Hinführung zum Integralbegriff Pascal Schmidt Seminar zum fachdidaktischen Blockpraktikum SS 2010.

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Hinführung zum Integralbegriff Pascal Schmidt Seminar zum fachdidaktischen Blockpraktikum SS 2010

Gliederung 1.Zum Warmwerden: Was ist das Integral? 2.Thematische Einheit: Das Integral a.Einordnung in den Analysisunterricht, E-Kurs Saarland b.Lehrplan der thematischen Einheit, E-Kurs Saarland 3.Zugänge zum Integralbegriff a.Kurzdarstellung verschiedener Zugänge b.Partnerarbeit: Planung von Einführungsstunden c.Präsentation und Diskussion der Ergebnisse 4.Das Integral als Mittelwert: Ein anderer Blickwinkel Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff2

1. Was ist das Integral? Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff3 [Baumert et. al(1999): „Testaufgaben zu TIMSS 3“, S. 80]

1. Was ist das Integral? Die Ergebnisse dieser Aufgabe in TIMSS: (Quelle: ebd.) 23% der deutschen Schüler lösen die Aufgabe korrekt (LK: 36%, GK: 18%) Durchschnittlich wird diese Aufgabe im gesamten Test von 35% der Schüler richtig gelöst (internationaler Referenzwert) Das deutsche Ergebnis ist also sowohl nach kriterialer als auch sozialer Norm schlecht. Ein Erklärungsversuch: „Eine Verengung auf dieses Ziel [Anm.: Maßzahlen von Flächen berechnen zu können] kann dazu beitragen, einen zentralen Grundgedanken beim Integralbegriff aus dem Blick zu verlieren: Das Integral bilanziert Flächen, es ist ein orientierter Flächeninhalt.“ [Dankwerts, Vogel (2006): „Analysis verständlich unterrichten“, S. 93] Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff4

1. Was ist das Integral? Ein erstes Fazit: Die Ergebnisse der TIMSS-Aufgabe zeigen, dass (deutsche) Schüler Schwierigkeiten haben, den begrifflichen Kern komplexer Themen der Schulanalysis zu erfassen. Es muss mehr Wert auf den Prozess der Begriffsbildung und –sicherung gelegt werden. Dies ist eine „anspruchsvolle Aufgabe des Analysisunterrichts“ [Dankwerts, Vogel (2006): Analysis verständlich unterrichten, S. 94] Ziele der heutigen Sitzung: Ausgehend vom Lehrplan analysieren wir verschiedene Zugänge zum Integralbegriff und Konzipieren und diskutieren Einführungsstunden, die Wert legen auf eine solide Begriffsbildung Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff5

2. Thematische Einheit: Das Integral Auszug aus dem Stoffverteilungsplan (GOS E-Kurs, Saarland) 1. Halbjahr, Klasse 11: 1.Vollständige Induktion [5] 2.Funktionen und ihre Termstrukturen [15] 3.Eigenschaften differenzierbarer Funktionen [30] 2. Halbjahr, Klasse 11: 1.Flächeninhalte und Stammfunktionen [15] 2.Integrale [15] 3.Exponentialfunktion und ln-Funktion [20] Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff6

2. Thematische Einheit: Das Integral Auszug aus dem Lehrplan (GOS E-Kurs, Saarland) Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff7

2. Thematische Einheit: Das Integral Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff8

2. Thematische Einheit: Das Integral Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff9

2. Thematische Einheit: Das Integral Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff10

2. Thematische Einheit: Das Integral „Die Reihenfolge der Lernbereiche ist nur insoweit verbindlich, wie es sachlogisch geboten erscheint. Sie nimmt die methodisch-didaktischen Entscheidungen der Lehrkraft nicht vorweg.“ [Lehrplan Saarland (2008), GOS E-Kurs, S. 4] Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dem Integral begrifflich zu nähern. Der saarländische Lehrplan liefert explizit (mindestens) zwei Ansatzpunkte. Welche? Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff11

3. Zugänge zum Integralbegriff Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich dem Integral begrifflich zu nähern: I.Der „Klassiker“: Das Integral als gemeinsamer Grenzwert von Ober- und Untersumme (Riemann) II.Der „Einfache“: Zugang über Stammfunktionen III.Der „Moderne“: Integration als „Rekonstruktion“ Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff12

3. Zugänge zum Integralbegriff I. Das Integral als Grenzwert von Ober- und Untersumme Berechnung von (orientierten) Flächeninhalten mittels Ober- und Untersummen über (äquidistanten) Zerlegungen Z n Verfeinerung der Zerlegung, Bildung des Grenzwertes für n →∞ Übereinstimmende Grenzwerte führen zu der Definition: + analytischer, präziser Zugang + gewünschte Definition im Sinne des Lehrplans (+ anschaulich durchführbar) - Gefahr: Hoher Rechenaufwand und begrifflich-terminologischer Anspruch - Gefahr: Vernachlässigung des Aspekts der Orientierung - Berechnung vs. Begriffsbildung Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff13

3. Zugänge zum Integralbegriff II. Zugang über Stammfunktionen Das Integral wird - unter Vorgriff auf den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung - mithilfe von Stammfunktionen erklärt. Stammfunktionen müssen bereits eingeführt worden sein. Das Integral wird zu einem „kalkülhaften Ausdruck“: + einfache Definition + Eigenschaften des Integrals folgen aus der Differentialrechnung - Keine Anschauung: Grundgedanke des Integralbegriffs geht verloren - „antididaktische Inversion“: ein Satz wird zur Definition herabgestuft - Mathematisch nicht (ganz) korrekt - Wie kommen wir von hier zu der Riemann‘schen Definition? Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff14 wobei F eine Stammfunktion von f ist

3. Zugänge zum Integralbegriff III. Integration als Rekonstruktion (lat. „integrare“ = wiederherstellen) Schritt 1: Schüler rekonstruieren anhand einer gegebenen Funktion eine gesuchte Funktion. Präziser: Aus der Kenntnis der lokalen Änderungsrate wird die ursprüngliche Funktion rekonstruiert. Beispiele: Aus der Aufzeichnung eines Fahrtenschreibers den zurückgelegten Weg Aus der Zu- oder Abflussgeschwindigkeit auf die Wassermenge in einer Badewanne Aus der Stärke des Entnahme- oder Aufladestroms den Ladezustand eines Akkus Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff15

3. Zugänge zum Integralbegriff III. Integration als Rekonstruktion Exkurs: Aus den Daten des Fahrtenschreibers den zurückgelegten Weg rekonstruieren Daten Fahrtenschreiber: Geschwindigkeit als Funktion der Zeit: v(t) gesucht: Zurückgelegter Weg als Funktion der Zeit: x(t) Für „geeignete“ Funktionen v(t) können Schüler x(t) elementar rekonstruieren, ohne sich des Zusammenhangs zwischen beiden Größen bewusst zu sein (Geschwindigkeit = Ableitung des Weges nach der Zeit). Hinsichtlich der Grundvorstellung („orientierter Flächeninhalt“) gibt es Beispiele, die sich besser eignen! Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff16

3. Zugänge zum Integralbegriff III. Integrieren als Rekonstruieren Schritt 2: Schüler untersuchen den Zusammenhang zwischen ursprünglicher und rekonstruierter Funktion;  bei der Behandlung des Hauptsatzes kann daran angeknüpft werden. Schritt 3: Präzisierung durch Überleitung zur Riemannschen Definition + Entdeckender, interessanter Zugang + spätere Präzisierung (siehe Schritt 3) lässt sich sinnvoll anschließen + Grundvorstellung: Integral als orientierter Flächeninhalt - Anspruchsvoll Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff17 für Schüler und Lehrer

3. Zugänge zum Integralbegriff Partnerarbeit - Ihr seid dran! Gruppe 1 und 2: „Die Klassiker“ Zugang über verallgemeinerte Unter- und Obersumme. Beachtet die Aufträge auf dem Arbeitsblatt. Gruppe 3 und 4: „Die Modernen“: Zugang über den Ansatz „Integrieren als Rekonstruieren“. Beachtet die Aufträge auf dem Arbeitsblatt. Zeitvorgabe: 30 Minuten Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff18

3. Zugänge zum Integralbegriff Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff19

3. Zugänge zum Integralbegriff Unter- und Obersumme dynamisch mit GEOGEBRA! Einfache Konstruktion Anschaulichkeit Dynamische Veränderung der Zerlegung macht Effekt der Annäherung von Unter- und Obersumme direkt und ohne rechnerischen Umstand erfahrbar Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff20

4. Das Integral als Mittelwert Was hat das Integral mit Mittelwertbildung zu tun? 1. Beobachtung: Bei linearen Anstieg einer Größe in [a,b] wird der mittlere Wert der Größe genau in der Mitte von [a,b] angenommen, sei dies Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff21 [Dankwerts, Vogel (2006): „Analysis verständlich unterrichten“, S. 111]

4. Das Integral als Mittelwert 1. Beobachtung: Bei linearen Anstieg einer Größe in [a,b] wird der mittlere Wert der Größe genau in der Mitte von [a,b] angenommen, sei dies Offensichtlich gilt: Der Mittelwert ist darstellbar mithilfe des Integrals Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff22 [Dankwerts, Vogel (2006): „Analysis verständlich unterrichten“, S. 111]

4. Das Integral als Mittelwert 2. Beobachtung: Hat man n Messwerte zu äquidistanten Stützstellen So versteht man unter dem arithmetischen Mittel Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff23 Rechtecks- Flächen [Dankwerts, Vogel (2006): „Analysis verständlich unterrichten“, S. 113]

4. Das Integral als Mittelwert Was hat das Integral mit Mittelwertbildung zu tun? Fazit: Im diskreten Fall liefert das arithmetische Mittel einen sinnvollen Mittelwertbegriff. Im kontinuierlichen Fall scheint das Integral (bis auf den Vorfaktor 1/(b-a)) ein adäquates Analogon zu sein. Hier zeigt sich eine Brücke zwischen Analysis und Stochastik: Wie ist der Erwartungswert einer Zufallsvariablen definiert? Für diskrete Zufallsvariable: falls zudem Gleichverteilung: Für stetige Zufallsvariable? Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff24 Integral Arithm. Mittel

4. Das Integral als Mittelwert …gibt es tatsächlich in der Schulpraxis Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff25

4. Das Integral als Mittelwert Das Integral als Mittelwert – (M)ein persönliches Fazit: + Mitteln eine im Alltagsdenken verankerte Grundvorstellung; Beitrag zur inhaltlichen Verankerung des Integrals + Brücke zwischen Analysis und Stochastik + Anwendung und Bedeutsamkeit des Integrals + nützliches Metawissen für den Lehrer - Zur Einführung des Integralbegriffs ungeeignet Pascal Schmidt: Hinführung zum Integralbegriff26

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit und Mitarbeit! Pascal Schmidt Seminar zum fachdidaktischen Blockpraktikum SS 2010