Universitätslehrgang 2013

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 Präsentation transkript:

Universitätslehrgang 2013 Schizophrenien Universitätslehrgang 2013 Daniel Hell

Geschichtlicher Hintergrund Schizophrenieartige Psychosen sind seit dem Altertum bekannt. Sie wurden aber bis zur Wende des 20. Jahrhunderts nicht als einheitliche Krankheitsgruppe gesehen. Erst der Münchner Psychiater Emil Kraepelin vereinigte vorher getrennt behandelte Krankheitsbilder unter dem Begriff Dementia praecox. 1911 führte der Zürcher Psychiater Eugen Bleuler den Begriff Schizophrenien ein.

1905 schrieb Kraepelin: "Die Bezeichnung Dementia praecox wählte ich deswegen, weil sie nichts weiter enthielt als die üble Prognose und die Entwicklung des Leidens in jugendlichem Alter, zwei Kennzeichen, die mir damals für die neu umschriebene Krankheitsgruppe zuzutreffen schienen."

Bleuler und die Symptome Die Dissoziation ist "auf psychischem Gebiet das primärste eigentliche schizophrene Symptom". Bei den schizophrenen Kranken liegt eine "elementare Schwäche in der Zusammenarbeit der Funktionen, sowohl in der Integration der Gefühle und der Triebe wie in den Assoziationen im engeren Sinne" vor (Bleuler 1930).

Drei Konzeptionen mit grundlegend verschiedenen Kriterien 1. E. Kraepelin: Dementia praecox mit frühem KH-Beginn und ungünstiger Prognose (Verlaufskriterien) 2. E. Bleuler: Schizophrenien mit typischer Ich- Psychopathologie (Strukturkriterien) 3. ICD 10 + DSM IV: Schizophrenie als Symptommuster, das bestimmte Zeit anhält (symptomatische Kriterien)

Phänomenologie der Schizophrenie Psychotisches Erleben ist für Aussenstehende nur schwer nachvollziehbar. Es unterscheidet sich so grundsätzlich vom Alltagsbewusstsein, wie sich Träume vom wachen Beobachten unterscheidet. Während einer schizophrenen Episode wird das Geschehen anders gewichtet. Es gibt kaum noch neutrale Ereignisse, die nichts mit der eigenen Person zu tun haben. Die Umgebung erscheint häufig wie eigens für die betroffene Person arrangiert.

Prävalenz Das Erkrankungsrisiko während der Lebenszeit liegt bei ca. 1%. Männer und Frauen erkranken mit ungefähr gleicher Häufigkeit. Schizophrenien kommen weltweit in ähnlicher Häufigkeit vor. Es lässt sich keine Zu- oder Abnahme der Inzidenzraten der Schizophrenien im Verlauf der letzten Jahrzehnte feststellen. Die Erkrankung wird in tieferen sozialen Schichten häufiger diagnostiziert, was teilweise durch krankheitsbedingten sozialen Abstieg (social drift) erklärt werden kann.

Untergruppen der Schizophrenien Paranoide Schizophrenie: Im Vordergrund stehen Wahn und Halluzinationen bei Besonnenheit. Hebephrene Schizophrenie: Bei dieser Gruppe sind Affekt- und Denkstörungen dominierend. In der amerikanischen Psychiatrie wird hierbei vom desorganisierten Typus gesprochen. Katatone Schizophrenie: Hier prägen psychomotorische Störungen das Erscheinungsbild (z.B. Stupor, Haltungsstereotypien).

Heterogenität der Schizophrenie Die schizophrene Störungen bieten ein sehr buntes und heterogenes Bild. Es gibt kein notwendiges Symptom, das Schizophreniekranke kennzeichnen würde. Wahn- und Halluzination sind weder schizophrenie-spezifisch noch pathognomonisch. Wahn und Halluzination kommen auch bei drogen-induzierten oder körperlich begründbaren Psychosen und Affekterkrankungen vor. Diagnostisch wegleitend ist also nicht ein einzelnes Symptom, sondern eine weitreichende Veränderung des Erlebens und Verhaltens.

Symptome der Schizophrenie Wahnvorstellungen: V.a. Beziehungs-, Beeinträchtigungs-, Verfolgungs-, Vergiftungswahn. Halluzinationen: V.a. akustischer Art, seltener Geruchs- und Geschmackshalluzinationen. Ich-Störungen: V.a. Depersonalisation, Derealisation, Gefühl des Gemachten, Gedankenausbreitung und -entzug. Affektstörungen: V.a. inadäquate oder irritierende Emotionalität, Parathymie, mangelnder affektiver Rapport. Störungen der Psychomotorik: V.a. katatoner Stupor, Mutismus, Bewegungs- und Haltungsstereotypien

Symptome ersten Ranges 1939 hat Kurt Schneider in Deutschland folgende Symptome ersten Ranges beschrieben: Gedankenlautwerden Stimmenhören in Form von Angeredetwerden und kommentierende Stimmen Leibliche und andere Beeinflussungserlebnisse Gedankenentzug Wahnwahrnehmung Gefühl des Gemachten

Diagnostische Leitlinien der Schizophrenien Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug oder -ausbreitung Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Wahnwahrnehmung, Gefühl des Gemachten Kommentierende oder dialogische Stimmen Anhaltender, kulturell unangemessener, bizarrer Wahn Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität Gedankenabreissen, Zerfahrenheit, Danebenreden, Neologismen Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus, Mutismus, Stupor Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, Affektverflachung, sozialer Rückzug

Positiv- und Negativsymptomatik Heute ist vor allem die Einteilung in Positiv- und Negativsymptomatik gebräuchlich: Positive Symptome sind Wahn, Halluzination, Inkohärenz und Zerfahrenheit sowie Störungen der Psychomotorik. Negative Symptome sind Aufmerksamkeitsstörung, Affektarmut, Verarmung der Sprache, Verlust der Initiative, Willenlosigkeit und Freudlosigkeit Bei überwiegender Positivsymptomatik ist der Beginn oft akut und die Prognose eher günstig. Schizophrenien mit auffälliger Negativsymptomatik beginnen oft schleichend und die Prognose ist eher ungünstig.

Selbstverletzendes Verhalten Ursache für selbstgefährdendes Verhalten können befehlende Stimmen, quälende psychotische Erlebnisse sein sowie die Überfoderung, mit den sozialen Auswirkungen der Krankheit nicht fertig zu werden. Häufig machen schizophrene Patienten auch depressive Episoden durch. Eine nach einer schizophrenen Erkrankung auftretende depressive Nachschwankung wird als postschizophrene Depression bezeichnet. Die Suizidrate ist bei Schizophreniekranken erhöht und liegt im Langzeitverlauf bei 4-5%.

Verlauf der schizophrenen Erkrankung Der Verlauf einer schizophrenen Erkrankung ist sehr unterschiedlich. Die Krankheit kann entweder akut mit einem plötzlichen Ausbruch von Symptomen oder schleichend mit sich langsam über Monate bis Jahre entwickelnden Krankheitszeichen beginnen. Vor Beginn einer psychotischen Störung treten häufig Veränderungen der Persönlichkeit und der Lebensweise auf.

Verlaufstypen schizophrener Erkrankungen Ein episodischer Verlauf ist geprägt durch schizophrene Episoden, die im Wechsel mit symptomfreien Intervallen auftreten. Die einzelnen Krankheitsepisoden können dabei unter medikamentöser Behandlung wenige Wochen bis einige Monate dauern. Bei einem chronischen Verlauf bleiben die Krankheitszeichen andauernd bestehen. Die Ausbildung von Residualzuständen sind nicht selten von sozialen Faktoren beeinflusst. So können Verschlechterungen als Folge ungünstiger, überfordernder Umweltbedingungen entstehen.

Hinweise für eher milde Verlaufsformen Akuter Krankheitsbeginn Krankheitsbeginn im Zusammenhang mit einer Belastungssituation Affektive Beteiligung Ausgeglichene und kontaktfähige prämorbide Persönlichkeit Belastungsfähiges soziales Netz

Ursachen der Schizophrenien Genetische Aspekte Strukturelle Veränderungen des Gehirns Hirnfunktionelle Grundlage Dopaminhypothese Psychosoziale Einflüsse Vulnerabilitäts-Stress-Modell

Die Sprachschlaufe bei Schizophrenie nach Th. Dirks Arcuate fascicle Wernicke‘s area Broca Area Arcuate fascicle *= empirische Befunde = strukturelle /funktionelle Veränderungen Herschl‘s Gyrus

euphoric ego-disintegration“ parietal inf. -occ./40 fronto inf. 45 Cingulum ant. fronto med./10 http://de.wikipedia.org/wiki/Frege amygdala (s), Nc caud/acc. (d) hippocampus

Modell der Grundproblematik schizophrener Menschen Unterstimulation Apathie, Antriebsarmut Überstimulation Schizophrene Symptombildung Reize Balance Psychopharmaka Soziotherapie Psychotherapie Angehörigenarbeit Selbsthilfemassnahmen ökologische Nischen

Behandlung der Schizophrenie Bei schweren psychotischen Zuständen gilt die medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika als Methode erster Wahl. Bei ausgeprägter sozialer und beruflicher Behinderung oder Individualisierung stehen auf die Rehabilitationen ausgerichtete Bemühungen im Zentrum. Zwischen akuten Krankheitsperioden können psychotherapeutische Aspekte in den Vordergrund rücken und zur Stärkung der Persönlichkeit beitragen

Klassische Neuroleptika Die hochpotenten Neuroleptika (z.B. Haloperidol, Flurphenazin, Flupentixol) haben eine geringe sedierende, aber stark antipsychotische Wirkung (schon bei niedriger Dosierung) und gehen mit extrapyramidalen Nebenwirkungen einher. Die niederpotenten Neuroleptika (z.B. Promazin, Levopromazin) wirken in erster Linie sedierend und benötigen für die antipsychotische Wirkung eine hohe Dosierung. Ihre Nebenwirkungen sind vor allem vegetativer Art.

Atypische Neuroleptika Als atypische Neuroleptika gelten neben dem bereits lange bekannten Clozapin auch die neueren Substanzen Risperidon, Olanzapin und Quetiapin. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihres Rezeptorprofils und der deutlich tieferen Rate extrapyramidal-motorischer Nebenwirkungen.

Hochpotente klassische Neuroleptika (Typus Haloperidol) Atypische Neuroleptika Extrapyramidale NW Metabolisches Syndrom Frühdyskinesien (Muskelkrämpfe) Parkinson-Syndrom Akathisie (restless legs) Spätdyskinesie Adipositas (bauchbetont) Diabetes mellitus Typ 2 Arterielle Hypertonie Dyslipoproteinämie

Risiko atypischer Neuroleptika für metabolisches Syndrom Aripiprazol (Abilify R) Amisulprid (Solian R) Risperidon (Risperdal R) Quetiapin (Seroquel R) Clozapin (Leponex R) Olanzapin (Zyprexa)

Schizoaffektive Störung (Mischpsychose) Gleichzeitiges Auftreten einer schizophrenen und einer affektiven Störung schizodepressiv schizomanisch

Schizomanische Störung Schizodepressive Störung Antriebssteigerung Distanzlosigkeit Euphorie Gereiztheit Antriebsminderung Rückzug Deprimiertheit Hoffnungslosigkeit mögliche affektive Symptome Gedankeneingebung Gefühl des Gemachten parathymer Wahn (z.B. Beziehungswahn) mögliche schizophrene Symptome

Differentialdiagnose psychotische Depression (mit synthymen Wahnideen wie Schuld- und Verarmungs- wahn) psychotische Manie (mit synthymen Wahnideen wie Grössenwahn) postschizophrene Depression

Die Prognose schizoaffektiver Störungen ist: günstiger als diejenige von Schizophrenien, schlechter als diejenige von rein affektiven Störungen. (Der Verlauf ist überwiegend durch akute Krankheitsepisoden und Intervalle mit Remission gekennzeichnet) Es gibt: bipolare Verlaufsformen unipolare Verlaufsformen

Die Pharmakotherapie richtet sich nach der vorherrschenden Symptomatik: schizodepressiv: wie psychotische Depression (Antidepressiva und Neuroleptika) schizomanisch: wie psychotische Manie (Lithium und Neuroleptika)