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 Präsentation transkript:

Lang lebe Leviathan Failing states als Problem der Lehre von den Internationalen Beziehungen

Francis Fukuyama: Staaten bauen… … und eine triviale Beobachtung… „ Souveränität und Nationalstaat, Eckpfeiler des internationalen Systems seit dem Westfälischen Frieden, sind faktisch erodiert und werden attackiert, weil Vorgänge innerhalb von Staaten – mit anderen Worten: innenpolitische Ereignisse – oft in erheblichem Ausmaß andere Mitglieder des inter-nationalen Systems betreffen.“ (S.131) [ Meine Frage: gilt das nicht noch mehr für Vorgänge aus dem Kontext von Globalisierung, aus dem Kon-text von Global Governance, aus dem Kontext von Mehrebenenentscheidungsprozessen in der EU wie der Europäisierung binnenstaatlicher Entscheidun-gen und Strukturen ??]

…und noch einmal Fukuyama: „Schwache Regierungen unterminieren das Prinzip der Souveränität, auf dem die internationale Ordnung seit dem West-fälischen Frieden aufbaut. Dem ist so, weil die Probleme, die schwache Staaten sich selbst und anderen bereiten, erheblich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein anderer im internationalen System sich gegen ihren Willen in ihre Angelegenheiten einmischt, um das Problem mit Gewalt zu beseitigen.“ (S.136)

These: Hinter Auffassungen dieser Art verbirgt sich die klassische realistische Sicht der internationalen Beziehungen. Wir rekapitulieren wie folgt:

KENNLINIEN DES KLASSISCHEN REALISMUS Ideengeschichtliche Quelle Historischer Hintergrund MACHIAVELLI Radizierung von Herrschaft Genese der friedens- und sicherheitsstiftenden Funktion des (fürstlichen) Territorialstaats Trennung von Innen und Außen, dann auch von Innen- und Außenpolitik Entstehung des europäischen Staatensystems seit 1648 bzw. 1713 Entwicklung des Staatsräsongedankens als legitimatorischer Bezugspunkt für die Selbstbehauptung des modernen Territorialstaats HOBBES Überwindung des innergesellschaftlichen Naturzustands durch die gesellschaftsvertragliche Begründung des Leviathan; Legitimation von Herrschaft als Garant einer territorial abgegrenzten sicherheitsgemeinschaftlichen Schutzzone: Basis des Souveränitäts-Anspruchs; Freisetzung des Naturzustands-Konzepts zur Charakterisierung der Beziehung zwischen solchen Schutzzonen (d.h. souveränen Staaten) NATURRECHTSLEHRE (16. – 18. Jh.) HISTORISCHE RECHTSSCHULE (19. Jh.) Lehre von der Rechts-, dann (organologisch-mystisch überhöhten) Verbandsperson des Staates (als eigenwilliger souveräner Akteur ) Idealtypisch-metaphorische Charakteristika der internationalen Politik

Idealtypisch-metaphorische Charakteristika der internationalen Politik Akteurs-ebene System-ebene anarchische Struktur Sicherheitsdilemma: Erhöhung der eigenen Sicherheit durch Stärkung militärischer Fähigkeiten verringert die Sicherheit anderer; Folge: spiralenförmiger Rüstungswettlauf Gleichgewicht der Mächte durch Abschreckung Internationale Politik als Nullsummenspiel staatlicher Akteure um Macht, Ressourcen, Einfluss exklusiver Handlungsanspruch der Akteure im Bereich der „high politics“ Territorialität: Schutzfunktion der harten Schale zweckrationales, nutzenmaximierendes /nutzen- optimierendes Handeln Prinzip der (notfalls militärischen) Selbsthilfe bei der Durchsetzung von Interessen

Friedensschaffende Leitprinzipien klassischer Großtheorien: REALISMUS Akteure Nationalstaaten Prozesse Nullsummenspielartige Konkurrenz um Macht, Einfluss und Ressourcen Strukturprinzip Sicherheitsdilemma Milieu Staatenwelt als internationaler anarchischer Naturzustand Friedenskonzept Sicherheit des Akteurs (als Voraussetzung seines Überlebens) (Erklärungs-) Ansatzebene (außengerichtetes) Aktions-/Interaktionsverhalten der Akteure („unit-level-explanation“) Mittel Machtakkumulation, (gewaltsame) Selbsthilfe zur Durchsetzung von Eigeninteressen, Abschreckung, Gleichgewichtspolitik Schlagwort Abschreckungsfrieden unter Anarchie

Das Billard-Ball-Modell internationaler Beziehungen Akteur A Akteur B Akteur C anziehende Kräfte abstoßende Kräfte

IB-Versatzstücke Internationale Beziehungen als Nullsummenspiel unter Anarchie Akteur bestimmt durch Staatsgebiet, Staatsvolk, Staatsgewalt State as gatekeeper Trennung High Politics/Low Politics Zweckverbandstheorie internationaler regierungsamtlicher Organisationen (IGOs)

IGO INGO Staat C Staat A Staat B = Regierung = Gesellschaft = aussenpolitische oder internationale Transaktionen = innenpolitische Interaktion

Der neuzeitliche Territorialstaat - Substrat des realistischen Billard-Ball-Modells der Internationalen Politik Prämisse Legitimation des Staates durch Garantie von Sicherheit und Rechts-frieden im Binnen- und Schutz vor (militärischen) Angriffen im Außenverhältnis Faktoren des Wandels: Entwicklung der Produktivkräfte und der Destruktionsmittel mittelalterlicher Ausgangspunkt hebt auf Schiesspulverrevolution des späten Mittelalters: Entwicklung der Artillerie und der Distanzwaffen Mauergeschützte Undurchdringbarkeit Flächenstaat: harte Schale von Festungen rings um die Peripherie bei gleichzeitiger Aufhebung der Unabhängigkeit befestigter Plätze im Landesinnern durch die Zentralgewalt Festungsgeschützte Undurchdringbarkeit Äußerungsformen Voraussetzung: Verbleib der (Land- und See-) Krieg-führung in der Horizontalen strategisch Militärmacht politisch Unabhängigkeit rechtlich Souveränität Moderner Staat: Im Inneren befriedete und nach außen durch ihre harte Schale verteidigungsfähige Einheit mit (physischem) Gewaltmonopol Luftkrieg: insbesondere ballistische Trägersysteme und nukleare Massenvernichtungswaffen hebt auf militärisch-politisch-rechtlich abgestützte Undurchdringbarkeit

Ausdifferenzierung der internationalen Arbeitsteilung Luftkrieg: insbesondere ballistische Trägersysteme und nukleare Massen-vernichtungswaffen hebt auf militärisch-politisch-rechtlich abgestützte Undurchdringbarkeit verstärkt Durchdringbarkeit Industriewirtschaftliche Dynamik Globalisierung funktionale Interdependenz transnationale Vernetzung Ausdifferenzierung der internationalen Arbeitsteilung grenzüberschreitende Umweltprobleme und deren Sekundärwirkungen Intensivierung sozialer und kultureller Wirkkräfte durch gesellschaftlichen Wandel Ersatz fordistischer durch post-fordistische Akkumulationsweise

Entgrenzungskrise des Nationalstaats (I) Klassische Staatsdefinition: „Staat“: Diejenige menschliche Gemeinschaft, die innerhalb eines bestimmten Gebietes das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit mit Erfolg für sich beansprucht (Max Weber) Territorialität Herrschafts- gewalt Innenpolitik (unterliegt dem Durch-setzungsanspruch des Gewaltmonopols) Ordnungslegitimität im Innenraum der Staatlichkeit => Souveränitätsbegriff Aussenpolitik Wahrnehmung hoheitlicher Belange durch den Staatsapparat nach aussen Staatsapparat Entgegensetzung Gesellschaft als nichtstaatlicher Bereich Gesellschaft A Staatsapparat A A Gesellschaft B Staatsapparat B B Internationale Politik Aussenpolitik bzw.

Entgrenzungskrise des Nationalstaats (II) Kennzeichen der Krise: Innen- und aussenpolitischer Verlust an Souveränität und Handlungsautonomie Die Globalisierung von Wirtschaftsaktivitäten in Verbindung mit der Ausbildung neuer weltwirtschaftlicher Zentren, vor allem aber der Übergang von der Internationalisierung der Produktion zum „global sourcing“ durchbricht die Schutzfunktion territorialstaatlicher Grenzen für nationale Ökonomien und nationale Daseinsfürsorge. Der internationale Schadstoffverkehr unterläuft die territoriale Unversehrtheit des Nationalstaats; seine Souveränität wird durch globale Umwelteinflüsse beeinträchtigt. Die Bildung transnationaler Gemeinschaften von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, Arbeitsmigranten und nach Besserung ihrer ökonomischen Lage Strebenden sprengt die in der Staatsbürgerschaft greifbare Zuordnung von Bevölkerung und Territorium; sie trägt die Krisenhaftigkeit der globalen Entwicklung in die Gesellschaften der Zielländer. Transnationale Koalitionen entwickeln neue Formen der Kooperation als Sachwalter globaler Anliegen (Schutz der Menschenrechte, Demokratisierung, Umwelt), die staatliche Politik aushebeln. Miteinander verbündete, auf Wachstum und technischen Fortschritt sowie Mobilität von Kapital, Gütern und Dienstleistungen eingeschworene gesellschaftliche Kräfte ignorieren das staatliche Entscheidungsmonopol. Sie konstruieren technologische und ökonomische Sachzwänge national wie international: Transnationale Vernetzung Funktionale Interdependenz Globalisierung der Politik ökonomische Vermittlung durch den Weltmarkt politische Vermittlung durch die transnationale Gesellschaft

Fragen an failing states: Was macht einen Staat zum failing state ? Nach welchen Kriterien soll seine Schwäche beurteilt werden ? In welchem Masse ist die Schwäche eines Staates eher Resultat der Schwäche des internationalen Systems denn eigener Binnenentwicklungen ? Können im postnationalen internationalen System Staaten überhaupt noch eine entscheidende Rolle spielen ?

Failing States: Definitionselemente im Aussenverhältnis: kein Schutz seiner Bürger gegen Ausseneingriffe in die Freiheit der gesellschaftlichen Eigenentwicklung militärische Sicherheitsdimension im Binnenverhältnis; Versagen bei der Bereit- stellung (wohlfahrtsstaatlicher) Dienstleistungen der Daseinsvorsorge: Sicherung der Grundbedürfnisse, Verkehrswegesicherheit, Sicherheit der Eigentums-verhältnisse, Erwartungsverlässlichkeit staatlichen (Verwaltungs-) Handelns menschliche Sicherheitsdimension

Failing States: Kontexte Zentrale Bedrohung des internat. Systems nach dem 11. September ?? Zusammenhang failed states – Terrorismus Zusammenhang failed states – Neue Kriege [als (Nicht-)]Rahmen für Bürgerkriegsökonomien] Zusammenhang failed states – unregulierte transnationale Aktivitäten (Schattenglobalisierung) Räumliche Ausweitung bzw. Export des Zerfallsprozesses zu den Nachbarn Entwicklungs- UND Sicherheitsproblem

Failing States als Wissenschaftsproblem Klassische Dichotomie von Staat (als grundsätzlich geordnet angenommener Raum) und internationaler An-archie mit Sicherheitsdilemma Neue politische Ordnungsmuster des effektiven und legitimen Regierens jenseits des Staates liegen quer zur teildisziplinären Organisation der Politikwissenschaft Postnationale Konstellation als neue Ord- nungsstruktur mit eigener Funktionslogik bedarf einer eigenen Regierungslehre

Fazit: Failing States als Unterphänomenengruppe postnationaler Ver- und Entflechtungsprozesse Fragen nach den Bedingungen und Möglichkeiten effektiven und legitimen Regierens (und auch Nicht-Regierens) jenseits des Staates Notwendigkeit der Entwicklung eines problem- und funktionenorientierten Verständnisses der Politik, das danach fragt, unter welchen Bedingungen postnationalen Regierens die Erwartungen erfüllt werden können, die traditionellerweise an den Nationalstaat gestellt werden

Kaffeepause