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Inhalt der Power - Point - Präsentation:

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1 Inhalt der Power - Point - Präsentation:
Basistheorie der Humanwissenschaften Die Notizenseiten zu den einzelnen Dias können gelesen und ausgedruckt werden, wenn die ppt-Datei auf die Festplatte heruntergeladen wird. Definition: Orientierungswissen, das Zusammenhänge zwischen Einzelwissenschaften, Disziplinen und Schulen aufzeigt. Mit dem Grundlagenwissen kann die interdisziplinäre Diskussion, Lehre und Forschung strukturiert werden. Schlüsselwörter: Basistheorie der Anthropologie, Theorie der Humanwissenschaften, Grundlagenwissenschaft, Anwendungswissenschaft, Sozialwissenschaft, Philosophie, Humanethologie, Psychologie, Erziehungswissenschaft, Psychotherapie, Evolutionäre Erkenntnistheorie, Gemeinsamkeit, Erhaltungsgründe der Spaltung, Dialog, Transdisziplinarität, Wissenschaftstheorie, Synthese, explanans, explanandum, Lebensgeschichte, Ordnungsschema, Suchraster, Schlüsselfrage, Detailwissen, Erklärungswissen, Verständniswissen, Handlungswissen, know how, Analogie, Homologie, Artenvergleich, Tier-Mensch-Vergleich, Empathie, Emphronesis, Environment of Evolutionary Adaptedness, EEA, Bindungstrauma, Inzesttrauma, Metaphän, Interphän, Affektlogik, Instinkt-Kultur-Verschränkung, Aristoteles, Popper, Reduktionismus, Leitdisziplin, Strukturwissenschaft, Impact, psychophysischer Parallelismus, Wechselwirkungshypothese, naturalistischer / moralistischer Trugschluß / Fehlschluß,. Inhalt der Power Point Präsentation: I Einleitung: Problemstellung, Lösungsansatz II Theorie der Grundfragen III Theorie der Bezugsebenen IV Diskussion Abstract: Erkenntnisse, die aus der Evolutionslehre abgeleitet werden können, ermöglichen eine naturwissenschaftliche Fundierung geisteswissenschaftlicher Inhalte in ähnlicher Weise, wie philosophische / geisteswissenschaftliche Erkenntnisse Grundlagen der Naturwissenschaften sind. Naturwissenschaftliche Grundlagen: Die Entstehungsgeschichte des Menschen hat an Leib und Seele Spuren hinterlassen. Darwins Theorie hilft, diesen Spuren nachzugehen und sie zu verstehen. Sie leistet damit einen Beitrag, die historisch gewachsene Spaltung der Humanwissenschaften in „Leib- und Seele-Wissenschaften“, Natur- und Geisteswissenschaften, Erfahrungs- und Vernunftwissenschaften, „Kernpsychiatrie“ und Psychotherapie zu überwinden. Mit Hilfe des »Perioden-systems der Humanwissenschaften« können Zusammenhänge zwischen Einzelwissenschaften, Disziplinen und Schulen aufgezeigt und Lehre und Forschung transfakultär strukturiert werden. Geisteswissenschaftliche Grundlagen: Es gibt geisteswissenschaftliche Erkenntnisse, die aus der Perspektive der Naturwissenschaften den transfakultären Dialog erleichtern: So erklären Philosophen historische Gründe der Spaltung in „Leib- und Seele-Wissenschaften“, zeigen transfakultär unterschiedliche Gewissheitsansprüche auf, erläutern Schichtenregeln (nach Nicolai Hartmann), beschreiben Parallelen zwischen dem evolutionärem Kenntnisgewinn und den Naturwissenschaften (betr. Algorithmus von Erwartung und Erfahrung nach Karl Popper) und mit dem naturalistischen und moralistischen Trugschluß werden Ableitungen vom Sein auf das Sollen und vom Sollen auf das Sein entlarvt. Weiterführende Unterlagen zu den basistheoretischen Konzepten der Humanwissenschaften: 1. Hinweise auf den jeweiligen methodisch theoretischen Zugang, im Rahmen der Grundfragen, zum Thema Aggression (1994): 2. Erläuterung der Grundfragen am Beispiel der Biopsychologie der Geschlechterdifferenz (2000): 3. Erläuterung der Grundfragen und Beispiele zur Vielgestaltigkeit humanwissenschaftlicher Vorstellungen (2006): 4. diese PPT-Präsentation (seit 2004 in der Vorlesungshomepage - mit z.T. semesterweisen Aktualisierungen): Natur- und geisteswissenschaftliche Schulen der Psychologie sind ein Abbild der Spaltung der Humanwissenschaften. Ein profunder und klärender Diskussionsbeitrag dazu: Norbert Bischof (2008): Psychologie. Stuttgart: Kohlhammer-Verlag. ______________________________________ Die Power-Point-Präsentation wird von Gerhard Medicus für den Biologie-, Psychologie- und Philosophie-Unterricht zur Verfügung gestellt; nach: Medicus 2005: Mapping Transdisciplinarity in Human Sciences. In: J.W. Lee (Ed.): Focus on Gender Identity, pp New York: Nova Science Publ. Für Kritik und Anregungen: English version of this presentation:

2 Dia mit freundlicher Genehmigung von GEO-Wissen und © Uwe Brandi (Brief vom 8. Mai 2004)
(I) EINLEITUNG Aus dem Nachwort von Immanuel Kant zu Samuel Thomas Sömmerring „Über das Organ der Seele“ (Königsberg 1796, pp 81-82): „Mithin wird ein Responsum gesucht, über das zwey Facultäten wegen ihrer Gerichtsbarkeit … in Streit gerathen können, die medicinische, in ihrem anatomisch-physiologischen, mit der philosophischen, in ihrem psychologisch-metaphysischen Fache, wo, wie bey allen Coalitionsversuchen, zwischen denen die auf empirische Principien alles gründen wollen, und denen welche zuoberst Gründe a priori verlangen … Unannehmlichkeiten entspringen, die lediglich auf dem Streit der Facultäten beruhen, ... Wer es in dem gegenwärtigen Falle dem Mediciner als Physiologen zu Dank macht, der verdirbt es mit dem Philosophen als Metaphysiker; und umgekehrt, wer es diesem recht macht, verstößt wider den Physiologen.“ In den Naturwissenschaften werden im allgemeinen - auf Grund der hohen Komplexität unserer Welt - mit zunehmendem Detailwissen1 immer mehr und neue fiktive Bereiche aufgetan. Infolge der analytischen, „zerlegenden“ Vorgangsweise vieler Naturwissenschaften, erfolgt dabei eine Erweiterung der fiktiven Bereiche von den Ebenen der Individuen und Organe auf die Ebenen der Zellen und Moleküle.2 Im historischen Rückblick hat es in den Naturwissenschaften viele - im Nachhinein betrachtet - absurde fiktive Vorstellungen und unhaltbare Arbeitshypothesen gegeben - die es in Bereichen der aktuellen Forschung wohl immer noch gibt. Trotz aller Beharrungstendenzen - auch in den Naturwissenschaften - sind die historischen aber dem Realitätsdruck empirisch begründeter Widersprüche erlegen und in Vergessenheit geraten. _________________________ 1 Man unterscheidet drei Formen des Wissens: 1) Detailwissen (Erklärungswissen): wird zum Teil durch „reduktionistisches Zerlegen“ eines Organismus gewonnen (z.B. im Rahmen von Genetik, Stereochemie, Zellphysiologie). Der analytische Blick ist dabei hinsichtlich der Bezugsebenen von „oben“ nach „unten“ gerichtet, bzw. von den Bezugsebenen der Gruppe und des Individuums „hinunter“ auf Ebenen wie die der Zellen und Moleküle. 2) Orientierungswissen (Verständniswissen): Es hilft, Detailwissen u. Theorien sowie Disziplinen u. Schulen zu vernetzen u. Diskussionen zu strukturieren (z.B. „Periodensystem der Humanwissenschaften“; siehe auch erster Absatz in Notiz 3). 3) Handlungswissen (know how): Es wird z.B. im Rahmen von Praktikums-, Lern- und Erfahrungsjahren nach der manchmal überwiegend theoretischen Berufsausbildung erworben. - Um Erkenntnisse zu gewinnen, braucht es beides, Detailwissen und Orientierungswissen, Erklären und Verstehen. 2 • Infolgedessen nimmt im allgemeinen das Repertoire der jeweils theoretisch denkbaren Hypothesen mit dem zunehmenden empirisch gestützten Wissen zu - und allzu oft erweist sich die Realität als noch komplexer, als es sich viele Theoretiker ausmalen. Wissen aus dem Repertoire der denkbaren Hypothesen ist so lange fiktives oder spekulatives oder vermutetes Wissen, bis es z.B. durch Empirie gestützt oder falsifiziert wird (z.T. wird der Begriff „fiktives Wissen“ auch für prinzipiell nicht falsifizierbares Wissen verwendet, selten auch für vermeintlich falsifiziertes). • Weil Menschen nur kleine Ausschnitte der Welt fokussieren können, sind Spezialisierungen unvermeidbar - dadurch können transfakultäres Orientierungswissen ins Hintertreffen geraten und fiktive Bereiche von Theorien unerkannt bleiben (s. Frage/Dia 2). 3 Was die Grafik nicht zeigt: Die konfessionsanalogen Ostrazismen und die moralistischen Unterstellungen ähneln mitunter jenen der Chefideologen des „kalten Krieges“ und der Akkuratesse von deren Zensoren (s. Notiz 19 & 36). „Ein Heer von Hirnforschern wuselt ameisengleich um ein gigantisches Gehirn: So sieht der Göttinger Grafiker Uwe Brandi die Versuche der Wissenschaftler, Details des Denkorgans zu enträtseln. Wie aber fügen sich die Einzelheiten zu einer wirklichkeitsnahen Gesamtschau?“ © Uwe Brandi, Grafik und Text aus: GEO-Wissen Nr. 1, Seite 31, 1987.

3 Multidisziplinarität in den Humanwissenschaften
Kann man Interdisziplinarität in den Humanwissenschaften strukturieren? Welches Wissen ist Grundlage für welchen Fachbereich? Einer interdisziplinären Verständigung stehen Grundsatzdebatten und unvereinbare Standpunkte, die z.T. als gesichertes Lehr-buchwissen präsentiert werden, im Wege (z.B. Notiz 19 und Schulenstreit in der Psychotherapie: z.B. Notiz 16/4.Punkt). Es stellt sich die Frage: Warum gibt es so grundsätzliche „Endlosdebatten“ innerhalb der Humanwissenschaften und nicht etwa auch in Physik, Chemie und Biologie? Warum bekämpfen viele Philosophen und Kulturwissenschaftler die Naturwissenschaften? Warum glauben viele Naturwissenschaftler, Philosophie und Kulturwissenschaften nicht zu brauchen? Wie ist es zu der Spaltung der Humanwissenschaften in Natur- & Geisteswissenschaften kommen? Was sind die Erhaltungsgründe der Spaltung? Angesichts des immensen Wissens, das es zum Menschen gibt, ist es naheliegend anzunehmen, daß es Denkansätze gibt, die bei der Strukturierung der fakultätsübergreifenden Diskussionen weiterhelfen können: In der PPT-Präsentation werden entsprechende Eckpfeiler vorgestellt. In den Wissenschaften vom Menschen sind bei interdisziplinären Diskussionen folgende Problemstellungen (Punkte 1 bis 3) und Lösungsansätze (Punkt 4) von Relevanz: 1. Erkenntnistheoretische Fragen A) Das Zirkularitäts- und Leib-Seele-Problem bildet sich in der Spaltung der Humanwissenschaften ab (Notiz 19, 29): B) Konsequenzen der Spaltung der Humanwissenschaften in Natur- und Geisteswissenschaften sind transfakultär a) unterschiedliche methodisch theoretische Zugänge (betr. z.B. die Gewichtung von Theorie [/Rationalismus1] und Empirie [/Empirismus1], Synthese und Analyse, verstehen und erklären (Dia+Notiz 31-33)) und b) unterschiedliche Gewißheitsansprüche (Dia+Notiz 31-33). C) Methodisch empirisch wird zwischen (a) qualitativen und (b) quantitativen Forschungsansätzen unterschieden (vergl. Notiz 31). Der Kenntnisgewinn kommt durch Detailwissen zustande. In der Humanethologie sind z.B. a) der Artenvergleich inkl. Tier-Mensch-Vergleich und b) der Kulturenvergleich von zentraler Bedeutung; es kommen qualitative und quantitative Forschungsansätze zur Anwendung. 2. A) Psychologische, B) institutionelle und C) wissenschaftspolitische Barrieren (Dia+Notiz 34) 3. Moralisch-ethische Aspekte und Überlagerungen A) beim Kenntnisgewinn und B) bei der Anwendung des Wissens (Notiz 36) Ziel der humanwissenschaftlichen Forschung muß es sein, blinde Flecken aufzudecken, die Fachbereiche, deren Gegenstand sie sind, zu benennen und mit heuristisch hilfreicheren und möglichst realitätsnahen Hypothesen zu ersetzen, bzw. - sofern möglich -theoretische Zusammenhänge durch eine immer differenziertere Empirie immer engmaschiger „am Boden der Realität“ zu „verankern“. 4. Die Basistheorie der Humanwissenschaften ist ein methodisch theoretischer Schlüssel zur Strukturierung der Diskussion über Problemstellungen und Fragen (s.a. Notiz 19, Fragen 1 bis 12). Die Theorie hat natur- und geisteswissenschaftliche Anteile. In der Basistheorie stehen Grundfragen und Bezugsebenen im Vordergrund (Teil I bis III der PPT-Präsentation). Im Rahmen ihrer Erläuterung wird versucht, stichwortartig auf philosophische Grundlagen und Zusammenhänge (Punkte 1-3) zu verweisen. ___________________________ 1 Es hat sich bei der Rekonstruktion der Geschichte der Denkansätze gezeigt, daß es auf „entweder-oder-Fragen“ oft „sowohl-als-auch-Lösungen“ gibt (z.B. Empirismus/Rationalismus, Materialismus/Idealismus). Gibt es ein Verständigungsangebot an Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaften? Gibt es Ansätze zu einer gemeinsamen theoretischen Basis (bzw. zu einer Basistheorie)?

4 Grundkonzepte und Rahmen der Diskussion
1) Wenn anhand des Rasters der Vier Grundfragen der biologischen Forschung (Verursachungen, individuelle Entwicklung, Anpassungswert, Stammesgeschichte) gefragt wird und gleichzeitig die Bezugsebenen (z.B. Zelle, Organ, Individuum, Gruppe) berücksichtigt werden, auf die sich die Fragen richten, erschließt sich der interdisziplinäre Umfang eines Themas. 2) Theorie der Grundfragen: Dias 7-21, • Theorie der Bezugsebenen: 22-28 3) Die farbig hervorgehobenen Konzepte sind mindestens 150 Jahre alt (Grundfragen: B. de Maillet, Ch. Darwin; s.a. K. Lorenz, N. Tinbergen). ad 1: Alle Fachrichtungen haben denselben „Untersuchungsgegenstand“ und das Ziel zum Erkenntnisgewinn beizutragen. Es gilt Orientierungshilfen anzubieten und Fragen zu formulieren, die interdisziplinär und fakultätsübergreifend weiterführen und zu deren Antworten alle beitragen können: Mit dem Satz im ersten Punkt (u. Dia 5) werden alle Bereiche der humanwissenschaftlichen Lehre und Forschung erfaßt (bez. Ausnahmen siehe Fußnote1). Er ist weniger geeignet zu zeigen wie viel, sondern eher wie wenig wir wissen: Auch wenn es gelingen würde, das gesamte Wissen aus allen Bereichen des Orientierungsrahmens in einer Theorie zu berücksichtigen, würden noch lange große Ermessensspielräume bestehen bleiben. ad 3 (zu „mindestens 150 Jahre alt“): Die im Dia in Klammern geschriebenen und farbig hervorgehobenen Begriffe (= Spalten- und Zeilenüberschriften von Tab.1/Dia 5) gehören inzwischen zu den interdisziplinär mit den höchsten Konsistenzgraden vernetzten und empirisch am besten fundierten Konzepten der Naturwissenschaften. Zur GESCHICHTE der GRUNDFRAGEN: Aristoteles vor Chr. causa materialis, causa efficiens, causa finalis, causa formalis; siehe Notiz 5, 23 Benoit de Maillet hatte als erster die Idee vom phylogenetischen Artenwandel Carl von Linné : Systema naturae [war eine wichtige Voraussetzung für Darwin 1859] Alfred R. Wallace : evolutionäres Divergenzprinzip (war in Detailaspekten möglicherweise eine Grundlage für Darwin 1859) Charles Darwin : The Origin of Species Übersichten zu den Grundfragen: Konrad Lorenz : Biologische Fragestellungen in der Tierpsychologie. Zeitschrift für Tierpsychologie, 1: 24-32; s.a. Lorenz 1957; Niko Tinbergen : On Aims and Methods in Ethology. Zeitschrift für Tierpsychologie, 20: ; Zur GESCHICHTE der Vorstellungen von BEZUGSEBENEN: John Dalton : bestimmte Masseverhältnisse bei chemischen Verbindungen. Robert Brown : Brownsche Molekularbewegung; heute gültige Interpretation erst 1905/06; Josef Loschmidt : Zahl der Teilchen im Mol (6,0221x1023). D. Mendeleev + L. Meyer 1869: Periodensystem der chemischen Elemente. Robert Hooke : Zellen im Korkgewebe. Marcello Malpighi : Pflanzen aus Zellen aufgebaut. Nehemia Grew : Pflanzen aus Zellen aufgebaut. Robert Brown : Zellkern regelmäßige Erscheinung in Zellen Theodor Schwann : Tiere aus Zellen aufgebaut Übersichten zu den Bezugsebenen: Aristoteles vor Chr. Ebenen: materia; anima vegetativa, anima sensitiva, anima rationalis [s.Notiz 5, 23] Nicolai Hartmann : "Der Aufbau der realen Welt“ (anorgan., organische, seelische, geistige Ebene [s.Dia 24]) Karl Popper : Welten 1, 2 und 3 (siehe Notiz 19), sie ähneln z.T. den Ebenen bei Aristoteles und Hartmann Rupert Riedl : „Biologie der Erkenntnis“ (siehe Ebenen oder Schichten in Dia 23) Die Einführung des Begriffes „bio-psycho-sozial“ wird Jakob von Uexküll oder/und Karl-Friedrich Wessel zugeordnet. ________________ 1 Ausgenommen sind prinzipiell nicht falsifizierbare Bereiche und Fragen, wie etwa zum •„Leben nach dem Tod“ sowie zu •„Primärursache“ und •„Endzweck des Universums“ (zu denen es anthropozentrische Weltbilder gibt); • ausgenommen sind im allgemeinen auch weltanschauliche Wertsysteme und Bewertungen (vergl. Notiz 36/moralistischer Fehlschluß/bzw. Erkenntnis- und Anwendungswert). Dia nach Medicus 2000: Stichwort „Interdisziplinarität“: »Lexikon d Neurowissenschaft« u. »Lexikon d Biologie«, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag 4) Grundfragen und Bezugsebenen sind a. der transdisziplinär „kleinste gemeinsame Nenner“ und b. Ausgangspunkt für die Entwicklung eines fächer-verbindenden Konsens sowie einer „Basis-Theorie der Humanwissenschaften“.

5 Das Periodensystem der Humanwissenschaften
Tabelle 1 Verursachungen Ontogenese Anpassungswert Phylogenese 1 Molekül 2 Zelle 3 Organ 4 Individuum 5 Gruppe 6 Gesellschaft Ein Teil der Diskussion zu unvereinbaren Standpunkten - inklusive der Diskussionen zwischen den Schulen der Psychotherapie - ist aus wissenschaftstheoretischer Sicht nach L. Fleck und Th. Kuhn derzeit noch als vorwissenschaftlich zu charakterisieren. Der Dialog kann nur mit Hilfe interdisziplinärer Orientierungshilfen, die wissenschaftstheoretisch fundiert sind, sinnvoll geführt werden: In Dia 4 und 5 werden die Grundfragen formuliert, die an alle Systemebenen gestellt werden können. Die Tab. 1 ist für alle Humanwissenschaften (Zeilen 1-6, bzw. vom Molekül bis zur Gesellschaft; „Basistheorie der Anthropologie“) sowie (Zeilen 1-5) alle nicht-anthropologischen „Bio- und life sciences“ relevant. Auf allen Ebenen bzw. allen Feldern von Tab. 1 gibt es eine Fülle von Beispielen für Sonderstellungen des Menschen. Zur Interdisziplinarität zwischen den „divergierenden“ Schulen der Psychotherapie / Psychiatrie: Psychotherapie wird im Rahmen einer Vielzahl von Schulen und Theorien gelehrt und ausgeübt, sie ist auch Gegenstand verschiedener Fächer und Fakultäten (z.B. Theologie, Pädagogik, Psychologie, Medizin). Diese Vielfalt der Schulen ist therapeutisch hilfreich: Sie kommt den unterschiedlichen Diagnosen und Patienten sowie den unterschiedlichen Begabungen der Therapeuten entgegen. Aus interdisziplinaritätstheoretischer Sicht ist jedoch eine gemeinsame schulen- und fächerverbindende Basis zu empfehlen: Diese Basis kann nur gemeinsam mit den anderen Humanwissenschaften interdisziplinär und transfakultär entwickelt werden. Mit Hilfe dieser Basis kann die Psychotherapieforschung in Theorie und Empirie vorangetrieben und fundiertes sowie spekulatives Wissen besser, als es derzeit noch der Fall ist, auseinandergehalten werden. (s.a. psychotherapeutische Wirkprinzipien/Notiz 19) In der Medizin werden das Nervensystem, seine Leistungen und Störungen in drei Fachbereiche aufgeteilt: Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie - sie unterscheiden sich u.a. durch unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf die verschiedenen wissenschaftstheoretischen Zugänge (vergleiche Dia 32). Die Psychotherapie ist in der Medizin die letzte Sparte, die noch nicht naturwissenschaftlich fundiert ist: Die Psychiatrie kann aus wissenschaftstheoretischer Sicht als transfakultäre Chimäre gesehen werden, weil die Psychotherapie - als Teilgebiet der klinischen Psychiatrie - überwiegend geisteswissenschaftlich und die Forschung in der Psychiatrie - insbesondere im Rahmen ihrer biochemischen/ neurobiologischen Denkansätze (Ebenen 1-3) - naturwissenschaftlich fundiert ist. Eine gemeinsame wissenschaftliche Basis von Psychiatrie und Psychotherapie wäre auch ein Beitrag zur Entstigmatisierung der Psychiatrie in der akademischen Welt. Dia 5 ist das wichtigste der PPT-Präsentation; nach Medicus 2001 (a): Interdisziplinarität, ein Beitrag d.Ethologie. In: Schultz M., et al (Hrsg): Homo, unsere Herkunft u.Zukunft. Proceedings, 4.Kongress d.Ges.f.Anthropologie, Potsdam, Sept. 2000; pp Göttingen: Cuvillier Verlag (ISBN: ); (b): workshop i.R. der Österr.Forschungsgemeinschaft, Maria Plain, Sept. 01; (c) Poster Auch wenn die aristotelischen Konzepte für einzelne Diskussionen nützlich sein mögen, werden sie heute vielen anthropologischen Fragestellungen nicht mehr gerecht (vergl. Notiz 23). Die aristotelischen Schichten können sowohl mit den Ebenen in Tab. 1 in Beziehung gesetzt werden als auch mit den Stufen im „Stammbaum psychischer Leistungen“ nach Lorenz 1973 ( ) Dem tabellarischen Rahmen der Basistheorie lassen sich alle Humanwissenschaften (nächstes Dia, Absatz C), sowie ihre Fragestellungen (Absatz A) und Ergebnisse (Absatz B) zuordnen und miteinander in Beziehung setzen. Die kursiv geschriebenen Kategorien sind auch Gegenstand der Psychotherapie und von kulturwissenschaftlichen Disziplinen. Die aristotelischen Urgründe & Schichten können als historische Wurzeln von Tabelle 1 gesehen werden. causa materialis causa efficiens causa finalis causa formalis materia anima vegetativa anima sensitiva anima rationalis

6 Zur Theorie von Grundfragen und Bezugsebenen
Tabelle 2 Fragen nach den unmittelbaren Zusammenhängen [Fragen nach den proximaten Ursachen oder nach den Nahursachen] Fragen nach den grundlegenden Zusammenhängen [Fragen nach den ultimaten Ursachen oder nach den mittelbaren oder Letztursachen] (1) Verursachungen (Ursachen-Wirkungs- Beziehungen bei den Funktionsabläufen) (2) ontogenetische Zusammenhänge (3) A n p a s s u n g s w e r t (a) ökologisch | (b) innerartlich (4) phylogenetische Zusammenhänge (A) Beispiele für Frage-stellungen aus der Ethologie und ihrer Nachbar-disziplinen Wie „funktionieren“ Erleben und Verhalten auf der chemischen, physiologischen, neuroetho-logischen, psychischen und sozialen Ebene - und • wie sehen die Bezüge zwischen den Ebenen aus? • Wie sind biologische Programmierungen [z.B. "instinktive" Antriebe und Hemmungen], Lernen, Intellekt und Kultur, sowie Können, Wollen und Sollen miteinander verschränkt und • gibt es dabei Unterschiede in Abhängigkeit von Spezies, Alter, Geschlecht u. Verhaltensbereich? • Welche Bezüge haben Wahrnehmung, subjek-tives Innenleben und Verhalten zur Umwelt? Was bewirken wann/welche (a) inneren Programmschritte u (b) Umwelt-einflüsse? Mit anderen Worten: Was sind die ontogenetischen Grund-lagen von Verhalten und Lernen? Z.B.: Welche Auswirkungen haben • Hormone und • Reafferenzen für • Reifungsprozesse und • prägungsähnliche Schritte? • Welchen Einfluß haben diese Prozesse auf Lernleistungen? • Was wird gelernt? Wozu sind die einzelnen Leistungen der Wahr-nehmung, des subjektiven Innenlebens, des Lernens und des Verhaltens da? Beispielsweise: Was sind die Kosten, was ist der Nutzen einer Verhaltensweise etwa Warum sind strukturelle Zusammen-hänge stammesgeschichtlich "so und nicht anders" geworden? Konkret: • Welche Merkmale waren phylog. Vor-bedingung welcher neuen Merkmale und • welche Folgen haben ältere Merkmale für weitere Entwicklungen - z.B. für • Hormon- und Transmitter-Funktionen, • neuroanatomische Strukturen und • Verhaltensmerkmale? • Welche Merkmale sind homolog und welche analog? • hinsichtlich Energie-aufnahme und Verbrauch? • in Abhängigkeit von Verwandtschaftsgrad & • sozialer Attraktivität? • Welche Veränderungen ergaben sich an bestehen gebliebenen stammesgeschichtlich älteren Merkmalen des Verhaltens unter den Selektions-bedingungen jüngerer Verhaltensmerkmale? (B) Ver-haltens-beispiele • Der Endorphinspiegel steigt bei Sender und Em-pfänger während der sozialen Fell- und Hautpflege. • Freundliche Verhaltensweisen sind Gegenspieler der Aggression, sie können kulturell gefördert werden. Unattraktive Verhaltensweisen - z.B. destruktive Formen d. Aggression - können kulturell gehemmt und unterdrückt werden. • Kinder erkennen sich mit ca. 20 Monaten im Spiegel. Das ist eine der Grundlagen für soziale Kognition: z.B. für erste einfache Perspektiven-übernahmen als Voraussetzung für kognitiven Altruismus und Kooperation. • Soziale Zusammen-schlüsse sind zweckvoll z.B. bei • dem Schutz vor Beutegreifern, • kollektiver Jagd, • Bautätigkeiten. • Freundl. Verhalten hilft Bindungen zu stif-ten u. zu erhalten als Basis für gegenseitige Unterstützungen, z.B. bei Brutpflege oder bei Auseinandersetzungen • Die Brutpflege und das Eltern-Kind-Band waren Vorbedingungen für soziale Bindungen. Elemente des Brutpflegever-haltens fanden im Rahmen dieser Ent-wicklung Verwendung als sozial freund-liches Verhalten, z.B. Kuß u. Schnäbeln und soziale Fell- und Gefiederpflege. (C) Beispiele f. wissenschaft-liche Fachge-biete mit Hin-weisen auf die Bezugsebenen: Atom-, Mole-kül-, Zell-, Ge-webs-, Organ-, Individuums-, Gruppen- Ge-sellschafts-ebene At, Mol: Biochemie, Ze, Gew, Org: Neurophysiologie, N.-biologie, Org, Ind: Neuroethologie, N.-psychologie, Neurologie, Verhaltensphysiologie, V.-genetik, V.-endokrinologie, V.-immunologie, Chrono- biologie, Psychosomatik, Psychiatrie, Ind, Gr: Humanethologie, Soziobiologie, Ver- haltensökologie, Psychologie, Pädagogik, Theo- rien der Psychotherapie, Urgeschichte, Ges: Sozio- u. Politologie, Rechts-, Wirtschafts-, Geistes-, Geschichts- u Kulturwissenschaften Org, Ind: Entwicklungs- neurologie, Neurobiologie, Ind, Gr: Humanethologie, Entwicklungspsychologie, Theorien der Psychotherapie Ind, Gr: Humanetho- logie, Verhaltensöko- logie, Sozioökologie. logie, Soziobiologie Ze, Gew, Org: Neurobiologie, Org, Ind: Neuroethologie, Ind, Gr: Humanethologie Die Projektion dieses Dias erfolgt, um den Aufbau der in Dia 5 angekündigten Tabelle zu verdeutlichen. Eine leserliche Projektion der einzelnen Textfelder erfolgt in den Dias (zur Grundfrage 1:) 9, 12, 13; (GF 2:) 14, 15; (GF 3:) 16; (GF 4:) 19, 20, 21. Durch die Zuordnung von wissenschaftlichen Fachgebieten (Absatz C) werden Zusammenhänge zwischen Spezial-gebieten verdeutlicht; zum Beispiel: Verhaltensökologie (Absatz C/3a) und Soziobiologie (Absatz C/3b) sind Spezialgebiete der Ethologie (und Ökoethologie und Sozioethologie gebräuchliche Synonyme). Durch Denkstil und Fragestellungen der Soziobiologie wird die selektive Wahrnehmung insbesondere auf Kosten-Nutzen-Analysen in Bezug auf das innerartliche Verhalten gerichtet (z.B. unter Berücksichtigung des Verwandtschaftsgrades) und damit dieser Aspekt präzisiert. Zweifellos tragen Spezialisierungen, aktuelle Wissenschaftstrends und wechselnde Denkstile zum wissenschaftlichen Fortschritt bei. Wenn aber bei Fachleuten einer von zwei wissenschaftlich konstruktiven Denkstilen dominiert (z.B. der der klassischen Ethologie oder der der Soziobiologie) dann werden mitunter die gut fundierten empirischen Ergebnisse und die Logik des weniger dominanten vernachlässigt; daraus kann die Verleugnung und Abwehr nützlichen Wissens resultieren. Der transfakultäre Orientierungsrahmen (Dia 4, Tab. 1 & 2) soll helfen, die kritische Distanz und den nötigen Überblick über unterschiedliche Fächer und ihre Inhalte zu wahren und die bestehenden transfakultären Integrationsbemühungen voranzutreiben: Dadurch eröffnen sich einzelnen Fächern und Schulen neue Such- und Diskussionsbereiche: (1.) Der Soziobiologie mehr stammesgeschichtliche und z.T. proximat-empirische Aspekte, (2.) der neurobiologisch und biochemisch fundierten Psychiatrie ein breiteres Biologieverständnis bzw. die Berücksichtigung auch von ultimaten Zusammenhängen (s.a.Tab.2: A/4): Dadurch lassen sich biologische Psychiatrie und Psychotherapie - unter Berücksichtigung der Bezugsebenen - auf eine gemeinsame Basis stellen (s. Notiz 5). (3.) Den ursprünglich geisteswissenschaftlich fundierten Sozialwissenschaften und der Psychotherapie erschließen sich ultimate Zusammenhänge und basale Bezugsebenen und (4. [nach Dia & Notiz 29]) Philosophie und Kulturwissenschaften mehr empirisch fundierte Daten und Theorien. (5.) Aus der Perspektive von Tab. 1 & 2 wäre es außerdem wünschenswert, wenn in der Zoologie auch heute noch Ebenen, wie Organ, Individuum und Gruppe in Lehre und Forschung mehr berücksichtigt werden ((6.) bez. Impact siehe Notiz 26). ______________________________________ Die Tabelle 2 ist primär als „hand out“ für die Humanethologie-Vorlesung in Innsbruck konzipiert worden, um den StudentInnen verschiedener Fakultäten die Zuordnung der Inhalte unterschiedlicher Denkansätze aus den verschiedenen Vorlesungen zu erleichtern. Inzwischen ist die Tabelle unter anderem in zwei Wissenschaftslexika erschienen: a) Lexikon der Biologie, Heidelberg 2000, Spektrum Verlag, Stichwörter „Ethologie“ (Band 5, Seite 210), und „interdisziplinär“ (Band 7, Seite 410) b) Lexikon der Neurowissenschaft, Heidelberg 2001, Spektrum Verlag, Stichwörter „Verhalten“ (Band 3, Seite 410), und „Interdisziplinarität“ (Bd 2, S 202) c) Fragen zur Geschlechterdifferenz, eine verhaltensbiologische Annäherung. Wiener Medizinische Wochenschrift 2000/10, Seiten ; Sonderdruck in: Eine frühere Version der tabellarischen Übersicht findet sich in: Medicus G., 1994: Humanethologische Aspekte der Aggression; Ein Beitrag zu den biologischen Grundlagen von Psychotherapie und Psychiatrie. In: Schöny W., Rittmannsberger H. & Guth Ch., Aggression im Umfeld psychischer Erkrankungen; Ursachen, Folgen, Behandlung; pp Linz: Edition pro mente. Sonderdruck in: Die rot gedruckten Fragen gelten mutatis mutandis für Biowissenschaften, Psychologie, Sozial- und Kulturwissenschaften (= „life sciences“). Die gezeigten Textfelder zu den 4 Grundfragen und den Absätzen A und B werden im folgenden in leserlicher Größe projiziert.

7 Biologie als Wissenschaft vom Leben (1)
Die Fragen nach der Ontogenese und den Funktionsabläufen werden als Fragen nach den unmittelbaren (proximaten) Zusammenhängen zusammengefaßt. Untersucht werden Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Die Fragen ähneln denen der Physik und Chemie (wenn man zunächst Aspekte des schichtspezifischen Novums und der biogenetischen Regel außer Acht läßt; s. Dia 17, 18 & 24). Physik und Chemie sind Grundlagen-disziplinen der (Verhaltens-) Biologie. (II) ZUR THEORIE DER GRUNDFRAGEN: ONTOGENESE (= individuelle Entwicklung vom Keim an), siehe Dia 16. FUNKTIONSABLÄUFE (= VERURSACHUNGEN, funktionelle Ursachen-Wirkungs-Beziehungen auf und zwischen den Ebenen), siehe Dia 19. Beide Grundfragen sind Gegenstand aller Humanwissenschaften. Zur Perspektiven- und Zirkularitätsproblematik in der Psychologie: Im Gegensatz zur unbelebten Natur und den meisten Bereichen der Biologie gibt es bei der Diskussion proximater psychologischer Zusammenhänge vielfach zwei unterschiedliche Perspektiven: Einerseits a) die „objektiv“ beschreibende von Verhaltensweisen; die Ergebnisse werden in der „3. Person“ „unpersönlich“ abgehandelt (z.B. durch Theorien der Ethologie, Neurobiologie und Psychologie) und andererseits b) das introspektive „subjektive“ Erleben des eigenen emotionellen Innenlebens aus der „1. Person-Perspektive“ oder „persönlichen Perspektive“. Die unmittelbare Wahrnehmung des eigenen Innenlebens ist eine Grundlage für das Einfühlungsvermögen in Andere (auch diese Zusammenhänge sind Gegenstand der Psychologie.) Man kann auch sich selbst gegenüber die beschreibende, „objektivierende“ Position einnehmen. Mit den Perspektiven wird das Leib-Seele-Problem tangiert: 3.-Person-Aspekte werden wie „Leibaspekte“, die der 1.-Person als seelische behandelt (Notiz 23). Die drei gängigen Aggressionstheorien als Beispiele für die Perspektiven und ihre Verschränkung: (Aspekte menschlicher Determination und Freiheit aus Sicht der Perspektivenproblematik: Notiz 28) ad a) „3.-Person-Perspektive“ (Aggressionsdefinition durch Aspekte der Behinderung/Schädigung des Kontrahenten): ● Instinkttheorie der Aggression; in der Ethologie incl. Lernphänomenen, letztere werden durch die ● Lerntheorie der Aggression beschrieben. (Beide Aspekte werden in der Ethologie durch Konzepte wie z.B. Instinkt-Dressur- und Instinkt-Kultur-Verschränkungen miteinander verbunden.) ad b) „1.-Person-Perspektive“ (sie wird am deutlichsten im Rahmen einer empathielosen emotionellen Einengung erlebt): ● Wut- und Frustrationsaspekt der Aggression; Wut und Frustration sind primär subjektive Wahrnehmungen (= 1.-Person-Perspektive). Diese emotionalen Erfahrungen können dann sekundär - im Rahmen von Empathie - auch Anderen zugeordnet oder in Theorien abgehandelt werden (= 2. und 3.-Personenperspektive). Das „subjektive“ Erleben ist zusätzlich zu den „objektiv“ beschreibenden wissenschaftlichen Zugängen eine wichtige und zweckmäßige Hilfe beim Erkenntnisgewinn1. Bereits bei der Selbstexploration der Menschenaffen (bzw. der Hominoiden) wird das „Subjekt“ zum Mittelpunkt der Neugier - ähnliches gilt für die Reflexion des Menschen. Der Denkprozess kann bei der Reflexion hinsichtlich Konsistenz/Logik und Affektlogik analysiert und kritisch hinterfragt werden. Das gilt für die Ebene des Individuums, aber nicht für alle Leistungen in den Ebenen „darunter“ (s.Notiz 27/Fußnote). __ ________________ ______________ 1 In der Psychotherapie sollte man z.B. im Falle von so genannten Auto-“Aggressionen“ nur dann von Aggression sprechen, wenn subjektiv auch Aggression im Spiel ist. - Bez. potentieller Risiken der Perspektiven siehe Zirkularität/Punkt 6 in Notiz 19 und 29.

8 Biologie als Wissenschaft vom Leben (2)
Die Fragen nach der Phylogenese und dem Anpassungswert von (Verhaltens-) Merkmalen werden in der Ethologie als Fragen nach den grundlegenden (ultimaten) Zusammenhängen bezeichnet und zusammengefaßt. 1) Zu PHYLOGENESE (Stammesgeschichte): Nach Darwin erfolgt der Artenwandel in der Stammesgeschichte durch Mutation und Selektion (‘variation’ & ‘natural selection’). Durch zufällige Mutationen entstehen neue Varianten (Mutanten); im Rahmen von ökologischen Grenzen fördert oder behindert die Selektion diese Mutanten über die Anzahl fortpflanzungsfähiger Nachkommen. Da viele Merkmale im Verlauf der Evolution erhalten bleiben, besteht jeder Organismus aus verschieden alten Merkmalen. Dies gilt für die Anatomie und für Leistungen des Verhaltens gleichermaßen (vergl. »biogenet. Regel«, Dia 17 & 18) Methodisch spielt bei der Frage nach phylogenetischen Erwerbungen der Artenvergleich eine zentrale Rolle (Vergleich von Tierarten und ‘Tier’-Mensch-Vergleich). In der Humanethologie sind auch kulturunabhängige Universalien aus dem Kulturenvergleich Hinweis auf die Möglichkeit einer phylogenetischen Erwerbung. Verhaltensweisen sind oft bei denjenigen Tieren, deren Nervensystem eine einfachere Struktur hat, klarer und leichter analysierbar. Auf dieser Grundlage sind dann Untersuchungen möglich, ob und in welcher Weise ähnliche Leistungsqualitäten bei höheren Organismen und beim Menschen vorhanden sind - und durch welche Leistungsqualitäten sich eine Tierart von einer anderen und der Mensch vom Tierreich abhebt. Diese Aspekte werden im Rahmen der Theorie von K. Lorenz »Die Rückseite des Spiegels« behandelt. Sie beziehen sich auf phylogenetische Zusammenhänge von Verhaltensleistungen in Bezug auf die Großsystematik. Lorenz zeigt, daß bei einzelnen Tiergruppen im Verlauf der stammesgeschichtlichen (verhaltensbiologischen) Höherentwicklung die Fähigkeiten und Möglichkeiten, Prognosen zu bilden, immer umfassender werden. - Auf der morphologischen Ebene ist Höherentwicklung mit einer zunehmenden Differenzierung verbunden. 2) Zu ANPASSUNGSWERT (betrifft Frage nach den Zwecken, nach dem Wozu; siehe Dia 14, 15): Die Anzahl der Nachkommen eines Individuums ist ein empirisches Maß für den Anpassungswert, ein phylogenetischer “Erfahrungswert”, wie “zweckvoll” die vererbten Merkmale sind (betrifft z.B. auch Lernprogramme etwa in dem Sinn: Warum führt Lernen fast immer zu einer Anpassungsverbesserung?). Dabei ist jedes Individuum ein Kompromiß zwischen innerartlichen und ökologischen Anpassungen. ad 1 und 2: Prinzipiell gilt es, die Frage nach den „bio-psycho-sozio-kulturellen“ Grundlagen zu stellen, die Denken, Fühlen und Handeln ermöglichen, beeinflussen und begrenzen, in welchen Verhaltensbereichen und in welchem Ausmaß der Mensch lernfähig ist und wie unsere biologischen Wurzeln der Formbarkeit durch die Umwelt einen Rahmen geben (vergl. Notiz 10: Wurzeln der Humanität). ________________ 1 Infolge der logischen Konsistenzen zwischen den Ergebnissen verschiedener Naturwissenschaften, die mit verschiedenen Denkstilen und unterschiedlichen Methoden arbeiten, wird heute in der Biologie und Psychologie hinsichtlich vieler Ergebnisse ein hoher Gewißheitsgrad erreicht (z.B. Dia 32/2.Punkt): Das betr. z.B. die Lehre von der Deszendenz, die durch die Paläontologie u. ihre Datierungen; die Populationsgeographie [fossiler u. rezenter Arten] unter Berücksichtigung der Geschichte der Kontinentaldrifts; die vergleichende Morphologie, Embryologie u. Verhaltensforschung; Physiologie; Genetik usw. gestützt wird. Diese Fragen sind kennzeichnend für die Biologie, weil es nur bei Lebewesen phylo-genetisch gewachsene Phänomene1 gibt: Funktionsprogramme, Baupläne & ihre Zwecke.

9 Phylogenetische Zusammenhänge
Beispiele für Frage-stellungen aus der Ethologie und ihrer Nachbar-disziplinen Warum sind strukturelle Zusammen-hänge stammesgeschichtlich "so und nicht anders" geworden? Konkret:  Welche Merkmale waren stammes-geschichtliche Vorbedingung welcher neuen Merkmale? Mit den Dias zu den Grundfragen (Dias Nr.: 9, 14, 15, 16, 19, 21) soll der heuristische Nutzen der Fragen verdeutlicht werden. [Strukturelle Zusammenhänge beziehen sich auf anatomische Merkmale und auf Verhaltensmerkmale (letztere sind sogenannte „Raum/Zeit-Strukturen“)]. In der Ethologie läßt sich der Aspekt des „so-und-nicht-anders-Seins“ eines Merkmals insbesondere beim Signalverhalten verdeutlichen (z.B. Mimik): Bei der Kommunikation gibt es weniger ökologische Zwänge, die Ähnlichkeiten erzeugen, als z.B. bei der Lokomotion oder beim Beutegreifen Morphologisches Bsp.: Das „so-und-nicht-anders-Sein“ des Extremitätenskeletts von Tetrapoda läßt sich nicht durch den Anpassungswert od. eine andere Grundfrage, sondern nur durch die Rekonstruktion seiner Phylogenese verstehen. Trotz unterschiedlicher Funktionen (z.B. Walbrustflosse, Fledermausflügel, Bein des Maulwurf, Menschenhand) bestehen große, durch eine gemeinsame Herkunft bedingte Ähnlichkeiten im Skelett (z.B. 1 Knochen im Oberarm, 2 im Unterarm, 5 in Hand). Noch komplexer und auch da nur phylogenetisch erklärbar sind die Zusammenhänge zwischen primärem und sekundärem Kiefergelenk und dem Hammer-Amboß-Gelenk oder bei der Frage, warum bei Wirbeltieren (im Gegensatz zu Kopffüßern) der „Film“ (bzw. die Netzhaut) im Auge „verkehrt“ eingelegt ist. Zur Naturgeschichte von Abstammungs- und Funktionsähnlichkeiten: Abstammungsähnlichkeit: Ähnliche Merkmale, die einen gemeinsamen (phylo-) genetischen Ursprung haben, werden als homolog bezeichnet; sie bleiben z.T. trotz Funktionswandels bestehen; bei Menschenaffen und Menschen und einigen anderen Primaten sind z.B. viele mimische Ausdrucksformen sowie die soziale Fell- und Hautpflege homolog. “Homologieschlüsse”: 1. Auf Grund der Anzahl von Abstammungsähnlichkeiten und ihrer hierarchischen Ordnung (nach Linné) lassen sich unterschiedliche phylogenetische Verwandtschaftsgrade feststellen und Stammbäume erstellen. 2. Vielfach kann das “so-und-nicht-anders-Sein” von Merkmalen der Anatomie und des Verhaltens nicht durch funktionelle Zwänge erklärt werden, sondern erfährt durch Einsicht in phylogenetische Vorbedingungen eine Deutung (beim Verhalten insbesondere bei der nonverbalen Kommunikation/Mimik). Funktionsähnlichkeit: Kommt es durch konvergente Entwicklungen zu ähnlichen “Lösungen” als Anpassung an bestimmte Umweltbedingungen, so spricht man von einer analogen Entwicklung oder Analogie; z.B. entwickelte sich bei Säugetieren und Vögeln unabhängig voneinander die Brutpflege; ihr gemeinsamer Vorfahre, ein Reptil, zeigte vermutlich noch kein Brutpflegeverhalten, das Vorbedingung ihrer Brutpflege war. “Analogieschlüsse”: Analogien sind ein Hinweis auf: 1. Gesetzmäßigkeiten beim Anpassungswert und 2. Gesetzmäßigkeiten bei der Abfolge von stammesgeschichtlichen Vorbedingungen (z.B. Brutpflege ist bei Säugetieren und Vögeln analog entstanden; auch Kuß & Schnäbeln sind analoge Entwicklungen, beide hatten Brutpflege als Vorbedingung).

10 Warum zeigen Tupajas ihre „Zuneigung“ so und nicht anders?
Junge Tupajas lecken den Speichel der Mutter, möglicherweise um da-durch (vor dem „Ein-schießen“ der Milch) Nahrung oder / und Immunglobuline aufzu-nehmen (D.v. Holst). Dieses Speichellecken könnte eine evolutionsbio-logische Vorbedingung des Bindungsverhaltens adulter Paare gewesen sein. (=Brutpflege Vorbedingung von Bindung, reziprokem Altruismus [z.B. grooming]) und beim Menschen Liebe.) © Fotos: Dietrich von Holst, Universität Bayreuth. Vergl. Dia 6, Absatz B, Spalte 4: „Die Brutpflege und das Eltern-Kind-Band früher Säugetiervorfahren waren Vorbedingungen für die Evolution von [Liebe,] sozialen Bindungen und freundlichen Verhaltensweisen. Elemente des Brutpflegeverhaltens fanden im Rahmen dieser Entwicklung Verwendung als sozial freundliches Verhalten, z.B. Kuß u. Schnäbeln und soziale Fell- und Gefiederpflege.“ „Harmonische “ Tupaja-Paare küssen sich (unter Bedingungen der menschlichen Obhut) bis zu 40 Minuten täglich. Es ist unklar ob dieser „Kuß“ und der Kuß anderer Primaten homolog oder analog sind. TUPAJAS = Spitzhörnchen, sie leben in SO-Asien; sie gelten zum Teil als ältester Ast der Primaten: sie haben z.B. die für Primaten typische Ohrmuschel. IMMUNGLOBULINE = körpereigene Abwehrstoffe gegen körperfremde Eiweißstoffe, z.B. gegen Krankheitserreger; ADULT = ausgewachsen / erwachsen; GROOMING = soziale Fellpflege, beim Menschen soziale Haar- und Hautpflege; diffamierender umgangssprachlicher Begriff: „lausen“ Brutpflege war eine Vorbedingung für die Phylogenese von Sozialverhalten bis hin zu den Voraussetzungen dafür, Menschlichkeit kultivieren zu können: Humanität, [lat humanitas = Menschlichkeit] Menschenwürde, Menschenrechte, edles Menschentum, Menschenliebe; Verständnis und Verantwortung für die persönliche Freiheit sowie für die soziale und politische Gemeinschaft; Toleranz unabhängig von Rasse, Ethnie, Bildung, Rang, Status, Herkunft, Weltanschauung, Lebensstil, Alter, Geschlecht und Behinderung1. Als Grundlage für die Entfaltung der Menschlichkeit wird in allen Hochkulturen die Bildung des Geistes betrachtet, um "instinktive, tierliche" Leidenschaften besser zu beherrschen. Die Kontrolle von Sexualität und Aggression steht dabei im Vordergrund. Sie werden als "lasterhaft und böse" bewertet, bekämpft und verdrängt, indem mitunter ihre biologischen Wurzeln geleugnet werden. Die evolutionsbiologischen Wurzeln der Humanitas werden dabei leicht übersehen. Sie sind bereits bei frühen Säugetiervorfahren: Brutpflege; später dann bei unseren Primatenvorfahren: Sozialverhalten, reziproker Altruismus, attraktives Verhalten, Internalisation, das Gefühl der Verpflichtung [=hypothetisch], wenn einem eine altruistische Handlung zugute gekommen ist; bereits bei frühen Hominoidenvorfahren: die Fähigkeit zur Selbstexploration, Empathie und Perspektivenübernahme (Notiz 13) und schließlich beim Menschen Wort-Sprache, Reflexion und verantwortliche Moral. Mit Hilfe der Wortsprache können auf der Grundlage der Perspektivenübernahme Regeln für gut und böse formuliert und tradiert werden und damit "gute" sozial attraktive und altruistische Einstellungen und Verhaltensweisen kulturell gefördert werden (Instinkt-Kultur-Verschränkung: s. Notiz 20; Ethik: s.Notiz 35). Der Mensch kann Problembereiche seiner Natur erkennen (s.Notiz 20) und durch persönliche Entscheidungen, sowie mit Hilfe der Kultur und durch pädagogische und politische Maßnahmen gegensteuern. Das sind Prozesse, die auf der Bildung des Geistes beruhen. ________________________________ 1 Der Großteil der Bsp. läßt sich unter dem ethischen Prinzip, niemandem etwas vorzuwerfen, für das er nichts kann, zusammenfassen. Stichwort Humanität nach Lexikon d.Biologie/Heidelberg/Spektrum Akademischer Verl.; s.a.: Warum zeigen Tupajas ihre „Zuneigung“ so und nicht anders?

11 Phylogenese • Durch reine Verhaltensbeobachtung können stammesgeschichtliche Zusammenhänge meist nur in Bezug auf kleinere taxonomische Einheiten festgestellt werden: das betrifft z.B. Ordnungen, Familien und Gattungen. • Die Verhaltensphylogenese in Bezug auf die Großsystematik bleibt hypothetisch. Großsystematik ist die Einteilung von Organismen in z.B. Reiche, Abteilungen, Stämme, Klassen und Ordnungen. Die Begriffe taxonomisch1, Ordnung, Familie, Gattung und Großsystematik beziehen sich auf die stammesgeschichtliche Systematik der Lebewesen (bzw. auf den Stammbaum) Beispiele zum ersten Punkt in: 1: Konrad Lorenz (1941) Vergleichende Bewegungsstudien an Anatiden [Enten]. Wiederabdruck in Lorenz (1965), „Über tierisches und menschliches Verhalten, aus dem Werdegang der Verhaltensforschung“ Gesammelte Abhandlungen, Band 2): Über tierisches und menschliches Verhalten, München Piper-paperback, pp 2: J.A.R.A.M. van Hooff (1971): Zur Phylogenese des menschlichen Lachens: Zeichnung vom holländischen Primatologen J.A.R.A.M. van Hooff (1971): Aspecten van Het Sociale Gedrag En De Communicatie Bij Humane En Hogere Niet-Humane Primaten. Rotterdam Bronder-Offset n.v. Wiederabdruck der Zeichnungen von van Hooff in: I. Eibl-Eibesfeldt (1999): Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung. München, Piper Methodisch theoretische Konzepte zur phylogenetischen Forschung: Artenvergleich2: grundlegende Methode der biologischen Forschung. Im Artenvergleich wird untersucht, ob und in welcher Weise ähnliche Merkmale bei verschiedenen Organismen und beim Menschen vorhanden sind und durch welche Leistungsqualitäten sich eine Tier-Art von anderen und der Mensch vom Tierreich abhebt. Aus der Untersuchung von Ähnlichkeitsmerkmalen von Pflanzen- und Tierarten ermöglicht der Artenvergleich unter anderem, Einzelheiten im Ablauf der Stammesgeschichte zu rekonstruieren1. Wenn im Artenvergleich Ähnlichkeiten beim Körperbau oder beim Verhalten gefunden werden, so sind diese entweder als abstammungsbedingte (Homologie) oder als funktionsbedingte (Analogie) Ähnlichkeiten interpretierbar. Je nach der Entstehungsursache der Ähnlichkeiten sind unterschiedliche Schlüsse3 möglich. (nach: „Lexikon der Biologie“, Spektrum Akademischer Verlag) Zum Tier-Mensch-Vergleich: Aus wissenschaftlicher Sicht darf man weder Verhaltensweisen, die beim Tier beobachtet wurden, auf den Menschen übertragen, noch von einer Tierart auf eine andere (selbst im Falle zweier nahe miteinander verwandter Arten) schließen. Verhaltensbeobachtungen z.B. an Menschenaffen dürfen lediglich als Anregung bzw. Arbeits-Hypothesen für eigene Untersuchungen am Menschen herangezogen werden. Hinsichtlich verhaltensbiologischer und biopsychischer Merkmale gibt es in fast jedem Verhaltensbereich Besonderheiten, welche die Sonderstellungen des Menschen begründen. Im Gegensatz dazu sind Merkmale, die wir umgangssprachlich als „menschlich“ zu entschuldigen geneigt sind, meist jene, die wir mit vielen Tieren gemeinsam haben. (nach: „Lexikon der Biologie“, Spektrum Akademischer Verlag) ___________________________________ 1 Im Rahmen der Taxonomie wird versucht, evolutionäre Verwandtschaften zu rekonstruieren. Dabei werden z.B. morphologische, chemische / genetische und Verhaltensmerkmale, insbesondere die der innerartlichen Kommunikation [bzw. Ausdrucksverhalten/Mimik], genutzt. 2 Der Arten- und Tier-Mensch-Vergleich ist in der physiologischen und in der Pharmaforschung fest etabliert (also auf der chemischen, zellulären und Organebene) ohne daß dabei die phylogenetischen Hintergründe für die Vergleichbarkeit (bzw. für die physiologischen Abstammungsähnlichkeiten) explizit ausgeführt werden müßten. - Der Artenvergleich auf den Ebenen der Individuen und Gruppen ist Gegenstand der Humanethologie. 3 Erläuterung von Homologie- und Analogieschlüssen in Notiz 9.

12 Phylogenetische Zusammenhänge
Verhaltens-beispiele In Bezug auf die Großsystematik gibt es Hypothesen zu: Kognitiven Aspekten, sowie Freiheitsgraden in Abhängigkeit von der Höherentwicklung (Lorenz, Medicus) • evol. Erkenntnistheorie, • Kulturtheorie 2. Geschlechterdifferenz (Medicus & Hopf) 3. Umgang mit Ressourcen und Besitz (Hammerstein, Kummer, Medicus) 4. Wurzeln der Humanität und Moralfähigkeit (Darwin, Bischof, Eibl-Eibesfeldt, Medicus) Diskussionsbeiträge zur Verhaltensphylogenese in Bezug auf die Großsystematik der Lebewesen: Bsp. 1: Wird das Sexualverhalten vom Menschen mit dem einer bestimmten Fisch-/Vogelart, Pinselohräffchen oder Schimpansen verglichen, dann gilt es, die Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Spezies (auch hinsichtlich Homologien und Analogien) zu kennen. Unterschiede und Sonderstellungen sind z.B. relevant hinsichtlich Lernvermögen, kognitiven Leistungen und Detailaspekten des Sexualverhaltens. Sonderdruck in: Bsp. 2: Brutpflege, die auf der Verhaltensebene für den/die Elter/n immer einseitig altruistisch ist1, war eine stammesgeschichtliche Vorbedingung sozial freundlicher Verhaltensweisen, sowie des reziproken Altruismus zwischen Adulten [= im Sinne von gegenseitiger „Hilfsbereitschaft“ auf „instinktiver“ Basis]; es gibt kein freundliches Verhalten und keinen reziproken Altruismus bei Tierarten, die kein Brutpflegeverhalten zeigen oder (um der zoologischen Vielfalt gerecht zu werden) in der Stammesgeschichte gezeigt haben (z.B. Kuckuck). Sklavenhalterameisen beispielsweise betreiben (fast) keine Brutpflege; eine stammesgeschichtliche Vorbedingung ihrer Reziprozitäten innerhalb ihrer sozialen Zusammenschlüsse (bzw. innerhalb ihrer Staaten) war die Brutpflege ihrer Vorfahren]. Bsp. 3 (zu den Punkten 1, 3 und 4 des Dias): Zur Reziprozität (z.B. von reziprokem Altruismus) bei Affen, Menschenaffen, Mensch: Bei Tieraffen „funktioniert“ Reziprozität wahrscheinlich überwiegend „instinktiv“; Menschenaffen können bereits das emotionale Innenleben von Artgenossen einschätzen (= Empathie: Menschenaffen sind zu altruistischen Handlungen fähig, sie können die emotionelle Not von Artgenossen erkennen und lindern: Jane Goodall beobachtete eine erwachsene Schimpansendame, die ihrer lebensgefährlich verletzten Mutter Futter brachte [das Füttern der eigenen Jungen erfolgt z.B. bei Vögeln instinktiv und nicht im Sinne einer empathischen altruistischen Handlung]). Menschen können über Gerechtigkeit diskutieren und reflektieren und dabei z.B. zwischen Gesichtspunkten der betroffenen Individuen und Gruppenaspekten unterscheiden. Beim Verhalten von Katzen und Hunden wird beispielsweise immer wieder angenommen, daß sie ihren menschlichen Betreuern etwas absichtlich zuleide tun. Ihr Altruismus ist aber „instinktiv“ gesteuert (z.B. ihren Jungtieren gegenüber, oder als Verhaltensweisen der gegenseitigen Fellpflege zwischen „befreundeten“ Adulten); sie haben noch keine Vorstellung (und keine Empathie) über das emotionale Innenleben ihrer Artgenossen oder Betreuer und können ihnen deshalb auch nicht „absichtlich“ Leid und Schaden zufügen; Schimpansen sind dazu sehr wohl fähig. ___________________________________ 1 kann auf der subjektiven Ebene, infolge stammesgeschichtlicher Anpassungen, auch für die Eltern als belohnend erlebt werden. Auf der Ebene des Individuums und der Gruppe gilt es bei der (Arten-) vergleichenden Untersuchung von Verhaltensleistungen - unter Berück-sichtigung von Aspekten der Höherentwicklung - die Verschränkungen zwischen stammesgeschichtlich unterschiedlich alten Leistungen nicht außer Acht zu lassen. Die Rekonstruktion der Verhaltensphylogenese in Bezug auf die Großsystematik bietet hier eine Orientierungshilfe.

13 Phylogenetische Zusammenhänge
Verhaltens-beispiel • Reziproker Altruismus (auf „in-stinktiver“ Basis*) kommt wahr-scheinlich nur bei Arten vor, die Brutpflege (= einseitiger Altruismus) zeigen oder deren Vorfahren in der Phylogenese Brutpflege getrieben haben. [*Altruismus infolge Empathie gibt es bei Menschenaffen und Menschen - siehe Notizenseite] Aus dem einseitigen Altruismus brutpflegender Eltern wurde im Rahmen der Evolution sozialer Bindungen und Zusammenschlüsse höchst wahrscheinlich der reziproke Altruismus zwischen Adulten einer sozialen Gruppe. Soziale Gruppen können (nach Eibl-Eibesfeldt) als stammesgeschichtlich erweiterte Familien gesehen werden. Zur Evolution kognitiver Aspekte des Altruismus: Mit der phylogenetischen Entwicklung sozialer Gruppen entstehen viele neue soziale Antriebe und Hemmungen im Spannungsfeld von Eigennutz und Altruismus. Diese vielen zum Teil antagonistischen Alternativen erfordern eine Entscheidungshilfe, damit die beteiligten Individuen zwischen verschieden vorteilhaften sozialen Lösungen entscheiden können. Unter diesem Druck kommt es in der Evolution einzelner Tiergruppen zur Entwicklung eines zunächst prärationalen Entscheidungsmechanismus, der damit auch die Grundlage für den menschlichen Freiheits- und Entscheidungsspielraum ist (soziale Funktionen des Intellekts; Humphrey, 1983). Ganz offensichtlich zeigt sich diese Tendenz bei höheren Primaten, die sich wegen ihres ‘Intellekts’ nicht immer entsprechend ihrer momentanen Motivation verhalten müssen oder können. Mit der Entfaltung der sozialen Funktionen des ‘Intellekts’ entstand bei Menschenaffen schließlich die Fähigkeit zur Empathie1 [betr. Stimmungen, Emotionen] und zur Perspektivenübernahme2 [betr. Vorstellungswelt, Planhandlungen]. Mit Hilfe von Empathie kann mit Absicht entweder altruistisch und freundlich oder rivalisierend und verletzend gehandelt werden. Damit ist nach Doris Bischof-Köhler eine evolutionäre Vorbedingung für das Vermögen des Menschen zwischen "gut" und "böse" unterscheiden zu können, in die Welt gekommen (Bischof-Köhler D Spiegelbild und Empathie. Die Anfänge der sozialen Kognition. Bern Hans Huber). Auch die Fähigkeit Hypothesen zu bilden darüber, was andere wissen (Emphronesis oder “theory of mind”3; betr. Hypothesen über den Wissensstand anderer), ist dem Menschen vorbehalten. ______________ 1 Siehe Bsp. von der verletzten Schimpansenmutter, die von ihrer adulten Tochter gefüttert wurde (umgekehrt wäre es „instinktiv“; s. Notiz 12). 2 Z.B. Kooperation zwischen zwei Individuen, die beidseitige Einsicht erfordert: Damit ein Schimpanse im Zoo von Arnhem einen Elektrozaun überwinden kann (um sich und die Gruppe mit Laub zu versorgen) hält ihm ein anderer einen Kletterbaum. Selbstexploration und Empathiefähigkeit reifen beim Kind im Alter von ca 18 bis 22 Monaten. 3 Kinder können ab ca 4. Jahren z.B. erkennen, daß Menschen auf Grund unterschiedlicher Erfahrungen andere Vorstellungen und Erwartungen haben können.

14 Anpassungswert a: ökologisch  b: innerartlich
Beispiele für Fragestellungen aus der Ethologie und ihrer Nach-bardisziplinen Wozu sind die einzelnen Leistungen der Wahr-nehmung, des subjektiven Innenlebens, des Lernens und des Verhaltens da? Beispielsweise: Was sind die Kosten, was ist der Nutzen einer V e r h a l t e n s w e i s e e t w a  hinsichtlich Energie  in Abhängigkeit von aufnahme und Verbrauch? Verwandtschaftsgrad und (Physik & Chemie Leitdisz.)  sozialer Attraktivität? ad a) ÖKOLOGISCH: ● Zur Wissenschaftsgeschichte des Beispiels zur Energiebilanz: Vertreter des Vitalismus haben außernatürliche Lebenskräfte postuliert. Mit der Erkenntnis, daß das „Gesetz der Erhaltung von Masse und Energie“ (2. Hauptsatz der Wärmelehre) auch für lebende Organismen gilt, wurde der Vitalismus vor etwa 100 Jahren überwunden. Die Energiebilanz eines Organismus muß positiv sein, weil es keine außernatürlichen Lebenskräfte gibt. Es besteht gemäß dem zweiten Hauptsatz der Wärmelehre ein Zusammenhang zwischen Ordnung und Energie. (Es gibt keinen Quotienten, durch den Energie und Ordnung zueinander in eine exakte mathematische Beziehung gesetzt werden könnte.) Alle Organismen „fressen“ mehr Energie (Nahrung / Ordnung = negative Entropie1) als sie im Leben aufbauen. Energielieferant für den Aufbau von Ordnung in lebenden Organismen ist die Sonne (über pflanzliche Photoassimilisation). Die Erkenntnis, daß die Gesetze der Physik und Chemie auch für Organismen gelten, war u.a. dafür ausschlaggebend, daß lange Zeit Physik und Chemie als Leitdisziplinen der Bio- und Humanwissenschaften betrachtet worden sind. ● Umwelt der evolutionären Angepaßtheit (Environment of Evolutionary Adaptedness, EEA; betr. ökologische und innerartliche Aspekte): Durch die Analyse der Umwelt- und Lebensbedingungen von Populationen, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. unter steinzeitlichen Verhältnissen gelebt haben, läßt sich zeigen, daß der Mensch an diese Bedingungen in mancher Hinsicht besser angepaßt ist, als an das Leben in der Industriegesellschaft. Evolutionsmedizin und Evolutionäre Psychologie versuchen mit Hilfe solcher Vergleiche zu erklären, daß "Zivilisationskrankheiten" die Folge von durch den Menschen veränderten Umweltbedingungen sind. So wurde z.B. festgestellt, daß arteriosklerotisch bedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck vor allem durch eine hyperkalorische Ernährung und eine "Fehlbelastung" der Streßsysteme mitverursacht wird. Bestimmte Krankheiten und Störungen gibt es bei traditionalen Kulturen (sog. “Naturvölkern“) entweder gar nicht oder nur seltener als in der Industriegesellschaft, z.B.: zu früh einsetzende Pubertät, oder hyperkinetische Syndrome bei Kindern2. Die direkte Folge ärztlicher Entscheidungen und Eingriffe sind z.B. Kaiserschnittraten von bis zu 40% in manchen Kliniken, die aus evolutionsbiologischer Sicht in diesem Prozentsatz nicht notwendig sind. ● Der Begriff Arterhaltung hat zwei Bedeutungen: 1) ein überholtes Konzept der Evolutionsbiologie, das bis in die zweite Hälfte des 20. Jh verwendet wurde: Man nahm an, daß viele biologische Merkmale der Arterhaltung dienen. Heute weiß man, daß die Selektion nicht an der Art, sondern am Individuum ansetzt: stammesgeschichtlich betrachtet, wird ein Individuum (bzw. eine Mutante) über die Anzahl fortpflanzungsfähiger Nachkommen gefördert oder behindert. 2) Erhaltung bedrohter Arten durch Artenschutz. (nach: „Lexikon der Biologie“, Spektrum Akademischer Verlag) ● Öko- und Organkapazität (vergl. ökologische Grenzen / Notiz 8): Die allermeisten Arten sind weit davon entfernt ihre ökologische Nische überzustrapazieren, darüber hinaus sind die meisten Organe leistungsfähiger - mitunter doppelt so groß - angelegt als zum Überleben nötig. ______________ 1 Entropie kann im Rahmen dieser Argumentation als der wahrscheinlichste Zustand - der mit der größten Unordnung - gesehen werden; das Gegenteil davon wäre Ordnung bzw. negative Entropie. 2 Wenn ADHS die Folge einer psychomotorischen Unter- [oder schulischen / sozialen Über-] forderung bzw. einer „nicht artgerechten Haltung“ etwa in der Vorschulzeit und Schule ist, dann ist ADHS eine Aufgabe für Kinderschutzkonventionen und nicht für die Pharmakologie. ______________ Für jene, die einen Schwarz-Weiß-Ausdruck vor sich haben: Die Dias 14 und 15 unterscheiden sich durch die Farbe der Schriftblöcke in den Spalten „a“ und „b“.

15 Anpassungswert a: ökologisch  b: innerartlich
Beispiele für Fragestellungen aus der Ethologie und ihrer Nach-bardisziplinen Wozu sind die einzelnen Leistungen der Wahr-nehmung, des subjektiven Innenlebens, des Lernens und des Verhaltens da? Beispielsweise: Was sind die Kosten, was ist der Nutzen einer V e r h a l t e n s w e i s e e t w a  hinsichtlich Energie  in Abhängigkeit von aufnahme und Verbrauch? Verwandtschaftsgrad und (Physik & Chemie Leitdisz.)  sozialer Attraktivität? ad b) INNERARTLICH: ● Zur Wissenschaftsgeschichte: Die biomathematische Kosten-Nutzen-Analyse einer altruistischen Handlung in Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad geht auf Hamilton [Hamilton-Regel; 1964] zurück: Der genetische Nutzen (= Ausbreitungswahrscheinlichkeit der eigenen Gene) errechnet sich aus Aufwand (=Kosten) multipliziert mit dem Verwandtschaftsgrad. So konnte z.B. Brutpflege entstehen. Der elterliche Altruismus im Rahmen der Brutpflege ist ein einseitiger (siehe Fußnote Dia 12). Brutpflege war eine stammesgeschichtliche Vorbedingung der Evolution von sozialen Zusammenschlüssen mit reziprok altruistischem Verhalten. („Instinktiver“ Altruismus zwischen Adulten ist [wie Trivers erkannte] nur dann evolutionsstabil, wenn er auf Reziprozität beruht [„reziproker Altruismus“ = nach Ernst Mayr gegenseitige Hilfsbereitschaft]). Die Hamilton-Regel ist auch bei der Evolution sozialer Zusammenschlüsse von Relevanz: Soziale Gruppen (deren Individuen sich als zur Gruppe gehörig erkennen) können als stammesgeschichtlich erweiterte Familie gesehen werden (Eibl-Eibesfeldt): In sozialen Gruppen sind die adulten Mitglieder - eines Geschlechts - miteinander meist verwandt; allein aus dieser Tatsache lassen sich (unter bestimmten ökologischen Gegebenheiten) Vorteile des Gruppenlebens bei sozialen Primatengruppen, inklusive menschlicher Stammeskulturen ableiten (Vorteile: z.B. Abwehr von Beutegreifern, reziproke Hilfsbereitschaft, Brutpflegehilfe). Robert Frank [1988] hat erkannt, daß Verhaltensbereitschaften von Angehörigen sozialer Arten auch ein Selektionsprodukt bezüglich sozialer Attraktivität sind (z.B. Wurzeln der Humanität, s. Notiz 10): Personen zum Beispiel, die streng nach der Hamilton-Regel oder/und nach der Reziprozitätsregel von Trivers leben, sind sozial unattraktiv und werden als Koalitionspartner gemieden und erhalten weniger Hilfe. Dies relativiert diese Regeln. Gültig bleibt, daß wir, statistisch gesehen, Verwandten gegenüber kooperationsbereiter sind als Nichtverwandten. Literatur (*historische Meilensteine): * Charles Darwin 1871: The Descent of Man and Selection in Relation to Sex (2Vol.) Murray, London * William Hamilton 1964: The genetical evolution of social behavior. Journal of Theoretical Biology 7: pp 1-52 * Robert Trivers 1971: The Evolution of Reciprocal Altruism. Rev. Biol., 46, * Robert Frank 1988: Passions within Reason, the Strategic Role of the Emotions. Norton, New York . Matt Ridley (1997): The Origins of Virtue, Human Instincts and the Evolution of Cooperation. Viking Penguin, New York . Frans de Waal (1996): Good Natured. Cambridge Mass., Havard Univ. Press. Wolfgang Wickler, Uta Seibt (1977, Neuausgabe 1991): Das Prinzip Eigennutz. München Piper ● Bsp.: Extremorgan [Synonyme: Extrementwicklung, Hypermorphose, atelische Bildungen]: extreme Ausprägung eines Merkmals oder Organs im Vergleich zu Vorfahren und zu nah verwandten Arten, z.B. Giraffenhals, Narwalzahn, Walratkissen des Pottwal. Der Begriff Extremorgan ist unscharf und wenig gebräuchlich. Einige Autoren verwenden den Terminus gelegentlich für besonders auffällige innerartliche Anpassungen. Diese mitunter besonders ausgeprägten Merkmale können sich als ökologisch nachteilig erweisen, z.B. Federn der Paradiesvögel, Pfauenrad, Hirschgeweih1 (nach Lexikon der Biologie, Spektrum-Verlag). Infolge der hohen Kosten einzelner Extremorgane handelt es sich zum Teil um „ehrliche [fälschungssichere] Signale“, etwa hinsichtlich der fitness, die im allgemeinen bei der sexuellen Selektion im Rahmen der Balz wichtig ist (z.B. Pfauenrad). Wenn Extremorgane die Folge sexueller Selektion sind, dann werden sie zumeist von dem Geschlecht ausgebildet, das den höheren Konkurrenzdruck ums andere hat. ______________ in gewissem Sinn gilt das auch für den menschlichen Intellekt: Er ist (evolutionär gesehen) primär das Produkt innerartlicher Selektion („soziale Funktionen des Intellekt“ bei höheren Primaten). Da der Intellekt vom Menschen benutzt wird um Bedürfnisse rasch und optimal zu befriedigen, entstehen Kollateralschäden, die die Erde bedrohen. Infolge der Umweltproblematik (z.B. globale Erwärmung) kann er sich eines Tages als ökologisch nachteilig erweisen.

16 ontogenetische Zusammenhänge
Fragestellung Was bewirken (a) wann / welche inneren Programmschritte und (b) wann / welche Umwelteinflüsse? Verhaltens-beispiele  ad (a) z.B.: Bedeutung des Alters beim Einsetzen der Pubertät.  ad (b) z.B.: Bedeutung des Alters und der Art des Partners bei den ersten sexuellen Erfahrungen. Die Ontogenese folgt einem „inneren Plan“ mit Phasen spezifischer Neuroplastizitäten und lernsensiblen Phasen; Bsp.: (1.) ad a: Eine zu früh einsetzende Pubertät (= pubertas praecox), kann für die Persönlichkeitsentwicklung nachteilig sein - je früher umso schwerwiegender die Folgen. (2.) ad a und b; zur Bindungsnotwendigkeit von Kleinkindern sowie Bindebereitschaft der Eltern und „Allomütter“: In der frühen Kindheit kann der Verlust der (Adoptions-, Pflege-) Eltern die Ursache von Bindungstraumen sein (mit einer mitunter erhöhten Depressionsneigung im Erwachsenenalter od/u abhängigen Persönlichkeitsstörung od/u Alkoholkrankheit). (3.) ad b: Sexueller Mißbrauch im Kindesalter kann psychische Störungen im Erwachsenenalter zur Folge haben. (4.) Bsp. Inzesthemmung: Kinder entwickeln postpubertär den Personen gegenüber eine erotische Aversion, die sie in den ersten 5 oder 6 Lebensjahren gut gekannt haben. Infolge von sexuellem Mißbrauch in der Kindheit und der postpubertär sich entwickelnden Aversion können sich schwerste - den Reifungsprozess beeinträchtigende - emotionelle Inkompatibilitäten und Distanzregulationsstörungen im Erwachsenenalter bzw. posttraumatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen ergeben; man spricht dann von einem so genannten Inzesttrauma. Aus psychiatrisch/psychotherapeutischer Sicht gibt es beim Opfer kein einheitliches Mißbrauchssyndrom. Es gibt keinen empirisch gesicherten Hinweis dafür, daß Kinder von sich aus im „ödipalen Alter“ einen Elternteil sexuell begehren. [Sigmund Freuds Ödipushypothese ist angeblich auf öffentlichen Druck hin, nach der Devise, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf“, zustande gekommen. Er hat die häufigen Erzählungen seiner Patientinnen über sexuellen Missbrauch durch den Vater mit zunehmender Skepsis gesehen und den „angesehenen“ pädophilen Täter-Vätern, die den sexuellen Mißbrauch ihrer Töchter „überzeugend“ bestritten haben, sukzessive mehr Glauben geschenkt als seinen Patientinnen bzw. den inzestuös mißbrauchten Opfer-Töchtern, deren Erinnerungen und Schilderungen er so letztendlich als kindliche Wunschphantasien interpretiert hat.] Lit.: z.B. Norbert Bischof (1985): Das Rätsel Ödipus. Die biologischen Wurzeln des Urkonfliktes von Intimität und Autonomie. München Piper (5.) Bsp.: Lernen spielt mit der phylogenetischen Höherentwicklung eine immer größere Rolle. Dadurch werden Kindheit und Adoleszenz immer länger (ein höheres Lebensalter der Großeltern (z.B. als “Allomütter”) ist für Eltern und Enkelkinder vorteilhaft, od./u. mit dem Bedeutungszuwachs von verbal tradiertem Wissen nützlich.) Der akzentfreie Erwerb einer Zweit- oder Dritt-Sprache ist nur bis zur Pubertät möglich. Die Vielzahl an angeborenen (z.T. synergistischen und z.T. antagonistischen) Motiven, die für soziale Primaten charakteristisch ist, kann nur durch Lernen und vor allem bei höheren Primaten durch Entscheidungen im Rahmen der Reifung intellektueller Leistungen konsistent und zweckvoll abgestimmt werden.

17 Gibt es Hinweise auf „veraltete“ Verhaltensmuster als Innenanpassung?
Die „biogenetische Regel“ hat aus folgenden Gründen keine Relevanz für die Verhaltensontogenese: 1. Argument: Die morphologische Ontogenese wieder-holt z.T. „veraltete“ Merkmale der Phylogenese meist nicht wegen ihrer ursprünglichen Außenanpassung1, sondern wegen ihrer stammesgeschichtlich neueren Induktionsfunktion2 während der Embryogenese (Innenanpassung3). Bsp.: Kiemenbögen. Gibt es Hinweise auf „veraltete“ Verhaltensmuster als Innenanpassung? Welchen Zweck sollen sie erfüllen? Entsprechend der biogenetischen Regel werden während der Embryogenese morphologische Merkmale aus der Phylogenese rekapituliert. Stammesgeschichtlich ältere Merkmale bilden sich während der Embryogenese im allgemeinen früher aus als jüngere. Wie E.Haeckel gezeigt hat, ähneln sich deshalb in einem frühen Embryonalstadium die meisten Wirbeltiere, in späteren Stadien z.B. noch die Embryonen der meisten vierbeinigen Wirbeltiere, später die der Säugetiere und noch später die der Affen. Die Ausführungen von Haeckel basieren auf der von Baer’schen Regel der Embryonenähnlichkeit. Karl E. von Baer hat 1828 auf der Grundlage von Linné‘s „Systema naturae“ geschrieben: „... da∫s das Gemeinsame einer grö∫sern Thiergruppe sich früher im Embryo bildet, als das Besondere.“ Linné und von Baer lehnten stammesgeschichtliche Interpretationsversuche ab. begriffliche Voraussetzungen für die Diskussion der Frage: Metaphän4: stammesgeschichtliche Vorbedingung & Außenanpassung [die Kiemen unserer Wirbeltiervorfahren beispielsweise, dienten der Atmung im Wasser] Interphän4: embryogenetischer Induktor, als solcher meist nur Innenanpassung. [Bsp.: Während der Embryogenese von Säugetieren induzieren Teile der Kiemenbögen die Bildung von Gehörknöchelchen und Strukturen des Kehlkopfes; sie haben keine Atmungsfunktion während der Embryogenese] Aus stammesgeschichtlichen Vorbedingungen (Metaphänen) sind im Laufe der Phylogenese z.T. formative Voraussetzungen für die Induktionsfolgen während der Ontogenese (Interphäne) geworden. Wenn ein Merkmal in der Stammesgeschichte eine Funktion als Interphän bekommen hat, wird es im Verlauf der weiteren Phylogenese kaum mehr verschwinden, auch wenn seine ursprüngliche Funktion (bzw. Außenanpassung) verloren gegangen ist. Wie durch die „biogenetische Regel“ beschrieben, verursachen Interphäne während der morphologischen Embryogenese die Rekapitulation (Wiederholung) der Phylogenese. ______________________________ 1 Außenanpassungen sind Körper- oder Verhaltensmerkmale, die sich in der Umwelt, in der die Organismen leben, als zweckmäßig erweisen. 2 Während der Embryogenese erfolgen Entwicklungsschritte z.T. infolge von Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zell- u.Gewebetypen z.B.: Die Chorda dorsalis induziert, vermutlich auf chemischem Weg, im Ektoderm die Bildung der Neuralplatte und später die des Neuralrohres. 3 Innenanpassungen sind innerorganismische Merkmale, die z.B. während der Embryogenese einzelne Entwicklungsschritte ermöglichen. 4 Die Begriffe Metaphän und Interphän sind von Rupert Riedl eingeführt worden. ______________________________ Dias 17 und 18 nach Medicus (1992): The Inapplicability of the Biogenetic Rule to Behavioral Development. Human Development, 35, Heft 1: pp 1-8; Sonderdruck in:

18 Die „biogenetische Regel“ hat aus folgenden Gründen keine Relevanz für die Verhaltensontogenese:
2. Argument: Nach einer Morphogenese des Nervensystems gemäß der biogenetischen Regel ist ein zeitlich getrennter zweiter Abschnitt einer funktionell- psychischen Reifung entsprechend dieser Regel unwahrscheinlich. Die „biogenetische Regel“ hat aus folgenden Gründen keine Relevanz für die psychomotorische Entwicklung des Kindes: 1. Punkt: siehe Dia 17 ad 2. Kein Nacheinander einer morphologischen und dann funktionellen Rekapitulation: ... denn sonst müßten "Verhaltensinterphäne" oder "Psychointerphäne" die Bildung von Strukturen induzieren, die grob anatomisch bereits entwickelt sind. Welche Induktionsschritte sollten veraltete Verhaltensmerkmale (entsprechend der biogenetischen Regel) bewirken, wenn das Hirn während der Embryogenese bereits entsprechend der Regel seine Phylogenese grob anatomisch rekapituliert hat? Bei der Geburt ist das Gehirn grob anatomisch „fertig“, Reifungsschritte erfolgen im wesentlichen durch Myelinisierungen, Dendriten- und Synapsenwachstum Weitere Argumente: 3. Simultane morphologische + funktionelle Rekapitulation: Nur ausnahmsweise zeigt ein morpho-logisches Interphän seine ursprüngliche Funktion, die es auch in der Stammesgeschichte als Metaphän hatte. (Bsp.: Das Endostyl der Larven kieferloser Fische [als Interphän mit Innen- und Außenanpassung] ist homolog mit dem Endostyl des Lanzettfischchens [es war bei fossilen Lanzettfischchenvorfahren ein Metaphän]). Das Endostyl dient bei Larven der kieferlosen Fische und beim Lanzettfischchen dem „Einstrudeln“ von Nahrung; es wird dann beim adulten kieferlosen Fisch zur Schilddrüse. 4. Ursprüngliches Verhalten ohne Interphänfunktion: Manche Arten zeigen während ihrer Ontogenese “veraltete” Verhaltensweisen, diese haben jedoch keine Interphänfunktion [z.B. vierbeinige Fortbewegung d Kleinkinder]. 5. Es gibt keine "Verhaltensinterphäne“: Es gibt keinen empirisch gesicherten Hinweis dafür, daß der Funktionsablauf des Verhaltens [bzw. seine physiologischen Ursachen oder Auswirkungen] selbst eine Bedeutung als Interphän hätte. [Im Tierexperiment läßt sich während der morphologischen Embryogenese die physiologisch-induktive Funktion von Interphänen nachweisen, z.B. durch Unterdrückung ihrer induktiven Wirkung. Auf diese Weise können i.R. der experimentellen Embryologie atavistische1 Merkmale hervorgebracht werden. Die psychogenetische Rekapitulationstheorie kann als falsifiziert betrachtet werden (Originalarbeit: s. Notiz 17). ______________________________ 1 atavistische Merkmale ähneln „veralteten“ Ahnenformen: Wenn z.B. ein heute lebender „moderner“ Vogel ein durchgängiges Wadenbein ausgebildet hat, dann zeigt er ein „veraltetes“ atavistisches Merkmal.

19 Verursachungen Beispiele für Frage-stellungen aus der Ethologie und ihrer Nachbar-disziplinen Wie "funktionieren" Erleben und Verhalten auf der chemischen, physiologischen, neuroethologischen, psychischen und sozialen Ebene? ● Es gibt mehrere Kategorien von Ursachen - z.B. phylogenetische [Dia 9] und ontogenetische [Dia 16]. Unmittelbare Ursachen während eines Funktionsablaufes werden als Verursachungen bezeichnet (man spricht auch von Ursache-Wirkungs-Beziehungen). ● Bei der Untersuchung der Verursachungen ist man oft mit unterschiedlichen Komplexitätsebenen konfrontiert (z.B. chemische, physiologische, psychische, soziale Ebene (siehe Dia 12, 23). ● Die Frage, „wie etwas funktioniert“, kann auch in Bezug auf die Wissenschaft gestellt werden, etwa im Rahmen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, aber auch bei der Rekonstruktion der Geschichte der Denkansätze und der Ursachen der Spaltung der Fakultäten sowie bei der Analyse des Umganges von Gelehrten mit interdisziplinaritätstheoretischen Problemen und wissenschaftspolitischen Konflikten. Die Komplexität der Humanwissenschaften resultiert unter anderem daraus, daß unser psychisches Innenleben („Welt 2“ nach Popper1) dann, wenn Theorien über sie entwickelt werden („Welt 3“), zugleich auch „Welt 1“ ist (siehe unten Punkt 6). Symptomatisch für die Zirkularität ist die Anfälligkeit der Diskussion für angstbesetzte weltanschauliche Verzerrungen mit unterschiedlichen Grundlagentheorien und Grundsatzpositionen [s. Affektlogik Notiz 20]. Vertreter verschiedener Menschenbilder erwarten sich bei interdisziplinären Diskussionen auf folgende Fragen z.T. konträre Antworten: 1. Ist der menschliche Geist „nichts als Physik und Chemie“ oder „nichts als eine Überlebensmaschine der Gene“ oder existiert er für sich? 2. Ist alles gelernt, oder gibt es angeborene Grundlagen des Verhaltens, Denkens, Lernens und Fühlens? 3. Sind wir frei oder programmiert? Gibt es Unterschiede bez. Alter, Geschlecht und Verhaltensbereich? 4. Kann das explanans zum explanandum, kann das Subjekt zum Objekt, bzw. zum Mittelpunkt der Untersuchungen gemacht werden? (s.a.Notiz 7,29) 5. Erkennt der Mensch sich selbst über Erfahrungen oder/und durch Reflexionen? Welche Implikationen haben die Positionen? (s.z.B.Dia 33) 6. Gibt es eine von uns unabhängige und damit kommunizierbare Realität, die es erlaubt, ein objektives Menschenbild zu entwerfen? Wieviel Detail- und Orientierungswissen / Analyse und Synthese / Erklären und Verstehen ist für die Anthropologie nützlich? (s.a.Dia 2,30,33) 8. Ist der Mensch ein von der Naturgeschichte unabhängiges geistiges Geschöpf? 9. Sind alle Menschen gleich oder sind sie verschieden? Bestehen Bezüge zur Frage: Sind alle Menschen gleich viel wert? 11. Ist der Mensch körperlich oder / und instinktiv ein „Mängelwesen“? 12. Was unterscheidet den Menschen von den Tieren? Dürfen wir Erkenntnisse über die Natur des Menschen unserem Handeln zugrunde legen? 14. Ist Handeln wider die Natur unmoralisch? Oder umgekehrt: Darf vom moralischen Sollen auf das biopsychische Sein geschlossen werden? (Notiz 36) Zum Teil verstellen vorgefasste Antworten den Blick auf die Schlüsselkonzepte und Eckpfeiler (Dias 5, 29, 32). Die für die Diskussion der Fragen nützlichen und notwendigen Grundfragen und Bezugsebenen sind großteils im Rahmen der nicht-anthropologischen Biowissenschaften vor über 150 Jahren entwickelt und seither empirisch abgesichert worden, vor allem in der Genetik, der Zoologie und in der Botanik (Fußnote/ Notiz 8) - in Bereichen also, in denen es keine Zirkularitäts- und Perspektivenprobleme gibt. Die Konzepte von Tabelle 1 sind deshalb nützliche Werkzeuge dafür, das Risiko von Fehleinschätzungen, die sich aus Zirkularitätsproblemen und affektlogischen Fehlschlüssen ergeben können, zu senken. ● Bei der Frage, wie Psychotherapie „funktioniert“, stehen die Wirkprinzipien im Vordergrund. Sie sind auch bei der Beschreibung der Be-handlungsschwerpunkte der Schulen nützlich. Es handelt sich um folgende Prinzipien (z.B. W.Wesiack 1993): Modifikation von Verhalten, Vermitt-lung von Einsicht, expressiv katharsischer Aspekt, Stützung (z.T. Empathie) & Entspannung, Systemveränderung (z.B. in Familie, soz. Umfeld). ______________________________ 1 Popper unterscheidet erstens die physikalisch/chemische Welt („Welt 1“), zweitens die subjektiv erlebten Bewußtseinszustände (z.B. Stimmungen, Motive, Denkinhalte; „Welt 2“) und drittens die Welt der Ideen („Welt 3“). „Welt 3“ ist ein Produkt des Menschen. Mittler zwischen der „Welt 1“ und „3“ ist immer die „Welt 2“ (Mimik u. Sprache Mittler zwischen Individuen). „Welt 2“ unterliegt Einflüssen aus den „Welten 1“ und „3“ (Notiz 29).

20 Verursachungen Verhaltens-beispiele
• Endorphin- & Oxytocinspiegel steigen bei Sender und Empfänger während der sozialen Fell- und Hautpflege • Freundliche Verhaltensweisen sind Gegenspieler [= Antagonisten1] der Aggression, sie können kulturell gefördert werden. Unattraktive Verhaltensweisen (z.B. destruktive Formen der Aggression) können kulturell gehemmt und unterdrückt werden [= kulturelle Förderung und Hemmung zum Teil „Instinkt/Kultur-Verschränkungen“]. Die soziale Fell-, Haar- und Hautpflege wird umgangssprachlich als „lausen“ bezeichnet; der englische Begriff „grooming“ ist weniger diffamierend als das deutsche Wort „Lausen“. Beispiele für Verursachungen auf komplexeren Bezugsebenen nach Lexikon der Biologie/Heidelberg/Spektrum Akademischer Verlag; mit freundlicher Genehmigung des Verlages: AFFEKTLOGIK; Affekte und Stimmungen geben Denkinhalten eine Richtung1. Ihrem stammesgeschichtlich gewachsenen Zweck entsprechend ist der Intellekt ein "scanning mechanism", der gemäß den aktuellen Antrieben und Hemmungen nach adäquaten Möglichkeiten der Verwirklichung sucht. Vor allem in komplexen Gesellschaften fällt immer wieder auf, wie einseitig von einzelnen Personen und Interessengruppen Analysen durchgeführt und die Probleme anderer negiert oder unterbewertet werden. Zum Teil werden Analysen von vorweggenommenen Lösungsansätzen geleitet. Die Wahrheitsähnlichkeit2 des Inhalts und die Bewertung verschiedener Anwendungsmöglichkeiten2 werden dabei häufig nicht auseinandergehalten. Wegen dieser affektlogisch begründeten Überheblichkeiten sind pluralistische Bedingungen nützlich und notwendig. Wenn bestimmte Denkinhalte affektiv sehr hoch besetzt sind, dann werden diese manchmal affektiv "gesperrt" bzw. entsprechende theoretische Alternativen ausgeklammert (s. „Fehlschlüsse“, Notiz 36). Unser Denkvermögen zeigt unter Umständen eine von der Psychoanalyse erkannte Auffälligkeit darin, daß sich gewisse einseitige und zum Teil unbewußte und fehlleitende Entscheidungspräferenzen im Laufe des Lebens entwickeln können, um unangenehme Affekte (z. B. Angst) zu vermeiden bzw. abzuwehren. Scheinbare Eindeutigkeit im "Entweder-Oder" wird dann vielfach der Sicht von der systemisch verschränkten Vielfalt der Aspekte der Wirklichkeit (im "Sowohl-als-auch") affektlogisch vorgezogen. Das kann zu kontrastierenden Theorienbildungen führen. Beispiele für solche zueinander in Opposition stehenden Weltbilder waren z. B. Rationalismus und Empirismus, Materialismus und Idealismus, Links- und Rechts-Ideologien. INSTINKT-KULTUR-VERSCHRÄNKUNG; das Einfließen bzw. Ausgeprägtsein von "instinktiven" Elementen in der menschlichen Kultur. Beispiele für "instinktive" Elemente von Stimmungen, Motiven, Wahrnehmungen, Denken und sozialen Bewertungen, die in das Kulturleben einfließen, sind: das Geben und Nehmen von Geschenken - einschließlich verbaler Geschenke (Grüße, Komplimente, Wünsche) - als soziale "Strategie" mit reziprok altruistischer Motivation; die Produktion von mehr weiblichen als männlichen Puppen, weil Mädchen ein größeres Interesse für Babys und Brutpflegespiele haben [und präpubertär Mitglieder des eigenen Geschlechts als „Spielpartner“ bevorzugen], die Neigung vieler Männer, große, PS-starke Autos zu kaufen, um Rang und Status zu demonstrieren; Eifersuchtsdelikte, die in verschiedenen Rechtssystemen je nach Geschlecht des "Ehebrechers" unterschiedlich geahndet werden (doppelte Sexualmoral [sie gilt z.B. auch für Eheformen, wie die Polygynie, die in weitaus mehr Kulturen erlaubt ist, als die Polyandrie]). Kulturgeschichtlich werden Vorprogrammierungen, die sozial und psychohygienisch vorteilhaft sind, zum Teil kulturell verstärkt; andere erweisen sich vielfach als Bürden, die das soziale Zusammenleben erschweren können, und werden häufig kulturell abgeschwächt und unterdrückt. [In diesem Sinne gibt es keine scharfe Grenze zwischen Natur und Kultur.] - [„Kulturunabhängige Universalien des Verhaltens sind qualitativ in allen Kulturen nachweisbar, quantitativ können sie beeinflußt werden.] _________________ 1 Aldous Huxley soll sinngemäß gesagt haben: Das Ziel in uns bestimmt der Affe [affektiv], den Weg der Mensch. 2 Es gilt also zwischen dem Erkenntniswert und dem Anwendungswert einer Theorie zu unterscheiden: Siehe “moralistischer Fehlschluß“ in Notiz 36 1 „opposed instincts“ bei Darwin (1871)

21 Verursachungen Beispiele für Frage-stellungen aus der Ethologie und ihrer Nachbar-disziplinen Wie "funktionieren" Erleben und Verhalten auf der chemischen, physiologischen, neuroethologischen, psychischen und sozialen Ebene - und wie sehen die Bezüge zwischen den Ebenen aus? Gibt es beim Versuch die Neuro-kybernetik des Bewußtseins zu ver-stehen ein Zirkularitätsproblem? (Dia 29) Es gibt zu wenige Institutionen, die die Aufgabe haben, Wissen interdisziplinär und transfakultär zu integrieren. Eine zunehmende Anzahl von Naturwissenschaftlern fokussiert - in Lehre und Forschung - immer kleinere Dimensionen der Welt1 (was z.T. durch Impactdirektiven forciert wird). Viele Philosophen begnügen sich mit denkästhetischen Ansprüchen und meiden Ergebnisse der Naturwissenschaften2. Beispiele für schichtenübergreifende Spezialgebiete: Die Neuropsychologie untersucht Auswirkungen von physiologischen Prozesse im zentralen Nervensystem auf die Psyche. Dabei werden bildgebende Verfahren, Stimulationsversuche, Analysen von strukturellen Störungen (z.B. Verletzungen, Durchblutungsstörungen, Blutungen usw), und Medikamentenwirkungen sowie Ergebnisse von Tierversuchen genutzt. Die Humanethologie fokussiert die Ebenen der Individuen und der Gruppe und stellt zum Teil Bezüge zur Verhaltensendokrinologie her. Psychische Belastungen können, beim Vorhandensein bestimmter genetischer Dispositionen, zu körperlichen Störungen mit Organbefund führen. Die Zusammenhänge sind Gegenstand der Psychosomatik. ________________ Varianten eines englischen Sprichwortes: 1 Scientists [or specialists] are people who know more and more about less and less, until they know everything about nothing. 2 Philosophers are people who know less and less about more and more, until they know nothing about everything. (s. Dia 33)

22 Bezugs- / Komplexitätsebenen
Wir kategorisieren, um die Komplexität der Welt einigermaßen erfassen zu können. (III) ZUR THEORIE DER BEZUGSEBENEN Aus der Sicht der „Evolutionären Erkenntnistheorie“ stoßen wir rasch an die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens, wenn wir uns im Mesokosmos (z.B. anschauliche Dimensionen der Physik, z.T. Newton‘sche Physik) komplexe Probleme vorzustellen versuchen (nach Gerhard Vollmer). Im Mesokosmos bewährte Denkkategorien können sich im Mikro- und Makrokosmos [bzw. in der Quanten- od Astrophysik] als ungeeignet erweisen. Wir kategorisieren, weil uns die Komplexität und der Informationsgehalt unserer Welt zu groß ist. Ein Teil der Kategorien korrespondiert mit realen hierarchischen Strukturen (=Bezugsebenen), ein Teil der Kategorisierungen erfolgt willkürlich: etwa die Unterscheidung der Farben aus dem Kontinuum verschiedener Wellenlängen. Sogar die Komplexität einzelner Bezugsebenen ist zu groß für einen umfassenden Überblick - und in den Naturwissenschaften stets mit viel fiktivem Wissen verbunden, das proportional mit den gewonnenen [„gesicherten“] Daten zunimmt. Unser Intellekt1 sowie unsere emotionelle Ausstattung sind hinsichtlich der Ebenen des Individuums und der (Klein-) Gruppe am leistungsfähigsten; diese Leistungen sind Gegenstand der Psychologie. ________________ 1 Zum „Extremorgan“ Intellekt (s.a.Notiz13, 15): Als bezeichnend für die - evolutionär betrachtet - primär „sozialen Funktionen des Intellekt“ (Humphrey) kann die Anwendung sozialer Kategorien z.B. in Bezug auf den Meta-/Makrokosmos gesehen werden (z.B. Orakeln mit Gestirnen), einem Bereich, an dem es nichts Soziales gibt. Das wird auch in den Religionen durch die Verwendung sozialer Kategorien im außersozialen Bereich widergespiegelt (etwa Anthropomorphisierungen wie z.B. Verehrung von Heiligtümern, die zugleich aber auch Ausdruck unserer Symbolfähigkeit sind). Aus der Sicht der evolutionären Erkenntnistheorie kommen wir im Alltag mit den meisten Denkkategorien deshalb relativ gut zurecht, weil es der Bereich der Welt ist, an den unser Denkapparat angepaßt ist und wir auch ohne höchste Gewißheitsgrade sinn- und zweckvoll handeln können. Höchste Gewißheitsansprüche sind angesichts der Komplexität der Welt, sowie der Unvollkommenheiten unseres „Extremorgans“ vielfach Ausdruck von Selbstüberschätzung und -anmaßung und deshalb realitätsfremd (s.a. Dia 32, Notiz 34).

23 R. Riedl hat Diszi-plinen ihren Bezugs-ebenen zugeordnet, aber in seine Abbildungen den Aspekt der Grund-fragen nicht hinein-genommen. Es ist sein Verdienst, die Verschränkung der aristotelischen Urgründe im Schichtenbau der realen Welt ver-deutlicht zu haben; sie können den Grund-fragen zugeordnet werden. Rupert Riedl (z.B. 1980) konnte zeigen, daß die Vier aristotelischen Urgründe (c. materialis, c. efficiens, c. formalis, c. finalis) untrennbar zusammengehören und es keine „Vorrangigkeiten“ gibt. Diese Übersicht war Vorbild für die Zuordnung der Disziplinen zu den Bezugsebenen (Dia 6, Abs.C) Ein Teil der Pfeile im Dia betrifft die Verbindungen und Ursache-Wirkungs-Beziehungen bez. des Leib-Seele-Problems (siehe unten). Bezüge zwischen den «Vier Grundfragen der biologischen Forschung» und den «Vier Urgründen allen Geschehens» bei Aristoteles (nach Lexikon der Biologie [Band 5, Heidelberg 2000, Spektrum-Verlag], Stichwort Ethologie): a) morphologisch fundierte Zuordnung: Die Fragen nach den «grundlegenden Zusammenhängen» (vgl. Dia 6) können der «causa formalis» (Formursache, Bauplan) und «causa finalis» (Zweckursache) von Aristoteles zugeordnet werden. Sie sind von vielen Idealisten als vorrangig betrachtet worden. Die Fragen nach den «unmittelbaren Zusammenhängen» (vgl. Dia 6) können der «causa materialis» («Materialursache») und der «causa efficiens» («Energieursache») von Aristoteles zugeordnet werden. Von vielen Materialisten sind sie als Hauptursachen bewertet worden. - Die Pfeile im Dia sind primär morphologisch gemeint (vergl. unten Leib-Seele-Problem). b) physiologisch / funktionelle Sicht: Da sich naturwissenschaftliche Begriffe nicht immer mit philosophischen decken, werden in der Literatur auch andere Zuordnungen diskutiert: Die «causa efficiens» ist in der Geschichte der Philosophie auch als «Wirkursache» oder «bewegende Ursache» (z.B. im Rahmen von Funktionsprogrammen; z.T. «Lebenskräfte» des Vitalismus) interpretiert und damit von vielen Idealisten - neben der «causa finalis» - als vorrangig betrachtet worden, die «causa formalis» - neben der «causa materialis» - von vielen Materialisten. Bezüglich der aristotelischen Wurzeln der Bezugsebenen siehe Notiz 4 und 5. Abb. aus Rupert Riedl (1978/79): Über die Biologie des Ursachendenkens. Ein evolutionistischer, systemtheoretischer Versuch. In: H.v.Ditfurth (Hrsg.): Mannheimer Forum, pp (mit freundlicher Genehmigung von Rupert Riedl) - Ähnliche Abbildungen finden sich auch in: R. Riedl (1981, 3. Auflage): Biologie der Erkenntnis. Berlin, Paul Parey Es bestehen auch Bezüge zwischen den Ebenen des Dias und denen von Aristoteles und Hartmann (Notiz 4), sowie z.T. den Drei Welten Poppers (Notiz 19).

24 Schichtungsgesetze bei Nicolai Hartmann, 19643.Aufl., p. 432
1 Gesetz der Wiederkehr: Niedere Kategorien kehren in den höheren Schichten als Teilmomente höherer Kategorien ... wieder (p 431: Inei-nanderstecken der Kategorien; ... dieses Verhältnis kehrt sich nie um; p 438: durchgehende / begrenzte Wiederkehr. 2 Gesetz der Abwandlung: Die kategorialen Elemente wandeln sich bei ihrer Wiederkehr in den höheren Schichten mannigfaltig ab von Schicht zu Schicht neue Überformung. 3 Gesetz des Novums: ... [die] höhere Kategorie ... [ist] aus einer Mannigfaltigkeit niederer Elemente zusammengesetzt [sie] enthält ein spezifisches Novum, das [nicht] in den niederen Elementen enthalten ist 4 Gesetz der Schichtendistanz [Gesetz von der Abgrenzbarkeit der Schichten]: Wiederkehr und Abwandlung schreiten nicht kontinuierlich fort, sondern in Sprüngen Ad 1-4: Die Schichtungsgesetze gelten nicht nur für die Bezugsebenen, sondern erstaunlicherweise auch für die Verhaltensphylogenese in Bezug auf die Großsystematik1. Ad 2: Auch wenn alle Körperzellen eines Individuums mit der gleichen genetischen Information ausgestattet sind, haben sie je nach Organ unterschiedliche Funktionen und Erscheinungsformen. Die Genese dieses Sachverhaltes wird durch stammesgeschichtliche Ursache-Wirkungsbeziehungen im Rahmen von der causa formalis & c.finalis angedeutet (vergl. Dia 23): Durch Wirkungen komplexerer (z.T.phylogenet.jüngerer) Ebenen, bzw. ihrer Merkmale und Leistungen, kommt es durch Mutation und Selektion im Verlauf der Phylogenese auch zu Veränderungen an „niedereren“ (z.T. phylogenet. älteren) Ebenen. Reduktionistische Erklärungsversuche im Schichtenbau von „unten“ nach „oben“, also z.B. nur auf der Grundlage von Genetik und Physiologie, werden dieser „rückläufigen Determination“ (Hartmann) von „oben“ nach „unten“ im allgemeinen nicht gerecht. Das gilt nicht nur für ultimate, sondern auch für proximate Zusammenhänge - Beispiele für letztere bietet die Psychosomatik: Psychosoziale Bedingungen wirken auf „untere“ Schichten zurück. Ad 2/3: In einer weiteren Publikation hat Hartmann (1950, p 477: Philosophie der Natur. de Gruyter, Berlin) ein fünftes Gesetz erwähnt: Das Gesetz der Gliedfunktion: [Funktionen von Elementen basaler Ebenen in höheren Schichten] „ ... durch diese ‚Gliedfunktion‘, die sie von sich aus nicht haben, werden sie zu etwas anderem, als sie waren.“ Ein anschauliches Beispiel ist das Verhalten menschlicher Individuen in verschiedenen Gruppen. Ad 3: Ohne Kenntnisse zur Verhaltensphylogenese kann das „Novum“ des Menschlichen (bzw. die zoologische Sonderstellung des Menschen) nicht festgestellt werden. Hinsichtlich der Bezugsebenen gilt: „Das Ganze ist [nach z.B. Laotse, Aristoteles] mehr als die Summe seiner Teile.“ Auch dieses Gesetz ist für Diskussionen zum Reduktionismus unentbehrlich. Mit dem Punkt wird das Leib-Seele-Problem tangiert, weil seelisches auf der molekularen od zellulären od Gewebeebene nicht zu finden ist. - Mit einem Novum ergeben sich neue Freiheitsgrade. - Das gilt für die Ebenen und für die Phylogenese (s. Dia 12). Auf der Ebene der einfachen Schaltkreise (Ebene zwischen Zelle und Organ) sind als Novum neue Systemeigenschaften gegeben, die auf der Ebene der Nervenzelle nicht vorhanden sind. Dasselbe gilt beispielsweise auch für die Verrechnungssysteme der Hirnrinde, die z.B. zu komplexen zytoarchitektonischen Säulen zusammengefasst sind: Bei den Bausteinen der Ebenen, wie z.B. Nervenzellen, einfachen Schaltkreisen und zytoarchitektonischen Säulen handelt es sich um z.T. genetisch determinierte „serielle“ „Normbausteine“, die mit einer mehr oder minder großen ontogenetischen Neuroplastizität ausgestattet sind. ________________ 1 z.B. für die sechs Leistungsstufen nach Konrad Lorenz (1973) aus: Die Rückseite des Spiegels; eine tabellarische Zusammenfassung dazu findet sich in Eibl-Eibesfeldt „Die Biologie menschlichen Verhaltens“ 3. Auflage / 1995, Seite 206) oder in: ________________ Text des Dias aus: Nicolai Hartmann (1964, 3. Auflage, Seite 432): Der Aufbau der realen Welt. Berlin, Walter de Gruyter. - Zum Teil einfachere Formulierungen zu den Schichtungsgesetzen finden sich bei Peter Möller: Nicolai Hartmann (1964 z.B. Seiten 159, 176, 178, 180, 183) unterscheidet eine anorganische </Materie>, organische </Pflanze/Zeugung>, seelische </Wahrnehmung/Tiere> und geistige </Denken/Mensch> Schicht - vergl. Notiz 4 / Aristoteles

25 Bezugsebene Vor allem bei der Untersuchung von Verursachungen sind „basale“ Bezugsebenen eine Voraussetzung für ein Verständnis „darüberliegender“ Ebenen. Daraus ergibt sich der Konnex der erwähnten Leitdisziplinen. Die Kenntnis von Gesetzen basaler Ebenen (z.B. Zellphysiologie) reicht aber nicht aus, komplexe Verhaltensmuster oder ein persönliches Erlebnis zu verstehen. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Die letzten beiden Punkte sind die Folge von Punkt 3 des Dias 24. Zur „hierarchischen Verschachtelung“ der Grundlagen- oder Leitdisziplinen1: 1. Physik und Chemie sind Grundlagen- oder Leitdisziplinen für die Biologie; 2. (Neuro- und Verhaltens-) Biologie für die Psychologie; 3. [eine mit ihren Grundlagenwissenschaften gut vernetzte] Psychologie für die Sozial- und Kulturwissenschaften. Den Grundlagen- oder Leitdisziplinen werden durch die „Nova“ der komplexeren Ebene Grenzen hinsichtlich ihrer Zuständigkeit gesetzt. Fächerverbindende Wissenschaften werden als Strukturwissenschaften bezeichnet: z.B. Kybernetik, Mathematik und eine mit den empirischen Wissenschaften umfassend vernetzte Philosophie. Wenn in der Philosophie diese Bedingung erfüllt ist, werden mehr Naturwissenschaftler als bisher geneigt sein, sie als „Königsdisziplin“ anzuerkennen. Methodisch theoretische Aspekte: Die Methode der Physik und Chemie ist vorwiegend die Analyse. Je „höher“ und komplexer die untersuchte Systemebene, umso wichtiger wird auch die Synthese von Theorien bzw. die Vernetzung und Integration von Wissen der Grundlagen- und Nachbardisziplinen. Beide Aspekte, Synthese und Analyse zusammen, sind heuristisch nützlich und notwendig. - Ihre Bedeutung im Sinne der modernen Naturwissenschaften: Analyse: im Schichtenbau „absteigendes“ „reduktionistisches“ Zerlegen, etwa vom Individuum zum Atom (daraus resultiert Detailwissen); z.T. auch Analyse von Zusammenhängen von „unten“ nach „oben“ im Schichtenbau. Synthese: im Schichtenbau „aufsteigende“ Rekonstruktion durch allgemeine Gesetze (z.T. Orientierungswissen). ________________ 1 Sind nur Vorteile oder wären sogar Nachteile zu erwarten, wenn in einzelnen Bereichen der Humanwissenschaften ganz bestimmte Maßstäbe und Methoden (vergl. Dia 32) oder Fragestellungen und Ergebnisse (vergl. Notiz 19) über die Fach- und Fakultätsgrenzen hinweg übernommen werden?

26 prinzipiell gleich wichtig.
Jede Bezugsebene ist prinzipiell gleich wichtig. In der derzeitigen wissenschaftlichen Praxis erfolgt eine Unterbewertung komplexer Ebenen sowie von Orientierungswissen ... ... und im Verhältnis dazu eine Überbewertung molekularer Ebenen1 und von Detailwissen. Die Eigendynamik der Bewertung durch Impact-Punkte2 kann der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Bezugsebenen und Grundfragen nicht Rechnung tragen. Die Punkte sind weder für die Lehre noch für die Forschung die geeignete Bewertungsgrundlage dafür, die Ressourcen, die den Universitäten zur Verfügung stehen, transfakultär in zweckvoller Weise zu verteilen. Auch wenn zu Recht versucht wird, komplexe Gesetzmäßigkeiten auf Gesetze „basalerer“ Bezugsebenen zurückzu-führen, kommt doch der Ebene des Individuums eine besondere Bedeutung zu: Am Individuum setzt die Selektion hinsichtlich vieler innerartlicher bzw. sozialer Aspekte an. Die Bedeutung dieses Umstandes wird durch unsere sozialen Antriebe, Hemmungen, Stimmungen und Gefühle, sowie durch unser bewußtes soziales Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen widergespiegelt. Letztere betreffen z.B. auch die „sozialen Funktionen des Intellekt“ sowie unsere Fähigkeit zur Perspektivenübernahme emotional und zur Emphronesis (bzw. zur „theory of mind“). Wegen der Bedeutung des subjektiven Erlebens und Denkens wird sich eine mit ihren Grundlagenwissenschaften gut vernetzte Psychologie eines Tages höchst wahrscheinlich als Leitdisziplin der Sozialwissenschaften erweisen. Bei der Diskussion menschlicher Sonderstellungen haben die Ebenen des Individuums und der Gruppe eine besondere Bedeutung. Der „Tier-Mensch-“ Vergleich ist auf allen Ebenen nützlich und notwendig (nicht nur auf der molekularen, zellulären und physiologischen Ebene /z.B. Pharmaforschung): Dabei ist das Wissen, das uns zur Verhaltensphylogenese in Bezug auf die Großsystematik vorliegt - insbesondere auf den Ebenen von Individuum und Gruppe - eine wichtige Orientierungshilfe (s.a. Dia 12). ________________ 1 Wären nur die „basalen Ebenen“ von Bedeutung und die Gesetzmäßigkeiten der komplexeren Ebenen direkt von den basaleren deduzierbar, dann könnte man am Institut für Biochemie Abteilungen für Einheitspsychotherapie und Politologie einrichten (s.a. Dia 24: Schichtenbau von N. Hartmann betr. spezifisches NOVUM der einzelnen Bezugsebenen). 2 Fachzeitschriften werden durch Impact-Punkte bewertet. Der Wert ist abhängig davon, wie häufig ihre Artikel innerhalb von zwei Jahren zitiert werden. Kritiker dieses Bewertungssystems sprechen vom „Konformitätsindex“: Mit transfakultärer Aufge-schlossenheit oder mit neuen Paradigmen (so nützlich sie auch sein mögen) kann oft kein hoher Impact erzielt werden, weil das Impact-system den Semmelweiseffekt (Notiz 34, Fußnote 2) abbildet. Auch das Zeitlimit wird nicht allen Humanwissenschaften gerecht, weil Wissensinhalte der verschiedenen Ebenen und Fachbereiche sowie verschiedene Wissensformen (s. Notiz 2) unterschiedliche Ver-breitungsgeschwindigkeiten haben. Wenn Wissenschaft betrieben wird um mit Veröffentlichungen Impact zu lukrieren, ist das eigentliche Ziel von Wissenschaft verfehlt. In Anbetracht des weiten Spektrums an Aspekten in Tab. 1 (nämlich Ebenen UND Grund-fragen) erfährt die Vielfältigkeit wissenschaftlicher Denkansätze und ihrer Methoden durch die Eindimensionalität der Impact-“Direktiven“ einiger weniger internationaler Zeitschriften nicht nur sinnvolle Suchfeldeinengungen, sondern in der Praxis auch erkenntnishemmende Beschränkungen. - Die Impactgläubigkeit wird möglicherweise in der frommen Hoffnung lanciert, wissen-schaftliche Qualität in Punkte transformiert für Politik und Verwaltung leichter verständlich und kontrollierbar zu machen.

27 Terminologie und Bezugsebene
Viele Konzepte und Begriffe sind nur in bestimmten Bezugsebenen nützlich und stiften Verwirrung, wenn sie in der falschen Bezugsebene verwendet werden. Die sogenannte „niveauadäquate Termino-logie“ ist ein Aspekt der Fachsprachen-forschung / Wissenschaftslinguistik / Begriffs-geschichte. Bsp. 1: ● Panpsychismus, die Annahme, alles sei beseelt, ist eine unzulässige konzeptionelle „Grenzüberschreitung von „oben“ nach „unten“ bzw. von der Psyche des Individuums auf z.B. Quanten, Atome, Moleküle, Fibrillen der Nervenzellen, die Gestirne. ● Das Konzept vom „Eigennutz der Gene“ bzw. die Annahme, „Kreaturen seien nur Überlebensmaschinen ihrer Gene“ trifft genauso nur einen Teilaspekt der Realität wie die Unterstellung „alles Leben sei nur Chemie“ - (s. Gesetz des Novums“ in Dia 24, das schichtspezifische Besonderheiten einbezieht). Bsp. 2: Der Energiebegriff der Physik hat nichts mit dem Energiebegriff der Psychologie zu tun (z.B. betr. Motivation, Antrieb, Führungskraft). Bspp. 3 (aus der klinischen Praxis): a) Es stellt sich die für die Therapie wichtige Frage, auf welcher Bezugsebene die Ursache einer Störung liegt („Schichtenregel nach Jaspers“). Die Ursachen können sich auch auf mehreren Ebenen finden. Es gibt z.B. genetische Dispositionen zu psychotischen Erkrankungen [z.B. Schizophrenie, manisch-depressives Kranksein]. Sie kann bei einzelnen Personen, je nach genetischer Ausstattung, unter besonderen psychischen Belastungen oder/und Drogenkonsum - vor allem durch Ecstasy, LSD oder Haschisch - zum Ausbruch kommen. b) Es gilt zu vermeiden, daß etwa (1) Abgeschlagenheit, (2) Reizbarkeit, eine (3) schwere weinerliche Depression oder (4) Panikattacken primär (ohne somatische Abklärung) nur psychotherapeutisch behandelt werden. Diese und andere Symptome können auch organische (z.B. genetische, hormonelle, neurobiologische) Ursachen haben und beispielsweise durch folgende Krankheiten oder Medikamente verursacht werden: ad 1: Zuckerkrankheit, ad 2: Schilddrüsenüberfunktion, ad 3: Nebenwirkung der Pille, ad 4: Nebenwirkung auf Beta-Blocker (ein Medikament, das auf Herz und Blutdruck wirkt). ________________ zum 1. Punkt des Dias: Es stellt sich die Frage, ob für alle neurokybernetischen Teilleistungen - inklusive der Effekte von elektrophysiologischen Frequenzmodulationen und -überlagerungen (vergl. „musterinduzierte Flickerfarben“) - prinzipiell der für die Begriffsbildung nötige Vorstellungshorizont vorhanden ist (vergl. Zirkularitätsproblem / Notiz 7 und 19 [Punkt 6] und Dia 24).

28 Attributionen von Freiheiten in der transdisziplinären Diskussion
Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Vorstellungen von Freiheit in Abhängigkeit von der fokussierten Bezugsebene, etwa die vergleichsweise deterministischen Vorstellungen vieler Neurophysiologen und Neurobiologen, die sich mit de-nen der Psychologen und Soziologen, die von größeren Freiräumen ausgehen, nur schwer zusammenführen lassen. Jede Bezugsebene hat (als „Novum“) eigene Gesetzmäßigkeiten und Freiheitsgrade, die nicht unbedingt direkt von den basaleren deduzierbar sind. Aus evolutionärer Perspektive entstehen im Rahmen der Höherentwicklung Leistungen, die neue Freiheiten eröffnen. Zum 1. Punkt des Dias: Weder von neurobiologischen Determinanten (z.B. Wolf Singer) noch von quantenphysikalischen Unschärfen oder von der Chaostheorie ausgehend dürfen direkte Schlüsse über alle Ebenen hinweg auf die (Un- /) Freiheit des Menschen gezogen werden: Das jeweilige „Novum“ jeder Ebene macht ganz spezifische Freiheitsgrade möglich, die nicht in den „unteren“ enthalten sind (siehe Dia 24). Zum 3. Punkt des Dias: In Bezug auf die Phylogenese gilt die Regel, daß zugleich mit jeder Lockerung von Determinanten oder jeder Öffnung von Programmen auch Leistungen entstehen, die diese Lockerung begrenzen. Für eine Erweiterung des Freiraumes sind dann Lockerungen und Begrenzungen zusammen notwendig. Bsp. dazu: Menschliche Freiheit: Die biologischen Programme, die unserem Denken, Fühlen und Verhalten zugrunde liegen1 sind in Verschränkung mit Lernen und dem freien Willen unverzichtbare Voraussetzung der menschlichen Freiheit, so wie auch unsere Bewegungsfreiheit durch angeborene Muskel-Knochenstrukturen zugleich ermöglicht und begrenzt wird. Bei der Bewältigung angeborener und gelernter (z.T. antagonistischer) Verhaltenstendenzen können / müssen unter anderem durch Reflexion Entscheidungen2 gefunden und Prioritäten gesetzt werden. Das ist ein Aspekt des freien Willens. Unterschiedliche Verhaltensbereiche haben bezüglich Lernen und Wollen (z.T. in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, Individuum) verschiedene Freiheitsgrade. Weder die fatalistische Sicht eines biologistischen Determinismus, wie sie Ethologen von ihren Gegnern immer wieder unterstellt wird, noch die Vorstellung einer grenzenlosen Freiheit wird dem Menschen gerecht. (Ergänzung zur Notiz 7: Deterministische Gesichtspunkte werden überwiegend in der Dritte-Person-Perspektive besprochen, Induktionsbasis für Diskussionen von Aspekten der menschlichen Freiheit ist die Erste-Person-Perspektive.) Können & Sollen: Die je nach Verhaltensbereich unterschiedliche Diskrepanz zwischen Können und Sollen ergibt sich zum Teil daraus, daß Lernen und Wollen von (phylo-) genetisch programmierten Verhaltensdispositionen sehr verschieden kanalisiert werden. - Die Auswirkungen sind bekannt: Die moralische Norm unterscheidet sich von der statistischen. Gesetzgeber verlangen häufig das Schwierige und Unmögliche, um das Mögliche zu erreichen. Und in der Bibel steht: "Der Geist zwar ist willig, das Fleisch aber ist schwach" (Matth. 26, 41). Erkenntnisse über die Natur des Menschen können bei der Einschätzung der Zweckmäßigkeit von kulturellen Errungenschaften hilfreich sein und zur Beurteilung beitragen, in welchem Verhaltensbereich welche kulturellen Normen leichter oder schwerer einzuhalten sind (Hier besteht ein scheinbarer Widerspruch zwischen der Theorie zum „naturalistischen Fehlschluß“ (Notiz 36) und der praktischen ethischen Vernunft (Notiz 32/„ad1&2“)). Die Verschränkung von Natur und Kultur des Menschen könnte mit Hilfe des evolutionären Ansatzes erhellt werden. Fragen dazu lauten: Wie kommen wir mit unserer biologischen Ausstattung in einer durch uns selbst veränderten Welt zurecht? Welche kulturellen Errungenschaften sind psychohygienische, familiäre oder soziale Anpassungshilfen? Welche stammesgeschichtlichen Erwerbungen fließen in die Kultur (z.B. Religion, Feste, Kunst, rechtliche und politische Bewertungen) ein? Derzeit lassen sich auf der Grundlage evolutionärer Zusammenhänge zum Beispiel folgende Probleme besser verstehen: partnerschaftliche, gesellschaftliche und psychotherapeutische Probleme, die sich aus der Biopsychologie der Geschlechterdifferenz ergeben; Probleme von Gruppenaggression und Territorialität von Gruppen / Ethnien; Probleme, die sich für einen Organismus, der an seine natürliche Umwelt angepaßt ist, durch eine Umweltänderung ergeben, z.B.: Stereotypien und biopsychische “Mängel”, die das Leben in der Industriegesellschaft mit sich bringt (z.B. auch Zivilisationskrankheiten / "culture bound syndromes" der Medizin; s.a. EEA/Notiz 14). ________________ 1 z.B. Reflexe, Erbkoordinationen (z.B. Mimik), viele - z.T. antagonistische - Antriebe und Hemmungen mit entsprechenden Stimmungsqualitäten, Anteile von vielen Interpretationen und Bewertungen; siehe auch A-priori. 2 Es handelt sich oft um Entscheidungen über Optionen, zu denen wir oft nicht hinreichend informiert sind.

29 Zur Verursachung der Spaltung der Fakultäten
Der Weg von der äußeren Realität zum inneren Bild ist nicht direkt überprüfbar. Diese Tatsache bildet sich im Materie-Geist- bzw. Leib-Seele-Problem und in der Trennung der Fakultäten in Natur- und Geisteswissenschaften ab. Die Spaltung hat bis heute erhebliche methodisch-theoretische Auswirkungen, z.B. hinsichtlich des Umgangs mit Empirie und Theorie. 1) Zur Wissenschaftsgeschichte: Zu Beginn der Neuzeit hat das Weltbild des Abendlandes durch die Beobachtungen und Inter-pretationen von Kopernikus, Galilei, Kepler und anderen eine Erschütterung erfahren, die bei einem Teil der Gelehrten auf heftige Ablehnung gestoßen ist (Notiz 34/Semmelweiseffekt). Das war - mit dem Leib-Seele-Problem (Descartes) und den aus diesem resultieren-den Spezialisierungen - ein Entstehungsgrund der Spaltung der Fakultäten. Die Ablehnung wurde mit dem Vorbehalt rationali-siert, daß irrenden Sinnen bzw. Empirie, etwa geo- od heliozentrischen Perspektiven, nicht zu trauen sei. Als Quelle der Erkenntnis haben die Rationalisten, insbesondere bei Diskussionen zu den „Welten 2 und 3“ (Notiz 19) (in Antithese zu den empirischen Wissenschaften mit ihrem Fokus auf „Welt 1“), fortan allein auf ihre reflexive Potenz gesetzt. Das manifestiert sich bis heute in der Spaltung der Wissenschaftler in Empiriker/Empiristen/Naturwissenschaftler und Theoretiker/Rationalisten/z.T.Geisteswissenschaftler/Philosophen. 2) Der Weg von der äußeren Realität über die Sinnesorgane und neurokybernetische Teilleistungen zum inneren Bild ist in der Tat weder schlüssig noch lückenlos rekonstruierbar bzw. nicht (wie etwa ein mathematischer Beweis) überprüfbar. Mit anderen Worten: Die Rekonstruktionen der „Welt 1“ in den „Welten 2 und 3“ können nicht direkt mit dem Original verglichen werden: Die Einschätzung von Rekonstruktionsfehlern und -schwächen zwischen den „Welten 1, 2 und 3“ ist deshalb nur indirekt möglich und bleibt hypothetisch. (Zwischen Personen ist mit Hilfe der Sprache der Vergleich der inneren Bilder zu „Welt 1“ z.T. nur „vergröbert“ möglich.) 3) Zum Materie-Geist- / Leib-Seele-Problem: Wechselwirkungen zwischen erfahrbaren Anteilen von Leib und Seele sind Gegenstand der Psychologie. Neurokybernetische Teilleistungen (z.B. des Bewußtseins) werden auf der Ebene der Neurophysiologie nicht bewußt erlebt. Dafür dürfte es prinzipielle Gründe geben: • „Das Explanans (Subjekt) kann nicht zum Explanandum (Objekt) werden“ (Zirkularitätsproblem, s. Notiz 7, 19) • möglicherweise auch, weil die neurobiologischen Schritte von der Realität zur bewußten Wahrnehmung für unser Bewußtsein zu komplex sind und • weil es keine evolutionären Vorteile gebracht hätte. - Infolgedessen ist es bis heute unklar, welche der folgenden beiden Hypothesen im Rahmen der Identitätslehre zutrifft: 3A) Zum psychophysischen Parallelismus: Wenn Denkinhalte „immateriell“ sind, können sie - trotz aller neurobiologischen Grundlagen - nicht auf physikalisch-chemische Prozesse des Nervensystems und damit auf das Verhalten rückwirken. Nur das Verhalten und seine neurobiologischen Grundlagen - aber nicht das Bewußtsein selbst - sind das unmittelbare Produkt von Mutation und Selektion. Bewußtseinsprozesse laufen demnach parallel zu neurobiologischen Leistungen ab. Bewußtsein könnte also ein Epiphänomen neurobiologischer Leistungen sein. (vergl. Norbert Bischof, 2008: Psychologie, Kohlhammer-Verlag) 3B) Zur Wechselwirkungshypothese: Im wesentlichen wird nur Zweckmäßiges bewußt, wie etwa die sogenannte Körperwahrnehmung und andere Sinneswahrnehmungen, Stimmungen und Emotionen (betr. subjektiven Aspekt von Antrieben und Hemmungen), Objektpermanenz, Übernahme der Perspektive anderer (a. emotional: als Grundlage der Empathie und für ein Verständnis von Intentionen anderer; b. rational: Vorstellung über Denkinhalte anderer / Notiz 13). Der Zweckmäßigkeitsaspekt ist ein Indiz dafür, daß die Fähigkeit, bewußt Erfahrungen machen zu können, ein Produkt von Mutation und Selektion ist und daß die subjektiv erlebten Inhalte des Bewußtseins nützlicher und notwendiger Teil von Entscheidungen sind. Die Widersprüche u Schwierigkeiten zwischen Parallelismus- u Wechselwirkungshypothese, aber auch die der Solipsismusdiskussion sowie die Spaltung der Humanwissenschaften in natur- u geisteswissenschaftlich ausgerichtete Fächer sind höchst wahrscheinlich Folgen des Zirkularitätsproblems (s.Notiz 7,19,33; bez. Wahrheitsähnlichkeit unserer Anschauungen: ). Das Dia und die ersten beiden Punkte der Notizen beziehen sich auf die Verarbeitung von Afferenzen, die beiden in 3A & 3B erwähnten Hypothesen auf efferente Aspekte des Bewußtseins.

30 Orientierungsrahmen für Interdisziplinarität
in den Humanwissenschaften Tabelle 1 Verursachungen Ontogenese A / B Anpassungswert Phylogenese Molekül Zelle Gewebe / Zytoarchi-tektur / Kybernetik Organ Individuum Familie Gruppe Gesellschaft (IV) DISKUSSION / METHODENKRITISCHE BEMERKUNGEN Mit Hilfe des Ansatzes können die Suchfelder der Disziplinen und Fachbereiche1 entsprechend der Komplexität ihres „Gegenstandes“ erweitert werden, und damit zu einem gemeinsamen fächerverbindenden Konsens z.B. hinsichtlich des Fragenspektrums2 und der vielen Detailprobleme3 führen. Keine „Disziplinlosigkeit“: Die Fächer haben sich in ihrer Form bewährt, weil Spezialisierung notwendig ist - trotz aller interdisziplinaritätstheoretischen Probleme; - viele Fragen lassen sich aber nur fächerübergreifend erhellen. Das tabellarische „Ordnungsschema“ lädt (nach Klaus Rehfeld) zu einer „Entdeckungsreise“ ein, „die vielen humanwissenschaftlichen Dimensionen auszuloten“ 4 (s. Notiz 19). Die Bereiche der vier Grundfragen und Bezugsebenen sind eng miteinander verschränkt. Ein “entweder oder” durch kontrastierende Theorienbildungen widerspricht z.T. der Realität, ein “sowohl als auch” ist oft der Komplexität der Wirklichkeit angemessener. Wenn man z.B. nur die unmittelbaren Zusammenhänge untersucht (z.B. Neuropsychoanalyse und Neurotheologie) und die grundlegenden unterbewertet oder außer Acht läßt (oder vice versa), dann bleiben viele Lebensphänomene unerklärlich und viele Theorien unzulänglich. Ein Beispiel: Die Frage etwa, ob “kindliche Sexualität” in das Brutpflegeverhalten mit den Eltern einfließt (Freud) [z.B. Herzen, Schmusen, Kuß], oder Brutpflege in die Erwachsenensexualität und in das Sozialverhalten, läßt sich mit Hilfe der Rekonstruktion ihrer phylogenetischen Zusammenhänge entscheiden (siehe Dia 10). Aus erkenntnistheoretischer Sicht gilt: Da die Antworten zu den Bezugsebenen und zu allen vier Grundfragen widerspruchsfrei zusammenpassen müssen, lassen sich durch Inkonsistenzen neue Untersuchungs- und Diskussionsbereiche finden und mitunter auch falsche Vorstellungen aufdecken (z.B. Vorstellung von Todestrieb - wenn es ihn gäbe, welchen Anpassungswert sollte er haben?) ______________________________ 1 z.B. Psychologie, Pädagogik, Psychotherapie, Soziologie, Politologie und Kulturwissenschaften. 2 betr. z.B. • Bezugsebenen und Grundfragen, bzw. Tab. 1 3 z.B. • Zirkularitäts- und Leib-Seele-Problem und • erkenntnistheoretische Positionen 4 bez. der Entstehungsgründe der Spaltung der Fakultäten siehe Dia und Notiz 29; bez. der Erhaltungsgründe siehe z.B. unterschiedliche Gewißheitsansprüche, Dia und Notiz 32 und moralistische Unterstellungen und Fehlschlüsse, Notiz 2/Fußnote 3 und Notiz 36. Eine metatheoretische Analyse der wissenschaftlichen Ansätze in Bezug auf die Felder des Periodensystems der Humanwissenschaften (Tab. 1) oder/und ein Vergleich der Stärken, Effizienz und Schwächen der Fakultäten wäre hinsichtlich des orientierenden Aspektes ein wissenschafts-theoretisches philosophisches Thema, methodisch eher das einer empirischen Wissenschaft. Mit Hilfe des Strukturmodells lassen sich problemorientiert Fragen stellen. Die Übersicht soll anregen, traditionelle Fächergrenzen zu überwinden und helfen, den transfakultären Wissensfluß zu erleichtern und das vorhandene Wissen zu integrieren.

31 „Härte“ von Daten und Theorien
Prinzipiell gilt es, Daten und Theorien so gut wie möglich abzusichern und zu überprüfen: Reproduzierbarkeit, Gegenhypothesen, statistische Aspekte und Konsistenzen mit den Ergebnissen von Nachbardisziplinen spielen dabei eine wichtige Rolle. Daten und Theorien können in Abhängigkeit vom fokussierten Feld des Strukturmodells (Tab. 1) unterschied-lich „hart“ sein. Die verschiedenen „Härten“ ergeben sich aus der unterschiedlich komplexen Vielfältigkeit der Ursachen etwa in Abhängigkeit von der betrachteten Bezugsebene (Molekül, Zelle, Organ, Individuum, Gruppe). Wenn in den Naturwissenschaften Ergebnisse klar, präzise, logisch und interdisziplinär konsistent und beliebig reproduzierbar sind, dann sind sie für Lehrbücher geeignet - und für die aktuelle Forschung uninteressant (nach L.Fleck1), weil die Wahrscheinlichkeit gering ist, daß sie noch modifiziert werden müssen. Die hohen Gewißheitsansprüche im Rahmen der theoretischen Vernunft einzelner Philosophen können häufig nicht im Kontext der praktischen Vernunft, wie sie sich in den Naturwissenschaften bewährt haben, erfüllt werden. - Das Aufdecken fiktiver Vorstellungen muß nicht immer die Falsifikation der gesamten Theorie zur Folge haben, manchmal genügt die Modifikation eines Details der Theorie2. Hinsichtlich komplexer Ebenen (z.B. Psychologie und Sozialwissenschaften) können viele Daten nicht die „Härte“ etwa von denen der Newtonschen Physik erreichen (das ist im wesentlichen der Bereich unserer physikalischen Welt, deren Dimensionen noch für viele Laien anschaulich sind - z.T. Mesokosmos). Der Prozeß des Kenntnisgewinns kann durch kritiklose Annahmen und Fiktionen genauso behindert werden, wie durch überzogene methodisch-theoretische Spitzfindigkeiten und übertriebene Gewißheits- und Konsistenzansprüche, die nach L. Fleck (1935, p 149) auf einer rationalistischen Erkenntnistheorie beruhen (z.T. internalistisches Wissen), die nicht die Praxis der empirischen Wissenschaften berücksichtigt (z.T. externalistisches Wissen), sondern ein Phantasiebild davon3. Wissenschaftstheorie darf nicht zum formalistischen Selbstzweck verkommen, oder sogar dazu mißbraucht werden, den wissenschaftlichen Fortschritt zu hemmen. Sie steht im Dienst der Forschungspraxis und dem Finden neuer, reproduzierbarer und immer besserer Ergebnisse und Anwendungen. Im Wissenschaftsbetrieb erweisen sich zwei komplementäre Vorgangsweisen als nützlich und notwendig: Sich (1.) mehr im Sinne der praktischen Vernunft mit Theorien über fiktive Grauzonen hinwegzusetzen und (2.) mit etwas mehr theoretischer Vernunft beharrlich die Schwachstellen von Theorien aufzudecken. Im Anwendungsbereich spricht man bei Differenzen zwischen theoretischer und praktischer Vernunft vom Theorie-Praxis-Problem, das die kreative Schnittstelle für den Wissensgewinn ist. ______________________________ 1 Ludwik Fleck (1935, ISBN ): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache + (gesammelte Aufsätze , ISBN X): Erfahrung und Tatsache; beide Suhrkamp Taschenbuch. 2 ... auch müssen die Forschungsansätze nicht immer theoriengeleitet sein: „Kommissar Zufall“ wird von der Wissenschaftsgeschichte und von der Wissenschaftstheorie oft nicht gebührend gewürdigt. 3 Fleck schlagt in seinen methodenkritischen Ausführungen vor, auch psychologische und wissenssoziologische Aspekte in der Wissenschaftstheorie zu berücksichtigen. Auch von der Wissenschaftsgeschichte werden nach Fleck oft die Irrungen, Um- und Leidenswege der Forscher verschwiegen und ein geschöntes Bild im Sinne von „veni, vidi, vici“ vermittelt.

32 Beispiele für erkenntnis-theoretische Positionen
nützlich oder/und notwendig z.B. in folgenden Bereichen 1: theoretische Vernunft: nur zwing-ende Argumente und kompromiss-lose Gewißheitsansprüche zählen Logik, Mathematik [Inhalte richtig und wahr, gilt z.B. für mathematische Beweise - und infolge hoher Vernetzungsgrade zwischen Wissenschaften auch für die Lehre von der Deszendenz] 2: praktische Vernunft: Kompromisse zwischen Theorie & Empirie; das Ziel: Wahrheitsähnlichkeit der Vorstellungen Naturwissenschaften, Grundlagen-wissen von z.B. Medizin und Technik [Zusammenhänge oft nur „einleuchtend“] ad 1, 2 & 3: Kann die theoretische Vernunft die praktische Vernunft behindern? ● Würde man in Technik und Medizin extreme Gewißheits- und Konsistenzansprüche geltend machen, dann wären die Anwendungs-wissenschaften blockiert. Trägt man den Wissenszuwachs in einem Diagramm (auf der y-Achse) in Abhängigkeit von diesen zunehmenden Ansprüchen (auf der x-Achse) auf, dann bildet das jeweils erzielbare Wissen eine Glockenkurve. Zunächst ist mit höheren Ansprüchen mehr Wissen zu erzielen, mit zu hohen weniger, weil überzogene Konsistenz- und Gewißheitsansprüche die Wissenschaft hemmen und blockieren können. Inkompatibilitäten zwischen theoretischer und praktischer Vernunft bestehen darüber hinaus z.B. ● in der Ethikdiskussion: Der naturalistische Trugschluß (Notiz 36) darf nicht im Sinne der theoretischen Vernunft überstrapaziert werden indem Wissen über die Natur des Menschen ausgeblendet wird. Im Rahmen der praktischen ethischen Vernunft müssen von Fall zu Fall die sozialen Dringlichkeiten sowie die biopsychischen Möglichkeiten und Grenzen gegeneinander abgewogen werden. Es geht nicht nur um das Wissen ums „Sollen“ bzw. ums „Gut“ und „Böse“ sondern auch um das Wissen über „Können“ und „Wollen“ - sie unterliegen lebens- und stammesgeschichtlichen Einflüssen. ● in der Rechtspflege: Das betrifft z.B. praxisferne Verwaltungen u.a. Expertokratien d. Verhinderer, in denen Regeln zum Selbstzweck verkommen u dadurch den ihnen zugedachten Zweck verfehlen; das kann sich für Lehre, Forschung, Patienten, Studenten, Mitarbeiter, ihre Zufriedenheit u Motivation als nachteilig erweisen. ad 2: Eine Voraussetzung ist die „Überprüfbarkeit“ von Theorien z.B. mithilfe empirischer Erfahrungen: Theorien müssen nach Popper prinzipiell falsifizierbar sein. Naturwissenschaftler fokussieren vor allem dann fiktives Wissen, wenn empirische Daten zu ihren Theorien im Widerspruch stehen oder wenn sich Probleme bei Anwendungen ergeben bzw. wenn ihre Theorien an der Realität scheitern; und sie wenden ihr Wissen trotz geradezu immenser fiktiver Bereiche erfolgreich an - etwa mit Fiktionen hinsichtlich der Zusammenhänge zwischen den Bezugsebenen, Fiktionen, die für viele Philosophen unerträglich wären. ad 3: Der Erfolg von naturwissenschaftlich fundierten Anwendungswissenschaften besteht darin, sich dann, wenn geschlossene und konsistente theoretische Voraussetzungen fehlen, über die Wissenslücken vorerst mit Hilfe von Empirie (und z.T. Statistik) hinwegzusetzen. Das gilt für den Flugzeugbau (z.B. Triebwerksentwicklung) in ähnlicher Weise wie für die Pharmaforschung: Trotz aller Suchfeldeinengungen mit Hilfe von neurobiologischen und stereochemischen Hypothesen und Theorien müssen im Rahmen der psychiatrischen Pharmaforschung immer noch etwa Substanzen rein empirisch in vitro und in vivo getestet werden (hinsichtlich der Erfüllung bestimmter empirisch gefundener und theoretisch definierter Vorgaben), bevor eine zur klinischen Anwendung kommt, bzw. in Apotheken verkauft werden darf. Die theoretischen Zusammenhänge zwischen dem chemischen Denkansatz und der neuropsycho-pharmakologischen Wirkung - z.B. auf Wahn und Halluzinose - bleiben hypothetisch / fiktiv3. Wer heilt hat [nicht immer] recht. Darüber hinaus entspricht bei Zulassungsstudien von Medikamenten das Patientenkollektiv (auf Grund sehr strenger Auswahlkriterien - etwa im Sinne der theoretischen Vernunft) oft nicht dem in der Praxis. Ihre Ergebnisse werden deshalb manchmal den vielfältigen Anforderungen in der Praxis nicht gerecht. Diese Wissenslücke wird dann im klinischen Alltag durch einen zweiten Schritt mit mehr praktischer Vernunft im Rahmen weiterer Studien geschlossen: Einzelne Medikamente werden letztendlich bei Indikationen eingesetzt, die von den primären Zulassungsindikationen abweichen. ad 4: Religiosität ist keine Voraussetzung für eine Ethikdiskussion. Wegen fehlender Überprüfungsmöglichkeiten vieler religiöser Inhalte, sind auf der zwischenmenschlichen Ebene und der Ebene der Gruppe und der Gesellschaft Grenzen der Religionsfreiheit notwendig: Eine kulturhistorische Errungenschaft, die sich bewährt hat, ist die Trennung von Religion und Staat. (Aus der Sicht der Humanethologie und Kulturwissenschaften stellt sich die Frage, warum es ani-mistische, mono- und polyteistische (also sog. Anthropomorphisierungen), aber keine atheistischen Kulturen gibt (vergl. theriomorphe Götter bei Xenophanes).) ________________ 1 z.T. durch Evidenz fundiert: In einzelnen Bereichen der Medizin weiß man nicht mehr als Angehörige von Naturvölkern beim Einsatz von Curare (ein Pfeilgift). 2 Verantwortungsethik, metaphysische und religiöse Begründungen 3 Bei radikalen Empiriegegnern, bezüglich der praktischen Vernunft unkritischen Rationalisten (z.T. „Eminenz“-basierte Wissenschaft) und manch anderen wissenschaftstheoretischen Kritikern der Naturwissenschaften besteht spätestens dann ein Widerspruch zwischen der theoretischen Vernunft ihrer Philosophie und ihrem Alltag, wenn sie hinsichtlich ihrer theoretischen Grundlagen so fiktive „Dinge“ beanspruchen wie z.B. Flugzeuge und Ärzte. Wenn in der transfakultären Kooperation scharfsinnige Rationalisten zur Kosteneffizienz etwa in der Pharmaforschung beitragen könnten, hätte sie die Industrie längst entdeckt. 3: praktische Vernunft der Anwendungs-wissenschaften („Machbarkeitspara-digma“): wahr ist, was funktioniert theoretisch unzureichend, aber bez. Anwendungen hinreichend[1] fundierte Bereiche von Medizin und Technik 4: Metaphysik und Glaube an religiöse Mythen: ohne Überprüfungsmöglichkeiten Beiträge zu Moral und Ethik[2] Bsp. dazu gibt es von allen Religionen - animistischen, mono- und polytheistischen ad 1-3: unterschiedliche erkenntnistheoretische Positionen sind in Abhängigkeit vom Untersuchungsbereich mit ganz bestimmten Vor- und Nachteilen verbunden.

33 Folgen von transfakultär unterschiedlichen Bewertungen von Theorie und Empirie, theoretischer und praktischer Vernunft Wenn ohne Empirie versucht wird, die Welt zu verstehen, sind die einzigen Prüfsteine der Wahrheitsähnlichkeit (logische) Konsistenz und das eigene Ermessen. - Der Erklärungswert kann damit gering sein. Naturwissenschaft nützt beharrlich Widersprüche zwischen Theorie und Empirie und kann auf der Basis von Analysen immer mehr Details zu immer kleineren Bereichen der Welt erklären - z.T. um den Preis des Überblicks „... sehen vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr“ Die transfakultär unterschiedliche Bewertung von Empirie und Theorie hat weitreichende Konsequenzen, sie betreffen bis heute auch die folgenden methodischen Aspekte, wie unter anderem Analyse/Synthese, erklären/verstehen und höchste Gewißheitsansprüche/Fiktionen. Naturwissenschaftler neigen bei ihren Analysen dazu, ihre „Untersuchungsgegenstände“ zu zerlegen und gewinnen dabei Erkenntnisse über immer kleinere Bereiche und Dimensionen der Welt, um den Preis des Überblicks. Sie können also viele Details erklären, sie verstehen aber nur wenige Zusammenhänge. Philosophen versuchen Zusammenhänge zu verstehen und in schlüssigen Theorien zu erfassen: Bei ihren Synthesen bauen sie auf (logische) Konsistenz und weniger auf Empirie - obwohl auch in sich schlüssige Theorien an der Realität scheitern können. Zu den extremen Gewißheits- und Konsistenzansprüchen einzelner Philosophen ohne hinreichende empirisch fundierte Realitäts-bezüge (z.B. radikaler Konstruktivismus) gibt es eine extreme gegenteilige Position, nämlich die kritiklosen Fiktionen der Hellseher und Abergläubischen, die Einzelerfahrungen generalisieren und einfache statistische Gegebenheiten nicht berücksichtigen. Die Naturwissenschaftler stehen auf dem „Kontinuum“ zwischen „absoluter Gewißheit“ und Fiktion irgendwo zwischen den beiden Positionen, wenn sie beharrlich die Wechselbezüge und Widersprüche zwischen Theorie und Empirie nützen.1 Die Position der Naturwissenschaftler im „gemäßigten“ Mittelbereich (zwischen den beiden Extrempositionen „absolute Gewißheit“ und Fiktion) ist offensichtlich das „Geheimnis“ ihres Erfolges; sie handeln nach der Devise: Lieber Hypothesen mit fiktiven Bereichen als scheinbar konsistente Lehrgebäude von geringem (Erklärungs- und Anwendungs-) Wert2 (praktische Vernunft der Naturwissenschaften). Die Naturwissenschaften werden unabhängig von der Kultur verstanden und genutzt; für sie gilt: so wenig Spekulation und Fiktion und so viel Gewißheit und Konsistenz wie möglich; sowohl zu hohe Gewißheitsansprüche („wenn das Kind/Theorie mit dem Bad ausgeschüttet wird“) als auch zu viel Fiktion wären für sie und ihre Anwendungswissenschaften abträglich. Einzelne Philosophen sind nur so lange am historischen Wandel von Konzepten interessiert und bereit, diesen Wandel nachzuvollziehen und zu interpretieren, bis sich Naturwissenschaftler des Themas angenommen und „empirisch verschmutzt3“ haben; obwohl Erklärungswert und Bedeutung von philosophischen Abhandlungen heute davon abhängen, wie sehr es gelingt, Ergebnisse der Naturwissenschaften - sofern vorhanden - einzubeziehen, bzw. die theoretische Vernunft durch Aspekte der praktischen zu berichtigen - und auf Grund neuer empirischer Erfahrungen neue Hypothesen zu entwickeln. ________________ 1 Naturwissenschaftliche Theorien sollen nicht nur in sich konsistent sein, sie sollen auch konsistent zu den empirisch gefundenen Daten passen - als Voraus-setzung für die angestrebte „Wahrheitsähnlichkeit“ der Theorien (= aristotelisch-scholastische Korrespondenztheorie der Wahrheit, „adaequatio intellectus ad rem“ = das gilt nicht für die Bereiche der Evidenz-basierten Wissenschaften, die nur statistisch abgesichert sind; in der Medizin spricht man heute von evidence based medicine). 2 Einzelne Formen der „Unschärfe“ sind in den Naturwissenschaften methodisch-theoretisch verankert: Von einzelnen Anwendungswissenschaften wird z.T. dann die Fuzzy-Logik als Hilfsmittel eingesetzt, wenn beispielsweise Ist- und Sollwerte „unscharf“ sind. 3 In der Philosophie wird bei der Diskussion der aristotelischen «Urgründe allen Geschehens» nach wie vor Wissen der Biologie nicht einbe-zogen (siehe Notiz 23). - Der Ausspruch „empirisch verschmutzte Philosophie“ stammt, wie Erhard Oeser am 11.IX.07 in Freiburg am 7.Kongr. d. Ges.f. Anthropol. ausgeführt hat, von dem Philosophen Karl Ulmer: Die Position schadet der Philosophie selbst, weil dem Intellekt ohne systematische empirische Überprüfung und, in den Humanwissenschaften, ohne zusätzlich klar strukturierte fakultätsübergreifende Orientierungshilfen, die wissenschaftstheoretisch fundiert sind, nur eine relativ beschränkte reflexive „Kontrollfunktion“ zukommt. -- Die Interpretation von menschlichem Denken, Fühlen und Verhalten, sowie von kulturellen Phänomenen kann wenig ergiebig oder schlichtweg falsch sein, wenn versucht wird nur ihre historischen, lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen zu verstehen, ohne - sofern vorhanden - empirisch fundierte anthropologische Grundlagen zu berücksichtigen. Letztere werden z.B. von der Evolutionären Erkenntnistheorie, Evolutionären Ethik, Evolutionären Medizin, Neuro- und Biopsychologie, Evolutionären Psychologie, Evolutionären Pädagogik, Evolutionären Politologie einbezogen. Zwei Extrempositionen: zu hohe Konsistenz- und Gewißheitsansprüche einzelner Wissenschaftler und 2. kritiklose Fiktionen von Hellsehern/Abergläubischen (Fiktionen, die nicht als Arbeitshypothesen taugen) Gute Wissenschaft steht zwischen Theorie und Empirie. Wegen dieses Zwiespalts ihr Kompromiß und Erfolgsrezept: So wenig Spekulation und Fiktion und so viel Konsistenz und Gewißheit wie möglich.

34 zu den interfakultären Barrieren
psychische Barrieren & Abwehrmechanismen nach Kuhn1 werden neue Paradigmen mit überholten bekämpft wie wird institutionell mit Widerspruch umgegangen? Die Gruppendynamik in Instituten und Fachgesellschaften ähnelt der von Stammesgesellschaften (betr. Beziehungsarbeit sowie Konformitätsdruck hinsichtlich der herrschenden Paradigmen) Wissenschaftler zwischen den Fakultäten sind „Außenseiter“ wissenschaftspolitische Engpässe transfakultäre Identifizierung von Grundlagenwissen und seine Vermittlung sind nicht institutionalisiert (vergleiche Frage / Dia 2) Personaleinsparungen trotz Explosion des Wissens - Ist ein partieller Wissensverlust zu befürchten? Die drei Punkte des Dias spiegeln Aspekte des Schichtenbaus der Welt der Wissenschaft wider (vergl. Dia 23, 24). ad 1: Wenn Spezialisten mit neuen Paradigmen konfrontiert sind, dann sind die psychischen Barrieren2 bei ihnen oft höher als bei Fachfremden. Die selektive Wahrnehmung und Beharrungstendenz von Fachleuten hat z.T. affektlogische Ursachen (s Notiz 20), z.T. ist sie Folge eines „denkökonomischen Prinzips“, nämlich an lebensgeschichtlich „bewährten“ Denkmustern festzuhalten: Die meisten von uns sind mit zunehmendem Alter immer weniger bereit, Orientierungswissen und paradigmatische Ansätze neu zu konzipieren. Die Welt unserer Vorfahren, in der diese altersabhängigen Lernbereitschaften entstanden sind, war keinem so raschen Wandel unterworfen, wie es für unsere Zivilisation und Wissenschaft heute der Fall ist. Max Planck (1948, Selbstbiographie): „Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben ... .“ ● Zur Persönlichkeit und Streubreite von Kompetenzen: Moderate Selbstüberschätzung, überzogene Autonomieansprüche und suggestiv mani-pulatives Durchsetzungsvermögen können Karrierevorteile mit sich bringen und Nachteile für abhängige Mitarbeiter, die in zweckmäßiger Weise neue Paradigmen favorisieren. Eine wissenschaftshemmende Sekundärfolge der Selbstüberschätzung ist der Neid, weil Betroffene nie genug Macht und Anerkennung bekommen – weil sie subjektiv eine zu wenig („trieb-“) befriedigende Sättigung ihrer Alpha-Ansprüche erleben. ad 2: ● Konformitätsdruck kann den wissenschaftlichen Fortschritt hemmen. Wissenschaftler sind zwei, manchmal divergierenden, Realitäten „verpflichtet“: 1. ihrem Untersuchungsgegenstand und 2. im Rahmen ihrer karriereorientierten Beziehungsarbeit, dem Denkstil der maßgeblichen Fachleute ihres Denkkollektivs. So wird „... Wissenschaft ein moderner Weg zu einer guten Karriere“ (Fleck 1960, p 175), zumal „... Äußerungen, die die intellektuelle Stimmung eines Kollektivs zerstören, Haß wecken“ (Fleck 1936, p 112 [Fleck 1936 & 1960 in: ISBN X]). Ludwik Fleck (1935, p 140 [ISBN ]): „Die allgemeine Struktur des Denkkollektivs bringt es mit sich, daß der intrakollektive Denkverkehr ipso sociologico facto - ohne Rücksicht auf den [externalistischen] Inhalt und die logische Berechtigung - zur Bestärkung der Denkgebilde führt“3. Dabei werden mitunter gegnerische Positionen frei erfunden um mit ihrer Hilfe die eigene Position zu untermauern (s.moralist.Fehlschluß/Notiz 36). Variablen sind die Wahrheitsähnlichkeit einer Theorie und der Umstand, wie gut sie „verkauft“ wird. ad 3: Die Humanwissenschaften benötigen (1.) eine fächerverbindende gemeinsame Basis und (2.) die Ermöglichung der Entfaltung unterschiedlicher diskussionswürdiger Denkstile - trotz Konformitätsdruck und impact-Direktiven. Zur Geschwindigkeit des Informationsflusses in und zwischen Humanwissenschaften: Die Geschwindigkeit - etwa von der Erkenntnis bis zur Anwendung - ist in der Genetik und Pharmaforschung am höchsten (wenige Jahre; hier ist der 2-Jahres-Modus beim Errechnen der Impactpunkte angemessen und im Rahmen der Pharmaforschung z.T. auch betriebswirtschaftlich nützlich). Die komplexe Relevanz von grundlegenden (ultimaten) Zusammenhängen ist 150 Jahre nach Darwin außerhalb der Biologie z.T. noch unbekannt; ähnliches gilt für den naturalistischen Fehlschluß fast 300 Jahre nach Hume (siehe Notiz 36). ________________ 1 Thomas S. Kuhn (1976): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch (ISBN ) 2 Barrieren von „Fachleuten“ werden manchmal als Semmelweiseffekt bezeichnet. Weil Ignaz Semmelweis ( , der die Ursache des Kindbettfiebers entdeckt hat) seine fachlichen Gegner als Mörder beschimpft hat, wurde er in die Psychiatrie in Wien zwangseingewiesen, wo er 14 Tage nach seiner Einlieferung erschlagen worden oder an einer Blutvergiftung verstorben ist - als Folge der „Führungsmaßnahmen“ durch das Personal. Er - und viele Wöchnerinnen - wurden also Opfer der seinerzeit z.B. bez. Kindbettfieber „Eminenz“-basierten Geburtshilfe. 3 Empiristen hat es nie gegeben; Empiriker waren nie so „monoman“ frei von Theorien wie Rationalisten frei von Empirie waren und bisweilen sind: Viele „Eminenzen“ des transfakultären Dialogs laden als „Alibi“ Naturwissenschaftler zu interdisziplinären Symposien ein und üben sich mit ihnen in ökumeneanalogem small talk (weil Interdisziplinarität schick ist), zugleich verbarrikadieren sie sich mit ihren theoretischen „Vernunft“-Prinzipien hinter dem rationalistischen Eisernen Vorhang der eigenen Schule um naturwissenschaftliche Grundlagen ihres Faches abzuwehren.

35 Nach einer indischen Allegorie von den Blinden, die einen Elefanten erforschen wollen und zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen kommen. © Zeichnung aus „Politische Ökologie“ (6. Jahrgang, 1988), Editorial, Seite 2) Als Diskussionsbeitrag zur THEORIE DER INTERDISZIPLINARITÄT 3 weitere Stichwörter aus dem „Lexikon der Biologie“, Spektrum Akademischer Verlag; mit freundlicher Genehmigung des Verlages: ETHIK w [von griech. ethikos = sittlich, ethisch; Adj. ethisch], philosophische Wissenschaft vom sittlichen Denken und Handeln des Einzelmenschen sowie vom Sittlichen im Zusammenleben mit anderen Menschen, i.w.S. mit anderen Lebewesen. Infobox: Ethik, Ethologische und kulturenvergleichende Aspekte: Bei der Frage, was bei "natürlichem" (angeborenem, gelerntem und kulturell vermitteltem) menschlichem Verhalten "gut" oder "böse" ist, erweist sich häufig die Goldene Regel als hilfreich. Zu dieser Regel gibt es wahrscheinlich in allen Hochkulturen schriftliche Überlieferungen1: z.B. Mose 3 ("Liebe deinen nächsten, wie dich selbst.")/("Wie ein Einheimischer aus eurer Mitte gelte euch der Fremdling."), Konfuzius, Buddha ("... nirgends habe ich etwas gefunden, das dem Menschen teurer ist als sein eigenes Ich. Da nun den anderen auch ihr Ich lieb ist, darf, wer sein eigenes Wohl wünscht, keinem anderen ein Leid zufügen."), Hillel ("Was dir selbst unlieb ist, das füg keinem andern zu."), Matthäus ("Alles nun, was ihr wollt, daß es euch die Menschen tun, das sollt auch ihr ihnen tun."). Kants kategorischer Imperativ ist eine konsequente und strenge Auslegung und Weiterentwicklung der Goldenen Regel: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte." Werden die Goldene Regel und der kategorische Imperativ praxisbezogen und konsequent durchreflektiert, dann müssen, um etwa gesinnungsethische Fehler bei weltanschaulichen und transkulturellen Problemen zu vermeiden, Eigen- und Fremdperspektiven gegeneinander abgewogen werden (vergleiche „Affektlogik“ in Notiz 20). Die Goldene Regel und der kategorische Imperativ können mit Vorbehalt als kulturelles Pendant zum reziproken Altruismus der Soziobiologie gesehen werden. MORALISTISCHER FEHLSCHLUSS, rationalistischer Trugschluß, Schluß, bei dem aus der Sicht von Einstellungen und Weltanschauungen - und entgegen empirischen Erfahrungen - vom Sollen auf den biopsychischen Istzustand geschlossen wird, bzw. wie man in die Alltagssprache von Christian Morgensterns Gedicht "Die unmögliche Tatsache" übernommen hat: "nicht sein kann, was nicht sein darf". Manchmal werden Theorien mit dem Hinweis auf die Gefahr mißbräuchlicher Anwendung abgelehnt. Dabei wird zuwenig klar zwischen ihrem Erkenntniswert und ihrem Anwendungswert unterschieden, bzw. zwischen den moralisch wertfreien Erkenntnissen und - unter Einbeziehung von moralischen Wertungen - den potentiell negativen Auswirkungen der Erkenntnis. Wissenschaftstheoretisch relevant ist die Wahrheitsähnlichkeit einer Theorie, nicht ihr Anwendungswert, ihre Entstehungs- und Verwendungsgeschichte. Vor mißbräuchlicher Anwendung ist keine Theorie geschützt, ebensowenig kann eine Theorie durch mißbräuchliche Anwendung falsifiziert werden. Sowohl mißbräuchliche Anwendung als auch Wissensverzicht können nachteilige Folgen haben. [siehe auch „Affektlogik“ in Notiz 20] NATURALISTISCHER FEHLSCHLUSS, naturalistic fallacy, ein Begriff der Moralphilosophie und Logik, der besagt, daß es nicht zulässig ist, von beobachteten Fakten auf moralische Normen zu schließen. Der naturalistische Fehlschluß wird im Englischen durch die Aussage "there is no ought from an is" charakterisiert - mit anderen Worten: man darf nicht vom biopsychischen Ist auf das moralische Sollen schließen2. Besonders brisant ist der naturalistische Fehlschluß, wenn versucht wird, mit Hilfe von "Ist"-Zuständen der Natur moralische Normen menschlicher Gesell-schaften zu legitimieren. Da die Natur moralisch völlig indifferent ist, hat der Prozeß der biologischen Evolution auch keine moralischen Dimen-sionen - damit gibt es auch keine moralischen Tiervorbilder. Die Grundgedanken des naturalistischen Fehlschlusses gehen auf den engl. Philoso-phen David Hume ( ) zurück. Die naturalistic fallacy wird deshalb im engl. Sprachgebrauch auch "Hume's law" (Humes Gesetz) genannt3. Im Gegensatz dazu darf und soll die Natur aber hinsichtlich "mechanisch technischer" Lösungen durchaus als Vorbild genommen werden. [vergleiche Notiz 28 betr. „Können & Sollen“.] ________________ 1 Den transkulturellen Ähnlichkeiten in Bezug auf die ● goldenen Regeln, die in Notiz 32 erwähnten ● Anthropomorphisierungen und den ● Glauben an ein Leben nach dem Tod (vergl. Identitätslehre/Notiz 29) liegt die „bio-psycho-soziale Realität“ menschlicher Individuen und Gruppen zugrunde (z.B. Leib-Seele-Problem/Notiz 29), ihnen stehen erhebliche interreligiöse Diskrepanzen hinsichtlich Details der Weltbilder gegenüber. 2 Dieses Prinzip darf nicht im Sinne der theoretischen Vernunft überstrapaziert werden, indem Wissen über die Biopsychologie aus der Ethikdiskussion ausgeblendet wird: Im Rahmen der praktischen ethischen Vernunft müssen von Fall zu Fall die sozialen Dringlichkeiten sowie die biopsychischen Möglichkeiten und Grenzen gegeneinander abgewogen werden. Es geht nicht nur um das Wissen ums „Sollen“ bzw. ums „Gut“ und „Böse“ sondern auch um das „Können“ und „Wollen“; sie unterliegen lebens- und stammesgeschichtlichen Einflüssen. 3 Auch bei der Diskussion der vielfältigen Vorstellungen z.B. zum „Naturrecht“ war und ist die Berücksichtigung des naturalistischen Trugschlusses nützlich und notwendig Ein weiteres interdisziplinaritätstheoretisches Problem, ist die z.T. noch ausständigen Ethikdiskussion in der Rechtspflege. Jeder von uns gleicht einem dieser Seh-behinderten: Transdisziplinär „gibt es niemanden, der dem ... ‚Sehenden‘ entspricht, der ... den Überblick behält.“ Die basistheoretischen Eckpfeiler können eine Orientierungs- und „Sehhilfe“ sein.


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