Das qualitative Interview: Formen und Datenerhebung

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Diagnose – Förderung Förderdiagnose - Förderdiagnostik
Advertisements

Die Befragung.
Experteninterview Ziel des Experteninterviews ist es, über bestimmte Sachverhalte Informationen zu gewinnen, die auf anderem Wege nicht (oder nicht so.
Evaluation von Gesundheitsförderung im Unterricht und in der Schule
Das autobiographisch – narrative Interview
Praxisprojekt IKommHelp WS 05/06
Befragung (Interview)
Befragung (Interview)
Ethische Probleme psychologischer Forschung
Forschungsprogramm Subjektive Theorien (FST)
Das nonstandardisierte, unstrukturierte Interview
Das pädagogische Kolloquium am Seminar Pforzheim
Der Umgang mit qualitativ erhobenen Daten: Strategien der Datenanalyse
Patrick Rössler Einführung in die Methoden der empirischen Kommunikationsforschung Vorlesung BA Kommunikationswissenschaft (123) Grundlagen-LVG.
Patrick Rössler Methoden der Datenerhebung und -auswertung Vorlesung BA Kommunikationswissenschaft (G21) 1.
Interview vs. Fragebogen
Qualitative Forschung
Das Experteninterview
Narratives Interview und Biographieforschung
„Unser Katapult ist fertig!“ bis
Fritz Gempel Personalmonitoring Sozialwissenschaftliche Methoden zur Unterstützung der Personalentwicklung.
Übung zur Fallstudienforschung
Arbeitstitel der Dissertation:
Landeskunde: Land und Leute kennenlernen
Ausgangslage Mangelhafte Führungs-kompetenz Schlechtes Betriebsklima
Formen der Befragung Jelena Pervan.
Gliederung Das Experteninterview Was/Wer ist ein Experte?
Befragung Schriftliche Interviews Mehr-Themen-Umfrage (Omnibus)
Erhebungsverfahren: Der verbale Zugang, das Gespräch, spielt in der qualitativen Forschung eine besondere Rolle. Aus Beobachtungen lassen sich subjektive.
Computereinsatz von VolksschullehrerInnen
Untersuchungsmethoden
Jeux Dramatiques Ausdrucksspiel aus dem inneren Erleben.
Projekt: Schüler verbessern ihren Unterricht
Methoden der Datensammlung
Georg Spitaler PS Interpretative Zugänge zu Popularkultur WS 2004/05.
Gabriele Hooffacker: Interviews: Die richtige Fragetechnik
Qualitative Interviews Sabina Misoch ISBN: © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Mu ̈ nchen/Boston Abbildungsübersicht / List of Figures.
Georg Spitaler PS Interpretative Zugänge zu Popularkultur WS 2004/05.
Methoden der Sozialwissenschaften
Einführung Dokumentarische Methode
Georg Spitaler PS Interpretative Zugänge zu Popularkultur WS 2004/05.
Ergebnisse der Elternbefragung
Die Wahrnehmung von Institutionswechseln durch die Betroffenen
GEWALT UND AGGRESSION. INHALT Einstieg „10.Bilder“  Kurze Diskussion Was macht mich wütend?  Partnerdiskussion Gewaltrollen Opfer und Täter Ergebnisse.
Trainingscamp Hörverstehen Katharina Leiss  In Teil 1 gibt es 6 Punkte.  In Teil 2 gibt es 7 Punkte.  In Teil 3 gibt es 7 Punkte. A2 bekommst.
Ablauf Informationen zum Schulsystem in Schweden
Zu Beginn der Woche war die schüchterne Puppe Lilly zu Besuch. Die Aufgabe der Kinder war es heraus zu finden, woran sie das erkennen können, und was sie.
Bröndby-Oberschule Abitur 2017 Die fünfte Prüfungskomponente.
Bilingualer Unterricht am Otto-Hahn-Gymnasium
Die ersten Schritte bei der Entdeckung der Statistik
Fallbeispiele 1.) Patientendaten: Geschlecht: Alter: Familienstand: Kinder: Religion: Beruf: 2.) Allgemeines zum Patienten: Welche Wesensattribute zeichnen.
Absicht-Thema-Frage "Forschung ist harte Arbeit, es ist immer ein Stück Leiden damit verbunden. Deshalb muss es auf der anderen Seite Spaß machen." Anselm.
Methoden der Erkenntnisgewinnung
Narrative Interviews Exploration
Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong
Forschungsmethode Empirik
Erstellung der Diagnostischen Hausarbeiten
Fachanforderungen Musik
Hinweise zum Erstellen von Seminararbeiten
Ausgewählte Folien für Lehreinheit C3
Die Auswertung qualitativer Interviews
Barbara Wörndl Fachbereich Soziale Arbeit.Medien.Kultur
01. Februar 2017 Programm Methodische Implikationen quantitativer und qualitativer Sozialforschung Abduktion Text und Übung Das qualitative Interview –
Prof. Dr. Barbara Wörndl Hochschule Merseburg
© Hans-Peter Gabel, Wolfenbüttel 2009
Betreutes Wohnen in Haimhausen Gemeinderatssitzung vom
Interviews vorbereiten und durchführen
Kollegiale Hospitation
Ein Projekt der Versorgungsforschung Jalid Sehouli
Einsatzmöglichkeiten von web 2
 Präsentation transkript:

Das qualitative Interview: Formen und Datenerhebung Prof. Dr. Marion Klein Seminar „Forschungsmethoden I: Methoden der qualitativen Sozialforschung FT 2017

Das qualitative Interview Einführung und Überblick Erhebungsverfahren Leitfadeninterviews Narrative Interviews Expert_inneninterviews Probleme qualitativer Interviews Aufzeichnung und Transkription

Das qualitative Interview Die am häufigsten eingesetzte Datenerhebungsmethode in der qualitativen Sozialforschung. „Das Interview ist eine Gesprächssituation, die bewusst und gezielt von den Beteiligten hergestellt wird, damit der eine die Fragen stellt, die vom anderen beantwortet werden“ (Lamnek 2010: 301) Ziel: die Untersuchungspersonen zur ausführlichen Darstellung ihrer eigenen Weltsicht / Lebenswelt / symbolischen Konstruktionen / Relevanzsysteme zu bringen Deutlich weniger Steuerungselemente als in standardisierten Verfahren „Weniger Eingriff schafft mehr Kontrollmöglichkeiten“ (Bohnsack 2014:22)

Das qualitative Interview Unterscheidungskriterien Grad der Standardisierung: vor allem Einsatz von halb-standardisierten und nicht-standardisierten Interviewverfahren Anzahl der befragten Personen Anzahl der Forschenden Methodologie Prinzip der Offenheit Prinzip der Relevanzsysteme der Betroffenen Prinzip des Alltagsgesprächs Prinzip der Prozesshaftigkeit und Flexibilität Prinzip der Explikation Prinzip der Reflexivität

Leitfadeninterview mittlere Strukturierungsqualität Sowohl „Strukturierung durch den Informanten“ als auch „Strukturierung durch den Interviewenden“ Leitfaden besteht zum einen aus Fragen, die sicherstellen, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden, die jedoch andererseits so offen formuliert sind, dass narrative Potenziale des Informanten nutzbar werden können Interview-Leitfaden sollte nicht zu umfangreich sein Leitfadeninterview stellt sicher, dass interessierende Aspekte auch angesprochen werden; gestattet somit Vergleichbarkeit mit anderen Interviews Leitfragen beziehen sich auf vorher als relevant ermittelte Themenkomplexe (gute Kenntnisse des Objektbereichs als notwendige Voraussetzung) Leitfaden-Handhabung erfolgt flexibel Möglichkeit einer unerwarteten Themendimensionierung durch die Interviewten soll offen bleiben.

Formen von Leitfadeninterviews Standardisiertes Interview „mündlicher Fragebogen“ mit offenen Antwortmöglichkeiten Problemzentriertes / themenzentriertes Interview aus dem entwickelten theoretischen Vorverständnis wird die (Problem-) Zentrierung als thematischer Schwerpunkt festgesetzt und daraus der Leitfaden entwickelt (offene Fragen, die Erzählimpulse bieten) vgl. Beispiel Fokussiertes Interview Reaktionen der Befragten auf ein „fokussiertes Objekt“ sollen ermittelt werden (bspw. Spielfilm, Artikel, gemeinsam erlebte und bestimmte soziale Situation)

Narratives Interview Noch mehr als Leitfadeninterview auf ausführliche Erzählungen der Befragten angelegt lässt Befragenden und Befragten den größten Spielraum macht es möglich, tiefere Schichten der subjektiven Sinnkonstruktion für das Forschungsvorgehen zu erschließen, als es mit einem leitfadenartigen Erfragen je realisierbar wäre Entstehung Beginn der 1970er Jahre

Narratives Interview Interesse an der Entwicklung von Datenerhebungsformen, in denen die unkontrollierbare, irritierende und für die Datenanalyse problematische Mischung verschiedener Kommunikationsschemata (Erzählung, Beschreibung, Argumentation) vermieden wurde und in denen Informanten ihre alltäglichen kommunikativen Fertigkeiten ungehindert entfalten konnten (vgl. Kallmeyer/Schütze 1997) Zusammenführung unabhängig voneinander entwickelter interpretativer Forschungstraditionen: insbesondere symbolischer Interaktionismus und ethnomethodologische Konversationsanalyse

Phasen des narrativen Interviews Vorgespräch Erzählstimulus bzw. Eingangsfrage (bei Schütze: Erzählanstoß) Haupterzählung Nachfragephase I: Narrative bzw. immanente Nachfragen vgl. Grundtypen narrativen Nachfragens (nach Gabriele Rosenthal) Nachfragephase II: Exmanente Nachfragen Nachfragephase III: evtl. Bilanzierungsphase oder/und Klärung von Widersprüchen Erhebung soziodemographischer Daten Nachgespräch Erstellung eines Interviewprotokolls (im Anschluss an Interview ohne Ip)

Beispiele für narrative Ausgangsfragen „Ich möchte Sie bitten, mir zu erzählen, wie sich die Geschichte Ihres Lebens zugetragen hat. Am besten beginnen Sie mit der Geburt, dem kleinen Kind, das Sie einmal waren, und erzählen dann all das, was sich so nach und nach zugetragen hat, bis zum heutigen Tag“ (Hermanns, zitiert nach Flick 2002: 148) – narrativ-biografisches Interview „Ihr wart ja grade beim Holocaust-Denkmal. Ich würde euch bitten, mir einfach etwas darüber zu erzählen, wie ihr den Besuch dort erlebt habt, wie ging´s euch, was habt ihr gesehen, was habt ihr gemacht, als ich durchgelaufen seid?“

Expert_inneninterviews wissenssoziologische Unterscheidung von Expert_innen und Laien und entsprechende Unterscheidung von Allgemeinwissen und spezialisiertem Sonderwissen an (vgl. Schütz 1972b, Sprondel 1997) Als Experte wird interviewt, wer sich durch eine „institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit“ (Hitzler/Honer/Maeder 1994) auszeichnet Person des Experten / der Expertin tritt in ihrer biografischen Motiviertheit in den Hintergrund, stattdessen interessiert der in einen Funktionskontext eingebundene Akteur Experteninterview zielt auf den Wissensvorsprung, der aus der privilegierten Position des Experten in einem Funktionskontext resultiert Wie funktioniert „Expertentum“ im jeweiligen Setting? vielfach leitfadengestütztes offenes Interview

Probleme qualitativer Interviews Offene Befragungsverfahren werden im Gesprächsverlauf gesteuert. Was beim standardisierten Interview die Frage- und Antwortformulierung vor der Befragung, ist beim qualitativen Interview die Kunst des Hörens und Nachfragens während des Interviews. Der / die Interviewer_in ist also stark gefordert. Qualitative Interviews sollten deshalb nur nach Interviewertraining und Probeinterviews durchgeführt werden. Qualitative Befragungsverfahren können für die Betroffenen befriedigender sein, da sie ihre eigenen Relevanzen besser artikulieren können. Allerdings führt dies häufig zu erhöhtem Zeitaufwand (der auch als belastend empfunden werden kann) Grenzen: Sprecher/in befindet sich momentan in einer akuten Lebenskrise oder wurde in der Vergangenheit traumatisiert

Aufzeichnung und Transkription Qualitative Interviews werden immer aufgezeichnet! Je nach Art der Interviewauswertung erfolgt ganze Transkription oder Transkription ausgewählter Passagen (nach Erstellung eines thematischen Verlaufs) Transkription ist bereits erste Interpretation! Abstufungen in der Feinheit der Transkriptionen Richtlinien der Transkription (Auszug)  oh=nee Zusammenziehung; Wortverschleifung (3) Pause, Dauer in Sekunden nei::n Dehnung, die Häufigkeit von : entspricht der Länge der Dehnung nein betont nein laut (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin) °nee° sehr leise (in Relation zur üblichen Lautstärke des Sprechers/der Sprecherin) @Text@ Text wird lachend gesprochen @(.)@ kurzes Auflachen @(3)@ drei Sekunden Lachen  

Aufgabe Dich interessiert das Thema Jugend(liche) und Sucht / Abhängigkeit. Wie könnte eine Forschung im Bereich der qualitativen Methoden angelegt sein? Erkenntnisinteresse, Forschungsfrage, Forschungsdesign