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Copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 1 Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Medizinische Hochschule Hannover Zentrum Öffentliche Gesundheitspflege.

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Präsentation zum Thema: "Copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 1 Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Medizinische Hochschule Hannover Zentrum Öffentliche Gesundheitspflege."—  Präsentation transkript:

1 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 1 Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz Medizinische Hochschule Hannover Zentrum Öffentliche Gesundheitspflege 29.05.2006 Evangelische Akademie Tutzing Patientenforum Medizinethik Direktor der Abteilung Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung „Eine Medizin für alle!? – „Medizin zwischen Erwartungen, Möglichkeiten und Bezahlbarkeit“

2 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 2 1. Ist unser Gesundheitswesen in seiner gegenwärtigen Form „be- zahlbar“? 2.Macht die Position der Regierung: noch mehr Wettbewerb, noch mehr ökonomisches Denken in der Medizin, Sinn? -Wie erfolgreich sind wettbewerbliche Systeme im Ver- gleich zu staatlich gesteuerten? -Sind die von der Consultingfirma McKinsey oder dem SPD- Berater und MdB Lauterbach oder Sonstigen ver- sprochenen hohen Einsparpotenziale realistisch? -Welche realistischen Einsparpotenziale sind kurzfristig erschließbar? 3.Nutzen oder Gefahren einer weiteren Ökonomisierung der Medizin? 4.Mögliche Auswirkungen der Bevölkerungsdynamik und des medizinischen Fortschritts? Eine „ceteris paribus" – Debatte? 5.Präventionsoption als Ausweg? 6.Fazit

3 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 3 Ist unser Gesundheitswesen in seiner gegenwärtigen Form „bezahlbar“? 1.Deutschland steht, gemessen an seiner Binnenwirtschaftskraft mit seinen gesamten – privaten wie öffentlichen − Gesundheitsausgaben (GDP), mit 11,1% (OECD 2003) an dritter Stelle hinter USA (15%) und Schweiz (11,5%). Damit stehen wir in der Spitzengruppe mit zwei im Vergleich zu uns deutlich stärker wettbewerbsorientierten Systemen. 2.Sortiert man jedoch die Länder nach kaufkraft-gewichteten Prokopfausgaben für das Gesundheitswesen, steht Deutschland (2996 USD) nur an 7. Stelle (nach USA mit pro Kopf 5635 USD, Norwegen, Schweiz, Luxemburg, Island, Kanada (2003). Insofern gibt Deutschland prima vista nicht „zu viel“ Geld aus. Eine andere Frage ist, ob wir das Geld in der besten Weise ausgeben. Das Statement (MdB Lauterbach, „Handelsblatt“ vom 13.04.06) „das deutsche Gesundheitssystem ist 25% teurer als andere europäischen Systeme ähnlicher Qualität“ würde bedeuten, eine um 25% auf rund 2250 € abgesenkte Prokopfausgabe würde uns (OECD Daten 2003) auf die Position von europäischen Ländern wie Finnland, U.K., Italien und Österreich bringen; einschränkend wäre hierzu zu bemerken, daß die Zugangsbarrieren für Versorgung und Leistung in U.K., Finnland und Italien deutlich höher sind als in Deutschland (Wartelisten) und z. B. die Technikdichte geringer; alle drei erstgenannten Länder staatliche Systeme; Österreich ist ein traditionell korporatistisches staatsnahes System.

4 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 4 Ist unser gegenwärtiges Gesundheitswesen „bezahlbar“? Ist es „steuerbar“? 3.Ferner gehört Deutschland hinsichtlich der jährlichen Wachstumsrate der kauf- kraftgewichteten Prokopfausgaben für Gesundheit mit 2,3 (2000-2001) bis 0,9% (2002-2003) zu den Schlusslichtern vergleichbarer Industriestaaten (USA 5,2 bzw. 4,7, Großbritannien 6,9 bzw. 4,1, Schweiz jeweils 5,0 bzw. 2,5, Niederlande 5,4 bzw. 4,5, Frankreich 3,0 bzw. 4,6) (OECD-Daten 2005). Wenn gebremstes Wachstum der Gesundheitsausgaben das gegenwärtige prioritäre politische Ziel ist, steht Deutschland international „gut“ da. Zwischenfazit Im empirischen Vergleich ergibt sich: 1. Das deutsche absolute Ausgabenniveau ist empirisch und komparativ betrachtet nicht prima vista „zu hoch“, die Ausgabendynamik im internationalen Vergleich z. Zt. eher gering. 2. Die relativ schwache deutsche Binnenmarktentwicklung gibt allerdings zur Vorsicht Anlass (hinsichtlich GDP pro Kopf steht Deutschland an 18. Stelle). Andererseits ist das Gesundheitswesen selbst ein wesentlicher Wirtschaftsteil des Binnenmarktes wie des nationalen Arbeitsmarktes.

5 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 5 Kostendämpfungseingriffe im Gesundheitswesen haben daher immer auch einen dämpfenden Effekt auf den gesamten nationalen Binnenmarkt und die Arbeitsmärkte, es sei denn, sie setzten starke finanzielle Kräfte zugunsten anderer Marktsegmente frei. Das wiederum hängt von der Finanzierungsform des Gesundheitswesens ab: belastet diese die Lohn- kosten aller anderen Binnenmarkt-Bestandteile, werden seinem Wachstum sehr negative Effekte auf andere Branchen und Märkte unterstellt. 3. Ein Wachstum „des Gesundheitsmarktes abgekoppelt von den Lohnkosten erscheint als der Königsweg“. Dafür sind zurzeit viele Modelle auf dem Markt; vereinfachend vor allem vier: Das Kopfprämienmodell, oder die teilweise Abkopplung durch „eingefrorene“ Beitragsanteile an Löhnen, oder Kombinationsmodelle über einen Fonds „in den alles fließt“. Eine Bürgerversicherung wäre der „alte Weg“, die lediglich auf die alten Lohneinkünfte noch weitere beitragspflichtige Gruppen heranziehen würde; neu wäre nur, wenn sie auf andere Einkunftsarten, z.B. Mieten, aufsattelt.

6 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 6 4. Eine radikal liberale Neuordnung, wie sie mit der Beschränkung auf Versicherungspflicht und Kontrahierungszwang, etwa ähnlich der Kfz- Haftpflichtversicherung, marktliberale Ökonomen, (vgl. Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut, April 2006) vorschlagen, soll die enormen Wachs- tumskräfte eines „echten Gesundheitsmarktes“ erschließen – mit bis zum Jahr 2020 1,2 Mio. neuen Arbeitsplätzen „(Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit, Workshop: Gesundheitsmarkt – Zukunftschance oder Bedrohung?“, 17.05.2006). 5. Im „liberalen Markt“ bleibt wie bei der Kopfprämie als zentrales sozial- politisches Problem: Wie lassen sich durch zu hohe Prämien oder Leistungspreise de facto Rationierungen oder Zutrittsbarrieren für Bedürftige und Geringverdiener vermeiden? („Beispiel Schweiz, mit geringerem Armutsanteil und hoher Beschäftigung: 30% der 10 Mio. Versicherten müssen durch Bund und Kantone subventioniert werden, diese Subventionen betragen 60% der Prämien und Selbstbehalte (Stand 2000; DÄ 100,8, 2003, S.450).

7 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 7 6. Die Refinanzierung dieser hohen Steuermittel belastet in unerwünschter Weise den Mittelstand, deswegen wird Reformbedarf in der Schweiz selbst am eigenen Modell gesehen. Bei einer solchen Reform gibt es – und dies gälte in gleicher Weise wie Deutschland immer nur drei mögliche Ansätze: a)Ich reduziere die Leistungsansprüche der Schwachen auf ein „Basispaket“. Diese wiederum haben grundsätzlich zwei mögliche Ausprägungen: -Alle wissenschaftlich gesicherten Leistungen sind enthalten (allenfalls „subjektive“ Rationierung). -Einige wissenschaftlich gesicherte Leistungen sind nicht enthalten (das ist „objektive“ Rationierung mit leichten bis mittelschweren der normativ- ethischen und praktische Konsequenzen für eine Gesellschaft und die Betroffenen). b)Die Preise (Ärzte, Krankenhäuser, Arzneimittel etc.) werden staatlich oder durch quasi staatliche Instanzen festgelegt (z.B. durch eingefrorene Gebührenordnung; generiert Einkommens- und Qualitätsprobleme, etwa am Beispiel der „Pflege“-Leistung in Deutschland kann aber auch kompetent und realitätsnah gelöst werden, Beispiel: einige internationale „Arzneimittel-Positiv- listen“).

8 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 8 c) Es werden für Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser, Arzneimitteldistributionen), „verbindliche Budgets“ festgelegt, mit starren oder halbflexiblen Grenzen (in der letzten Dekade in Deutschland der Fall für: Krankenhäuser, Vertragsärzte, phasen- weise für ambulante Arzneimittel); wird von sehr vielen Gesundheitswesen in Industriestaaten in sehr vielen Varianten angewendet. Nachteil: Budgets generieren und verfestigen oft Grenzen zwischen Institutionen und Sektoren, generieren monetäre und nicht-monetäre „Friktionskosten“, sind oft arbiträr festgesetzt (Schwartz, et al: Fixing health budgets, Chichester, New York, Brisbane: Wiley 1996)

9 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 9 1.Wie „erfolgreich“ sind wettbewerbliche Systeme im Vergleich zu staatlich gesteuerten? 1) Setzt man die Kontrolle aller Gesundheitsausgaben als wesentliches Ziel, sind Systeme mit einheitlicher, staatlich regulierter Finanzierung „am erfolgreichsten“ (OECD Health Policy Studies Nr. 7. Paris 1995; Jönsson B, Musgrove P. Government Financing of Health Care. In: World Bank, Innovations an Health Care Financing. Washington 1997, 41-65). 2) Systeme mit hohem Ausmaß an Privatfinanzierung sowie Wettbewerb auf der Finanzierungs- und Leistungsseite sind im allgemeinen „erfolgreicher“ in ihrer Orientierung an Präferenzen von Patienten und Konsumenten. Es sei denn, es herrscht überwiegend Beitrags- und Finanzierungswettbewerb unter Privatversicherern bei intransparentem oder nicht barrierefreiem Markt (zahlreiche HMO-Modelle USA und CH). Sie können auch, aber eben nicht zwingend, bei hohem, barrierefreiem regionalen Wettbewerb und bei transparenter Qualität und Preisen zu effizienteren Abläufen führen. Aber sie gewährleisten keinen chancengleichen Zugang zu Gesund- heitsleistungen und ihre Kostenkontrolle ist schlechter (Enthoven AC: What can Europeans learn from Americans? In: OECD. Health Care Systems in Transition. Paris 1990, (57-71). Macht die gegenwärtige Position der Regierung: noch mehr Wettbewerb, noch mehr ökonomisches Denken in der Medizin Sinn?

10 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 10 3)Ist der Zugang „für alle“ das maßgebliche, politische Ziel, gilt: Je höher der über Steuern (oder entsprechende Sozialabgaben) finanzierte Teil, desto wirksamer die finanzielle Umverteilung. Je höher private Selbst- und Zuzahlungen sind, desto niedriger die Umverteilung (van Doorslaer E et al.: The Redistributive Effect of Health Care Finance in twelve OECD-Countries. Journal of Health Oeconomics 1999; 18: 291-313). 4)Der amerikanische Versuch, Kostensteuerung im Gesamtsystem durch „Managed Care“ eingebettet in „Managed Competition“ privatwirtschaftlich zu organisieren, zeigte nur instabile Steuerungswirkungen (Reinhardt UE et al. US Health Care-Spending in International Context. Health Affairs 23,3; 2004: 11- 25).

11 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 11 Zwischenfazit: Die gegenwärtige Reformposition der Regierung: Verstärkung des Wettbewerbs auf der Seite der Finanzierer wie der Leistungserbringer kann die Präferenz- orientierung stärken, aber sie kann nicht zur systembezogenen Kostensenkung führen. Hier werden zum Teil politisch und volkswirtschaftliche illusionäre Positionen vertreten, sgn.: „Professorenpanel“ deutscher Volkswirte (DIW 20.10.03): „ - durch eine umfassende Stärkung des Wettbewerbs“ könnten „um mehr als 25 Mrd. Euro „..... die Gesundheitsausgaben jährlich gesenkt werden“. Das gilt um so mehr, wenn die Regierung ersatzlos institutionelle Steuerungs- ebenen auf der Meso- und Makroebene der Kassenseite beseitigen würde (Abbau der steuernden kassenübergreifenden Verbändeebenen), die bisher als quasi- staatliche Steuerungsagenturen im deutschen System agieren. Diese Ebenen müßten eher in ihrer gemeinschaftlichen Steuerungsfunktion gestärkt werden.

12 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 12 Sind die von der Consultingfirma McKinsey, dem SPD-Berater MdB Lauterbach und der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ in 2006 öffentlich deklarierten Einsparpotenziale realistisch? 1. McKinsey (Perspektiven der Krankenversorgung in Deutschland, Ffm. 2.5.2006, S. 19-20) „Die Effizienzreserven im deutschen Krankenhaussystem erlauben Ein- sparungen von max. 5 Mrd. Euro“, Vorschläge: ●„Absenkung Basisfallwert auf 2500 € statt bisher 2785 € zum 1.1.2009= 3.875 Tsd. € ●„Einsparungen durch Verlagerung von stationären Leistungen in den ambulanten Sektor“= ca. 1.000 Tsd. € Gesamteinsparung = 4,875 Mrd. € Beides sind zunächst einmal gegriffene, d.h. nicht empirisch abgeleitete Größen. Die Frage ist, ob aus einem internationalen Vergleich sich dafür Begründungen ergeben?

13 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 13 „ Im internationalen Vergleich erweisen sich deutsche Krankenhäuser teilweise als erstaunlich effizient“ (McKinsey 2006): ● Bei Krankenhausausgaben pro Fall (1999) liegt Deutschland (mit durchschnittlich 3.434 €) sehr deutlich hinter USA (9.200), Schweiz (7.799), Niederlande (6.940), selbst U.K. (4.317). ● Bei Krankenhauspersonal mit 14.9 pro 1000 Einwohner (1999) liegt Deutschland ebenfalls am unteren Ende vergleichbarer Länder. ( Datenquelle: McKinsey, 2006, S.20) ●Mit diesen empirischen Zahlen widerlegt sich das Papier (2006) selbst: Wenn dtsch. Krankenhäuser mit durchschnittlichen (!) Effizienzgrößen bereits in der Spitzengruppe der Industriestaaten liegen, ist die postulierte massive weitere Kostensenkung komparativ nicht plausibel ableitbar.

14 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 14 MdB-SPD Lauterbach (Südd. Zeitung/Berliner Zeitung; gmx.net/de/themen/nachrichten 28.04.06) ●Durch den Abbau der „doppelten Facharztschiene“ außerhalb der Krankenhäuser ließen sich 10 Mrd. € sparen Empirische Gegenprüfung: 1.McKinsey (2006, s.o.) will konträr zu diesem Abbau 1 Mrd. € sparen, indem fachärztliche Krankenhausleistungen in das ambulante System verlagert werden. Es geht nicht beides gleichzeitig. 2.Zu den von MdB Lauterbach gesehenen Milliardeneinsparungen durch Ab- bau von Doppeluntersuchungen ergibt eine einfache empirische Kontroll- rechnung: Bei zeitnahen Analysen von realen ambulanten Kassendaten fallen bei weniger als 0,1% aller Versicherten eines Jahres (Quelle: Häussler, IGES Berlin, Akademie der Wissenschaften, Mainz 2006) mögliche relevante Doppel- untersuchungen an; bei angenommenen Fallkosten à 250 € bei 73 Mio. Versicherten und angenommen 33% entbehrlicher Untersuchungen ein Potenzial von 6 Mio., nicht „Mrd.“. Selbst wenn man auf der stationären Ver- sorgungsseite ein gleich hohes Potential unterstellte, bleibt das Potential 1:100 unter den versprochenen Einsparungen.

15 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 15 „Durch die Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) lassen sich weitere Milliarden sparen“ Rückgrat der ambulanten Arzt-Budgetierung sind die Kassenärztlichen Ver- einigungen. Sie will die Regierung weiter entmachten oder abschaffen. 1.Die KVen als Verwaltung werden allein von den Vertragsärzten selbst finanziert. 2.Die administrativen Transaktionskosten der kritisierten flächendeckenden Großverträge zwischen Kassen und KVen sind um den Faktor 3 bis 4mal kostengünstiger als die Masse sgn. Individualverträge. 3.Der seit Jahren tendenziell sinkende Kostenanteil für die niedergelassenen Ärzte an den Gesamtkosten des Systems als Ergebnis der KV-Budgetierung spricht makroökonomisch für diese und nicht gegen diese. Das ist plausibel: Sie stellen als Zwangskörperschaften aller niedergelassenen Ärzte eine quasi staatliche Regulationsagentur dar.

16 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 16 4.Das durchschnittliche Jahreseinkommen der deutschen Hausärzte (FAZ 23.5.06): „de facto.....wirtschaftlich eine Art Angestellte ihrer Kassenärztlichen Vereinigungen“ im internationalen Vergleich: Kaufkraftgewichtet in US-$ 86.719, hinter UK (100.998), Dänemark (101.901), Schweiz (104.439), Niederlande (113.147) und USA (138.000) (Quelle OECD 2005/BMG; FR-Graphik 2006). Das kollektivvertraglich gesteuerte deutsche Vertragsarztsystem mit seinen Budget-Mechanismen benachteiligt die deutschen Hausärzte ökonomisch im Vergleich zu anderen Industrieländern. Deutsche ambulante Facharztgruppen stehen z.T. ökonomisch besser, z.T. schlechter (Hautärzte, Kinderärzte) da. Insgesamt gibt Deutschland zurzeit deutlich mehr Geld für ambulante Arzneimittel als für ambulante Ärzte aus (!)

17 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 17 5. Deutlicher Nachteil: Die KVen verhindern organisatorische intrasektorelle oder sektorübergreifende Innovationen; insofern sind sie in der alten Form ordnungspolitisch überholt. 6. Der eingeschlagene bisherige Reformweg der beiden letzten Regierungen, die Macht der KVen einzuschränken und an ihren „Rändern“ Zonen lebhafter Innovationen zu erzeugen, ist sinnvoll. Grundsätzlich ist die KV als Zwangskörperschaft entbehrlich und ein kollektives Vertragssystem auch über Ärzteverbände, zum Beispiel wie in Belgien oder anderen europäischen Ländern, denkbar; ein geordnetes, verbandlich organisiertes und fachlich kompetentes und in den eigenen Peer-Groups professionell gut verankertes Verbände- system als Vertragspartner ist in jedem nicht rein staatlichen Gesund- heitswesen ohnehin unverzichtbar. Die Abschaffung der Zwangs- körperschaft KV hindert die Ärzte nicht, vom GG geschützte Verbände und Koalitionen zu bilden. Der internationale Vergleich zeigt: staatlich erwünschte Kostendämpfung wird dadurch nicht leichter.

18 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 18 „Mittelfristig 20 Milliarden Euro an Effizienzreserven“........ schlummern im deutschen System, wenn Ärzte und Krankenhäuser wirtschaftlicher arbeiten und sich besser absprechen würden (MdB Lauterbach). Allgemeiner Patienten-verband: „legale Verschwendung“ von 40 Mrd. (Welt am Sonntag v. 23.04.2006) ●Die apostrophierten „20-40 Mrd.“ € Einsparpotenziale lassen sich weder durch internationale Vergleiche noch durch sektorale Analysen empirisch plausibel machen. Das widerlegt keineswegs die Annahme sektoral hoher Effizienz- potenziale – denen aber auch Bereiche relativer Unterversorgung (Prävention, cerebrovaskuläre und geriatrische Rehabilitation als Beispiel) gegenüberstehen. Es gilt immer noch das Statement des deutschen Gesundheitssachver- ständigenrates von 2001 (Sachverständigenrat-Gutachten, Baden-Baden, 2000/1): Die Mehr- und Minderkosten von Über-, Fehl- und Unterversorgung saldieren sich in etwa in Deutschland. Durch langfristige Umsteuerung zu mehr Prävention und Qualität lassen sich allerdings Effizienzgewinne erwarten.

19 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 19 ● Kurz- bis mittelfristig mobilisierbare nennenswerte einstellige Mrd.-Einspar- potenziale (3-5 Mrd.) lassen sich im Bereich von Arzneimittelpreisen und Distributionskosten sowie – hier fehlen aufgearbeitete Marktgrößen - bei medizinischen Sachmitteln und im medizinischen Transportwesen, annehmen. „20 oder gar 40 Mrd.“ sind ohne Wartelisten populistische Größen, die mit einer funktionierenden Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht vereinbar sind.

20 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 20 Nutzen oder Gefahren der weiteren Ökonomisierung der Medizin? 1.Der Mediziner und Kirchentagspräsident Nagel (2006) weist eingehend auf die Veränderung des ärztlichen Denkens durch die ubiquitäre Einführung ökonomischer Kategorien als wesentliches Bewertungs- kriterium seines eigenen und seines institutionellen Handelns und der sein Handeln bestimmenden Umgebungsdeterminanten hin. 2.Die deutsche Ärzteschaft (Ärztetag 2005 und 2006) hat Studien zur Auswirkung der Ökonomisierung auf die ärztliche Tätigkeit in Auftrag gegeben. 3.Die anhaltenden Ärzteproteste des Jahres 2006, die längsten der deutschen Nachkriegsgeschichte, weisen auf den realen wie den gefühlten ökonomischen und den ökonomisch-motivierten Kontrolldruck der Ärzte hin. Die Ärzte beklagen neben einer Unterfinanzierung eine fremdbestimmte Veränderung ihres Professionsbildes und die Einengung oder Vernichtung ihrer Advokatenfunktion für den Patienten. Die Einengung ihres Berufsbildes auf das mit universalistischer Gültigkeit auftretende Modell des „Homo oeconomicus“ wird, nur schein- bar paradox, auch mit Ansprüchen auf angemessene Bezahlung, bestritten. Jüngste Analysen zeigen (Frey, Benz 2001), dass dieses ökonomisch eingeengte Modell auch in zahlreichen anderen

21 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 21 Berufen unrealistisch ist und verzerrend wirkt, d.h. Wertorientierungen in allen Berufsgruppen und Ebenen der Gesellschaft eine unverzichtbare Funktion einnehmen. 4.Diesen Protesten steht gegenüber, dass der von Medizinern oder mit diesen verbundenen Industrien beanspruchter Ressourcenanteil in der Volkswirtschaft von anderen Wirtschafts- und Gemeinwohlbereichen als „Bedrohung“ empfunden wird. Insbesondere wenn diese Leistungen zu einem hohen Anteil über gesetzlich festgelegte Abgaben finanziert werden, wird auf „effiziente“ Betriebsformen und –abläufen oder nach offenen oder verdeckten Rationalisierungen gedrängt.

22 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 22 Mögliche Auswirkungen der Bevölkerungsdynamik? Eine „ceteris paribus“-Debatte? 1.In vereinfachter Betrachtung erhöht die demographische Alterung die Ausgaben und senkt die lohnabhängige finanzierten Einnahmen der gesetzlichen Kranken- versicherung (die altersbedingt sinkenden Einnahmen gelten nicht für die äquivalenzabhängigen Beiträge privater Krankenversicherung). 2.In den wichtigsten Modellrechnungen für Deutschland (Birg A: Stellungsnahme zur Anhörung beim Bundesverfassungsgericht, 04.07.2000) sinken die lohn- finanzierten Einnahmen „ceteris paribus“, also unter sonst unveränderten Bedingungen, demographisch bis 2040 um rund 30 %. Gleichzeitig nehmen durch 2 Faktoren die Ausgaben zu: Durch die erhöhte Zahl älterer Personen und erhöhte Prokopfausgaben mit höherem Alter; auf dieser Basis wachsen „ceteris paribus“ in Simulationsrechnungen (Birg 2000) die Ausgaben bis 2040 rund 22%. Dabei gilt die Annahme, dass der medizinisch-technische Fortschritt in dieser Zukunft keine über die vorliegenden Beobachtungen hinausgehende kostensteigende Wirkung entfaltet bzw. das Prokopf-Altersausgabenprofil gleich bleibt. Unter diesen Annahmen würde der heutige Beitragssatz sich um 9%- Punkte erhöhen. Birg (2000) nimmt in einer alternativen Rechnung mit deutlich erhöhten Fortschrittskosten eine denkbar weitergehende Erhöhung auf 12%- Punkte an; verteilt auf 40 Jahre entspricht das 0,3%-Punkten pro Jahr.

23 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 23 Kritik an den Modellrechnungen 1.Die relativ geringe Differenz von nur 3%-Punkten in den bestehenden alternativen Modellrechnungen trotz angenommener weiterer Ver-schiebung des Alterskostenprofils durch medizinischen Fortschritt zeigt, dass die angenommenen Beitragssatzerhöhungen eher von lohn-bedingten schrumpfenden Einnahmen als von steigenden Ausgaben bestimmt wird. Die demographische Dynamik wird dabei dadurch begrenzt, dass die Anzahl der über 60jährigen ab 2030/35 wieder abnimmt (Birg, 2000). 2.Während die demographischen Daten - größere Migrationseffekte außer Acht gelassen - im wesentlichen verlässlich sind - und daher streng genommen als einzige „ceteris paribus“ - Annahmen rechtfertigen, ergibt es zum „Fortschritts“- Profil der Ausgaben sehr unterschiedliche Einschätzungen. Nicht zuletzt lässt sich der „medizinische Fortschritt vom Altersbezug nur sehr schwer isolieren, da viele therapeutische Innovationen der letzten Jahre sich auf höhere bis hohe Altersgruppen beziehen (Niehaus, Wissenschaftsinstitut der PKV, Diskussionspapier 5/2006). Auch ist die Fortgeltung einer überwiegenden Lohnfinanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung eine nicht sehr realistische Annahme.

24 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 24 3.Der amerikanische Alters- und Gesundheitsforscher Fries (2000) wies für die USA mit wachsender Lebenserwartung der Bevölkerung auf eine Verminderung („Kompression“) der Krankheits- und Behinderungslast in höheren Altersgruppen im Vergleich zu früheren vergleichbaren Alters- gruppen (Jahrgangskohorten) hin (bestätigt für Dänemark (Hanse, Ronnomit, 2005), Österreich (Doplhammer et al., 2001), und Deutschland (Dinkel 1998)). Gezeigt wurde auch, dass die Behandlungskosten vor dem Tod bzw. die Kosten der letzten zwei bis drei Jahre vor dem Tod mit sehr hohem Alter abnehmen (USA (Lobitz et al., 1993), Deutschland (Seidler, Busse, Schwartz, 1996), Schweiz (Zweifel 1999). 4. Andererseits zeigen die bisherigen empirischen Studien für Deutschland dennoch bislang eine „Versteilerung“ der realen Ausgabenprofile, d. h. mit dem Alter überproportionale Ausgabenanstiege (Buchner 2001, Buchner, Wasem 2000, Ulrich 2003, Niehaus, WIP, 2006).

25 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 25 Zwischenfazit: Vernünftigerweise müssen wir uns mittelfristig auf steigende Ausgaben bei sinkenden lohnabhängigen Einnahmen durch den kombinierten Effekt von Demographie und medizinisch-technischem Fortschritt einstellen, mit einem jährlichen Effekt auf die GKV-Beiträge von maximal bis 0,3%-Punkten (Birg 2000). Dabei sind günstige Gegeneffekte durch Prävention oder Alters- Kompression i.S. von Fries nicht ausgeschlossen, ebenso nicht günstigere Effekte durch das Abgehen von lohnabhängiger Finanzierung.

26 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 26 Präventionsoption als Ausweg? 1.Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland zwischen 1980 und 2002 (alte Bundesländer) hat sich um 5,8 Jahre bei Männern bzw. 4,6 Jahre bei Frauen verbessert (Weiland et al. DÄ 103,16 (2006) 874 bis 879). 2.Der größte Anteil (2,6 Jahre bei Männern, 2,2 Jahre bei Frauen) entfiel auf die Reduktion von Herz-Kreislaufsterblichkeit, insbesondere den ischämischen Herzkrankheiten (vor allem zugunsten der Männer) und den cerebro- vaskulären Erkrankungen bzw. Schlaganfällen (bei beiden Geschlechtern). 3.Geringere Fortschritte gab es bei den bösartigen Neubildungen (0,6 Jahre bei Männern und Frauen), vor allem durch Abnahme von Magenkrebs (beide Geschlechter), ebenso Lungenkrebs (Männer, Frauen eher umgekehrt). 4.Die internationale Platzierung der Lebenserwartung in Gesamtdeutschland hat sich deutlich verbessert, ist aber nicht Spitze (2002 8. (Männer) bzw. 7. (Frauen) Platz in Europa).

27 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 27 Präventionsoption als Ausweg? 5.Das kardiovaskuläre Risikofaktorenprofil in Deutschland ist nach wie vor sehr hoch. Ebenso ist die Versorgung beim Patienten mit coronarer Herzkrankheit nach wie vor nicht optimal (vor allem bei Frauen und ältere Patienten). Es sind erhebliche Verbesserungen durch Umsetzung des vorhandenen präventiven Wissens möglich. 6.Die genetische und molekulare Forschung werden für die Prävention gegenwärtig zu stark gefördert und in ihrer praktischen Bedeutung überschätzt (Willett Science 2002,296, 695-8). Die wichtigsten chronischen Erkrankungen entstehen durch ein komplexes Zusammenspiel von poly-genetischen und von bereits sehr gut beschriebenen Umwelt- und teils fremd- teils selbstbestimmten Verhaltensfaktoren, z.B. Fehlernährung, körperlicher Aktivitätsmangel, Übergewicht, Rauchen, Alkohol; neuerdings auch gut belegt: Chronischer Stress und Depression als unabhängige oder kombinierte Risikofaktoren.

28 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 28 Zwischenfazit: Neue umsetzungsorientierte Prioritäten in der Präventionsforschung, in der Präventionsausbildung, im multifaktoriellen psychosozialen und psycho- somatischen Verständnis von Krankheitsgenese und Gesundheitserhaltung und politische wie praktische Fortschritte in der Prävention sind von über- ragender Bedeutung für unsere Gesundheits- und Lebenserwartung und eine stimulierende Strategie gegen die Horrorvision einer nur noch auf Reparatur bedachten und damit erkennbar immer schwieriger zu finanzierenden „Medizin für alle“.

29 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 29 Fazit? 1.Ist unser gegenwärtiges Gesundheitswesen „bezahlbar“? JA,MIT BEHERRSCHBAREN RISIKEN. 2.Macht die Position der Regierung: noch mehr Wettbewerb, noch mehr ökonomisches Denken in der Medizin, Sinn? ALS RADIKALANSATZ WEDER ÖKONOMISCH NOCH POLITISCH ERFOLG- REICH. Wie erfolgreich sind wettbewerbliche Systeme im Vergleich zu staatlich gesteuerten? KOMBINATION ALS RELATIVES OPTIMUM NÖTIG Sind die von McKinsey oder dem SPD-Berater Lauterbach oder sonstige versprochenen hohen Einsparpotenziale realistisch? NEIN 2-

30 copyright Prof. Dr. F.W. Schwartz 2006 30 Welche realistischen Einsparpotenziale sind verfügbar? BIS 5 MRD kurz-mittelfristig 3. Nutzen oder Gefahren einer weiteren Ökonomisierung in der Medizin? BEIDES 4. Mögliche Auswirkungen der Bevölkerungsdynamik und des medizinischen Fortschritts? BIS 0,3%-PUNKTE PRO JAHR Präventionsoption als Ausweg? ALS UNVERZICHTBARE TEILOPTION Den Apologeten eines radikalen Teilabrisses oder völligen Umbaus des Systems zu folgen, generiert mehr Risiken als Lösungen. Das Haus bedarf mehr kluger Handwerker als experimenteller Architekten. Und bei allen Beteiligten bedarf es ausgeprägter Gemeinschafts- wie Selbstverantwortung i S. eines zukunftsfähigen „Europäischen Modells“.


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