Jahrestagung der Drogenbeauftragten 2017: Die Kinder aus dem Schatten holen Wie die Sucht der Eltern die Familie verändert – Die Familiendynamik suchtbelasteter.

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
Advertisements

Aktuelle Befunde (religionssoziologisch)
„Kinder im Schatten suchtkranker Eltern“
Kompetenzfeld Tod und Trauer
"Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das erzogen werden muss" – Über (schulische) Erziehung Referenten: Björn Anton: Andy Caspar Michael.
Junge Erwachsene und Religion Erkenntnisse aus dem Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung.
10. Sitzung Lernort Familie
Theorie soziotechnischer Systeme – 11 Thomas Herrmann Informatik und Gesellschaft FB Informatik Universität Dortmund iundg.cs.uni-dortmund.de.
Transmission des Scheidungsrisikos
Nutzung von Medien in der Freizeit
Entstehung von Süchten und Drogenmissbrauch durch Modell-Lernen
Grundkonzepte der Bindungstheorie
Entwicklung des Gottesbildes aus psychologischer Sicht
Persönlichkeits-entwicklung
FH Düsseldorf Psychologie Johanna Hartung Torsten Ziebertz
Resilienz die innere Kraft zu gedeihen.
Transkulturalität Transkulturalität bezeichnet Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Kulturen. Der Begriff drückt aus 1.) Es gibt Unterschiede zwischen.
"Künstler helfen Obdachlosen" - SKM Augsburg
Rückblick und Ausblick Elternwerkstatt 5. Abend. Was haben wir gelernt? Wir haben gelernt: Unsere Aufmerksamkeit auf das erwünschte Verhalten – auch in.
Präventionswegweiser e.V.
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
„Unsere Jugend liebt den Luxus, hat schlechte Manieren,
Elternwerkstatt 4. Abend
Dipl. Sozialpädagogin Margit Bösen-Schieck
Psychosen By Kevin und Oliver.
Kompetenzentwicklung in schwierigen Zeiten: Wie man Jugendlichen dabei helfen kann, die eigene Biografie zu gestalten Perspektive Berufsabschluss, Offenbach.
Informationen zur HRV-Analyse Herzrythmusvariabilität
Pubertät.
Psychotherapie bei MS P. Calabrese.
Stalking - Betroffene Aus allen Schichten und Altersgruppen
Management, Führung & Kommunikation
Soziale Arbeit an Schulen im Landkreis Bad Kreuznach
Welche Bedeutung hat das Ernährungsverhalten?
Familiengesundheitspflege aus Sicht der Caritas – Chancen und Herausforderungen Vortrag anlässlich des Absolvent/innentreffens Familiengesundheitspflege.
Kurz-, mittel- und langfristige Folgen einer Trennung oder Scheidung
Verhalten in Parks und auf Plätzen in Österreich Eine quantitative Untersuchung (MTU) im Auftrag des Vereins ISOF April 2015 ISOF - Initiative für Soziale.
Referat am Thema: Familientherapeutisch- systemische Ansätze Seminar: ADS mit und ohne Hyperaktivität.
Gewalt wahrnehmen – erkennen – vermeiden
Papilio Primärprävention von Verhaltensproblemen und Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindergarten.
Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Suchtmittelkonsum und diversen Einstellungen von 11 – 14 Jährigen und deren Eltern H. Zingerle, K. Sonnerer, G.Wagner.
We are Family! Geschwister von Kindern mit Behinderung.
Die Suchtpräventionsstelle der Bezirke Affoltern und Dietikon 1.
Psychologische und psychotherapeutische Behandlung bei Krebs Birgit Hladschik-Kermer Univ. Ass.,Mag.phil., Dr.rer.nat. Klinische und Gesundheitspsychologin/
Prof. Dr. Christian Palentien, Universität Bremen Jugend heute - jung sein in schwieriger Zeit Veränderungen der Lebensbedingungen Jugendlicher.
Diagnosegeräte KARDiVAR Messen der Aktivität des Nervensystems und Hormonsystem und den Zustand Adaptationsmechanismen des Organismus Jan Michael Kubín.
Gemeindeschule Gamprin Leitbild. Gemeindeschule Gamprin Liebe Eltern Sie halten das Leitbild der Gemeindeschule Gamprin in Ihren Händen. Nach dem Bezug.
„Einem Depressiven zu sagen, dass er seine Probleme einfach vergessen soll, ist wie einem Blinden zu sagen, dass er genauer hinsehen soll.“ Affektive Störungen:
Openprof.eu Project No LT01-KA Diversity: Vom Stereotyp zur Diskriminierung Begrifflichkeiten und Zusammenhänge.
Beratungsstelle des Schwalm-Eder-Kreises
Verhaltensstörung Einführung.
„ERLEBNIS REITERHOF“- KINDER DROGENABHÄNGIGER ELTERN STÄRKEN“
Landestagung der Mobilen Jugendarbeit und Streetwork 2016
„Den Glauben der Heranwachsenden entdecken und begleiten“
Angehörige von Suchtkranken
Schimpfen, Meckern, Nörgeln - muss das sein
Sich über Grenzen austauschen
Co-Abhängigkeit Es ist emotional, psychisch und manchmal die physische Abhängigkeit von anderem Menschen.
Symbiose und Autonomie
Ein starkes ICH entwickeln
Und bist Du nicht willig ...
Hilfe und Schutz für geflüchtete Frauen und ihre Kinder „Heimat schaffen. Familie schützen. Zukunft schenken“ Einrichtung von „Zentralen Frühe Hilfen“
WL 35 Kurs 10 Arbeitslehre Holz
WhatsApp, Instagram und Co. – so süchtig macht Social Media
Sucht und Abhängigkeit - Ursachen und Entstehungsbedingungen
Allgemeine Psychologie – Entwicklung
Sucht – wie spreche ich es an?
Familie im Blick AL zum Zusammenleben in der Familie
Familie im Blick AL zum Zusammenleben in der Familie
Trauerarbeit und Bewältigung
Elterncoaching in der Suchthilfe
 Präsentation transkript:

Jahrestagung der Drogenbeauftragten 2017: Die Kinder aus dem Schatten holen Wie die Sucht der Eltern die Familie verändert – Die Familiendynamik suchtbelasteter Eltern-Kind-Systeme. Michael Klein, Köln 19. Juni 2017

Klinische Familienmodelle Lösungen! Wie die Sucht der Eltern die Familie verändert – Die Familiendynamik suchtbelasteter Eltern-Kind-Systeme. Inhalte: Sucht in der Familie? Klinische Familienmodelle Lösungen!

Problem für Kinder: Psychische Dysfunktionalität der Familie Psychisch kranke Eltern Drogen- abhängige Eltern Alk.abh. Eltern Suchtkranke Eltern , z.B. Verhaltenssüchte Klein, 2016

Mäßigkeitsbewegung, Amsterdam, ca. 1880 Parentifizierung, Familienkonflikte, Beschämung  „Addiction runs in families“  „Die Generationengrenzen sind alkohollöslich“ Mäßigkeitsbewegung, Amsterdam, ca. 1880

Elephant in the living room

Die suchtbelastete Familie als „eingefrorenes“ Mobile

Frequency of alcohol problems in parents (N = 2427; Lifetime, %w; source: EDSP-study)

Zentrale Prozesse in suchtbelasteten Familien (Klein, 2008; Moesgen, 2009; Orford et al., 2011) Instabile Familien (strukturen) Problematisches Erziehungs- und Modellverhalten Parentifizierungen Volatilität des Elternverhaltens Desorientierung in Einstellungen und Werten Hohes Konfliktniveau

Einflüsse elterlicher Suchtstörungen auf die Familiendynamik Der Suchtmittelkonsum an sich ist nur vordergründig der relevante Teil des familialen Problems. (Ausnahme: pränatal) Die wichtigsten Belastungen für die Familie ergeben sich aus den veränderten Elternverhaltensweisen infolge chronischen Konsums, Intoxikation, Entzug und anderen suchttypischen Konsequenzen.

Latente Prozesse in suchtbelasteten Familien Ausstoßung (Henne oder Ei) [Petzold, 2001] Infiltration der Familienrituale (Wolin & Wolin, 1998) Nähe-Distanz-Probleme (Steinglass, 1983) Indikator für dysfunktionale Beziehungen In modernen Gesellschaften sind die Selbstheilungsprozesse von Familien reduziert (Alexander, 2012) Allverfügbarkeit von Suchtmitteln (Klein, 2008) Individualisierung, Globalisierung, Beschleunigung als Basis für Bindungs- und Beziehungsstörungen (Alexander, 2012) Individuelle Stressregulationsmittel, die Familienstress erzeugen (Daley, 2013)

Problem: Unterscheidung antezedenter, kausaler, komorbider, inzidentieller, konsequenter Faktoren von Suchterkrankungen in Familien. In den meisten Modellen noch nicht adäquat berücksichtigt. Transmissionsmodell (Sher, 1991, 2005)

Jim Orford´s: Stress-Strain-Coping-Support-Model (2005, 2016)

Substanzspezifische Familieneinflüsse Modell der substanzspezifischen und –unspezifischen Familieneinflüsse (Ellis, Zucker & Fitzgerald, 1997; 2001) Substanzspezifische Familieneinflüsse Nachahmung elterlichen Konsumverhaltens Erlernen dysfunktionaler Wirkungserwartungen Ethnische und subsgruppenspezifische Werte Elterliche Psychopathologie und Komorbidität Sozioökomischer Status und Stress

II. Substanzunspezifische Familieneinflüsse Modell der substanzspezifischen und –unspezifischen Familieneinflüsse (Ellis, Zucker & Fitzgerald, 1997; 2001) II. Substanzunspezifische Familieneinflüsse Sozioökomischer Status und Stress Allgemeine familiale Dysfunktionalität Familiale Gewalt und Traumatisierungskontexte Elterliche kognitiv- emotionale und Persönlichkeitsdefizite

In einer suchtbelasteten Familie zu leben, bedeutet vor allem psychischen Stress: Alltags- und Dauerstress. Es entstehen oft dysfunktionale Copingmuster. Formen des Familienstresses (Schneewind, 1991, 2006): (I) dysfunktional (1) Duldungsstress („Ich kann dem Druck und Stress nicht ausweichen, halte ihn aber nicht aus“) (2) Katastrophenstress („Ich weiß nie, was passieren wird. Das macht mir so viel Angst, dass ich andauernd daran denken muss“) (II) funktional (3) Bewältigungsstress („Auch wenn es schwer ist, ich werde es schaffen und überleben“)

Konsequenzen elterlicher Suchtstörungen auf Familien Generelle, weitgehend universelle Konsequenzen: (1) Verstärkung und Chronifizierung des intrafamilialen Stresses Stressoren: Instabilität, Unberechenbarkeit, Disharmonie, Gewalt (2) Familiale Desorganisation und Anpassung (negative Rückkoppelung) Symptome: Trennungen, Bindungsstörungen, Verleugnung nach innen und außen, Kontrolleskalation, Rollenfixierungen (3) Transgenerationale Muster, in Bezug auf Substanzkonsum, Problemlösung, Stressbewältigung Indikatoren: Verhaltensauffälligkeiten bei betroffenen Kindern, häufige Suchtstörunen bei Kindern suchtkranker Eltern

Familiale Abwehrmechanismen „Mein Kind hat nichts gemerkt“. (Typischer Satz vieler suchtkranker Elternteile) Selbstwertdienliche Attribution Scham- und Schuldgefühl als zentraler intrapsychischer Prozess Abwehr, Verleugnung, Verdrängung und Aggression als zentrale Reaktionen

(Klein & Zobel, 2001; Zobel, 2017)

Konsequenzen elterlicher Suchtstörungen auf Familien Differentielle Effekte und Konsequenzen: Je nach Substanz oder Substanzinteraktionen verstärkte negative Effekte Komorbiditäten (beim Suchtkranken) bzw. im Paarsystem Alleinerziehende Suchtkranke, Patchwork-Familien Vater, Mutter oder beide Elternteile suchtkrank Ein oder mehrere Kinder sind exponiert Mädchen oder Junge sind exponiert „High oder low Density“-Familie

Familiale Lösungen Beeinflussung des Transmissionsrisikos durch: Frühe Behandlung und Heilung der Suchtstörung der Eltern (Klein & Quinten, 2001) durch Abstinenz oder Symptomreduktion Selektive Prävention für die Kinder (Klein, Moesgen, Thomasius & Bröning, 2013) Koordinierte Eltern-Kind-Behandlung: PRÄVENTION-THERAPIE- GENERATIONENANSATZ

Sucht, Familie und weiter… (Family and beyond) Die Auflösung traditioneller Familienformen erhöht die Risiken auf Suchtentwicklung (Alleinerziehung, Stressregulation, Komorbidität, soziale Stigmatisierung, Subkulturelle Milieus) Das Suchtsystem fördert Imitation, Tabuisierung, Stigmatisierung, Abwehr, Verleugnung, Selbstmedikation, Scham. Es entstehen häufiger „isomorphe Systemreplikate“ („Alles total geheim“)

Dimensionen der Familienresilienz (Froma Walsh, 2006, 2011) (1) Glaubenssysteme („belief systems“) Den Widrigkeiten einen Sinn oder eine Erklärung geben Positiver Zukunftsausblick („alles wird gut“) Transzendentaler, spiritueller Bezug

Dimensionen der Familienresilienz (Walsh, 2006, 2011) (2) Organisationsmuster der Familie Flexibilität Bezogenheit, Verbundenheit Soziale und ökonomische Ressourcen

Dimensionen der Familienresilienz (Walsh, 2006, 2011) (3) Familiale Kommunikationsprozesse und Problemlöseverhalten Klarheit Offene emotionale Mitteilung („sharing“) Gemeinschaftliches Problemlösen

Förderung der Familienresilienz (Walsh, 2006, 2011) Überzeugungen der Familie („belief system“), die z.B. dabei helfen, auch in widrigen Lebensumständen einen Sinn zu finden, eine optimistische, aber realistische Grundeinstellung zu bewahren oder übergeordnete Werte und Sinnsysteme aufrechtzuerhalten, etwa im Sinne von religiös-spirituellem Glauben und heilenden Ritualen. Strukturelle und organisatorische Muster („organizational patterns“), z.B. in Form von Flexibilität in den familialen Strukturen (Offenheit für Erfahrungen), Aufrechterhaltung des Gefühls der Verbundenheit auch in Krisenzeiten und Nutzung sozialer Ressourcen sowie Vorhandensein sozialer und ökonomischer Ressourcen in Krisensituationen Kommunikationsprozesse („communication processes“), die z.B. darin bestehen, ein vorhandenes Problem in der Familie offen anzusprechen, schwierige und belastende Emotionen mitzuteilen und gemeinsame Problemlösungen in Angriff zu nehmen.

Empfehlungen für die Familienentwicklung Frühintervention Familienresilienz PRÄVENTION-THERAPIE-Generationenansatz Motivierung zur funktionalen Elternschaft Psychoedukation Sucht-Familie-Genesung Eltern-Kind-Gruppen (z.B. TRAMPOLIN)

Referent/Kontakt Prof. Dr. Michael Klein Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung Katholische Hochschule NRW Wörthstraße 10 50668 Köln suchtforschung@katho-nrw.de Mikle@katho-nrw.de