Die Insolvenz aus Sicht des Betriebsrats und der Arbeitnehmer Rechtsanwalt Dirk Herfert, EHZ Rechtsanwälte, Reutlingen.

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 Präsentation transkript:

Die Insolvenz aus Sicht des Betriebsrats und der Arbeitnehmer Rechtsanwalt Dirk Herfert, EHZ Rechtsanwälte, Reutlingen

2 1. Einleitung Das Thema bedarf angesichts der begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit einer Eingrenzung: Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Anreizfunktion der Insolvenz aus Sicht des Betriebsrats und der Arbeitnehmer Die Anreize der Insolvenzordnung vor ESUG sind weitgehend verpufft (vgl. Drukarczyk, NZI 2015, 110). Motive des Gesetzgebers für das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG): –Die frühe Antragsstellung verbessert die Sanierungschancen. –Mit der Verbesserung der Sanierungschancen wird zugleich zum Erhalt von Arbeitsplätzen beigetragen.

3 1. Einleitung Die Möglichkeiten zur Sanierung eines aus Sicht des Schuldners sanierungsfähigen und sanierungswürdigen Unternehmens: Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich nur auf den Zeitraum zwischen drohender Zahlungsfähigkeit und Eintritt der Zahlungsunfähigkeit. Zahlungsunfähigkeit droht Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Sanierung ohne Insolvenzbedingungen Sanierung unter Insolvenzbedingungen Wahlrecht des Schuldners: Sanierung ohne oder unter Insolvenzbedingungen

4 1. Einleitung Bei der Insolvenzvariante kann der Unternehmer in „arbeitsrechtlicher“ Sicht derzeit zumindest einplanen: –Die Zahlung von Insolvenzgeld durch die Bundesagentur für Arbeit. –Die automatische Abkürzung der Kündigungsfristen und den Wegfall von Kündigungsbeschränkungen gemäß § 113 InsO. –Die automatische Begrenzung des Sozialplanvolumens gemäß § 123 InsO. –Den Forderungsübergang der Betriebsrentenansprüche oder Betriebsrentenanwartschaften auf den Pensionssicherungsverein gemäß § 9 Abs. 2 BetrAVG. Das Vorstehende kann ebenfalls als Anreiz für die frühzeitige Verfahrenseinleitung interpretiert werden.

5 2. Ablehnung des Insolvenz-Discounts Durch die Insolvenzordnung wurde die drohende Zahlungsunfähigkeit als neuer Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag des Schuldners eingeführt. Es besteht keine Pflicht zur Antragstellung. Es sind auch keine Sanktionen bzw. Nachteile (z.B. verschärfte Haftung) an einen unterbliebenen Antrag trotz Möglichkeit geknüpft. „Der Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungsverpflichtungen im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“ Die Darlegung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt wohl anhand eines Finanzplans aus dem sich Defizite ergeben, die aus Sicht des Schuldners mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden. Aus dem Wort voraussichtlich folgt auch, dass diese Entwicklung zumindest wahrscheinlicher sein muss, als die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit („Mindestmaß an Gläubigergefährdung“).

6 2. Ablehnung des Insolvenz-Discounts Der Insolvenz-Discount gemäß §§ 113, 123 InsO als Anreiz für eine frühe Antragstellung wird abgelehnt, zumindest solange keine Pflicht zur Antragstellung besteht. Der pauschale Eingriff des Gesetzgebers in die Rechtspositionen des Betriebsrats und der Arbeitnehmer ist in dieser Phase nicht gerechtfertigt, weil keine Abhängigkeit zur Höhe der Finanzplandefizite besteht. Die betriebsverfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Sozialplan passen auch in dieser Phase. § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG lautet: „Die Einigungsstelle hat bei Ihrer Entscheidung …. (über die Aufstellung eines Sozialplans) sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten.“ Die Vorschrift ermöglicht eine passende Lösung im Einzelfall.

7 2. Ablehnung des Insolvenz-Discounts Es sollten Regelungen geschaffen werden, nach denen ohne vorweggenommene Eingriffe in bestehende Rechtspositionen die Sanierung (z.B. im Wege des Verhandelns über einen Insolvenzplan) versucht werden muss, solange für den Unternehmer noch keine Pflicht zur Antragstellung besteht. Dieser Insolvenz-Discount mag zwar die Sanierung vereinfachen, führt aber auf der Grundlage der bestehenden Rahmenbedingungen nicht bzw. nur in geringem Umfang dazu, dass mehr Arbeitsplätze durch die Sanierung erhalten bleiben. Die Unternehmen neigen dazu, nach Insolvenzeröffnung wegen dieser Vorschriften eher mehr Arbeitnehmer zu entlassen als außerhalb des Insolvenzverfahrens. Dies wird in der Praxis kompensiert durch –die Erhöhung der Arbeitszeit der verbleibenden Beschäftigten –Einstellung von Leiharbeitnehmern oder –verstärktes Outsourcing. Ggf. bestehende Kündigungsschutzprobleme werden durch die namentliche Nennung der Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich und die Einrichtung einer Transfergesellschaft umschifft.

8 3. Einführung eines Sanierungsverfahrens Grundsätzlich ist ein frühzeitiger Sanierungsversuch zu begrüßen. Hierfür sollte der Gesetzgeber ein gesondertes Sanierungsverfahren vorsehen, das auf den Abschluss eines verbindlichen Sanierungsplans unter Regie des Unternehmens abzielt. Dem Unternehmer sollte das Verfahren auslesen, wenn Zahlungsunfähigkeit droht. Der Prognosezeitraum sollte aber gesetzlich definiert werden. Er sollte 12 Monate nicht überschreiten. Das Sanierungsverfahren muss Koordinierungsfunktion haben. Die Koordinierung nimmt ein neutraler Sachwalter wahr. Bezüglich des Inhalts und des Zustandekommens des Sanierungsplans können weitgehend die für den Insolvenzplan geltenden Vorschriften Anwendung finden. Das Sanierungsverfahren endet vorzeitig, sobald Zahlungsunfähigkeit eintritt oder Überschuldung vorliegt.

9 3. Einführung eines Sanierungsverfahrens Anreiz für den Unternehmer: Sofern der Unternehmer bei drohender Zahlungsunfähigkeit kein Sanierungsverfahren einleitet, müssen sich Haftungsfolgen für die auf Unternehmerseite handelnden Personen ergeben. Anreiz für die Gläubiger: Scheitert das Sanierungsverfahren endgültig, kann der Unternehmer in das Insolvenzverfahren bei weiterhin drohender Zahlungsunfähigkeit eintreten. Das Insolvenzverfahren wird so umgestaltet, dass in Rechtspositionen aller Gläubiger eingegriffen wird. Wird der Sanierungsplan nicht erfüllt, können die Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen.

10 4. Missbrauchskontrolle Verfassungsrechtlich ist als Minimum jedoch geboten, den Gläubigern ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, dass die missbräuchliche Inanspruchnahme der Insolvenzanreize verhindern kann. Die Prüfung, ob drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, hat in jedem Fall durch das Insolvenzgericht zu erfolgen. Das Insolvenzgericht kann einen Sachverständigen mit der Prüfung beauftragen, ob ein Eröffnungsgrund – also auch drohende Zahlungsunfähigkeit – vorliegt. Für die Gläubiger bestehen im Rahmen des geltenden Insolvenzrechts keine effektiven Möglichkeiten sich diesbezüglich in das Verfahren einzubringen: –Das Eröffnungsverfahren läuft für die Gesamtgläubigerschaft weitestgehend intransparent ab. –Dem Gläubiger – außer dem PSV vgl. § 9 Abs. 5 BetrAVG – steht keine sofortige Beschwerde zu, sofern das Insolvenzverfahren eröffnet wird.

11 4. Missbrauchskontrolle Eine Stärkung der Rechte der Gläubiger ist aber – insbesondere bei einem Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit – dringend erforderlich, weil 1.Das Ergebnis des Finanzplans für den Prognoseersteller in Abhängigkeit von der Interessenlage gestaltbar ist. 2.Der Schuldner sich quasi aussuchen kann, ob er die Sanierung innerhalb oder außerhalb eines Insolvenzverfahrens versucht.

12 4. Missbrauchskontrolle Die Stärkung der Gläubigerrechte könnte erfolgen durch: –Einräumung eines Rechtsmittels: Das könnte aber das Verfahren zeitlich verzögern. Verfassungsrechtlich (§ 19 Abs. 4 GG) ist eine weitere Kontrollinstanz nicht garantiert. –Sicherung des Informationsflusses und Beteiligung der Gläubiger bei der Entscheidungsfindung: Der Informationsfluss könnte technisch über eine - Benachrichtigungsfunktion bei Neueinstellung von Informationen im jeweiligen Verfahren unter sichergestellt werden. Es ist sicherzustellen, dass zumindest alle wesentlichen Informationen dort bereitgestellt werden. Durchführen eines schriftlichen Verfahrens. Auf Antrag eines Gläubigers könnte auch eine mündliche Verhandlung stattfinden. –Keine Personenidentität des Sachverständigen iSd. § 21 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter/Sachwalter. Auswahl unter Beteiligung des vorläufigen Gläubigerausschusses.

13 5. Zusammenfassung Ablehnung des Insolvenz-Discounts bei Verfahrenseinleitung ohne Antragspflicht. Anstelle des Insolvenzverfahrens sollte bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit ein Sanierungsverfahren treten. Verfassungsrechtlich ist als Minimum jedoch geboten, den Gläubigern ein Verfahren zur Verfügung zu stellen, dass die missbräuchliche Inanspruchnahme der Insolvenzanreize verhindern kann.

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