Wachsende Ungleichheit - sozialer Sprengstoff Wachsende Ungleichheit - sozialer Sprengstoff? Vortrag Seniorenakademie Dresden, 17.10.2019 Prof. Dr. Joachim Ragnitz (ifo Institut, NL Dresden)
Dimensionen sozialer Ungleichheit Personelle Einkommensverteilung Funktionale Einkommensverteilung Intergenerationelle Einkommensverteilung Geschlechterspezifische Einkommensverteilung Regionale Einkommensverteilung Vermögensverteilung Verteilung von „Einkommenschancen“ …
Personelle Einkommensverteilung
Personelle Einkommensverteilung
Personelle Einkommensverteilung
Personelle Einkommensverteilung
Personelle Einkommensverteilung: Armutsgefährdungsquote Anteil der Personen mit einem Nettoäquivalenzeinkommen unter von 60% des Einkommensmedian (2016: 969 Euro/Monat) 2005 2010 2015 2016 Insgesamt 14,7% 14,5% 15,7% West- und Ostdeutschland ABL ohne Berlin 13,2% 13,3% 15,0% NBL mit Berlin 20,4% 19,0% 19,7% 18,4% Differenzierung nach Alter Unter 18 19,5% 18,2% 20,2% 18 bis unter 25 23,3% 22,7% 25,5% 25 bis unter 50 14,1% 14,2% 14,3% 50 bis unter 65 11,4% 12,5% 13,1% 12,1% 65 und älter 11,0% 12,3% 14,6% 14,8%
Personelle Einkommensverteilung: Armutsgefährdungsquote 2005 2010 2015 2016 Differenzierung nach Erwerbsstatus Selbständige 9,1% 8,4% 8,8% 8,7% Abhängig Erwerbstätige 7,1% 7,4% 7,6% Erwerbslose 49,6% 54,0% 59,0% 56,9% Nichterwerbspersonen 17,5% 18,5% 21,9% 22,4% Rentner/-innen 10,7% 12,6% 15,9% Sonstige Nichterwerbs- personen 27,6% 32,3% 40,0% 41,0% Differenzierung nach Qualifikationsniveau Niedrig 23,1% 27,0% 31,5% 31,3% Mittel 11,1% 11,5% 12,4% 12,2% Hoch 6,0% 5,1% 5,8% 5,9% Differenzierung nach Migrationshintergrund Mit Migrations-hintergrund 28,2% 26,2% 27,7% 28,0% Ohne Migrations-hintergrund 11,6% 11,7% 12,5% 12,1%
Personelle Einkommensverteilung: Einfluss des Steuer- und Transfersystems
Schlussfolgerungen zur persönlichen Einkommensverteilung Ungleichheit gibt es, ob sie „zu hoch“ oder „akzeptabel“ oder „zu niedrig“ ist, lässt sich nicht objektiv beurteilen Spürbare Zunahme der Einkommensungleichheit ist über die letzten 10-15 Jahre nicht festzustellen Hartz-IV-Reformen wirken: höheres Beschäftigungsniveau verringert Einkommensungleichheit Zunahme von Ungleichheit/Armutsgefährdung insbesondere durch Zuwanderung von Geringeinkommensbeziehern (Asylbewerber seit 2015) Armutsgefährdung ist stark korreliert mit geringer Bildung bzw. persönlichen Risikofaktoren Steuer- und Transfersystem reduziert Einkommensungleichheit spürbar und wirksam
Funktionale Einkommensverteilung
Funktionale Einkommensverteilung Anteil der Arbeitnehmereinkommen ist im Zeitablauf tendenziell gestiegen, Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen entsprechend gefallen Gründe: niedriges Zinsniveau seit etwa 2010, aber auch zunehmender Anteil der abhängig Beschäftigten seither
Intergenerationelle Einkommensverteilung Gesetzliche Rentenversicherung ist grundsätzlich verteilungs- neutral (wegen Beitrags- und Teilhabeäquivalenz); Altersarmut deswegen primär wegen individuell ungünstiger Erwerbs- biographien Allerdings: Umverteilung zugunsten der Rentnergeneration durch versicherungsfremde Leistungen (Mütterrente) bzw. „Rente mit 63“ Allerdings: Umverteilung zugunsten der Beitragszahler durch Nachhaltigkeitsfaktor in der GRV Grundrentenpläne der SPD sollen das z.T. kompensieren, sind allerdings in sich problematisch (wg. Verzicht auf Bedürftigkeitsprüfung, wg. Aushebelung Teilhabeäquivalenz)
Geschlechterspezifische Verdienstunterschiede (gender pay gap)
Geschlechterspezifische Verdienstunterschiede Frauen verdienen im Schnitt rund 21% weniger als Männer (ABL: 22%, NBL: 7%) Aber: primär durch Berufswahl und Karriereverhalten von Frauen bedingt (vor allem in Westdeutschland) Bereinigter gender pay gap beträgt in ABL 6%, in NBL 7%
Regionale Einkommensunterschiede
Regionale Einkommensunterschiede
Regionale Einkommensunterschiede Regionale Einkommensunterschiede reflektieren i.e.L. die Wirtschaftskraft in den einzelnen Regionen Starke Einkommensstreuung; „ärmste“ Regionen Deutschlands finden sich mittlerweile im Westen (Osten hat stark aufgeholt) Zum Teil (aber nur unvollständig) Ausgleich durch niedrigere Preise in strukturschwächeren Regionen (insbesondere Mieten)
Einkommensmobilität
Einkommensmobilität Persistenz der Einkommensverteilung ist hoch; nur ein kleiner Teil der Bevölkerung schafft es, in eine (deutlich) höhere Einkommensklasse aufzusteigen (am ehesten gelingt die naturgemäß jüngeren Personen) Wichtiger Faktor dabei ist Ausbildung/Weiterbildung
Partizipation Bildungssystem Anteil der frühen Schulabgänger im Alter zwischen 18 und 24 Jahren 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Insgesamt 13,8% 14,1% 12,7% 11,8% 11,1% 11,9% 11,6% 10,4% 9,8% 9,5% 10,3% Relativer Anteil der Bevölkerung ohne beruflichen Bildungsabschluss Insgesamt 17,0% 17,2% 16,3% 15,2% 15,1% 15,7% 14,9% 14,8% 14,7% 14,5%
Partizipation Bildungssystem Ein erheblicher Teil der Schulabgänger erhält keinen Bildungs- abschluss Insgesamt rund ein Siebtel der Bevölkerung mit geringem Bildungsstand und dementsprechend geringen Einkommenschancen Bildung ist stark von Prägungen des Elternhauses abhängig; Reformbedarf deswegen vor allem bei Bildungszugang unab- hängig von sozialer Schichtung bzw. bei frühkindlicher Bildung
Vermögensverteilung
Vermögensverteilung Deutlich ungleicher als die Einkommen sind die Vermögen in Deutschland verteilt Grund: Vermögen entstehen primär durch Erbschaften, nicht durch Einkommen; Vermögen vermehren sich primär durch Kapitalmarktanlagen (was reichere Personen begünstigt) (Wirksame) Politische Instrumente zur Verringerung von Vermögensungleichheit gibt es nicht (keine Vermögenssteuer, Erbschaftsteuer mit hohen Freibeträgen)
Umfragen zur Einkommens- und Vermögensverteilung Typischerweise: Starke Überschätzung der Verteilungsunter- schiede (zwischen verschiedenen Gruppen, zwischen Ost- und Westdeutschland) und daraus resultierend hohe Präferenz für Umverteilung Gleichzeitig aber wird die Notwendigkeit von (Einkommens-) unterschieden als Anreizinstrument anerkannt Problem: Offenbare Unkenntnis über tatsächliche Verteilungs- unterschiede und das Ausmaß der tatsächlichen Umverteilung in Deutschland führt u.U. zu gesellschaftlicher Unzufriedenheit und zu unerfüllbaren Forderungen an die Politik
Fazit Ob Ausmaß der Ungleichheit als akzeptabel angesehen wird, lässt sich nicht objektiv entscheiden, sondern muss in gesellschaftlichem Konsens (=in Wahlen) entschieden werden Dabei gilt es abzuwägen zwischen Ungleichheit als Anreiz- instrument einerseits und Ungleichheit als Ausdruck von „Ungerechtigkeit“ andererseits Informationsdefizite in der Bevölkerung sind abzubauen, um zu verhindern, dass wahrgenommene Ungleichheit zu gesellschaftlichen Spannungen führt
E-Mail: ragnitz@ifo.de Kontakt: ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V. Niederlassung Dresden Ansprechpartner: Prof. Dr. Joachim Ragnitz Einsteinstr. 3 01069 Dresden Tel.: +49(0)351/26476-11 Fax: +49(0)351/26476-20 E-Mail: ragnitz@ifo.de