BGH NStZ 2010, 450 [451]) o. „rollenbedingtes Misstrauen“ (BGH NStZ 1995, 394 [396]) P.: Opfer verkennt die Ernsthaftigkeit der Todesdrohungen: O glaubt dem A aufgrund wiederholter Todesdrohungen in den letzten Jahren nicht, dass er tatsächlich auf sie schießen will

Normativierende Auslegung Psychologisch-deskriptive Auslegung Fall 2 Normativierende Auslegung Psychologisch-deskriptive Auslegung Die Arglosigkeit ist normativ zu verstehen. Es kommt darauf an, ob das Opfer Anlass zur Arglosigkeit hatte, nicht, ob es tatsächlich arglos war (BGH NJW 2003, 1955). Die Arglosigkeit ist rein faktisch auszulegen. Dasjenige Opfer, das sich keines Angriffs versieht, ist auch dann arglos, wenn es sich eines Angriff versehen müsste (BGH 2005, 688; Quentin, NStZ 2005, 128, 132 f.). Arg.: restriktive Auslegung der Mordmerkmale; auch deskriptive Tatbestandsmerkmale können nor-mativ einschränkend ausgelegt werden Arg.: den nicht arglosen Opfern fehlt i.d.R. das Risikobewusstsein nicht aus Überheblichkeit, sondern aufgrund von Naivität u. blindem Vertrauen – kein Grund, den Täter zu pri-vilegieren

Normativierende Auslegung Psychologisch-deskriptive Auslegung Fall 2 Normativierende Auslegung Psychologisch-deskriptive Auslegung Arg.: auch die Tötung des obliegenheitswidrig die Gefahr verkennenden Opfers ist besonders verwerflich; eine normative Fiktion des Argwohns widerspricht dem deskriptiven Begriffsinhalt u. führt zu einer Fiktion des Argwohns (vgl. z.B. Küper, GA 2006, 310 [312]; Saliger, JZ 2012, 723) - hier (+/-) beide Ansichten gleichermaßen vertretbar - Streitfrage kann ggf. offen bleiben, sofern man auf den Zeitpunkt vor dem Ziehen des Revolvers abstellen kann, denn in diesem Zeitpunkt musste sich die O keines Angriffs auf ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit versehen

Fall 2 Anmerkung: In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um die Tötung eines Erpressers. Der BGH stützte seine Argumentation darauf, dass ein „Wertungsgleichklang mit dem Notwehrrecht“ herzustellen sei und dass „der Gegenwehr […] ersichtlich nicht das Tückische in einem Maße innewohnt, welches den ge-steigerten Unwert dieses Mordmerkmals kennzeichnet“ (BGH NJW 2003, 1955) (weiterführend zum Streitstand: Eser/Stern-berg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 24a; Schneider, in: MüKo-StGB, 3. Aufl. 2017, § 211 Rn. 154 ff.). P.: Locken in den Hinterhalt: O hat erst Anlass, Argwohn zu hegen, als ihr A bereits an einer einsamen Stelle gegenüber-tritt; vor dem Spaziergang ist dies nicht der Fall

Fall 2 maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arglosigkeit ist grds. der Beginn der ersten mit Tötungsvorsatz ge-führten Handlung (BGH NStZ-RR 2004, 14), d.h. bei Eintritts ins Versuchsstadium (§ 22 StGB) – hier (+/-) je nachdem, ob man der normativen o. psychologisch-deskriptiven Auslegung folgt: s.o. wer sein Opfer nach einem wohlüberlegten Plan mit Tö-tungsvorsatz in einen Hinterhalt lockt u. dadurch eine bis zur Tatausführung fortwirkende günstige Gelegenheit zur Tötung schafft, handelt auch dann heimtückisch, wenn er dem Opfer in offen feindlicher Haltung aus dem Hinterhalt gegenübertritt u. das Opfer daher in diesem Augenblick nicht mehr arglos ist (BGH NJW 1968, 1291) hier: vor dem Spaziergang versah sich die O keines An-griffs u. musste dies auch nicht – daher (+)

Fall 2 Anmerkung: Somit kann offen bleiben, ob hinsichtlich des spä-teren Verhaltens der O eine normativierende Auslegung vor-zunehmen ist. wehrlos = wer infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außer Stande oder in seiner Abwehr stark eingeschränkt ist (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 31): hier (+), O ergreift aufgrund ihrer Arglosigkeit keinerlei Verteidigungsmöglich-keiten in feindseliger Willensrichtung: zu verneinen, wenn Täter zum vermeintlich Besten des Opfers handelt (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 25b) – hier (+) Hinweis: Dieses einschränkende Merkmal hat insbesondere beim „missglückten Mitnahmesuizid“ und bei Tötung aus altruis-tischen Motiven Bedeutung.

Fall 2 besonders verwerflicher Vertrauensbruch: wenn die Arglosigkeit gerade auf einem dem Täter seitens des Opfers entgegengebrachten Vertrauen beruht (vgl. Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 26 f.) – hier (+), mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist nicht davon auszugehen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen A u. O bereits völlig zerrüttet ist Anmerkung: Heimtücke ist eines der praxisrelevantesten u., weil für die Berücksichtigung entlastender Motive wenig Spielraum bleibt, umstrittensten Mordmerkmale (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 22.). In der Literatur wird teilweise gefordert, die besondere Verwerflichkeit anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände positiv festzustellen o. negativ nicht besonders verwerfliche Fälle auszuklammern.

Fall 2 Ein weiterer einschränkender Ansatz ist die von der Rspr. entwickelte Rechtsfolgenlösung, nach der bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auf § 49 I Nr. 1 StGB zurückgegriffen wird (BGH NJW 1981, 1965). Diese Lösung wird seitens der Literatur als wegen Verstoßes gegen Art. 103 II GG unzulässige Rechtsfortbildung contra legem kritisiert (etwa Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 35. Aufl. 2017, § 211 Rn. 58.2). Auf andere Mordmerkmale soll die Rechtsfolgenlösung nicht anwendbar sein (BGH NJW 1997, 807 für Habgier).

Fall 2 b. Subjektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikt, § 212 I StGB A handelte mit Tötungsvorsatz, hier dolus directus 1. Grades bb. Der Qualifikation, § 211 II StGB bewusstes Ausnutzen der Arg- u. Wehrlosigkeit: wenn der Täter im Augenblick der Tat die Umstände der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wahrgenommen u. zur Tatbegehung instrumentalisiert hat (vgl. Wes-sels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT 1, 41. Aufl. 2017, Rn. 134) dolus eventualis genügt (vgl. Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 40)

Fall 2 kann im Einzelfall bei affektiven Spontantötungen u. heftigen Erregungszuständen entfallen (Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4, Rn. 42 f.) hier (+), A legt es gerade darauf an, dass O seinem Vorwand Glauben schenkt u. infolgedessen in ihrer Verteidigung eingeschränkt ist Hinweis: Dieses subjektive Tatbestandsmerkmal wird teilweise bereits im Rahmen des objektiven Tatbestands geprüft, was in Klausuren nicht zu beanstanden sein sollte. Klausurtipp: Ein häufiger und vermeidbarer Klausurfehler liegt darin bei der Prüfung der objektiven Mordmerkmale die subjektive Komponente zu vergessen.

Fall 2 Habgier als subjektives Mordmerkmal, § 211 II Gruppe 1 Var. 3 StGB: = ungezügeltes und rücksichtloses Streben nach Gewinn um jeden Preis (Wessels/Hettinger/Engländer, Strafrecht BT 1, 41. Aufl. 2017, § 2 Rn. 94b) mehr als nur Bereicherungsabsicht Vermögensmehrung nach Tätervorstellung unmittelbar durch den Tod des Opfers o. Entstehung einer sonst nicht vor-handenen Aussicht auf Vermögensmehrung (Schneider, in: MüKo-StGB, 63. Aufl. 2017, § 211 Rn. 63) str. Erstreben eines rechtmäßigen Vorteils (Rengier, Straf-recht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 13a m.w.N.) P.: Habgier beim Ersparen von Aufwendungen: A würde es nicht ungelegen kommen, den Trennungsunterhalt ein-zusparen

Fall 2 Mindermeinung: keine Habgier, Arg.: „Vermögens-erhaltungsabsicht“ weniger verwerflich als „Vermö-gensmehrungsabsicht“; Habgier erfasst dem Wortlaut nach nicht „Behaltgier“ – Verstoß gegen Art. 103 II GG h.M.: Habgier, Arg.: es geht um eine Verbesserung der wirtschaftlichen Gesamtsituation (okönomische Ausdeutung); „Behaltenwollen“ ist nicht per se weniger verwerflich als „Habenwollen“; auch bei Betrug u. Erpressung wird Bereicherungsabsicht bejaht, wenn der Täter die Geltendmachung von Ansprüchen abwenden will (BGH NJW 1957, 1808 für Unterhaltszahlungen für das ungeborene Kind) hier je nach vertretener Ansicht (+/-)

Fall 2 - P.: Motivbündel: Habgier muss nicht das einzige Motive sein –handelt der Täter aus mehreren Beweggründen muss das Vorteilsstreben bei der Tatausführung innerhalb des Motivbün-dels „bewusstseinsdominant“ sein (BGH NJW 1997, 807 [809]) – hier (-), eher willkommener Nebeneffekt (a.A. vertretbar) sonst niedrige Beweggründe als subjektives Mord-merkmal, § 211 II Gruppe 1 Var. 4 StGB: = nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehende und deshalb besonders verachtenswerte Motive (BGH NJW 2002, 382 [383]) „Generalklausel“ (Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schrö-der, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 18)

Fall 2 anhand einer Gesamtwürdigung aller äußeren u. inneren Handlungsantriebe zu ermitteln P.: ambivalente Tatmotive wie Rache: es kommt darauf an, ob die tatauslösenden Motive ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen oder ob sie menschlich verständlich sind (z.B. auf übersteigertem Geltungsdrang oder schwerer De-mütigung) (vgl. Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 33) menschlich nachvollziehbare Beweggründe (wie Ent-täuschung o. Verzweiflung) nicht ersichtlich im Zusammenspiel mit monetärer Motivation (+) (a.A. mit entsprechender Begründung, insb. unter Bezug-nahme auf die restriktive Auslegung der Mord-merkmale, vertretbar)

Fall 2 2. Rechtswidrigkeit insbesondere bereits deshalb keine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB, da die vorangegan-gene Beleidigung („großer Schlappschwanz“) bereits abgeschlossen war 3. Schuld (+) 4. Ergebnis (+) II. §§ 223 I, 224 I StGB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 223 I StGB körperliche Misshandlung, Gesundheitsschädigung (+)

Fall 2 bb. Der Qualifikation, § 224 I StGB mittels einer Waffe, § 224 I Nr. 2 Var. 1 StGB – hier (+) Revolver mittels eines hinterlistigen Überfalls, § 224 I Nr. 3 StGB Überfall = jeder plötzliche, unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen hinterlistig = wen der Täter seine wahren Absichten planmä-ßig berechnend verdeckt, um dadurch dem Angegriffenen die Abwehr zu erschweren hier (+), mehr als nur bloßer Überraschungsangriff: durch den Vorwand, über einen Neuanfang sprechen zu wollen mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung, § 224 I Nr. 5 StGB – hier (+), Indiz: O verstirbt sogar

Fall 2 b. Subjektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 223 I StGB Einheitstheorie bb. Der Qualifikation, § 224 I StGB 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+) Hinweis: Nach der herrschenden Einheitstheorie ist die Körper-verletzung notwendiger Bestandteil jeder Tötung. Wie ausführlich Körperverletzungsdelikte zu prüfen sind, wenn sie offensichtlich hinter einem vollendeten Tötungsdelikt subsidiär zurücktreten, ist strittig. Jedenfalls, wenn erkennbar ist, dass der Klausurschwer-punkt nicht bei den §§ 223, 224 StGB liegt, können die Aus-führungen hierzu knapp gehalten ausfallen.

Fall 2 III. Ergebnis 1. TK Strafbarkeit des A gem. § 211 I, II Gruppe 1, Var. 3, Gruppe 2, Var. 1 StGB §§ 223 I, 224 I StGB treten subsidiär zurück § 212 I StGB tritt hinter § 211 StGB zurück

Fall 2 Tatkomplex 2: Der rollende Pkw I. §§ 212 I, 211 StGB zu Lasten des P 1. Tatbestand Objektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 212 I StGB Taterfolg (+) P wurde tödlich erfasst Kausalität, objektive Zurechnung (+) bb. Der Qualifikation, § 211 StGB Heimtücke gem. § 211 II Gruppe. 2 Var. 1 StGB als tat-bezogenes Mordmerkmal: (+) P hat A nicht bemerkt u. kann deshalb nicht ausweichen (a.A. vertretbar mangel verwerflichen Vertrauensbruchs)

Fall 2 Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln gem. § 211 II Gruppe 2 Var. 3 StGB als tatbezogenes Mordmerkmal: gemeingefährliches Mittel = Tatmittel, dessen Einsatz in der konkreten Situation abstrakt geeignet ist, über das o. die ausersehenen Opfer hinaus eine Mehrzahl unbeteiligter Drit-ter an Leib oder Leben zu gefährden, weil der Täter die Wir-kungsweise des Mittels in der konkreten Tatsituation nicht sicher zu beherrschen vermag (a.A. die Gefährdung des Lebens Unbeteiligter ist erforderlich) Eignung u. Wirkung des Tatmittels in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten u. Absichten des Täters entscheidend (Eschelbach, in: BeckOK-StGB, 35. Aufl. 2017, § 211 Rn. 67) str. Mindestzahl der betroffenen Personen (Rengier, Straf-recht BT II, 18. Aufl. 2017, § 4 Rn. 47b): 19 genügen jedenfalls (+)

Fall 2 b. Subjektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 212 I StGB P.: A hatte Tötungsvorsatz bzgl. aller potentiellen Opfer: Abgrenzung von Mehrfachtötung von Individualtötung mit gemeingefährlichen Mitteln: Rspr. nimmt schlichte Mehrfachtötung nur an, wenn sich die Tat gegen eine Mehrzahl von vom Täter individualisierter Opfer richtet, nicht wenn eine Vielzahl von Menschen als austauschbare Repräsentanten der Allgemeinheit betroffen ist (BGH, NStZ 2006, 167 [168]) b. Subjektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 212 I StGB P.: Abgrenzung von dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit (luxuria):

Fall 2 h.M.: bedingter Vorsatz liegt dann vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich halt u. in der Weise damit einverstanden ist, dass er die Tatbestands-verwirklichung billigend in Kauf nimmt; lediglich bewusst fahrlässig handelt, wer ernsthaft u. nicht nur vage darauf vertraut, dass die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ausbleibe hier: der Tod des P kommt A zwar ungelegen, er findet sich jedoch damit ab wegen der gesteigerten objektiven Gefährlichkeit auch unter Berücksichtigung der „Hemmschwellentheorie“: dolus even-tualis (+)

Fall 2 bb. Der Qualifikation, § 211 StGB Anmerkung: Der Mehrwert der von der Rspr. entwickelte „Hemmschwellentheorie“ wird in der Literatur vielfach kritisch beurteilt. Der BGH hat jüngst klarstellt, die Bedeutung des Hemmschwellengedankens erschöpfe sich in dem Hinweis, die voluntative Komponente unter Einbeziehung aller Indizien besonders sorgfältig zu prüfen (BGH NStZ 2012, 384; vgl. hierzu Rengier, Strafrecht BT II, 18. Aufl. 2017, § 3 Rn. 13). Eine Abschaffung der Hemmschwelle als empirische Größe ist hiermit jedoch nicht erfolgt. bb. Der Qualifikation, § 211 StGB bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit (+)

Fall 2 Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln: der Täter muss ein Bewusstsein der Nichtkontrollierbarkeit des Tatmittels haben, dolus eventualis genügt (vgl. wei-terführend Eser/Sternberg-Lieben, in: Schön-ke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 211 Rn. 40), hier: A ist bewusst, dass er den Pkw nicht kontrollieren kann (+) Verdeckungsabsicht gem. § 211 II Gruppe 3 Var. 2 StGB als täterbezogenes Mordmerkmal: = die Tötung wird begangen, um eine andere Straftat oder auch nur Spuren daraus zu verdecken (dolus directus 1. Gra-des) dem Täter geht es darum, die Aufdeckung der Vortat oder einer Täterschaft zu verbergen

Fall 2 P.: Vereinbarkeit von Verdeckungsabsicht und dolus eventualis hinsichtlich der Tötung: Verdeckungsabsicht und bedingter Tötungsvorsatz schließen sich nicht per se aus Ausnahme: Verdeckungsziel lässt sich nach der Täter-vorstellung nur durch eine erfolgreiche Tötungshandlung erreichen (die Aufdeckung der Tat droht gerade durch das Opfer der Tötungshandlung selbst) (Wessels/Hettin-ger/Engländer, Strafrecht BT 1, 41. Aufl. 2017, § 2 Rn. 147) hier: die Aufdeckung der Tat droht nicht gerade durch P; für das Verdeckungsziel (Unfall vortäuschen) ist nach Vorstellung des A eine erfolgreiche Tötungshandlung nicht zwingend erforderlich; A kommt es darauf an, den Mord an O zu vertuschen

Fall 2 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld (+) 4. Ergebnis (+) II. §§ 223 I, 224 I StGB 1. Tatbestand a. Objektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 223 I StGB (+) bb. Der Qualifikation, § 224 I StGB mit einem gefährlichen Werkzeug, § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB = jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Be-schaffenheit und der konkreten Art der Verwendung im Einzelfall objektiv geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen

Fall 2 hier (+) ein den Abhang fahrerlos hinunterrollender Pkw mittels eines hinterlistigen Überfalls, § 224 I Nr. 4 StGB (-) hier nur überraschender Angriff, da P in das Picknick vertieft ist mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung, § 224 I Nr. 5 StGB – hier (+) Indiz: P verstirbt sogar b. Subjektiver Tatbestand aa. Des Grunddelikts, § 223 I StGB Einheitstheorie bb. Der Qualifikation, § 224 I StGB 2. Rechtswidrigkeit und 3. Schuld 4. Ergebnis (+)

Fall 2 III. §§ 212 I, 211, 22, 23 I StGB zu Lasten der 19 anderen Personen Hinweis: Es wäre hier auch denkbar, einen der Anwesenden beispielhaft herauszugreifen und für die übrigen Personen auf diesen zu verweisen. 1. Vorprüfung a. Nichtvollendung der Tat b. Strafbarkeit des Versuchs 2. Tatentschluss a. Bzgl. des Grunddelikts, § 212 I StGB dolus eventualis hinsichtlich des Taterfolgs (+), un-erheblich, dass A nicht damit rechnet, alle Ausflügler zu töten

Fall 2 b. Bzgl. der Qualifikation, § 211 II StGB Heimtücke gem. § 211 II Gruppe. 2 Var. 1 StGB (+) gemeingefährliche Mittel gem. § 211 II Gruppe 2 Var. 3 StGB (+) Verdeckungsabsicht gem. § 211 II Gruppe 3 Var. 2 StGB (+) 3. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB Hinweis: Eine ausführliche Prüfung des unmittelbaren Ansetzens wäre hier verfehlt. 4. Rechtswidrigkeit und 5. Schuld 6. Kein Rücktritt, § 24 StGB (+) 7. Ergebnis (+)

Fall 2 IV. §§ 223 I, 224 I, 22, 23 I zu Lasten der 19 anderen Personen (+) Gesamtergebnis und Konkurrenzen Strafbarkeit des A gem. § 211 StGB in zwei in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehenden Fällen; der zweite Mord steht in Tateinheit (§ 52 StGB) zum neunzehn-fachen versuchten Mord gem. §§ 211, 22, 23 I, 52 StGB

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