Leiharbeit – Rechtliche Grundlagen und aktuelle Probleme

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 Präsentation transkript:

Leiharbeit – Rechtliche Grundlagen und aktuelle Probleme Reinbek – 1. April 2009

Eingangsfall 1: Arbeitgeber A hat infolge der Wirtschaftskrise einen Auftragseinbruch von rund 50 % zu verzeichnen. Das Stammpersonal von 150 Mitarbeitern soll aber durch diese „Talsohle“ möglichst gehalten werden. A verschiebt daher 15 Monteure gegen Entgelt vorübergehend zu einem befreundeten Unternehmen, dass aktuell Personalbedarf hat. Liegt genehmigungspflichtige Arbeitnehmer-überlassung vor?

Eingangsfall 2: Leiharbeitnehmer L hat im Entleiherbetrieb einen erheblichen Sachschaden (EUR 25.000,--) verursacht. Er ist mit ausgefahrener Staplergabel in ein Hochregallager gefahren und hat dieses samt gelagerter Ware eingerissen. Entleiher E möchte Haftungsansprüche geltend machen. An wen kann E sich mit Aussicht auf Erfolg halten?

Eingangsfall 3: Arbeitgeber A leiht fünf Leiharbeitnehmer beim Zeitarbeitsunternehmen Z für die Dauer von zwei Monaten. Nach einem Monat erfährt A von der Insolvenz von Z. Z hat für den gesamten Entleihzeitraum weder Steuern noch Sozialabgaben für die Entliehenen gezahlt. Die Einzugsstelle wendet sich an A. Muss A Steuern und Sozialabgaben neben dem bereits gezahlten Entleihentgelt bezahlen?

I. Grundlagen der AÜ Abgrenzung zu anderen Vertragsarten Gewerbsmäßige AÜ Beteiligte und deren Rechtsbeziehungen Beteiligung des Betriebsrats Haftung Aktuelle Rechtsprechung

I. Grundlagen der Arbeitnehmerüberlassung

Definition Arbeitnehmerüberlassung AÜ ist die gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern zu Arbeitsleistung an einen Dritten, die dieser nach seinen Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer einsetzt.

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Neuregelung zum 01.01.2004 vorher: Verhinderung der Zurückdrängung von unbefristeter Vollzeitbeschäftigung heute: Arbeitnehmerüberlassung als Möglichkeit zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit politisch nach wie vor höchst umstritten

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorher: Verleiherbetriebsbezogenheit heute: Entleiherbetriebsbezogenheit

Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) vorher: Verleiherbetriebsbezogenheit heute: Entleiherbetriebsbezogenheit

Wesentliche Neuerungen des AÜG 2004: keine speziellen Befristungsregelungen mehr  es gilt das TzBfG grundsätzliche Behandlung der Leiharbeitnehmer wie Stammbelegschaft des Entleiherbetriebs keine Begrenzung der Leihe auf 24 Monate mehr teilweise Erlaubnis der Leiharbeit in der Baubranche

II. Abgrenzung zu anderen Vertragsarten

Werkvertrag Dienstvertrag Abordnung Bedienpersonal Arbeitsvermittlung

Risiken bei fehlerhafter Arbeitnehmerüberlassung: Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum „Entleiher“ Ordnungswidrigkeit nach § 16 AÜG bei fehlender Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung des „Verleihers“ (§ 1 AÜG)

Werkvertrag eigenverantwortliche Herstellung durch Werkunternehmer ausschließlich Weisungsrecht des Werkunternehmers Risiko des Misslingens beim Werkunternehmer geschuldet wird das Werk an sich, Weg dorthin Sache des Werkunternehmers

Dienstvertrag Leistungserbringung in eigener Verantwortung des Auftragnehmers ausschließlich Weisungsrecht des Auftragnehmers Entgelt an Leistungserbringung geknüpft keine Erfolgsabhängigkeit

Abordnung zur Herstellung eines Werks im Rahmen einer ARGE (§ 1 Abs. 1 S. 2 AÜG) abordnender Arbeitgeber muss Mitglied der ARGE sein alle ARGE-Mitglieder müssen unter die Tarifverträge des selben Wirtschaftszweigs fallen alle ARGE-Mitglieder müssen zur Leistungserbringung verpflichtet sein

Bedienpersonal keine AÜ wenn Personalgestellung nur vertragliche Nebenleistung; Maßstab: wirtschaftlicher Wert der Mietsache nicht gegeben bei nur untergeordneten Mietsachen

seit 1994 kein Monopol der BA mehr Arbeitsvermittlung seit 1994 kein Monopol der BA mehr Vermittlung in neues, dauerhaftes Arbeitsverhältnis wirtschaftliche Verbindung mit Arbeitgeber keine rechtliche „Rückkehrmöglichkeit“ zum Vermittler

III. Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung

Gewerbsmäßige AÜ, wenn nicht nur gelegentlich sondern wiederholt Überlassung von Arbeitnehmern von Verleiher an Entleiher mit Gewinnerzielungsabsicht

Grundsatz: Erlaubnispflicht (§ 1 AÜG) Angabepflicht im Überlassungsvertrag grundsätzlich nicht im Baugewerbe möglich falls keine Erlaubnis: Entleiher wird Arbeitgeber + Ordnungswidrigkeit

Ausnahmen von der Erlaubnispflicht: wenn AÜ im selben Wirtschaftszweig der Vermeidung von Entlassungen und Kurzarbeit dient (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 AÜG) aber nicht wenn: für Ent- und Verleiher geltende Tarifverträge dies nicht vorsehen !!! Ausnahme: Betriebe unter 50 Mitarbeiter

Ausnahmen von der Erlaubnispflicht: bei konzerninterner Leihe auch bei zentraler Personalführungsgesellschaft aber nicht wenn: dauerhafte Überlassung !!!

Keine Arbeitnehmerüberlassung, wenn nur gelegentliche Arbeitnehmerüberlassung (betriebliche Ausnahmesituationen) keine Gewinnerzielungsabsicht (karitativer Bereich)

Eingangsfall 1: Arbeitgeber A hat infolge der Wirtschaftskrise einen Auftragseinbruch von rund 50 % zu verzeichnen. Das Stammpersonal von 150 Mitarbeitern soll aber durch diese „Talsohle“ möglichst gehalten werden. A verschiebt daher 15 Monteure gegen Entgelt vorübergehend zu einem befreundeten Unternehmen, dass aktuell Personalbedarf hat. Liegt genehmigungspflichtige Arbeitnehmer-überlassung vor?

IV. Beteiligte und deren Rechtsbeziehungen

tatsächliche Überlassung Verleiher Verleihvertrag Entleiher Arbeitsvertrag tatsächliche Überlassung Leiharbeitnehmer

Verleihvertrag Verleiher Entleiher Verleiher verpflichtet sich zur zeitweisen Überlassung von Arbeitnehmern mit bestimmter Qualifikation gegen Entgelt

Verleihvertrag Verleiher Entleiher Nachweis der Erlaubnis zur AÜ Schriftformerfordernis keine Höchstdauer (mehr) häufig: Vermittlungsprovision

Typische Regelungsinhalte des Verleihvertrages: Anforderungsmerkmale der Leiharbeitnehmer Auswechselungsrecht für beide Vertragspartner Vertragslaufzeit Überlassungsentgelt Arbeitszeit und Überstundenanordnung durch Entleiher Ersatzkraftregelung bei AU Beendigung des Vertrags: Frist, Zweckerreichung, Kündigung

Arbeitsvertrag Verleiher Leiharbeitnehmer „Normaler“ Arbeitsvertrag Besonderheit: Verpflichtung zur Arbeitsleistung bei Dritten

Weitere Besonderheiten: Befristungen jetzt nach TzBfG möglich i.d.R. gleiche Entgelthöhe wie vergleichbare Arbeitnehmer des Entleiherbetriebes im Leihvorgang Ausnahme: auf Arbeitsverhältnis anwendbarer Tarifvertrag regelt abweichende Vergütung Problem: „Christliche“ Tarifverträge

tatsächliche Überlassung Entleiher Leiharbeitnehmer bleibt Arbeitnehmer des Verleihers Direktionsrecht für Entleiher arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht für Entleiher Anzeigepflicht bei Verhinderung/AU Haftung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen

Eingangsfall 2: Leiharbeitnehmer L hat im Entleiherbetrieb einen erheblichen Sachschaden (EUR 25.000,--) verursacht. Er ist mit ausgefahrener Staplergabel in ein Hochregallager gefahren und hat dieses samt gelagerter Ware eingerissen. Entleiher E möchte Haftungsansprüche geltend machen. An wen kann E sich mit Aussicht auf Erfolg halten?

V. Beteiligung des Betriebsrats

Verleiher Beteiligung im Verleiherbetrieb: dort aktives und passives Wahlrecht zum BR Einsatz im Entleiherbetrieb keine zustimmungspflichtige Versetzung nach § 99 Abs. 1 BetrVG, da Leihe Geschäftsgegenstand

Entleiher Beteiligung im Entleiherbetrieb: Informationsanspruch im Rahmen der Personalbedarfsplanung (§ 92 BetrVG) Einstellung zustimmungspflichtig (§ 99 Abs. 1 BetrVG, § 14 Abs. 3 S. 1 BetrVG) Verlängerung des Einsatzes zustimmungspflichtig

Entleiher Information des BR bei Einstellung über: Anzahl der Leiharbeitnehmer Qualifikationsprofil der Leiharbeitnehmer Einsatzdauer und Einsatztermine Einsatzarbeitsplätze Vorliegen der Erlaubnis nach § 1 AÜG aber: keine allgemeine Vertragskontrolle

Entleiher Rechte des Leiharbeitnehmers im Entleiherbetrieb: Teilnahme an Betriebsversammlungen Besuch von Betriebsratssprechstunden Beschwerderecht passives Wahlrecht bei Einsatz über 3 Monate empfehlenswert: Betriebsvereinbarung Leiharbeit

VI. Haftung

Risiken für den Entleiher: Schadensrisiko im allgemeinen Arbeitsablauf Haftung für Lohnsteuer als Gesamtschuldner neben Verleiher (§ 42d Abs. 6 S. 1 EStG) Subsidiärhaftung des Entleiher bei Sozialabgaben (faktische Bürgenhaftung des Entleihers) volle Arbeitgeberstellung bei fehlender Erlaubnis nach § 1 AÜG

Eingangsfall 3: Arbeitgeber A leiht fünf Leiharbeitnehmer beim Zeitarbeitsunternehmen Z für die Dauer von zwei Monaten. Nach einem Monat erfährt A von der Insolvenz von Z. Z hat für den gesamten Entleihzeitraum weder Steuern noch Sozialabgaben für die Entliehenen gezahlt. Die Einzugsstelle wendet sich an A. Muss A Steuern und Sozialabgaben neben dem bereits gezahlten Entleihentgelt bezahlen?

VII. Aktuelle Rechtsprechung

Austauschkündigung bei Umwandlung in Leiharbeitnehmerstellen BAG Urt. v. 26.09.1996 - 2 AZR 200/96

Reorganisation durch Vergabe von Tätigkeiten an freie Mitarbeiter („Moskito-Anschläger“) BAG Urt. v. 13.03.2008 - 2 AZR 1037/06

Besetzung eines Arbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer als Sachgrund BAG Urt. v. 17.1.2007 - 7 AZR 20/06

Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei Einsatz von Leiharbeitnehmern LAG Hamm Urt. v. 05.03.2007 11 Sa 1338/06

Aufnahme von Leiharbeitnehmern in Stellenpools BAG Beschl. v. 23.01.2008 - 1 ABR 74/06

Konzerninterne Leiharbeit LAG Schleswig-H. Beschl. v. 18.06.2008 - 3 TaBV 8/08

Betriebsbedingte Kündigung eines Leiharbeitnehmers nach Auftragswegfall BAG Urt. v. 18.05.2006 - 2 AZR 412/05