Forschungsdesign 30 Interviewteilnehmer zwischen 14 und 21 Jahren aus der Türkei, Irak, Libanon, Tunesien und Marokko 22 Jungen waren sunnitische Muslime,

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Forschungsdesign 30 Interviewteilnehmer zwischen 14 und 21 Jahren aus der Türkei, Irak, Libanon, Tunesien und Marokko 22 Jungen waren sunnitische Muslime, vier waren alevitisch bzw. schiitisch Altersdurchschnitt beträgt 17,5 Jahren 23 Jugendliche wurden in Deutschland geboren Die Interviews wurden in den Jahren 2001, 2006, 2010 und 2012 durchgeführt Nur zwei Jungen verfügen über einen abgeschlossenen Berufsabschluss Alle befragten Jungen waren Mehrfachtäter im Kontext von Gewaltdelikten und besuchten ein Anti-Aggressivitäts-Training Prof. Dr. Ahmet Toprak

Indikatoren für abweichendes Verhalten Geringe Schulbildung Geringe Berufsausbildung Soziale Rahmenbedingungen Wohnverhältnisse Arbeitslosigkeit, Arbeitslosengeld 2 Diskriminierungserfahrungen Allgemein In Bezug auf eine Straftat Prof. Dr. Ahmet Toprak

Indikatoren für abweichendes Verhalten Eingeschränkte verbale Fähigkeiten Kommunikationsverhalten Gewalterfahrung im sozialen Umfeld In der Familie In der Peer-group „Deutschenfeindlichkeit“ Männlichkeitskonzepte Solidarität und Loyalität gegenüber dem Freund Bedingungslose Verteidigung der weiblichen Familienmitglieder Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Freundschaft Gute Freundschaft heißt, sich für den anderen, wenn es darauf ankommt auch handgreiflich einzusetzen, selbst auf die Gefahr hin, sich dabei zu verletzen. Vertrauen, ein zuverlässiger Umgang miteinander sowie bedingungslose Solidarität und Loyalität sind eine Selbstverständlichkeit. Grenzen der Freundschaft: Wenn die Mutter und insbesondere die weiblichen Familienmitglieder beschimpft, beleidigt oder angeschaut werden, wenn die Männlichkeit oder die Potenz angezweifelt wird und wenn man als „schwul“ beschimpft bzw. bezeichnet wird. Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Ehre Ehre beinhaltet vier voneinander untrennbare Werte. Wenn diese - seref, namus, saygi und onur - definiert und erläutert werden, kann der komplexe türkische Ehrbegriff besser versanden werden. Seref (Ansehen): „Wenn ein Mann, ein Mensch, gegenüber seinen Mitmenschen, gegenüber seiner Umgebung gute Dienste leistet, z.B. ihnen hilft, ihnen in Notzeiten zur Seite steht, so erhöht sich das Ansehen dieses Mannes. Solch ehrbare Männer werden serefli kisiler (ehrbare Männer) genannt. Daneben gibt es Menschen, die das Eigentum der anderen Menschen nicht achten, deren namus verletzen, lügen, stehlen und schlecht über sie sprechen. Man nennt diese serefsiz insanlar (Menschen ohne Ansehen und Ehre).“ Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Ehre Namus (Ehre):"Dem Wert der Ehre unterliegt die Vorstellung einer klaren Grenze, die Innen, den Bereich der Familie, vom Außen, der – männlichen – Öffentlichkeit des Dorfes oder der Stadt, scheidet. Die Ehre eines Mannes ist beschmutzt, wenn diese Grenze überschritten wird, wenn jemand von außen einen Angehörigen der Familie, womöglich eine der Frauen, belästigt oder angreift. Als ehrlos (namussuz) gilt der Mann, der dann nicht bedingungslos und entscheidend den Angehörigen verteidigt.“(Schiffauer) Ehre (namus) regelt nicht nur die Beziehung nach innen und außen, sondern sie bestimmt auch das Verhältnis zwischen Mann und Frau. Wenn von namus gesprochen wird, bedeutet sie für den Mann und die Frau Unterschiedliches. Namus bedeutet für die Frau, dass sie bis zur Ehe ihre Jungfräulichkeit wahrt und während der Ehe treu bleibt. Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Ehre Saygi (Respekt, Achtung): Ein anderer wichtiger Begriff für die Ehre ist Achtung (saygi). In der Familienhierarchie werden ältere Brüder mit agabey (großer Bruder) und ältere Schwestern mit abla (große Schwester) angesprochen. Der Sohn schuldet dem Vater, die Frau dem Mann, der jüngere Bruder dem älteren Achtung. Sie kann ganz unterschiedlich bekundet werden: Der Höherstehende darf nicht mit dem Vornamen angesprochen, ihm darf nicht widersprochen werden, in der Öffentlichkeit muss man in seiner Gegenwart schweigen, man darf nicht in seiner Gegenwart rauchen oder trinken. Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Ehre Onur (Würde): Im Vergleich zu den ersten drei Begriffen ist onur abstrakter und auch schwer messbar. Onur ist eine innere Haltung des Individuums, die nicht nach außen, sondern nach innen gerichtet ist. „Spricht man von Würde (onur) einer Person, so versteht man darunter den inneren Respekt und Werte, zu denen sich ein Individuum anders als im Fall des Ehrbegriffes seref selbst bekennt und mit denen es sich in Notfall gegen eine Verurteilung durch die Gesellschaft oder gegen Interventionen des Staates verteidigen kann.“ Der Begriff onur hat also im Unterschied zu den ersten drei Begriffen eine individuelle Bedeutung. Denn bei seref, namus und saygi ist die Bewertung und Anerkennung der Gemeinde, von Bekannten oder Freunden ausschlaggebend Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Männlichkeit Geistige und körperliche Stärke Im Kindesalter werden die Jungen zu Kampfsportarten ermutigt Wenn die männlichen Kinder sich beim Spielen verletzen und dabei weinen, werden sie u.U. dafür bestraft „Was einen richtigen Mann ausmacht, willst du von mir wissen. Natürlich! Ein richtiger Mann muss stark sein, weißt du. (...) Er darf nicht weinen, ne. Männer dürfen nicht weinen. Wenn du Schläge bekommst und weinst, ne, dann bist du doch kein richtiger Mann. (...) du musst immer stark sein, ne. (...) Ja ich mach viel Body, ne. Damit ich wie eine Mann aussehe und dass die Leute sehen, ne, ich bin stark, ne.“ (Gökhan) Prof. Dr. Ahmet Toprak

Männlichkeitskonzepte: Homosexualität Im türkischen Kontext ist der Begriff negativ besetzt Der Begriff ist ambivalent „(...) Also, ich war im Knast, ne. Da gibt es keine Frauen, ne. Da musst du sehr gut auf dein Arsch aufpassen. (...) Ja, jeder ist geil und will dein Arsch ficken. Wenn du nicht aufpasst, ne, dann will jeder im Knast dich ficken, danach hast du keine Chance, ne. (...) Ja, da war einer, ne. Das war ein Deutscher, das sind sowieso keine richtige Männer, ne. Ja, ne ich habe ihn als erster gefickt, ne. Jeder hat gesagt, als erster hat ihn Metin gefickt, ne. Danach wollten ihn alle ficken. (...) Natürlich bin ich nicht schwul, Mann eh. Du bist schwul, wenn du deinen Arsch hergibst. Wenn du den einmal hergibst, dann kannst du dich nicht mehr blicken lassen. Jeder weiß das dann, du hast das einmal gemacht, du bist schwach, du kannst nicht auf dein Arsch aufpassen und und und. Aber wenn du einen am Arsch fickst, ne. Dann bist du doch ein Mann. Männer ficken doch, nicht die Frauen“" (Metin) Prof. Dr. Ahmet Toprak

Zwischenfazit - Männlichkeitskonzepte Vor allem die sog. Männlichkeitsnormen sind inszeniert und ein Teil der Jugendkultur; eine kritische Auseinandersetzung oder aber die tiefe Bedeutung der einzelnen Werte ist den wenigsten Jungen und jungen Männern bekannt. Diese Männlichkeitsnormen werden auch benutzt bzw. instrumentalisiert, um sich gegenüber den privilegierten Milieus abzugrenzen (sowohl gegenüber Migranten als auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft). Männlichkeitsnormen und religiöse Einstellungen korrelieren nicht miteinander. Prof. Dr. Ahmet Toprak

Bedingungen für Überbetonung der tradierten Werte Geringe Schul- und Berufausbildung Arbeitslosigkeit/Tätigkeit als Hilfsarbeiter Geringe Allgemeinbildung Keine eigene Meinung Aufenthaltsmilieus Keine (eigenen) Hobbys Überschätzung der eigenen Fähigkeiten Geringe Frustrationstoleranz Diskriminierungserfahrungen Prof. Dr. Ahmet Toprak

Präventionsmaßnahmen Frühförderung und Elternkooperation Elterntrainings und niederschwellige Angebote Recht auf gewaltfreie Erziehung Intensive Aufklärungskampagnen in den Medien der Migrantinnen und Migrantensprachen Teilnahme an einem Sozialen Trainings-Kurs Einbeziehung der traditionellen Normen in die Bildungsarbeit Ressourcenorientiertes Arbeiten mit der Zielgruppe Interkulturelle Kompetenz als Qualitätsstandard Schulung der Polizei und Justiz im Umgang mit Jugendlichen Kultur- und Moscheevereine als Kooperationspartner gewinnen Islam- und muttersprachlicher Unterricht in der Schule Prof. Dr. Ahmet Toprak

Präventionsmaßnahmen Keine mildernden Umstände für „kulturellbedingte“ Gewalt Kooperation mit der Presse Verbesserung der Schul- und Berufsausbildung Verbesserung der Arbeitsbedingungen Verbesserung der sozialen Bedingungen Prof. Dr. Ahmet Toprak

Literatur Toprak, Ahmet, Nowacki, Katja (2012): Muslimische Jungen – Prinzen, Machos oder Verlierer? Ein Methodenhandbuch. Lambertus-Verlag. El-Mafaalani Aladin, Toprak, Ahmet (2011): Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland. St. Augustin und Berlin. Download: www.kas.de/wf/de/33.28901/ Toprak, Ahmet, Nowacki, Katja (2010): Gewaltphänomene bei männlichen muslimischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Präventionsstrategien. Im Auftrag des Bundesfamilien-ministeriums. Download: www.fh-dortmund.de/toprak Prof. Dr. Ahmet Toprak