Seminar: Institutioneller Wandel - Gemeindereformen

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 Präsentation transkript:

Seminar: Institutioneller Wandel - Gemeindereformen Universität Bern SS 2002 Dr. Andreas Ladner

Inhaltsübersicht Politische Institutionen Institutioneller Wandel – Soziologie der Reformen Gemeinden Gemeindereformen

1. Politische Institutionen

Was sind Institutionen? „Institutionen sind ein universelles Merkmal menschlichen Zusammenlebens. Sie sind Manifestationsformen oder Symbolnetze von Handlungsregelmässigkeiten oder –gewohnheiten, die im öffentlichen Gebrauch und soziohistorisch auf ‚relative‘ Dauer angelegt sind.“ (Waschkuhn in Nohlen, Hrsg., Lexikon der Politik 1989:376)

... und weiter: „Durch Institutionen werden menschliche Bedürfnisse befriedigt und soziale Interaktionen strukturiert. Es werden damit zugleich Machtpositionen festgelegt, Handlungsmöglichkeiten ausgegrenzt, gesellschaftliche Freiheitschancen eröffnet und individuelle Freiheitschancen errichtet.“ (Waschkuhn ebenda.)

Oder: Institutionen sind „humanly devised constraints that shape social action“ (North 1990: 3)

Politische Institutionen: „Im traditionellen Verständnis werden unter politischen Institutionen insbesondere die Staatsorgane (z.B. Regierung, Parlament) und bestimmte Organisationen (z.B. Parteien, Gewerkschaften) oder Verfahrensregeln (z.B. Wahl) verstanden.“ (ebenda)

Politische Institutionen sind in systemtheoretischer Hinsicht: Auf den Bereich der Herstellung allgemeinverbindlicher Entscheidungen und ihrer Durchsetzbarkeit bezogen. Im weitesten Sinne strukturieren sie den gesamtgesellschaftlichen Meinungs-, Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess.

Institutionentheorie? Die Sozialwissenschaften kennen keine allgemeine Theorie der politischen Institutionen. Es konkurrieren verschiedene Zugänge.

Politische Institutionen sind "en vogue" Sozialer Wandel stellt Leistungsfähigkeit der politischen Systeme und damit auch der politischen Institutionen Infrage. Stichworte hierzu sind etwa: die "Krise des Wohlfahrtsstaates", "das schwindende Vertrauen in Regierung und Parteien", der "Rückgang der politischen Partizipationsbereitschaft", oder allgemeiner: der Verlust nationalstaatlicher Souveränität im Zeitalter der "Globalisierung". Zusammenbruch des kommunistischen Systems hat in praktisch allen osteuropäischen Staaten dazu geführt, dass neue, demokratische politische Strukturen aufgebaut werden mussten, was zu einem gesteigerten Interesse an der Leistungsfähigkeit der politischen Institutionen und zu einem eigentlichen "institution building" geführt hat.

March/OIsen (1989) In den Politikwissenschaften kann das Buch von March/Olsen (1989), "Rediscovering Institutions", als Zeichen dafür betrachtet werden, dass eine verstärkte Auseinandersetzung mit den politischen Institutionen auch auf die wissenschaftliche Agenda gerutscht ist.

Die dominierenden politischen Theorien seit den 1950er Jahre schliessen die politischen Institutionen zwar nicht aus, sie setzen die Schwergewichte jedoch anders.

Namentlich sind dies die folgenden Ansätze (March/Olsen 1989: 3). Kontextuelle Ansätze, welche Politik als einen festen Bestandteil der Gesellschaft sehen und weniger dazu neigen, zwischen Polity und Gesellschaft unterscheiden. Reduktionistische Ansätze, welche politische Phänomene als aggregierte Folgen von individuellem Verhalten sehen und weniger geneigt sind, die Politik als Produkt von organisationellen Strukturen und Verhaltensregeln zu sehen. Utilitaristische Ansätze, welche Handeln als berechneter Eigennutzen und Selbstinteresse auffassen und weniger geneigt sind, Handeln auf Pflicht und Verpflichtungen zurückzuführen.

Und weiter: Instrumentalistische Ansätze, welche die politische Entscheidungsfindung und die Allokation von Ressourcen als zentrale Anliegen des politischen Lebens betrachten und weniger geneigt sind, die Organisation und Ausgestaltung des politischen Lebens im Hinblick auf die Konstruktion von Bedeutung von Symbolen, Ritualen und Zeremonien zu erfassen. Funktionalistische Ansätze, welche Geschichte als effizienten Mechanismus in Richtung einzig mögliches Gleichgewicht auffassen und weniger geneigt sind, Fehlanpassungen und sich wiederholende historische Entwicklungen zu sehen.

Do institutions matter? Diese Frage kann wohl mit einem klaren "yes" beantwortet werden, wenngleich man doch ganz gerne etwas mehr über das "How do they matter?" wissen möchte.

Neo-Institutionalismus Der neo-institutionalistische Ansatz erweitert die eher formale output-bezogene Betrachtung der (staatlichen) Institutionen und ihr Regelwerk sowie der politischen Organisationen der Gesellschaft (Parteien, Verbände etc.) um polit.-soziologische und behavioralistische Ansätze.

Verschiedene neo-institutionalistische Schulen (Hall et al. (1997): Historischer Neo-Institiutionalismus Ökonomischer Neo-Institutionalismus Soziologischer Neo-Institutionalismus

Rational Choice-Neo-Institutionalismus: Hier sind die Präferenzen der Akteure relativ stabil und sie verhalten sich rational. Zu Veränderungen kommt es dann, wenn sich das Umfeld verändert respektive gemäss North, wenn sich die „Preise“ und damit die Anreizstruktur verändern (North 1990: 84). Die einzige andere Möglichkeit gemäss North wäre eine Veränderung des Geschmackes.

Soziologischer Neo-Institutionalismus: Akteure folgen einem vorgegebenen Verhaltensmuster. Dieses Muster scheint den durch die Institutionen vorgegebenen Rollen angemessen zu sein (vgl. Beyeler 2001: 8). Anhänger dieses Ansatzes gehen nicht von stabilen Präferenzen aus, welche ausserhalb der Institutionen entstehen, sondern machen geltend, dass auch die Präferenzen innerhalb der Institutionen entstehen können. Institutionen wandeln sich gemäss dem soziologischen Ansatz, wenn die ihnen zugrunde liegenden Werte erodieren und die Identifikation mit der Institution abnimmt.

Politische Akteure Gemäss den Neoinstitutionalisten wird das Verhalten der (politischen) Akteure beschränkt und strukturiert durch politische Institutionen. Eine vollumfängliche Determination fehlt demgegenüber. Institutions matter!

2. Institutioneller Wandel

Institutioneller Wandel und Reformen Keine klare Unterscheidung. Die Bandbreite der Umgestaltungsmassnahmen bewegt sich auf einem Kontinuum zwischen radikalem (im Sinne eines „Paradigmawechsels“) und evolutionärem (inkrementalistischem) Wandel (Naschold/Bogumil 1998, Thom/Ritz 1999). Institutioneller Wandel als Oberbegriff: Inkrementalistische Veränderungen stehen im Vordergrund. Es gibt (noch!?) keine Soziologie der Reformen

Kritik an den gängigen Erklärungsansätzen Gemäss Cortell/Peterson (1999: 177) geht die heute am stärksten verbreitete Erklärung von institutionellem Wandel von einem Gleichgewichtsmodell („punctuated equilibrium“) aus, welches aus der Evolutionsbiologie stammt. Gemäss diesem Modell sind Institutionen träge und charakterisiert durch lange Phasen der Stabilität. Wandel entsteht nur in Krisensituationen oder bei besonderen Ereignissen.

Cortell/Peterson (1999: 177) halten dem entgegen, dass diese Vorstellung allzu stark auf die grossen, sichtbaren Ereignisse abstützt, während graduelle, inkrementalistische Veränderungen der Institutionen nicht nur möglich sondern sogar weit verbreiteter seien. Zudem werde die Rolle individueller Akteure vernachlässigt. Institutionen verändern sich nicht, sondern werden verändert.

Nach Cortell/Peterson (1999: 179) müssen die drei Faktoren „triggers“, „change-oriented preferences“ und „institutional capacity“ vorhanden sein, damit es in einem demokratischen Staat zu institutionellem Wandel kommt.

Chancen und ihre Wahrnehmung Internationale oder innenpolitische Ereignisse, sowohl in Form von Krisen wie auch in Form von Druck öffnen „windows of opportunity“, welche es den Politikverantwortlichen ermöglichen, bestehende Institutionen zu verändern. Ob diese Gelegenheit wahrgenommen wird, hängt von den Handlungen und Interessen der Verantwortlichen ab. Wie weit die Verantwortlichen diese Möglichkeiten wahrnehmen können, hängt von ihrer Position und der „Durchlässigkeit“ des politischen Systems ab.

Die Forschung, welche Institutionen als „routinisierte“ adaptive Systeme auffasst, unterscheidet sechs unterschiedliche Perspektiven bei der Interpretation von Veränderungen (vgl. dazu auch March 1981):

1. Variation and Selection: Dieses Modell entspricht dem Modell der Evolution. Institutionen verändern sich entsprechend ihrer Eignung den Ansprüchen und Anforderungen gerecht zu werden, über Ausprobieren, Wettbewerb und Durchsetzung gegenüber anderen Möglichkeiten.

2. Problem Solving: Das hier zugrunde liegende Modell entspricht einem “Rational Choice” Ansatz. Es wird aufgrund bestimmter Entscheidungskriterien zwischen alternativen Lösungen und den zu erwarteten Auswirkungen ausgewählt.

3. Experimental Learning: Der Ansatz entspricht hier einem “Tiral and Error”-Ansatz. Regeln (Institutionen), die sich als erfolgreich erwiesen haben, werden beibehalten, erfolglose Regeln (Institutionen) werden aufgegeben.

4. Conflict: Veränderungen sind das Produkt von Konflikten zwischen Individuen und Gruppen mit unterschiedlichen Interessen. Konfrontation, Verhandlungen und Koalitionen sind die entsprechenden Prozesse. Das Resultat hängt von den ursprünglichen Präferenzen und dem politischen Gewicht der Akteure ab. Veränderungen können entstehen, wenn sich die Mobilisierung oder die Ressourcen der Teilnehmer verändern.

5. Contagion: Veränderungen verbreiten sich über Nachahmung. Attraktivität von neuen Lösungen (respektive der Suche nach neuen Lösungen, al), führen zur Verbreitung von Reformen.

6. Turnover: Durch die Veränderung der beteiligten Akteure und ihrer Fähigkeiten, insbesondere durch die Rekrutierung von neuen Akteuren mit anderen Einstellungen, Fähigkeiten und Zielen kann es zu institutionellem Wandel kommen. Dieses Modell entspricht dem Modell der „Regeneration“.

Hintergründe für die Entstehung von NPM-Reformen 1 = trifft überhaupt nicht zu, 5 = trifft völlig zu, N = 22 Projekte, Quelle: Gemeindereformprojekt 2