Von kranken Gesunden und gesunden Kranken

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 Präsentation transkript:

Von kranken Gesunden und gesunden Kranken Somatisierung = Idee, dass emotionale/psychosoziale Belastungen in erster Linie durch körperliche Symptome zum Ausdruck gebracht werden Körperliche Beschwerden nicht immer (ausschließlich) organisch verursacht (bei jedem 5. Patienten v.a. Gründe) ABER natürlich sind akute körperliche Missempfindungen ein gängiges Phänomen, wovon sich viele nicht chronifizieren, weil Betroffene nach Untersuchung an Unbedenklichkeit glauben oder von vornherein abwarten Hilflosigkeit ggü solchen Patienten Doctor shopping = sowohl Störungsmerkmal als auch Ausdruck des hilflosen Umgangs auf Behandlerseite Somatoforme Störungen (F45) große Diagnosegruppe in nahezu allen Behandlungsbereichen  Bauchschmerzen, Blähungen, Rückenschmerzen, Unterbachbeschwerden, Konversionssymptome, Sexualstörungen, Schwindel, Herzbeschwerden, Übelkeit, Schwitzen... Gefahr, dass Behandler sich auf Symptome seines Fachgebiets beschränkt und Gesamtsyndrom nicht erkennt  Chronifizierung der Störung  hohe Kosten für Gesundheitssystem (9fache Behandlungskosten im Vgl zu Durchschnittsbevölkerung) Studium Generale VII November 2007 Goslar

ANHAND DER TEXTE EINE LISTE MÖGLICHER SYMPTOME ANFERTIGEN Fallbeispiele ANHAND DER TEXTE EINE LISTE MÖGLICHER SYMPTOME ANFERTIGEN  alles sammeln was euch komisch vorkommt/was etwas sein könnte, das zu einer psychischen Störung gehört 10 Minuten

Systematisierung Körperliche Beschwerden ohne organische Grunderkrankung Multiple Beschwerden (auch in Anamnese) umschriebene körper- liche Symptomatik starke Gesundheitsängste Somatisierungs-störung somatoforme autonome Fktsstrg. Schmerzstörung undiff. somatoforme Störung Somatisierungsstörung: Multiple körperliche Beschwerden über mehrere Jahre (DSM-IV: mindestens 4 Schmerzsymptome, mindestens 2 gastrointestinale Symptome, mindestens 1 psychosexuelles und 1 pseudoneurologisches Symptom) • Somatoforme autonome Funktionsstörung: Neukreation von ICD-10; multiple körperliche Beschwerden, primär auf Organe des autonomen Nervensystems bezogen • Undifferenzierte somatoforme Störung, undiff. Somatisierungsstörung: Medizinisch unklare körperliche Beschwerden stehen im Vordergrund, o.g. Diagnosen werden jedoch nicht erfüllt Hypochondrie

Ätiologiefaktoren

Ätiologie somatoformer Störungen Genetisch: erhöhtes Erregungsniveau, uneindeutige Befunde hinsichtl Neurotransmitter & Hormone  grundsätzlich: Huhn oder Ei???

Ätiologie somatoformer Störungen Sozialisation/ Lernerfahrung: ML durch retrospektive Studien recht gut belegt (organisches Krankheitsmodell, typische Verhaltensmuster: Fehlzeiten in Schule, vermehrte (prophylaktische) Arztbesuche), in somatisierer-Familien erhöhter Alkoholismus und Traumatisierung Traumatische und Kritische Lebensereignisse: Traumata (Krieg, sexuelle Übergriffe)  nicht nur im Vgl zu Gesunden sondern auch zu anderen Krankheits-/Störungsgruppen

Ätiologie somatoformer Störungen Einstellungen/Bewertungsprozesse: körperliche (Miss)Empfindungen sind normale menschliche Empfindungen – daher besonders wichtig: wie nehmen Personen mit somatoformen Störungen diese Empfindungen wahr und wie werden sie bewertet?  oft sehr eng gefasster Begriff von Gesundheit (ich darf keine Schmerzen haben – das heißt dass ich krank bin  Herzklopfen nach Treppensteigen, Fußbeschwerden nach Wanderungen, Kopfschmerzen nach längerer Konzentrationsphase, Übelkeit = Magengeschwür, Gelenkschmerzen = bald Lähmung,...) = Katastrophisierung, die widerum dazu beiträgt, Intoleranz ggü köperlichen Beschwerden aufzubauen (sofort ärztlicher Rat, ich kann das nicht aushalten)  Selbstbild: körperlich schwach, wenig belastbar (ich muss größere Anstrengungen vermeiden, weil mein Organismus einfach nicht belastbar ist)  Notwendigkeit besonders vorsichtig und aufmerksam zu sein (somatosensory amplification) = Aufmerksamkeitsfokus immer auf Körper  Sensitivierung der Wahrnehmung  wieder am Anfang bei katastrophisierender Bewertung

Ätiologie somatoformer Störungen Verhaltenskomponenten/ Verstärkung: körperliche Missempfindungen  Schonverhalten (Rückzug, Krankmeldung, Ablehnung von Verpflichtungen und Terminen, Arztbesuche, Medis, paramedizinische Hilfe)  kurzfristig: Symptomreduktion und Aufmerksamkeit/Zuwendung; je mehr sich Hilfe-Such-Verhalten (Inanspruchnahmeverhalten) chronifiziert desto weniger werden kurzfristig positive Konsequenzen und auch Selbstkontrollbemühungen

Physiologische Erregung Störungsmodell & Therapie Biofeedback Emotionale Erregung Physiologische Erregung Soziale Reaktion Physiologische Erregung Emotionale Erregung Aufmerksamkeit auf Körper Psychoedukation Attribution: Ich bin krank! Kognitive Umstrukturierung Krankheitsängste Konfrontation mit Reaktionsverhinderung Leidensdruck oft nicht nur durch Beschwerden sondern durch Unerklärbarkeit der Ursachen  damit anfangen: Symptomfreiheit nicht (kurzfristiges) Ziel sondern Umgang damit, um Beeinträchtigung zu reduzieren + intensive Suche nach Einflussbedingungen (Tagebücher, Verhaltensexperimente) - Modifikation der Bewertungen - Abbau von Schon-/Vermeidungsverhalten (bewusstes Erleben der körperlichen Belastbarkeit, Biofeedback) - Verhaltensdefizite verbessern (emotionaler Ausdruck üben, Genussübungen, Kommunikationstraining, Expo gegen Vermeidung von Verpflichtungen s.4.) - Zusatzprobleme: Depressivität, Traumata Pharmakotherapie: schwierig, weil organisches Krankheitsmodell unterstützend, außerdem Behandlung „gesunder“ Vorgänge, kann aber zu Beginn für Compliance hilfreich sein (als Depotmedikation, damit regelmäßige Termine vereinbart werden auch als Kontingente nutzbar) 4 Interventionsebenen: a) Aufmerksamkeitsfokus & Entspannung: Bsp für verstärkenden Effekt der Aufmerksamkeitsfokussierung erarbeiten  Übungen zur Entspannung & Aufmerksamkeitslenkung als Coping-Strategien b) Kognitionen & Symptomattribution: Einfluss persönlicher Ursachenmodelle auf Wahrnehmung und Bewertung erarbeiten  Unterscheidung zw angstreduz Bewertung und Katastrophisierung, Mechanismen der self-fullfilling prophecy, Bedeutung von Stress & Coping c) situative Aspekte: Abh der Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesse vom situativen Kontext und mit diesem verbundenen Erwartungen d) dysphorischer Affekt: körperliches Unwohlsein durch negative Stimmung verschlechtert  aktive Maßnahmen zur Selbstverstärkung und Stimmungsaufhellung Checking, Doktor-Shopping Vermeidung, Schonverhalten Aktivierung Soziale Reaktion Familientherapie

Weg eines Somatoformen CHRONIFIZIERUNG DISKUSSION: was kann man hausärzten an die hand geben für solche patienten? Richtlinien zum Umgang mit Somatisierungspatienten (5 aus dem Kasten: (1)vollständige Exploration, (2) Glaubhaftigkeit der Symptome (kommen sich oft als Simulanten und lästig abgetan vor) (3) organmedizinische Befunde adäquat mitteilen = Infoverzerrung/selektives Gedächtnis durch Wdhlg/Zsmfsg beachten (4) über Störungsbild informieren und Zielsetzung (Patienten wechseln zw „Ganz schnell keine Beschwerden mehr haben“ und „es nützt ja eh alles nix, keiner weiß was es ist, wahrscheinlich eine bisher unentdeckte Krankheit, alles ist ganz furchtbar“) ableiten = trotz Beschwerden Lebensqualität erhalten/verbessern (5) körperliche Beschwerden vorsichtig (!) mit psychischen Faktoren in Verbindung bringen) Wenn chronisch: Patienten idR skeptisch ggü Psychotherapie (ich bin doch krank!!) 1) Bhdlgsmotivation aufbauen: Ängste ggü Therapie thematisieren  Therapie als Experiment, Art erläutern und Dauer festlegen (weil oft nur sehr vage Vorstellungen)

Begrifflichkeiten psychosomatisch somatoform medizinische Disziplin, die sich mit den Wechselbeziehungen zwischen seelischen, körperlichen und sozialen Vorgängen befasst Teildisziplin der Medizin, die sich mit körperlichen Erkrankungen und ihren biopsychosozialen Aspekten (Krebs  Depression), gestörtem Gesundheitsverhalten + Folgen (Rauchen  Krebs), psychische Störungen mit körperlichen Missempfindungen (Abhängigkeiten) & somatoformen Störungen (keine Organopathologie, kein organischer Befund, psychische Faktoren bei Entstehung und Aufrechterhaltung beteiligt) beschäftigt somatoform

Störungsübersicht F0 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3 Affektive Störungen F4 Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen F5 Verhaltensaufälligkeiten mit körperlichen Störungen oder Faktoren F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F7 Intelligenzminderungen F8 Entwicklungsstörungen F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F99 Psychische Störung ohne nähere Angabe