Sabine Maasen HS 2008 Wissen, Wissenschaft, Wissenschaftsgesellschaft

Slides:



Advertisements
Ähnliche Präsentationen
Kultursensible Kommunikation im Sozial- und Gesundheitsbereich
Advertisements

Kommunikation und Kontext
BIBB-Modellversuchs-schwerpunkt „Wissensmanagement“
Ekkehard Nuissl von Rein Erfahrungen aus dem deutschen Programm
Produktion und Nutzung von Inhalten für das Semantische Web Entwicklung eines Ordnungsschemas LIT 2003, Leipzig Dipl. Wirtsch.-Inf. Lutz Maicher.
IB mit t&t Wintersemester 2004/05 1 Tutorien Mo.12-14Zeljo BranovicIhne 22/E2 Mo.12-14Silke LodeIhne 22/UG2 Mo.12-14Simon SottsasOEI 301 Di.14-16Harald.
Gender Mainstreaming- Sprachakrobatik oder die Verwirklichung der Chancengleichheit
„Erfolgsfaktoren für Bildungsmanagement und Wissensmanagement“
Präsentation vom 10. Juli 2006 von Sylke Arpe
Barbara Wörndl Hochschule Merseburg (FH)
Vorlesung: Einführung in die Soziologie – WS 2009/10 Prof. Dr
Do. 17. Dez.: V. „Soziologische Welterschließung“
Was soll unter Bildung verstanden werden?
Theorie soziotechnischer Systeme – 11 Thomas Herrmann Informatik und Gesellschaft FB Informatik Universität Dortmund iundg.cs.uni-dortmund.de.
HCI – Tätigkeits Theorie (Activity Theory)
Auftrag der Grundschule
Grundbegriffe von Piagets Theorie
Theorie soziotechnischer Systeme – 10 Thomas Herrmann Informatik und Gesellschaft FB Informatik Universität Dortmund iundg.cs.uni-dortmund.de.
Dr. Valentin Aichele, LL.M.
Das Menschenbild des Marxismus
Capability Approach – was ist das?
Technische oder personenorientierte Lösungen?
Digital Divide und seine Folgen
Nordrhein- Westfalen Individuelle Förderung in der OGS im Primarbereich Die Schule – vermittelt die zur Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags.
Der Spracherwerb des Kindes
Menschen was sie bewegt, was die bewegen Vortrag, 17. September 2013
DAS POLITISCHE DENKEN DER AUFKLÄRUNG:
Sozialisationstheorien
Theorien, Methoden, Modelle und Praxis
Science und Gender Hat die Wissenschaft ein Geschlecht?
TEIL I Ökonomisches System Medien- System Gesellschafts- System
Peter Wehling: Wissen und Nichtwissen
Übersicht: Grundlagen und Perspek-tiven der Soziologie
Übersicht: Gesellschaft, Kultur, Institution, Organisation
Komponenten eines Informationssystems
Kompetenz -, Lern - und Prüfungsbereiche Anforderungsbereiche
Univ. Prof. Dr. Thomas A. Bauer - University of Vienna, Department for Communications - MEDENKOMPETENZ - Bedingungen und Herausforderungen.
9.Tagung der DGTB Münster Münster.
GK/LK Sozialwissenschaften
Digitale Aufklärung Warum uns das Internet klüger macht
Kompetenzentwicklung in schwierigen Zeiten: Wie man Jugendlichen dabei helfen kann, die eigene Biografie zu gestalten Perspektive Berufsabschluss, Offenbach.
Das Europäische Sprachenportfolio
ICT-Projektmanagement & OE Magisterstudium Wirtschaftsinformatik
Vienna Conference on Consciousness Teil I "Was ist die neuronale Grundlage des Bewußtseins? Wo ist es im Gehirn?" Beitrag von Michael L. Berger (Center.
Interkulturelle Kompetenz
Herzlich Willkommen Medienkompetenz-Center + Fremdsprachenwerkstatt
Lehrplan Technik GOSt.
Sabine Maasen Die Öffentlichkeit der Wissenschaft – Die Wissenschaft der Öffentlichkeit Forum Wissenschaftsjournalismus, Wien, 14. Juni 2007.
Leben in der Dorfgemeinschaft
Menschenbild und Methoden in der Suchtarbeit.
Pädagogische Theorie Rousseaus
Datensouveränität für Europa Die Wiederkehr der Diskretion
Name of speaker Kultursensible Kommunikation im Sozial- und Gesundheitsbereich Verstehen wir uns?
Wissensmanagement SGMI Seminar 11. Mai – 12. Mai 2007
GK/LK Sozialwissenschaften
Agenten und Multi-Agenten-System
Einführung in die Internationalen Beziehungen
Dreamteam: Web 2.0 und der Katalog Anne Christensen und Thomas Hapke GBV-Verbundkonferenz
8 Biblische Leitsätze, die uns führen
Lernen 1. Vorlesung Ralf Der Universität Leipzig Institut für Informatik
Jugendverbände und neue Medien Nürnberger Seminar der KJG-Landesebene Bayern 16./17.November 2001 Ein Plädoyer für die Etablierung von Computermedienpädagogik.
Konstruktivismus Konstruktivismus geht davon aus, dass Informationen nicht einfach aufgenommen, verarbeitet und gespeichert werden, sondern dass sie durch.
Fachtagung der Bundesvereinigung Lebenshilfe: Migration und Behinderung: Zugangsbarrieren erkennen – Teilhabe ermöglichen 29.–30. September 2015 in Berlin.
Übersichtsschaubilder
GK/LK Sozialwissenschaften Informationen Klasse 9 1. Februar 2016.
Philosophie Educational Studies Philosophie Pädagogische Hochschule Ludwigsburg apl. Prof. Dr. Anke Thyen.
Welchen Stellenwert haben die Syndrome des globalen
Univ. Prof. Dr.-Ing. Heribert Nacken Die Rolle der (Wasser-) Bildung im Wasserressourcenmanagement Univ.-Prof. Dr.-Ing. Heribert Nacken.
P Erkenntnisgewinnung 5, 10, P Kommunikation 2, 7 P Kommunikation 8
 Präsentation transkript:

Sabine Maasen HS 2008 Wissen, Wissenschaft, Wissenschaftsgesellschaft Hans-Dieter Kübler: Mythos Wissensgesellschaft Der Wissensbegriff der Wissensgesellschaft Sabine Maasen HS 2008 Wissen, Wissenschaft, Wissenschaftsgesellschaft

Wissen Wir leben in der Wissensgesellschaft, sind Wissensarbeiterinnen und –arbeiter, arbeiten in wissensintensiven Geschäftsprozessen, an der Herstellung wissensintensiver Produkte und erbringen wissensintensive Dienstleistungen. Wir erstellen Wissensbilanzen, sind Teile von Wissensnetzwerken, zeichnen Wissenslandkarten, rufen Informationen aus Wissensdatenbanken ab, betreiben Wissensentdeckung und Wissenskooperation. Wir generieren, verteilen, internalisieren, externalisieren, kombininieren, sozialisieren, managen, gestalten, repräsentieren, verarbeiten, identifizieren, erwerben, modellieren, entwickeln, transformieren, kodifizieren, bewerten, schützen und speichern Wissen. Wissen findet sich in Büchern, Informationssystemen, Daten, Organisationen, neuen Medien, Gehirnen, Produkten, Prozessen, kognitiven Strukturen, Patenten, Handlungen und sozialen Systemen …“ (Wyssusek 2004, 1).

Wissen: Zentralbegriff der Wissensgesellschaft Wissensgesellschaft als Behauptung unterstellt: Quantitativen und qualitativen Bedeutungszuwachs des Wissens Mit positiven Konnotationen (Fortschritt) Aber auch skeptischen (Nord-Süd-Gefälle) Unterschied zur Informationsgesellschaft (Nico Stehr): Wissensgesellschaft befreit sich von der technologischen Verengung des Informationsbegriffes Verweist auf die komplexen sozialen Kontexte des Wissens Wissen wird zum Organisations- und Integrationsprinzip der Gesellschaft, aber auch zur Problemquelle Kategorialer Unterschied wird nicht von allen Autoren geteilt Allenfalls: der zunehmende Bezug auf Wissen als Wertschöpfungsquelle

Wissen: Theorien Main message: Heterogene Konzeptionen Insbesondere im Bereich der Wissenssoziologie Beziehen sich oft nur auf Teilbereiche Die Wissensgesellschaft hat jedenfalls keinen Schub in Richtung auf eine vertiefte Theoretisierung des Wissens erbracht

Wissen: Typisierungen (einige Beispiele) I Antike Episteme: abstrakte Verallgemeinerung Techne: Fähigkeit/Vermögen, eine Aufgabe zu vollbringen Phronesis: praktische und soziale Weisheit Meties: auf Vermutungen beruhende Intelligenz Vorklassisch Francis Bacon (1561-1626) Idolenlehre: systematische Analyse derjenigen Faktoren, die die Sinnes- und Verstandesfunktionen des erfahrenden Subjekts hemmen: Götzenbilder, Vorurteile und Irrtümer sowie ihre Quellen in Aberglaube und ungeprüftem Sprachgebrauch Entwurf einer empirisch-praktischen Wissenschaft

Wissen: Typisierungen (einige Beispiele) II Aufklärungsphilosophie des 17. und 18. Jahrhundert konzentriert sich auf die Täuschungen des Wissens durch oder im Namen von Thron, Adel und Geistlichkeit. Weitere Beeinflussungsfaktoren: das Begehren (Hobbes), Unlustgefühle und Egoismus (Locke), die Imagination (La Mettrie), aber auch Interessen und Leidenschaften (Condillac, Helvétius). Marx/Engels: »Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken. D.h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht in der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht« (Marx/Engels 1978: 46)

Wissen: Typisierungen (einige Beispiele) III Frühe Wissenssoziologie Max Scheler (Bildungswissen, Erlösungswissen, Herrschafts- oder Leistungswissen) Karl Mannheim (die Seinsverbundenheit des Wissens, freischwebende Intelligenz) Wissenssoziologie der Nachkriegszeit Soziale Verteilung des Wissens (As Schütz) Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit (P. Berger/T. Luckmann) Die diskursive Ordnung des Wissens (M. Foucault) Wissen als Habitus: Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmatrix (P. Bourdieu) Wissen als Semantik (N. Luhmann)

Wissen der Wissenschaften in der Wissensgesellschaft (Nico Stehr) Human-/Geisteswissenschaften: Deutungs- / Orientierungswissen Produktivwissen: Natur-/ Technikwissenschaften Handlungswissen: Natur- und Sozialwissenschaften

Fazit dieses unvollständigen Überblicks: Man akzeptiert verschiedenen Formen, Qualitäten und Funktionalitäten von Wissen Konstruktivistische Ansätze definieren Wissen über soziale Anerkennung und Rekonstruktion; funktionalistische über kontextuelle Korrelationen wie z.B. Handeln Wissen wird entweder gedacht als in-Aktion-entstehend oder aber als sedimentiertes, objektiviertes Reservoir, auf das individuelle oder kollektive Akteure ‚zugreifen‘. Wissen kann nicht wachsen, aber es kann vergessen werden oder man kann nicht wissen, dass es dieses Wissen gibt, oder man kann darauf nicht zugreifen.

Mythen über Technologie und Wissen I Sie ranken sich v.a. um den Computer, Internet: Gigantischer Wissensspeicher, grenzenlose Kommunikation Metaphern: information highway, das globale Dorf Paradoxie: Mit der technischen Verfügbarkeit steigt der Umfang der zu berücksichtigenden Information Gleichzeitig werden die Operationen, die mit Computern durchgeführt werden, zunehmend intransparent. Wissensmanagement: Wertschöpfungspotentiale impliziten Wissens sollen verfügbar gemacht werden.

Mythen über Technologie und Wissen I Dass bessere Informationsverarbeitung zu vertieften Verständnis über Sachverhalte führe zu einer Gleichverteilung des Wissens führe zu einer sozialen, ökonomischen, kulturellen Homogenisierung führe zu informationeller Selbstbestimmung führe (127f.)

Zwischenfazit (130) „Demnach dürfte nicht das Wissen an sich das zentrale Kriterium für seine angeblich wachsende gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung sein; vielmehr sind die Parameter in veränderten Konstitutions- und Kontextbedingungen zu suchen, die mit der wachsenden Indienstnahme von ‚Wissen‘ für Gesellschaft und Ökonomie, mit der verstärkten Aufmerksamkeit und Erwartung für Innovation und Bildung, aber auch mit der medialen Popularisierung von Wissen entstehen und die sozusagen einen neuen Relevanzfocus geschaffen haben.“

Eine pragmatische Typologie des Wissens Kriterium: Angebot & Nachfrage Erkenntniswissen: zunehmende Anwendungsorientierung Professionellen, fachliches Wissen: zunehmende Bedeutung von Querschnittsqualifikationen Kulturelles Wissen oder Bildung: zunehmende Vermarktlichung Alltagswissen: abnehmendes Wissen über Alltagswissen Natürlich-intuitives Wissen: neue Wertschätzung unter der Perspektive ihrer Verwissenschaftlichung Medienwissen

Kurante Paradigmen der Wissensgesellschaft Wissensmanagement: manageriales Dispositiv Entfaltung von Kreativitätspotenzialen, wechselseitiges Lernen Wissensklüfte: skeptisches Dispositiv Knowledge gaps, digital divide Wissensgesellschaft ist nicht ‚plötzlich‘ oder ‚schon‘ da; Wissensgesellschaft ‚evoluiert‘