„Schützt und haltet uns!“ – Bindungsorientierte pädagogische Arbeit

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Was kleine Kinder brauchen, um stark zu werden
Advertisements

Trauma und Bindung Auswirkungen erlebter Traumatisierung
Ich schaff´s! Kinder motivieren und stärken Realschule am Karlsberg Crailsheim Ein Vortrag von Holger Waidelich – Diplomsozialpädagoge (BA)
Reflexionsfragen: Haltung gegenüber dem Kind Welche drei wichtigen Aspekte prägen Ihre Haltung zum Kind und woran sind sie zu erkennen? Sprechen Sie in.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 14.12– Die Geschichte des Adventsstündchen erweitert.
DIE VERGESSENE MEHRHEIT Die besondere Situation von Angehörigen Alkoholabhängiger H. Zingerle, S. Gutweniger Bad Bachgart – Therapiezentrum zur Behandlung.
Stadt Brixen Fakultät für Bildungswissenschaften Erziehungsstile: Gibt es den Königsweg der Erziehung? von Prof. Dr. Wassilios E. Fthenakis Homepage
Copyright Dr. Ziebertz1 Schwierige Gespräche führen/ Psychische Traumatisierung Maria Lieb, M.A. Prof. Dr. Torsten Ziebertz.
Heute schenke ich Dir den Schlüssel zum Glück. Das ist ein Schlüssel, den Du vielleicht vergessen oder verloren hast? Wie auch immer, ich wünsche, dass.
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote 22.02– Während dem täglichen Gang zum Morgenkreis.
Mediation ist mehr als Win - Win. Ausgangspunkt Mediation – Wann ist sie sinnvoll? Mediation ist ein strukturiertes Verfahren, in dem neutrale Dritte.
Eveline Jordi Raum für Entwicklung Möglichkeiten der Prävention sexueller Ausbeutung in Institutionen.
„Auswertung des Projektes“ Wochenrückblick vom bis Da unser Projekt nun zu Ende ist, müssen wir uns noch mit der Reflektion der letzten.
Anregungen für Eltern von werdenden Schulkindern
Aktionswoche Neue Medien
Suche nach Hilfe
„ERLEBNIS REITERHOF“- KINDER DROGENABHÄNGIGER ELTERN STÄRKEN“
Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten
Die Trainingsraum-Methode an der Realschule „Am Heimbach“
Positives denken fördern
Das Kind und seine Kompetenzen im Mittelpunkt - Rückblick der Entwicklungs- und Bildungsangebote – Im Kreativbereich wird ein großer Spiegel.
E. Das Gespräch mit einem depressiven Menschen
Menschliches Verhalten
Was ist neu in der DWMV? wichtige Infos vom Beirat der Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung im BeB September 2017 Claudia Niehoff.
Herausforderung FTD – Umgang und Strategien
Die Bindungsmodelle John Bowlby ( ).
Die Hauptgänge für die Seele!
Wie unterstütze ich mein Kind? Optimale Lernumgebung zu Hause
Автор: учитель немецкого МБОУ «Красногвардейская гимназия»
SYSTEMISCHE SELBST-INTEGRATION.
Kindersoldaten Von Lino Günther
Kleine Meditationen für zwischendurch.
Symbiose und Autonomie
Yoga und Persönlichkeit
Transkulturelle Psychoonkologie
 Ein Projekt der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung AKF e.V., Bonn.
All‘ das wünsche ich Dir von Herzen
Die Bedeutung der Bindungstheorie für die Prävention psychischer Störung Carolin Zeugke Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie.
Prof. Dr. Kitty Cassée Zürich, 6. November 2017
Gedanken SZ Nr. 29 vom 05./ 06.Februar 2011
Transgenerationale Traumatisierung
Welche Fehlbildungen können während einer Schwangerschaft auftreten?
Hilfe und Schutz für geflüchtete Frauen und ihre Kinder „Heimat schaffen. Familie schützen. Zukunft schenken“ Einrichtung von „Zentralen Frühe Hilfen“
Kleine Aufheiterung für zwischendurch...
Thema 8: Spirituelle Begleitung: Aufgaben der Hospizbegleiter:
Eine Präsentation von:
Kleine Füße-sicherer Schulweg
„Komfortzone“ Crash-Übersicht
Ursachen und Behandlung - Paarbeziehung
Vollzeitpflege.
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Wie kommt man zu „richtigen“ Entscheidungen?
Was tun nach der Matura?.
Kommunikation Köln 20. Januar
Von der Scham zur Menschlichkeit
Die 2 Seiten der Medaille vernetzender Arbeit
DSD – Schriftliche Kommunikation
Die Ausgangslage 60 Prozent der Mütter und Väter finden, dass die Erwartungen heute höher seien. Grund dafür seien gesellschaftliche Veränderungen (62.
Jugendsozialarbeit an der Elsbethenschule
„Rund um die Familie“ Wochenrückblick vom bis
Perinatalsymposium in Harlaching
Hallo Kinder! Toll, dass ihr euch bei der OrangenAktion beteiligt!
2. MKT – Die verbale Selbstinstruktion Mo
SAFE © SICHERE AUSBILDUNG FÜR ELTERN I Modellprojekt zur Förderung einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind Karl Heinz Brisch Kinderklinik und.
Ziel: Kinder in ihren kommunikativen Kompetenzen stärken.
Kleine Aufheiterung für zwischendurch...
Kleine Aufheiterung für zwischendurch...
Flucht und Trauma Aus: Barbara Preitler: An ihrer Seite sein. Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen. Innsbruck 2016, Studienverlag IN.
Schulanfang in Niedersachsen
 Präsentation transkript:

„Schützt und haltet uns!“ – Bindungsorientierte pädagogische Arbeit Dipl. Psych. Mechthild Sckell Albert Schweitzer Kinderdorf Hessen e.V. Ask familienberatungsstelle M.Sckell@ask-familienberatung.de

John Bowlby *1907 +1990 Mit seinem 1969 erschienenen Buch Bindung – Eine Analyse der Mutter-Kind-Beziehung begründete Bowlby die Bindungstheorie. "Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet."

Bindung zum Überleben Bindung ist für das Leben so grundlegend wie Luft zum Atmen und Ernährung. Die emotionale Bindung sichert das Überleben und die Entwicklung des Kleinkindes. Bindungsbedürfnisse sind biologische Grundbedürfnisse

Sicherer emotionaler Hafen Das Bindungssystem wird insbesondere in Situationen von Verunsicherung/Angst aktiviert. Durch körperliche Nähe der Bindungsperson kommt es zu einer Beruhigung des Bindungsbedürfnisses.

Konzept der Feinfühligkeit, Ainsworth 1969 Feinfühliges Verhalten bedeutet: die Signale des Kindes wahrzunehmen sie richtig zu deuten, zu interpretieren sie angemessen und prompt zu befriedigen

Emotionale Bindung Die Pflegeperson mit der größten Feinfühligkeit in der Interaktion wird die Hauptbindungsperson für das Kind. Zuwendung, Nähe und Körperkontakt festigen eine sichere Bindungsentwicklung physiologisch. Emotionale Bindung des Kindes an die Bindungsperson entsteht nicht durch genetische Verwandtschaft!

Bindungsperson Die Bindungsperson ist Quelle emotionaler Sicherheit und gleichzeitig externe Hilfe zur Regulation.

Explorationsbedürfnis Bindungsbedürfnis und Explorationsbedürfnis sind entgegengesetzte Motivationen und wechselseitig voneinander abhängig: Erst wenn das Bindungsbedürfnis beruhigt ist, kann das Kind seine Umwelt erkunden, kann sich konzentrieren, kann lernen.

Die Erfahrungen eines Kindes mit seiner primären Bezugsperson prägen entscheidend sein späteres Leben.

Was heißt das konkret? Deshalb ist die Art, wie Bezugspersonen einem Kind zuhören, mit ihm spielen, es in den Arm nehmen und trösten und wie Sie es behandeln, wenn es „unartig“ ist, so wichtig. Es sind diese Momente, in denen Bindungspersonen darüber entscheiden können, ob sich das Kind gut entwickeln wird. Denn alles, was ein Kind mit seinen Bindungspersonen erlebt, bewirkt Vernetzungen zwischen den Gehirnzellen seines Großhirns.

Kinder- und Jugendhilfe Etwa 80 % der Kinder in der Jugendhilfe geben an, frühe und anhaltende traumatische Erfahrungen gemacht zu haben. Die meisten von ihnen in der unmittelbaren häuslichen Umgebung durch Gewalterleben, Misshandlung, Vernachlässigung oder Missbrauch. (S. B. Gahleitner 2011)

Hochunsichere bis desorganisierte Bindung Double-Bind- Situation: Einerseits hat das Kind das existentielle Bedürfnis, sich seiner Bezugsperson zu nähern, andererseits das Erleben, dort nicht sicher oder gar bedroht zu sein. Unlösbarer Bindungskonflikt Dies führt zu einer noch verzweifelteren Suche nach Bindung Starke, aber äußerst destruktive Bindung (Grossmann & Grossmann 2014)

Folgen von Bindungstraumatisierungen Häufig Vorläufer für spätere psychische Erkrankungen (Brisch 2009) Das Kind ist emotional vollkommen überfordert. Entwicklung von komplexen Entwicklungsstörungen auf der physischen, psychischen und sozialen Ebene: Störungen der Empathiefähigkeit/ Metalisierung Störungen in der Impulskontrolle, geringe Frustrationstoleranz Verzögerte kognitive Entwicklung Verringerte bis keine Selbstwirksamkeitserwartungen Wiederholung von enttäuschenden Bindungen Somatisierungen

Folgen von Bindungstraumatisierungen Die Kinder führen oftmals einen inneren Kampf: angeborenen Bindungswunsch Angst, sich an die neue Bindungsperson auszuliefern Sie haben ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle und Autonomie Große innere Abhängigkeit und Verwundbarkeit Irmela Wiemann: Kinder und Jugendliche mit frühen Stresserfahrungen

Bindungsmisstrauen Bei kleinster Kritik: Meine Bindungspersonen lieben oder achten mich nicht. Das unbewusste Programm heißt: Werde ich wieder fortgegeben? Konflikte werden inszeniert, um immer wieder zu prüfen, ob die neuen Eltern/Bezugspersonen das Kind auch (be)halten.

Gründe für Konflikte in der Schule Kinder/Jugendliche, die den Überlebenskampf um ihre Autonomie kämpfen, können nur schwer ertragen, von außen bestimmt, reglementiert und gesteuert zu werden, wie dies in unserem Schulsystem üblich ist. Folge: Sie können sich nicht einfügen, wollen die Kontrolle übernehmen. (Diagnosen: Hyperaktivitätsstörung, mangelnde Impulskontrolle, provokatives Verhalten, Lernverweigerung usw.) Oder sie verstecken sich, versuchen sich unsichtbar zu machen.

Schützt und haltet mich!

Schützt mich! Ein Pflegefamilienklima, in dem sich das Kind sicher fühlt und von seinen frühen seelischen Verletzungen erholen kann. Und das ihm hilft, sein spezielles Schicksal anzunehmen und zu tragen.

Eine sichere und solidarische Umgebung Ein Kind, das von seiner Bindungspersonen traumatisiert wurde, muss sich sicher sein, dass es vor dieser geschützt wird (keine Rückführungsdrohung, keine erzwungenen Besuchskontakte, kein Umgangsrecht der leiblichen Täter-Eltern). Sonst bleibt es in Habachtstellung und unter Dauerstress. Brisch 2009 Information, an wen ich mich in der Einrichtung vertrauensvoll wenden kann (Steckbrief der Vertrauensperson der Einrichtung)

Wertschätzung der Herkunftseltern Das Ja oder Nein des Kindes/ des Jugendlichen zu sich selbst und zu seinem Leben, ist abhängig davon, wie seine Herkunftsfamilie geachtet und wertgeschätzt wird. Die Herkunftseltern des Kindes/ des Jugendlichen zu achten, heißt nicht etwa gutzuheißen oder zu bagatellisieren, wenn ihm Schlimmes widerfahren ist. Sondern deren begrenztes und manchmal unverzeihliches Handeln mit dem Kind zutiefst zu betrauern .

Klar strukturierter Lebensalltag und verbindliche Regeln für alle Aber: Es geht nicht um gleiches Recht für alle, sondern für jede/m die Förderung, die er/sie benötigt.

Haltet mich! Der heilende Erziehungsstil

Haltet mich! Kündigungsversuche des Kindes nicht annehmen, Bindungsangebote erneuern. Die Unverbindlichkeit des Kindes respektieren und durch eigene Verbindlichkeit ersetzen. Das Bindungsmisstrauen nicht persönlich nehmen. Angriffe auf das Bindungssystem sind Beweise der Zuneigung! „Ich zeige mich nur wirklich dem, dem ich vertraue.“

Grundsatz „ „Ich weiß vielleicht nicht, was Du gesagt hast, aber ich weiß, wie ich mich bei Dir gefühlt habe.“

Pflegedienst als sichere Basis für die Herkunftseltern Hat das Kind/ der Jugendliche Kontakte zu seinen Herkunftseltern, sollte dieser Kontakt unterstützt werden. Wenn die Eltern wertgeschätzt werden, spürt das Kind dies ohne Worte. So wird die Kluft zwischen beiden Systemen des Kinds verkleinert und lindert seinen Loyalitätskonflikt. Die Herkunftseltern machen so eine neue, korrigierende Beziehungserfahrung, die für alle (später) sehr wertvoll sein kann.

Sanktionen und Strafe schaden… Sanktionen und Strafe schaden dem Bindungs- und Vertrauensaufbau! Jede Zurechtweisung ist eine neue Stresserfahrung für das Kind und kann sich mit frühen Stresserfahrungen verbinden. Ärger und Kritik einbetten in Wertschätzung Dem Kind sagen, was es tun soll und nicht, was es nicht tun soll. Stattdessen: Möglichkeiten geben zur Wiedergutmachung

Bei Wut Körperkontakt Sicher halten! Trösten Kein Time-out: Time-out bedroht die Bindungsbeziehung Besser: Time-intensiv Emotional feinfühlige Begleitung bei Wut Im Kontakt bleiben und Kind nicht alleine lassen.

Wenn ich dich am wenigsten verdiene, brauche ich dich am meisten. Grundsatz Wenn ich dich am wenigsten verdiene, brauche ich dich am meisten.

Blick auf das Kind – nicht die Symptome Die Erschütterung über die schwerwiegenden Auswirkungen von Traumata führt leicht zu einer alleinigen Zentrierung auf die Symptome und auf die Verhaltensauffälligkeiten. Diese kategorisieren die Kinder als hilflos und krank. Manche Kinder fühlen sich als die Person, die andere in ihm sehen und wissen nicht genau, wer sie selbst sind. Dies kann Patientenkarrieren fördern.

Ein gutes Zusammenspiel von Lebensalltag und Therapie Alle Faktoren in der Lebensumwelt des Kindes haben auch therapeutische Auswirkungen. Therapeutische Hilfen sollen deswegen nicht alleine auf die kurze Zeit von Einzel- oder Gruppensitzungen begrenzt sein, sondern müssen im normalen Lebensalltag des Kindes präsent sein. Aber nicht „Psycho allday“ Wird der Alltag zu stark therapeutisch aufgeladen, verschwindet der Raum zum spontanen Experimentieren ohne jeden Reflexionsanspruch.

Schlussgedanke Auch Kinder mit schwersten frühen Erfahrungen können wieder wachsen und intensive Lebensfreude empfinden. Diese Lebensfreude und die kindliche Fähigkeit zum Glücklich sein zu fördern, ist oberste Aufgabe der Bezugspersonen!

Auf diesem Weg wünsche ich uns allen Kraft, Zuversicht und langen Atem Auf diesem Weg wünsche ich uns allen Kraft, Zuversicht und langen Atem! Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Verwendete Literatur Brisch K.H.: Bindungsstörungen: Von der Bindungstheorie zur Therapie, 2015 Brisch K.H.: Bindungstraumatisierungen, 2017 Garbe E.: Das kindliche Entwicklungstrauma, 2015 Gahleitner S.B.: Das Therapeutische Milieu in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, 2011 Wiemann I.: Adoptiv- und Pflegekindern ein Zuhause geben, 2014 Rech-Simon C.; Simon F.: Survival- Tips für Adoptiveltern, 2013 Homeier S.; Wiemann I.: Herzwurzeln, Ein Kinderfachbuch für Pflege- und Adoptiveltern, 2016