Risiko- vs. Schutzfaktoren in der Entwicklung

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Günther Opp Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Advertisements

Dr. Peter Dobmeier Lech-Mangfall-Kliniken gGmbH
der Wissenschaftlichen Jahrestagung
Kindeswohlsicherung in den Einrichtungen für Mütter/ Väter und ihre Kinder in Lotte   Zielgruppe: Eltern mit psychischen Erkrankungen.
Erwerb von sozialer Kompetenz
Kompetenzfeld Tod und Trauer
Peter Rossmann Institut für Erziehungswissenschaft
Impulse für ein Lehrerhandeln zwischen Risiko und Resilienz
Referentinnen: Julia Michalewski, Birte Stapperfend, Elisa Remde
Transmission des Scheidungsrisikos
Anlage, Umwelt und Verhalten
Alkoholabhängigkeit und Alkoholmissbrauch nach ICD-10 und DSM-IV
Bindung und die Entwicklung des Selbst
Entstehung von Süchten und Drogenmissbrauch durch Modell-Lernen
John Bowlby, Mary Ainsworth, Bindung.
Definition: Anlage - Umwelt
Einführung in die Entwicklungspsychologie – PD Dr. Christiane Papastefanou – WS 2002/2003 Entwicklungsaufgaben der frühen Kindheit Laufen lernen Feste.
Grundkonzepte der Bindungstheorie
Professor Dr. Dr. Wolfgang Schneider
Bindung und Verlust im Kindesalter
Persönlichkeits-entwicklung
Resilienz die innere Kraft zu gedeihen.
Vortrag Elternabend Kinderbrücke
Kindeswohlgefährdung Erkennen, Beurteilen, Handeln
Mögliche Themen für die Sozialarbeit im Fall Herr und Frau Huber
Dissoziation: Definition
Was kleine Kinder brauchen, um stark zu werden
Trauma und Bindung Auswirkungen erlebter Traumatisierung
G. Gatterer Geriatriezentrum am Wienerwald
Schadensminderung im Justizvollzug Zusatzmodul:
Persönlichkeitsstörungen
Kinder-und jugendpsychiatrische Aspekte der Kindesmißhandlung
Burnout Dr. Margot Peters FÄ f. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin.
Alkoholmissbrauch von Kindern und Jugendlichen
Resilienz Erhalt von psychischer Gesundheit im Kindheits- & Jugendalter Gruppenarbeit von: Ivan Schenk, Gabriella Schmidlin, Lilian Suter, Gabriela Pfau-Zumstein.
Dipl. Sozialpädagogin Margit Bösen-Schieck
Psychosen By Kevin und Oliver.
Bindungsqualität und kindliche Entwicklung
Wie häufig ist ADHS?.
Wenn ‚Helden‘ Hilfe brauchen
Caritasverband für Stadt und Landkreis
Stalking - Betroffene Aus allen Schichten und Altersgruppen
Gemeinsam gegen Gewalt
Die Rolle der Eltern im Berufswahlprozess ihrer Kinder
Individuelle Unterschiede bei Aggressionen
als überfordernder Stress in landwirtschaftlichen Familienbetrieben
Trennung und Scheidung als Familienkrise und Entwicklungsprozess
Kurz-, mittel- und langfristige Folgen einer Trennung oder Scheidung
Bestrafung und Löschung
WAS IST BINDUNGSTHEORIE?
110. Dt. Ärztetag, , Münster Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e. V. Prof. Dr. med. Dr. h. c. Dietrich Niethammer, Generalsekretär.
HEURISTIKEN.
Überblick An wen richtet sich Stepping Stones Triple P?
Liebend gern erziehen Triple P-Elterngruppentraining für Familien von Kindern bis 12 Jahren Triple P = Positive Parenting Program (Positives Erziehungsprogramm)
KRISENINTERVENTION IN DER PRÄNATALDIAGNOSTIK Karin Tordy AKH Wien, Univ. Klinik f. Frauenheilkunde Abt. pränatale Diagnostik und Therapie.
Papilio Primärprävention von Verhaltensproblemen und Förderung sozial-emotionaler Kompetenz im Kindergarten.
,,Die Frage eines Nachfolgers für mich kam auf
18. Mai 2015 Dr. med. Cyrill Jeger-Liu, Olten
Fachstelle für Suchtvorbeugung Kreis Borken Ausweichendes Verhalten + betäubende Funktion Gibt es so etwas bereits im Kindesalter?  sogenannte „Kinderdrogen“
Wie viel Mutter oder Vater braucht das Kind?
Gesundheitliche Folgen von h ä uslicher Gewalt. Was interessiert wen? Beispiel ÄrztInnen  22% aller Frauen erleiden im Laufe ihres Lebens Gewalt in einer.
Definition/Merkmale psychischer Störungen
Biopsychosoziale Entwicklung Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser.
Biopsychosoziale Entwicklung (1) Anlage oder Umwelt?
FAMILIENKOMPETENZ STÄRKEN ZU ERZIEHUNGSVERANTWORTUNG BEFÄHIGEN, ENTWICKLUNG FÖRDERN. ELTERN UND KINDER IM BLICK Elisabeth Schmutz Institut für Sozialpädagogische.
ALBERT-LUDWIGS- UNIVERSITÄT FREIBURG Einführung „Klinische Psychologie“ Tobias Stächele - Vertiefendes Seminar zur Vorlesung Klinische Psychologie - Institut.
We are Family! Geschwister von Kindern mit Behinderung.
Margret Seidel Gesa Lohkamp Hamburg 2016
Arbeitsgruppe Kindesschutz Ein Kooperationsprojekt des Kinderkrankenhauses auf der Bult der Medizinischen Hochschule der niedergelassnen Kinderärzte der.
 Präsentation transkript:

Risiko- vs. Schutzfaktoren in der Entwicklung Vorlesung „Klinische Psychologie“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser

Risikoerhöhende vs. –mildernde Bedingungen Kindbezogene Bedingungen: z.B. genetische Disposition. Umgebungsbezogene Bedingungen: z.B. sozioökonomische Faktoren. Proximale Faktoren: z.B. ein bestrafender Erziehungsstil Distale Faktoren: z.B. Wohngegend.

Vulnerabilität Begriff Vulnerabilität: Verletzbarkeit, Anfälligkeit einer Person. Primäre V.: von Geburt an. Sekundäre V.: in der Auseinandersetzung mit der Umwelt erworben. Spezifische V.: für spezifische psychische Störung Allgemeine V.: als unspezifisch erhöhtes Risiko

Vulnerabilitäts-Stress-Modell (entwicklungspsychologisch betrachtet)

Vulnerabilitäts-Stress-Modell (am Beispiel „drogeninduzierte Psychose“)

Beispiele für risikoerhöhende Bedingungen Biologische Bedingungen und Bedingungen auf Seiten des Kindes (prä-, peri- und postnatale Faktoren) Bedingungen, die die Eltern-Kind-Interaktion beeinflussen Familiäre und soziale Bedingungen Kritische Lebensereignisse, Belastungen, Stress (Traumatisierungen)

Biologische Bedingungen und Bedingungen auf Seiten des Kindes Pränatal: z.B. negatives mütterliches Ernährungsverhalten, Substanzkonsum Perinatal: z.B. Sauerstoffmangel, niedriges Geburtsgewicht Postnatal: Hirnentzündungen, schwieriges Temperament des Kindes

Bedingungen, die die Eltern-Kind-Interaktion beeinflussen Negatives Pflegeverhalten der Bezugspersonen (z.B. i.S. einer Vernachlässigung) Psychische Störung der Eltern: können v.a. zu Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung führen Qualität der Bindung: Feinfühliges vs. die kindlichen Bedürfnisse missachtendes, elterliches Verhalten

Familiäre und soziale Bedingungen Konflikte, Streitigkeiten, Scheidung Trennungserlebnisse Erziehungsverhalten Gewalt und Misshandlung niedriger sozioökonomischer Status, Bildungsstand

Kritische Lebensereignisse, Belastungen, Stress (Traumatisierung) Der Eintritt bestimmter Lebensereignisse (z.B. Trennungs- erlebnisse) als auch die Anhäufung verschiedener Ereignis- se in kurzer Zeitspanne kann u.U. für Individuen so belas- tend sein, dass normale Bewältigungsmöglichkeiten nicht mehr ausreichen. Als Folge können emotionale Spannungszustände auftreten, die den Ausbruch psychischer Störungen begünstigen.

Risikofaktor ist nicht gleich Risikofaktor Zu berücksichtigen ist z.B.: die Intensität und das zeitliche Andauern einer risikoerhöhenden Bedingung, ob risikoerhöhende Bedingungen einzeln oder kumulativ auftreten, die Abfolge im Auftreten risikoerhöhender Bedingungen und deren Wechselwirkung in Abhängigkeit von der psychosozialen Entwicklung des Kindes.

Risikomildernde Bedingungen Risikomildernde Bedingungen werden auch als Schutzfaktoren (bzw. protektive Faktoren) bezeichnet. Begriff „Resilienz“ (=Widerstandsfähigkeit): die Fähigkeit eines Kindes, relativ unbeschadet mit den Folgen beispielsweise belastender Lebensumstände umgehen und Bewältigungskompetenzen entwickeln zu können.

Beispiele für risikomildernde Faktoren im Kindes- und Jugendalter Kindbezogene Faktoren (unspezifisch; unabhängig von aversiven Umständen) Resilienzfaktoren (als die Fähigkeit des Kindes erfolgreich vorhandene Belastungen zu bewältigen) Schutzfaktoren innerhalb der Familie Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfeldes

Kindbezogene Faktoren Positives Temperament (flexibel, aktiv, offen) Niedrige Emotionalität, hohe Impulskontrolle Überdurchschnittliche Intelligenz Spezielle Talente und Interesse an Hobbys

Resilienzfaktoren Positives Sozialverhalten Positives Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeits- überzeugungen Aktives Bewältigungsverhalten Selbsthilfefertigkeiten

Schutzfaktoren innerhalb der Familie Stabile emotionale Beziehung zu (mindestens) einer Bezugsperson Offenes, unterstützendes Erziehungsklima Familiärer Zusammenhalt, unterstützende Geschwister Modelle positiven Bewältigungsverhaltens

Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfeldes Soziale Unterstützung Positive Freundschaftsbeziehungen Positive Gleichaltrigenbeziehungen Positive Schulerfahrungen

Beispielhafter Entwicklungsverlauf von sich aufschaukelnden risikomildernden Bedingungen

Entwicklung als Serie miteinander verwobener Kompetenzen Die Kompetenzen einer Entwicklungsperiode, die die Anpassung eines Menschen an die Umwelt verbessern, bereiten die Kompeten- zen der nächsten Periode vor. Somit fördert die frühe Anpassung die spätere Anpassung. Ähnliches gilt für die Entwicklung von abweichendem Erleben und Verhalten. Frühe Fehlanpassungen können bei neu anstehenden Entwicklungsaufgaben zu weiteren problematischen Fehlanpassungen führen. Sich in dieser Weise zunehmend aufschaukelnde Kompetenzdefizite bilden dann möglicherweise die Grundlage für die Entwicklung einer psychischen Störung.

Bindungstypen Mit Hilfe des „Fremde Situation-Tests“ konnten unterschiedliche Bindungstypen bei einjährigen Kindern ermittelt werden: sichere Bindung (52%), unsicher-vermeidende Bindung (35%) unsicher-ambivalente Bindung (8%), desorientiert-desorganisierte Bindung (5%).

Folgen verunglückter Bindungserfahrungen Es lassen sich 3 Arten der Deprivation von Bindung unterscheiden: quantitativ ungenügende Interaktion Diskontinuität in der Interaktion (Trennungserlebnisse) qualitativ gestörte Interaktion

Folgen von quantitativ ungenügender Interaktion Betrifft sowohl Kinder, die aufgrund ihrer Unterbringung in Heimen oder Pflegestätten über quantitativ ungenügende Interaktionsangebote verfügen, als auch Kinder, die eine Bindungsfigur zur Verfügung haben, aber nicht in ausreichen- dem Ausmaß. Eine extreme Variante der quantitativ ungenügenden Interaktion stellt die Unterversorgung und Vernachlässigung des Kindes dar. In verschiedenen Studien konnte als Folge eine Retardierung der körperlichen, emotionalen, sozialen, kognitiven und sprach- lichen Entwicklung sowie das Auftreten von Verhaltensstörun- gen beobachtet werden.

Folgen von Trennungserlebnissen (Diskontinuität der Interaktion) Das (häufige) Erlebnis des drohenden Verlustes von wichtigen Bindungspersonen erhöht die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Angststörungen, das Erlebnis des tatsächlichen Verlustes die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Depression.

Folgen einer qualitativ gestörten Interaktion Sichere Bindung durch feinfühliges Verhalten der Bezugspersonen Unsicher-vermeidende B. als Folge von unresponsiven, zurück- weisenden Bezugspersonen bzw. einer überstimulierenden, nicht auf die Grenzen des Babys bedachten Fürsorge Unsicher-ambivalente B. als Folge inkonsistenter Fürsorge Desorganisiert-desorientierte B. als Folge einer in hohem Maße unzureichenden Fürsorge Unsichere Bindungsmuster erhöhen die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von psychischen Störungen, eine sichere Bindung stellt eine wichtige risikomildernde Bedingung dar.

Definition „Kindesmisshandlung“ Als Kindesmisshandlung werden alle Muster der (vorwiegend elterlichen) Betreuung von Kindern verstanden, die die Minderjährigen Risiken aussetzen, einschließlich der Zurückweisung, der Isolierung, der Terrorisierung, des Ignorierens oder der Korrum-pierung durch das Fördern devianten Verhaltens.

Formen der Kindesmisshandlung Körperliche Misshandlung Vernachlässigung Psychische Misshandlung Sexueller Missbrauch

Folgen körperlicher Misshandlung und Vernachlässigung Insgesamt muss man davon ausgehen, dass chronische Misshandlungen in der Kindheit ein erhöhtes Risiko für ein breites Spektrum an verschiedenen psychischen Störungen bergen. Betroffene zeigen in Untersuchungen geringere Selbstachtung, höhere Angst- und Depressionswerte, weisen mit größerer Wahrscheinlichkeit Alkohol- und Drogenmissbrauch, posttraumatische Belastungsstörungen, Suizidversuche und Einweisungen in die Psychiatrie auf sowie ein (ca.) vierfach höheres Risiko für die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen.

Langzeitfolgen von sexuellem Missbrauch Sexueller Missbrauch kann bei nahezu allen Störungen als Entstehungs-bedingung eine Rolle spielen. Besonders genannt werden: schwere Störungen der Persönlichkeit Essstörungen (v.a. bei Frauen) Abhängigkeit von Substanzen Depression Posttraumatische Belastungsstörung interpersonelle Störungen (Partnerschaftsprobleme, generell Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen) Suizid, selbstdestruktives Verhalten sowie sexuelle Störungen (in unterschiedlichster Richtung)