Der neue Entstrickungstatbestand: Grenzen und Zweifelsfragen

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 Präsentation transkript:

Der neue Entstrickungstatbestand: Grenzen und Zweifelsfragen Karoline Spies 15. März 2017

Agenda Ausblick Entstrickungsbesteuerung nach AbgÄG 2015 Der neue Entstrickungstatbestand – Wo liegen die Grenzen? “Umstände” “im Verhältnis zu anderen Staaten” “Einschränkung des Besteuerungsrechts” Ausblick

Wegzugsbesteuerung in Ö bis zum AbgÄG 2015 1972/1991: Einführung der Wegzugsbesteuerung Tatbestand: Überführung/Verlegung (§ 6 Z 6 EStG) und „Maßnahmen des Steuerpflichtigen” (§ 31 Abs 2 EStG) Rechtsfolgen: Sofortbesteuerung Änderungen 1993-2015 Klarstellungen auf Tatbestandsebene StRefG 1993: „im Verhältnis zu anderen Staaten“ BudBG 2007: „Maßnahmen”  „Umstände” Rechtsfolgen: AbgÄG 2004: Nichtfestsetzungskonzept iVz EU/EWR-Staaten BudBG 2007: Einmalberücksichtigung nachträglicher Wertminderungen AbgÄG 2015: Erweiterung des Tatbestands: Allgemeiner Entstrickungstatbestand Verschärfung der Rechtsfolgen: Ratenzahlungskonzept iVz EU/EWR-Staaten

Neukonzeption des Tatbestands mit AbgÄG 2015 Allgemeines Entstrickungskonzept im EStG „Umstände, die zur Einschränkung des Besteuerungsrechts der Republik Österreich im Verhältnis zu anderen Staaten führen“ Betrieblicher Bereich: neuer Auffangtatbestand in § 6 Z 6 lit b EStG „Im betrieblichen Bereich soll […] ein generelles Entstrickungskonzept vorgesehen werden“ (ErlRV) Außerbetrieblicher Bereich: § 27 Abs 6 Z 1 EStG Herabsetzung der Tatbestandsvoraussetzung: „Verlust“  „Einschränkung“ Handlungen anderer Personen? Einschränkung nationaler Tatbestände durch Gesetzgeber? Potentielle Gefährdung ausreichend? Einschränkung der Höhe nach ausreichend? Mit § 6 Z 6 lit. b soll „klargestellt werden, dass […] auch sonstige … Umstände, die zu einem Verlust des Besteuerungsrechts der Republik Österreich führen, die Festsetzung der Steuerschuld auslösen“

Neukonzeption des Tatbestands mit AbgÄG 2015 § 6 Z 6 EStG § 27 Abs 6 Z 1 EStG Lit a: Überführung von WG von in- zu ausländischer Betriebsstätte Verlegung von Betriebsstätten vom In- ins Ausland Lit b: „sonstige Umstände“ „Einschränkung des Besteuerungsrechts der Republik Österreich iVz anderen Staaten“ „Umstände“ „Einschränkung des Besteuerungsrechts der Republik Österreich iVz anderen Staaten“ Beispiele: Wegzug einer natürlichen Person Unentgeltliche Übertragung „nicht in lit a genannten Fälle“ Außerbetrieblicher Bereich Betrieblicher Bereich: bei beschränkter Steuerpflicht, wenn KV keiner inländischen Betriebsstätte zurechenbar Betrieblicher Bereich

„Umstand“ „Umstand“  (keine) eigenständige Bedeutung? Keine Nähe zum Steuerpflichtigen mehr notwendig! Verstrickung in § 27 Abs 6 EStG jedoch ohne „Umstände“ Erfasste Vorgänge: Handlungen des Steuerpflichtigen Handlungen des Gesetzgebers („rechtliche Vorgänge“ (ErlRV)) Handlungen anderer Personen (Ver-)kauf von Immobilien durch Gesellschaft (Immobilienklausel Art 13(4) OECD-MA) Verlegung des Orts der Geschäftsleitung der Gesellschaft Grenzen des Tatbestands? Änderung des ausländischen Rechts? Wandel in der Auslegung des Abkommensrechts (zB Änderung der höchstgerichtlichen Judikatur zum OECD MA)? Wortlaut denkbar weit Historischer Hintergrund („Maßnahmen“) nicht mehr bedeutend (?) Teleologie: Schutz der nationalen Steuerhoheit  weite Auslegung Systematik: Verstrickung in § 27 Abs 6 EStG ohne „Umstände“(anders jedoch § 6 Z 6 lit g EStG)  enge Auslegung im Zweifel keine überflüssigen Begriffe  nicht erfasst, wenn keine Änderung der Sachverhalts- oder Rechtslage (zB Änderung höchstgerichtlichen Rsp) Ähnlich weiter Tatbestand in Deutschland ohne „Umstände“

„im Verhältnis zu anderen Staaten“ Einführung mit ErlRV StRefG 1993: „Maßnahmen im Inland“ und „innerstaatlicher Verzicht“ nicht erfasst  Unterscheidung zwischen „inner-“ und „zwischenstaatlich“ Einschränkung des Besteuerungsrechts muss kausal mit Auslandsbeziehung verknüpft sein Wegfall eines territorialen Anknüpfungspunktes oder völkerrechtliche Vereinbarung: anderer Staat gewinnt oder sichert sich Besteuerungsrecht? Abgrenzung zu „innerstaatlichen“ Sachverhalten im Detail schwierig Maßnahmen des Steuerpflichtigen ohne Auslandsbezug: zB Schenkung an befreite Körperschaft Unilaterale Maßnahmen des Gesetzgebers? Einschränkung nationaler Tatbestände, § 48 BAO vs DBA-Abschluss Völkerrecht kausal für Verlust/Einschränkung? DBA muss nicht kausal für Verlust/Einschränkung sein JA: Wortlaut „Besteuerungsrecht Republik Österreich“ (Lehre) NEIN: ErlRV: „Wegzug“ allgemein, Teleologie, FinanzVw, hL

„Einschränkung des Besteuerungsrechts“ Vorher: „Besteuerungsrecht“ Nationaler Tatbestand und völkerrechtlich nicht ausgeschlossen Auch bei Anrechnungsmethode (ErlRV AbgÄG 2015) Nachher: „Einschränkung“ dieses Rechts bisher „Verlust“  Erstreckung des Tatbestands „Einschränkung“ im UmgrStG: Wechsel von ESt- zu KöSt-Regime und Verlust einer Ebene erfasst (ErlRV AbgÄG 2010/2015 § 16 UmgrStG) Diskussion zum „Verlust der Höhe nach“ bei DBA- Quellensteuerhöchstsätzen (EStR Rz 6162a vs EAS 141) Deutsche Rechtslage: „Ausschluss“ und „Beschränkung“ EAS 3372 v 11.1.2017: „wenn nicht gesichert ist, dass Österreich ab diesem Zeitpunkt noch besteuern kann“  Besteuerungsrecht „im Umfang“ verringert?  Abstrakte Gefährdung?

„Einschränkung des Besteuerungsrechts“ Erstmalige Anwendung der Anrechnungsmethode = Einschränkung des Besteuerungsrechts? Konkrete Betrachtung? Abstrakte Betrachtung? Einschränkung nur, wenn im Quellenstaat kein „step up“ und Steuer auf Veräußerung Unionsrecht erfordert Auslegung? Aber: Untersuchung des ausländischen Steuerrechts Konkreter Steuerlastvergleich? Besteuerungsrecht = Steuereinnahmen? Zeitpunkt? immer Einschränkung „Besteuerungsrecht“ = abstrakter, rechtlicher Begriff Systematik und Historie: § 6 Z 6 lit a EStG greift auch ohne endgültigen Verlust „Einschränkung“ iSd § 16 UmgrStG: Wechsel von ESt- zu KöSt-Regime + Verlust einer Besteuerungsebene  Besteuerungsrecht = Tatbestand und „Regel“-Steuersatz? Fordert Unionsrecht eingeschränkte Auslegung? „Besteuerungsrecht“ = abstrakter rechtlicher Begriff Unsystematisch: Besteuerung zu „vollem“ Steuersatz (§§ 33, 27a EStG), obwohl nur Teil verloren geht (≠ § 16 UmgrStG)? Doppelbesteuerung bei späterem Verkauf (kein „step up“ in § 27), fehlende Anrechnung ausländ. Steuern aufgrund periodenversetzter Realisierung

„Einschränkung des Besteuerungsrechts“ Unterschiedliche Qualität von „Besteuerungsrechten“ Nationaler Tatbestand und keine Beschränkung durch DBA Einschränkung ? Entlastung gem § 48 BAO ? Beschränkungen durch DBA: Anrechnungsmethode, Quellensteuerhöchstsatz Einschränkung In Deutschland wird auch Anrechnungsverpflichtung in § 34c I, II EStG als entstrickungsauslösend betrachtet DBA-Befreiungsmethode oder Ausschluss des Besteuerungsrechts in DBA oder kein nationaler Tatbestand

DBA-Abschluss oder -Änderung ErlRV AbgÄG 2015: § 6 Z 6 lit b „umfasst etwa rechtliche Vorgänge (wie den Abschluss eines DBA oder dessen Änderung)“ Dennoch kein substantieller Wirkungsbereich aufgrund des zeitlichen Anwendungsbereichs von DBA? Art 13 Rz 3.1 OECD-MK: DBA erfasst auch stille Reserven, die vor dessen Inkrafttreten entstanden sind Observation Österreichs, OECD-MA-Update 2014: „Austria and Germany hold the view that when a new tax treaty enters into force, these countries cannot be deprived of the right to tax the capital appreciation which was generated in these countries before the date when the new tax treaty became applicable“  Keine Einschränkung des Besteuerungsrechts durch DBA-Abschluss? Jedoch: abkommensautonome Auslegung des DBA zweifelhaft, ob „Observation“ tatsächlich Vertragsinhalt Wenn Vermeidung Exit Tax gewünscht: Aufnahme spezieller Regeln in DBA

DBA-Abschluss oder -Änderung OECD Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent BEPS (MLI) Offen zur Unterzeichnung seit Dezember 2016 MLI als Auslöser für Entstrickung? Österreich als Ansässigkeitsstaat verliert Besteuerungsrecht Art 12-14 MLI: Erweiterung der Betriebsstättendefinition in Art 5  Veräußerungsgewinne von Betriebsstättenvermögen nach Art 13(2) Art 9 MLI: Implementierung/Adaptierung der Immobilienklausel in Art 13 MLI als Auslöser für Verstrickung? „Entstehung des Besteuerungsrechts“ (§ 6 Z 6 lit g und § 27 Abs 6 Z 1 lit e EStG) Österreich als Quellenstaat erhält Besteuerungsrecht: Betriebsstättendefinition (Art 12-14 MLI), Immobilienklausel (Art 9 MLI) § 6 Z 6 lit g: „sonstige Umstände iSd lit b, die zu einer Entstehung des Besteuerungsrechts .. führen“ § 27 Abs 6: „im Falle der Entstehung des Besteuerungsrechts“

Ausblick Verschärfung der Entstrickungsbesteuerung mit AbgÄG 2015 Erweiterung zu einem allgemeinen Entstrickungstatbestand führt zu einigen Zweifelsfragen Kein Ende der Reformen und Diskussionen in Sicht! ATAD, EuGH-Urteil Kommission/Portugal MLI Brexit?

DANKE INSTITUT FÜR ÖSTERREICHISCHES UND INTERNATIONALES STEUERRECHT Welthandelsplatz 1, Gebäude D3, 1020 Wien Österreich Dr. Karoline Spies T +43-1-313 36 - DW 4343 F +43-1-313 36 - 90 730 karoline.spies@wu.ac.at www.wu.ac.at/taxlaw