AG Grundrechte Sommersemester 2017 Sebastian Thess

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Advertisements

Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Übung zur Vorlesung „Grundrechte“
Übung zur Vorlesung „Grundrechte“
Grundkurs praktische Philosophie 10
Grundkurs Verfassungsrecht II Übung im Öffentlichen Recht für Anfänger
AG zum Grundkurs im Öffentlichen Recht II
Probeklausur Staatsorganisationsrecht
Wirtschaftsverfassungsrecht
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Übung im Öffentlichen Recht für Fortgeschrittene
WS 2004/ Staatsorganisationsrecht - PD Dr. Jürgen Bröhmer
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Bescheidprüfung, Art 144.
Das Lüth-Urteil vom BvR 400/51
法學德文名著選讀(一) Lektion 2 Text 1
Übung zur Vorlesung „Grundrechte“
Art. 81 und 82 EG: Sanktionen, Verfahren, Rechtsmittel - Überblick -
Übung zur Vorlesung „Grundrechte“
Vorüberlegung zum Prüfungsaufbau: Zulässigkeit Begründetheit Ergebnis
Übung zu den Vorlesungen im Verwaltungsrecht
Einführung in das Öffentliche Recht für Nichtjuristen
Die Datei der Verdächtigen
Herzlich Willkommen zur 11
Es begrüßt Sie Frau Jennifer Gerkens zum Vortrag
Ρ. ri x ecker.recht Tödliche Luftsicherheit Vorüberlegungen: Was ist die genaue Fragestellung? (K erhebt Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz, zu fragen.
Ρ. ri x ecker.recht Freie, gleiche und geheime Wahlen Vorüberlegungen: Worum geht es?  Der Sache nach: Klärung einer Vielzahl möglicher Wahlfehler im.
Ρ. ri x ecker.recht Die Exzellenzinitiative Vorüberlegung: Was ist die Fragestellung? Landesregierung beantragt beim BVerfG „festzustellen“, das das „Gesetz.
Priv. Doz. Dr. Thilo Rensmann LL.M.. Ausgangsfall „Reiten im Walde“, BVerfGE 80, 137BVerfGE 80, PD Dr. Thilo Rensmann LL.M. Öffentliches Recht.
Ρ. ri x ecker.recht Die auserwählte Oberstudienrätin Worum geht es? O erhebt Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen von VG und OVG im Eilrechtsschutz!
Ρ. ri x ecker.recht Eine streitige parlamentarische Untersuchung Vorüberlegungen: Worum geht es? Zu erkennen: Anträge werden gestellt -von zwei Fraktionen.
Ρ. ri x ecker.recht Erziehung zur Mündigkeit Vorüberlegung: Worum geht es?  T (15 Jahre) erhebt Verfassungsbeschwerde gegen die (behördlichen?) und gerichtlichen.
Ρ. ri x ecker.recht Die Shisha-Café Gesellschaft bürgerlichen Rechts Wonach ist gefragt? [S-GbR, A und B erheben VB gegen das NRSchG]  Rechtssatzverfassungsbeschwerde.
Was sagt das Grundgesetz über unsere Verwaltungsordnung aus? (Teil 1)‏
RA Philipp Franke, wiss. Mit. Übung zu den Grundlagen des Rechts I 5. Stunde Fall: Nach der Handwerksordnung kann nur derjenige selbständig ein Handwerk.
RA Philipp Franke, wiss. Mit. Übung zu den Grundlagen des Rechts I 4. Stunde Art. 14 GG - Eigentumsgarantie I)Schutzbereich 1)Personaler Schutzbereich.
ALLGEMEINE GRUNDRECHTSLEHREN I. Einteilung der Grundrechte
Ρ. ri x ecker.recht Die Schließung einer Flatrate-Diskothek Probleme des Falles: Einstweiliger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO Notwendigkeit einer Anhörung.
Prof. Dr. iur. Johannes Münder em. Universitätsprofessor TU Berlin Lehrstuhl für Sozialrecht und Zivilrecht Subsidiarität – Relikt aus der Vergangenheit.
Universität Bonn Wintersemester 2010/11 1. Doppelstunde Propädeutische Übung im Öffentlichen Recht.
30. Deutsch-Ungarische Juristentagung Regensburg, am 30. Mai 2015 Dr. Péter Darák Präsident der Kurie Beziehung zwischen dem Verfassungsgericht und der.
ZUERST DAS BARGELD, DANN DAS GOLD? WELCHE BESCHRÄNKUNGEN KOMMEN AUF UNS ZU? Prof. Dr. univ. Arsène Verny, M.E.S. Rechtsanwalt / Advokát.
Verfahrensabläufe im Kinderschutz bei häuslicher Gewalt
Methodenlehre der Rechtswissenschaft
Verfassungskonforme Auslegung
Erster Entwurf eines ABDSG Allgemeines Bundesdatenschutzgesetz
Rechtswissenschaften
Die fünf Postulate der systematischen Auslegung
Einheit 4: Einführung in das Staatsrecht II
Einheit 4: Einführung in das Staatsrecht II
Und bist Du nicht willig ...
Rechtliche und ökonomische Grundlagen des Gesundheitssports
Datenschutz im Arbeitsalltag Arbeitsmaterialien
Einheit 10: Der allgemeine Aufopferungsanspruch
Betriebspraktikum 9 Montag, bis Freitag,
Einheit 3: Überblick Verfassungsprozessrecht
Schneeverwehungen Vorgehen der Klausurbearbeitung:
Vorlesung Medienrecht (SMK 7) an der Deutschen Sporthochschule Köln im Wintersemester 2017/18 Dienstag, bis Uhr.
Nebengebiete Erbrecht 10. Woche.
Rep.-Kurs Öffentliches Recht Einheit 5: Einführung in das Europarecht
Einheit 12: Der Folgenbeseitigungsanspruch
Welche Bedeutung hat das Rechtsstaatsprinzip für die Medien?
Roland Hoheisel-Gruler
RiBVerwG Helmut Petz Sommersemester 2018
Vorlesung „Strafrecht IV“ Wintersemester 2017/18
Datenschutz in Schulen
Einheit der Rechtsordnung
Allgemeines Verwaltungsrecht
 Präsentation transkript:

AG Grundrechte Sommersemester 2017 Sebastian Thess Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl Prof. Dr. Martin Eifert sebastian.thess@rewi.hu-berlin.de Mo 13 – 18; nach Vereinbarung Raum 314

Organisatorisches AG-Ausfall: 17.04. / 01.05. / 05.06. Fall, Lösung und PPP sowie zusätzliche Materialien auf Moodle: Kurs: AG Grundrechte Sebastian Thess SoSe 2017 Kürzel: 10081 (SoSe2017_ÖI) Schlüssel: Berlin2017 Fall immer eine Woche im Voraus Materialien immer nach der Stunde Probeklausur + Vorbereitung auf die Klausur

AG-Ablauf AG-Vorbereitung: AG-Ablauf: Must do: Fall lesen und mitbringen / Gesetz mitbringen / Mitarbeiten Should do: Fall durchdenken / Lösungsskizze erstellen AG-Ablauf: Wiederholung der letzten Stunde + Fragen Fallbesprechung Zusatzmaterialien

Was schützen Grundrechte? Verhaltensweisen (bspw. das Äußern von Meinungen) Rechtsgüter (bspw. das Leben) Rechte (bspw. Eigentum oder Rentenanwartschaft) Rechtsstatus (bspw. die Staatsbürgerschaft oder nicht als vorbestraft zu gelten) Einrichtungen (bspw. die Universität)

Wie schützen Grundrechte? Art. 1 Abs. 3 GG: Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. „Konstitutionalisierung der Rechtsordnung“: Grundrechtsanwendung als juristisches Alltagsgeschäft (und Aufgabe!) beim Gesetzgeber, bei Behörden und Gerichten, nicht allein Angelegenheit des BVerfG. In Klausuren: Prüfung der Erfolgsaussichten von Verfassungsbeschwerden ... gegen grundrechtswidrige Gesetze ... gegen grundrechtswidrige Auslegungen des unterverfassungsrechtlichen („einfachen“) Rechts durch die Gerichte („Fachgerichte“)

Prüfung des grundrechtlichen Abwehranspruchs (Minimalschema) Fällt der Bf. (persönlicher Schutzbereich( und fällt das vom Bf. verteidigte Recht/Rechtsgut/Verhalten/... (sachlicher Schutzbereich) in den Schutzbereich des geprüften Grundrechts? Liegt ein staatlicher Eingriff vor? (Ist die vom Bf. angeführte Beeinträchtigung dem Staat zurechenbar?) Ist der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt? (Wie) kann das Grundrecht beschränkt werden? (Verfassungsrechtliche Eingriffsermächtigung) Ist die gesetzliche Grundrechtsbeschränkung verfassungsgemäß? Ist sie insbesondere... zur Erreichung eines legitimen Zieles... geeignet,... erforderlich und... angemessen?

Fall 1: „Reiten im Walde“

S ist Eigentümerin mehrerer Islandpferde S ist Eigentümerin mehrerer Islandpferde. Islandpferde zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben den sogenannten Grundgangarten die Gangarten „Pass“ und „Tölt“ beherrschen. Das Training dieser Gangarten ist nur auf bestimmten Waldwegen mit festem, aber nicht zu hartem Waldboden möglich. S trainierte ihre Islandpferde in einem an die Stallungen und den Reitplatz angrenzenden öffentlichen Waldstück. Auf Gangpferdeturnieren ist S bereits mehrfach ausgezeichnet worden und hat in den letzten Jahren Preisgelder in Höhe von rund 1000 Euro pro Jahr gewonnen. Im August 2014 trat das formell verfassungsgemäße Landschaftsschutzgesetz des Landes L in Kraft. Das Gesetz bestimmt, dass das Reiten im Wald auf öffentlichen Wegen nur dann zulässig ist, wenn die Waldwege entsprechend ausgewiesen und gekennzeichnet sind. Dadurch sollen Erholungssuchende vor den Gefahren geschützt werden, die von den Pferden ausgehen. Das sind vor allem unmittelbare Tiergefahren und Gefahren durch aufgelockerten Wegeboden. Bei einem Verstoß gegen das Landschaftsschutzgesetz kann die zuständige Behörde ein Bußgeld verhängen. Infolge dieses Gesetzes kann S ihre lang erprobten Trainingsstrecken nicht mehr bereiten; die öffentlich ausgewiesenen Wege sind für das Training der Gangarten Pass und Tölt ungeeignet. S sieht sich durch das Landschaftsschutzgesetz in ihren Grundrechten verletzt. Sie macht geltend, dass das Gesetz ihr Grundrecht auf Freizügigkeit verletze. Zudem vermindere das Gesetz ihre Chancen, auch zukünftig Turniere zu gewinnen und Preisgelder zu erhalten. Jedermann müsse sich im Wald frei bewegen können. S legt im April 2015 formgerecht Verfassungsbeschwerde ein.

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Art. 93 I Nr. 4a GG iVm §13 Nr. 8a, § 90 ff BVerfGG) Beschwerdefähigkeit § 90 Abs. 1 BVerfGG: „jedermann“ unproblematisch bei natürlichen Personen Beschwerdegegenstand § 90 Abs. 1 BVerfGG: „öffentliche Gewalt“ Beschwerdebefugnis § 90 Abs. 1 BVerfGG: „Behauptung ... verletzt zu sein“ Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung Selbstbetroffenheit (Wer beschwert sich?) Gegenwärtige Betroffenheit (Wann erfolgt die Beeinträchtigung ?) Unmittelbare Betroffenheit (Bedarf es noch weiterer Handlungen / Vollzugsakte für die Beeinträchtigung ?)

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Rechtswegerschöpfung § 90 Abs. 2 BVerfGG: „erst nach Erschöpfung des Rechtswegs“ Abgrenzung Rechtssatz – VB / Urteils – VB Kein „normaler“ Rechtsweg gegen Parlamentsgesetz (Art. 100 I GG); dies gilt auch bei Landesrecht (siehe Art. 100 I Satz 2 GG) Subsidiarität „Gibt es eine andere zumutbare Möglichkeit, eine Beseitigung der Grundrechtsverletzung zu erwirken?“ ungeschrieben motiviert durch denselben Gedanken, der auch hinter § 90 Abs. 2 BVerfGG steht Frist § 93 BVerfGG: „binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes“

Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Form § 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BVerfGG: „...sind zu begründen“. § 92 BVerfGG: „... Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen“.

B. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Freizügigkeit (Art. 11 GG) Persönlicher Schutzbereich Sachlicher Schutzbereich Reiten auf Waldwegen als „Aufenthalt und Wohnsitz“? Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) Sachlicher Schutzbereich Betreiben des Reitsports als Wahl oder Ausübung des „Berufs“? Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) Zukünftige Preisgelderwartungen als „Eigentum“?

Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Schutzbereich (P) Reiten als „Entfaltung der Persönlichkeit“? Argumente für einen weiten Schutzbereich: Über die „Banalität“ der geschützten Handlung ließe sich Konsens schwer herstellen Auch andere Freiheitsrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, Art. 8 GG) fordern kein bestimmtes Maß an „Niveau“, „Relevanz“ o.ä. Wichtige Funktion des Art. 2 Abs. 1 GG als grundrechtlicher Schutz vor verfassungswidrigem Zwang; der Staat muss jeden Eingriff in die Freiheit seiner Bürger rechtfertigen.

Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Eingriff Klassischer Eingriff = Rechtsförmig / Finalität / Unmittelbarkeit / Imperativ ( Zwang) Moderner Eingriff = Jede dem Staat zurechenbare Maßnahme, die zur Verkürzung von grundrechtlich geschützten Freiheiten führt Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Empfohlener Aufbau: a.) Einschränkbarkeit + besondere Anforderungen an das Gesetz b.) formelle und c.) materielle Verfassungsmäßigkeit a.) Einschränkbarkeit: Art. 2 Abs. 1 GG: „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ (P) Was meint hier die „verfassungsmäßige Ordnung“? Jedes formell und materiell verfassungsmäßige Gesetz (P) Welche materiellen Anforderungen stellt die Verfassung (mindestens) an ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz?

Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung b.) formelle Verfassungsmäßigkeit = Zuständigkeit / Verfahren / Form (Staatsorganisationsrecht aus dem 1. Semester) c.) materielle Verfassungsmäßigkeit = bspw. Verhältnismäßigkeitsprinzip (Verpflichtung auf verhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte zur Verfolgung eines legitimen Zwecks) Legitimer Zweck (Welcher Zweck wird verfolgt ? Ist das erlaubt ?) = Schutz von Wanderern vor den Gefahren (unmittelbare Tiergefahr; mittelbare Tiergefahr durch aufgelockerten Boden) Geeignetheit (Ist die Maßnahme zur Zweckerreichung geeignet ?) = Durch das Verbot wird die Gefahr gebannt Erforderlichkeit (Gibt es ein milderes, gleich geeignetes Mittel ?) Angemessenheit (Ist die Zweck – Mittel Relation angemessen) Wie wichtig ist das verfolgte Ziel VS Wie schlimm sind die Folgen des Eingriffs

Begründetheit der Verfassungsbeschwerde Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung b.) formelle Verfassungsmäßigkeit = Zuständigkeit / Verfahren / Form (Staatsorganisationsrecht aus dem 1. Semester) c.) materielle Verfassungsmäßigkeit = bspw. Verhältnismäßigkeitsprinzip (Verpflichtung auf verhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte zur Verfolgung eines legitimen Zwecks) Angemessenheit (Ist die Zweck – Mittel Relation angemessen) Wie wichtig ist das verfolgte Ziel VS Wie schlimm sind die Folgen des Eingriffs Abstrakte Rechtsgüter: Art. 2 I GG VS Art. 2 II GG (Leib und Leben der Wanderer) Konkrete Beeinträchtigung: Reiten wird nicht generell verboten, sondern nur an nicht ausgewiesenen und gekennzeichneten Wegen Vergleich: Nur sehr wenige Reiter VS Zahlreiche Wanderer