Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung

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 Präsentation transkript:

Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung Vortrag anlässlich der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Gefängnismedizin 20. Januar 2007 in Lugano Dr. med. Andreas Frei, Oberarzt Forensischer Dienst Luzerner Psychiatrie andreas.frei@lups.ch

Kasuistik Herr S.S. 1968 in einer Kleinstadt im nordwestlichen Teil von Bosnien geboren. Unauffällige Familie und Kindheit. Arbeit in Lublijana bei der Eisenbahn. 1986 Militärdienst. Krieg in Slowenien 1991 ohne persönlichen Bezug. April 1992, am moslemischen Festtag Bajram an einer Strassensperre von Serben verhaftet und im berüchtigten Konzentrationslager Manjaca bei Banja Luka interniert. Täglich Schläge, Hunger, Tod von Leidensgenossen. Zustand kompletter Apathie. Zuletzt 42 Kilo. Dezember 1992 Lager aufgelöst, via Kroatien in die Schweiz und als Asylant nach Emmenbrücke.1994 Heirat und Arbeit als Kranführer gelernt, Erinnerungen an den Krieg werden verdrängt. Geburt eines Kindes.1998 mit Rückenschmerzen nach Verhebetrauma, Arbeitsunfähigkeit, Kündigung. Mit der zunehmender Untätigkeit Auftreten quälender Erinnerungen. Im Psychostatus reizbar, dysphorisch. Klagen über Wetterfühligkeit, Impulsivität, Anhedonie, intrusive Erinnerungen und Vermeideverhalten. Sozialer Rückzug.

Frühere Konzepte Ilias: Psychischer Stress äussert sich in Beschwerden der viszeralen Organe (Mumford 1992,1996) Great Fire of London: Schlaflosigkeit, Besorgtheit (Daly 1983) Railway Spine Ende 19.Jhdt. Traumatische Neurose (Oppenheim 1889) vs. Hysterie (Charcot)

Militärpsychiatrie I England Rheumatism, Disordered Action of the Heart, Trench Fever, Shell Shock 20‘000 chronische Psychiatriepatienten als Folge des Krieges Einrichten ambulanter psychiatrischer Institutionen, um den enormen Bedürfnissen gerecht zu werden

Militärpsychiatrie II „Kriegszitterer“ Kraepelin: Pathologische Trauer weißt auf degenerative Anlage hin V. internationaler psychoanalytischer Kongress in Budapest: Kriegszitterer sind Neurotiker Patriotische Gesinnung der Ärzte unterstützt die „Kriegsneurotiker nicht

Militärpsychiatrie III Krimkrieg: 20% Todesfälle Erster Weltkrieg: 6.1% Todesfälle Zweiter Weltkrieg: 4.5 % Todesfälle Koreakrieg: 2.5 % Todesfälle Psychische Ausfälle im zweiten Weltkrieg abhängig von Kampagne bis 30% Bessere medizinische Versorgung geht einher mit höherer Ueberlebensrate und höherer psychischer Morbidität

Bombenkrieg über Deutschland Zehntausende von Opfern, aber kaum psychische Stressreaktionen Resultat geschickter propagandistischer Vorbereitung durch das Naziregime? „Gemütliche emotionelle Unempfindlichkeit“ und/oder „Unfähigkeit zu trauern“ als Folge?

Psychiatrie der Verfolgten (von Bayer 1964) Akute Erlebnisreaktionen und Erschöpfungszustände Vorwiegend anlassspezifische Reaktionen wie Angst‑ und Schreckreaktionen oder reaktive Depressionen Vorwiegend persönlichkeitsspezifische Reaktionen wie hysterische Reaktionen Psychophysische Erschöpfungszustände Abnorme Entwicklungen: z. B. hypochondrische, verfolgungswahnähnliche usw. Erlebnisreaktiver Persönlichkeitswandel Vorwiegend persönlichkeitsspezifischer Wesenswandel Überdauernde Verstärkung frühneurotischer Persönlichkeitsmerkmale Überdauern psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale

Operationale Diagnostik bedeutet nach Dittmann (1994) Die Diagnose D darf nur dann gestellt werden, wenn die exakt definierten diagnostischen Merk­male Nx ‑ Mx vorhanden, die Ausschlusskriterien Ax ‑ Ay nicht vorhanden und gleichzeitig die ein­deutigen Verknüpfungsregeln Rx ‑ Ry erfüllt sind.

PTBS nach DMS IV (1994) Die Person wurde mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert, bei dem folgende Kriterien vorhanden waren: Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr für körper­liche Unversehrtheit der eigenen Person oder anderen Personen beinhalteten. Die Reaktion der Person umfasst intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen. Das traumatische Ereignis wird beharrlich auf mindestens eine der folgenden Weisen wieder­belebt: Wiederkehrende oder eindringlich belastenden Erinnerungen an das Ereignis Wiederkehrende, belastende Träume von dem Ereignis Sog. Flashback Episoden usw. Anhaltende Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma verbunden sind, oder eine Abflachung der allgemeinen Reagibilität Anhaltende Symptome erhöhten Arrousals Schlafstörungen Reizbarkeit

PTBS nach ICD-10 Ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde Eine wiederholte, unausweichliche Erinnerung oder Wiederinszenierung des Ereignisses in Gedächtnis, Tagträumen oder Träumen, also sog. Flash-Backs Vermeideverhalten bezüglich Reize, die an das Trauma erinnern könnten Emotionale Abstumpfung

Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10) oder DENOS Feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber Sozialer Rückzug Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit Chronisches Gefühl von Nervosität Entfremdung

PTBS und Folter I Typische Folge von Folter Kann im Labor wahrscheinlich von Angststörung und Depression unterschieden werden Politische Aktivisten sind resistenter als zufällige Opfer Dauert auch über Erlangen des Flüchtlingsstatus an

PTBS und Folter II Psychische und physische Folgen der Folter z. T. verschieden bei div. Ethnien Kenntnis über „kulturspezifische“ Foltermethoden bei Beurteilung relevant Auch massive physische Folgen von Folter nicht immer offensichtlich Cave: Retraumatisierung bei inhaftierten Asylbewerbern Cave: PTS auch bei Asylanten, die Flüchtlingseigenschaften nicht erfüllen, denkbar

Kritik an PTBS Inflationärer Gebrauch Viele Vietnamveteranen, die nie an der Front waren, litten an „combat-stress“ (Wessely 2005) Spezifische PTBS-Beschwerden nicht nur nach Katastrophen, sondern auch „life-events“ Probleme für Versicherungspsychiater Flash-Back als Kardinalsymptom als spezifisches, kulturgebundenes Symptom (Jones 2003) Forciertes „Debriefing“ als Prävention des PTBS lösst ein solches erst aus (Wessely & Deahl 2003) PTBS kann durchaus vorgespielt werden (Gerardi 1989)

Einführung des PTBS war auch politisch motiviert (Antivietnambewegung, hatte aber realen, medizinischen Hintergrund (Shay 1991)

Fazit PTBS ist eine klinische Realität, gerade auch im Gefängnis. PTBS kann vor Gericht genauso wenig als Beweis für das Vorliegen eines Sachverhaltes, z. B. asylrelevante Gründe, verwendet werden wie irgendeine andere psychische Störung (z. B. Borderline-Persönlichkeitsstörung)