Was ist Industriesoziologie 1. Einführung: Was ist Industriesoziologie bzw. Soziologie? Kap. 1 des Lehrbuchs: Einführung, außer Abschn. 1.2
Gegenstand der Industriesoziologie I Technisch-organisatorische Entwicklung, Rationalisierung von Arbeitsprozessen und ihre Folgen für die Beschäftigten Wechselwirkung mit gesellschaftlichen „Rahmen“bedingungen Analyse von Arbeitsprozessen in Industrie, Dienstleistung, Verwaltung
Gegenstand der Industriesoziologie II Gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Markt- und Austauschprozesse Soziale Netzwerke Soziale Normen und Institutionen Kulturelle Einflüsse Globalisierung........ Generell: Analyse wirtschaftlicher Prozesse in soziologischer Perspektive
Industriesoziologie III Begriff „Industrie“ weit gefasst: zweckorientiertes ökonomisches Handeln Industriell-wirtschaftliche Prozesse zentrales Moment gesellschaftlichen Strukturwandels Im Kern Analyse kapitalistischer Entwicklung Weitere Teildisziplinen: Arbeitssoziologie, Wirtschaftssoziologie, Industrielle Beziehungen
Historischer Ausgangspunkt: Industrialisierung und sozialer und ökonomischer Wandel seit dem frühen 19. Jahrh. Entstehung des Industrieproletariats und die „soziale Frage“ Frühe Formen der Mechanisierung und Technisierung Krisen und Arbeitslosigkeit
Frühe Klassiker Karl Marx (1818 – 1883), Philosoph und Ökonom; Hauptwerk: Das Kapital Wissenschaftliche Analyse und Kritik des modernen Kapitalismus Max Weber (1864 – 1920), Ökonom und Soziologe; Hauptwerk: Wirtschaft und Gesellschaft Frage nach den Ursprüngen und Eigenarten des westlichen Kapitalismus
Grundfragen der Soziologie Wie kommt abgestimmtes und koordiniertes Handeln eigensinniger Akteure zustande? Nach welchen Handlungsmustern verläuft das aufeinander abgestimmte Handeln? Wie konstituiert sich darüber eine stabile soziale Ordnung? Wie und Warum verändert sich diese Ordnung? Wie wirkt die sozio-ökonomische Ordnung auf das Handeln der Akteure?
Akteure Individuen, Gruppen, Organisationen, Unternehmen, Netzwerke…. Bestimmte Fähigkeiten, Orientierungen und Präferenzen Verfügung über materielle und immaterielle Ressourcen Fähigkeit zum strategischen Handeln : ziel- und nutzenorientiert, intentional - eigensinnig
Soziales Handeln „...soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist“ (Max Weber) Angler und Wochenmarkt Radfahrerunfall Aufspannen der Regenschirme kein Beispiel für soziales Handeln
Wirtschaftliches Handeln Nach Max Weber mehrfache Bedeutung: Zielt auf Mittel der Bedürfnisbefriedigung und Handlungsressourcen Es ist „wesensmäßig“ zweckrational Zielt auf Erwirtschaftung von Gewinn „Bei der Produktion einen künftigen Begehr Dritter zur Grundlage seiner Orientierung macht“ Wirtschaftliches Handeln = Soziales Handeln
Zweckrational - Orientierung an bestimmten Zielen / Zwecken / Nutzen - Trennung von Zweck und Mittel - Wahl zwischen verschiedenen Mitteln - Optimale (wirtschaftlichste) Wahl der Mittel Im Unterschied dazu: wertrationales, affektuelles und traditionales Handeln
Handlungsmuster Nicht das Verhalten einzelner Akteure Aufeinander bezogenes Handeln mehrerer Akteure Wiederkehrende und typische Handlungsweisen Überindividuell, objektiv, stabil, historisch gewachsen „… Typen des Ablaufs von Handeln...“ (Max Weber) Bspl.: Regelhaftes Handeln (fast) aller Verkehrs-teilnehmer
Soziale Ordnung Überindividuelle, objektive soziale Struktur Stabile Regeln für Handeln der Akteure Existenz unabhängig von einzelnen Akteuren Mehr als die Summe ihrer Teile Dauerhaft und historisch gewachsen Bspl.: Gesellschaft als umfassender Rahmen menschlichen Handelns
Handeln, Handlungsmuster Soziale Ordnung, soziale Struktur z.B. Gesellschaft Makro- ebene Handeln, Handlungsmuster Mikro- ebene
Zentraler Begriff: Koordination Wechselseitige Abstimmung von Handlungen heterogener, eigensinniger Akteure und die Bewältigung damit verbundener Abstimmungsprobleme. Handlungsmuster und soziale Ordnung
Probleme der Koordination I Zweck- und nutzenorientiertes Handeln impliziert Widersprüche und Problemfelder: Konflikte auf Grund divergierender Interessen Handlungsdilemmata: Wahl zwischen gleich problematischen Alternativen Opportunismus: eigener Nutzen auf Kosten anderer, Trittbrettfahrer
Probleme der Koordination II Akteure nicht gleichberechtigt / Problem der Machtasymmetrie; z.B. Großbetriebe vs. KMU „irrationales“ Verhalten üblich; z.B. Trinkgeld „asymmetrische“ Informationsverteilung; z.B. Insiderhandel unvollständige Informationen über Alternativen Verträge oft unvollständig
Probleme der Koordination III Problem der doppelten Kontingenz: Handeln unkalkulierbare Reaktion erneutes Handeln Problem der nicht intendierten Folgen: Handeln kollektives Handeln unkalkulierbare Effekte erneutes Handeln
Schlussfolgerung: Koordiniertes Handeln ist stets prekär, komplex und ungewiss Erforderlich sind soziale Bedingungen und Mechanismen zur Reduktion von Ungewissheit, Risiken und Komplexität Herstellen einer kalkulierbaren Handlungssituation???
Soziale Bedingungen erzeugen kalkulierbare Handlungssituationen. Einbettung (embeddedness) wirtschaftlichen Handelns in soziale Bedingungen (Karl Polanyi; Mark Granovetter) Soziale Bedingungen erzeugen kalkulierbare Handlungssituationen. Sie reduzieren Ungewissheit, Risiken, Komplexität und Kosten
Soziale Bedingungen sind z.B.: Moralische Normen über „gutes“ Handeln Rechtliche Normen wie Vertragsformen und Wettbewerbsrecht Regeln zum Ausgleich ungleicher Macht- und Ressourcenverteilung Staatliche Regulation von Steuer- über Umwelt- bis Sozialpolitik
Beispiele für die Relevanz sozialer Bedingungen: Beim Kauf eines Gebrauchtwagens: Vertrauen Handelsgeschäfte per Handschlag: „Treu und Glauben“ Der „Doppelgriff“ des Schwarzhändlers: fehlende soziale Regulation Reichsmark gegen Lucky Strikes
Soziologische Ansätze zur Erklärung koordinierten Handelns Traditionen, Gewohnheit, Routinen Normen, Institutionen, Konventionen Macht Handeln innerhalb historisch gewachsener „Pfade“ und sozialer „Situationen“
Handeln, Handlungsmuster Soziale Ordnung, Gesellschaft Makro- ebene Handeln, Handlungsmuster Mikro- ebene
Nach: Coleman und Esser Grundmodell soziologischer Erklärung: „Badewanne“ Struktur (t) Struktur (t+1) Transformation Bedingungen Akteure Handeln Entscheidung bzw. Wahl Nach: Coleman und Esser
Modell der Handlungssituation Erstens: Akteure handeln situations-orientiert bzw. orientieren sich an gegebenen Strukturen Zweitens: Realisation eigener Interessen – strategisches Handeln Drittens: Strukturen werden verändert Zweckrationales Handeln: situations- spezifisches Verfolgen von bestimmten Zwecken
Ausgewählte Literatur Granovetter, M. 2000: Ökonomisches Handeln und soziale Struktur: Das Problem der Einbettung. In: Müller, Hans-Peter; Sigmund, Steffen (Hrsg.): Zeitgenössische amerikanische Soziologie, Opladen, S. 175 –207 Minssen, H. 2006: Arbeits- und Industriesoziologie, Frankfurt/New York Polanyi, K. 2001: The Economy as Instituted Process. In: Granovetter, M.; Swedberg, R. (Hrsg): The Sociology of Economic Life, 2. Aufl., Boulder/Oxford, S. 31 - 50